BAYER nach der NRW-Wahl
Grüne Gefahr gebannt?
BAYER geht gestärkt aus der Wahl in Nordrhein-Westfalen hervor. Die SPD gewann viele Stimmen hinzu und betonte sogleich, wie sehr ihr die Chemie-Industrie am Herzen läge. „Diese Landesregierung und ich ganz persönlich, wir werden alles dafür tun, dass sich diese heimische Produktion entwickeln kann und gute Rahmenbedingungen vorfindet“, betonte der neue Wirtschaftsminister Garrelt Duin in seiner ersten Landtagsrede. Entsprechend schwer dürfte es für den grünen Koalitionspartner werden, alles für eine ökologische Politik zu tun.
Von Jan Pehrke
Bereits zwei Tage nach der Wahl in Nordrhein-Westfalen meldete sich BAYER-Chef Marijn Dekkers zu Wort. Das Land müsse sich wieder auf seine Stärken besinnen, forderte der Holländer und ließ keinen Zweifel daran, welche er meinte: „Dazu gehört seit jeher eine starke Industrie.“ Und damit diese angeblich vernachlässigte Größe erneut zu Kräften kommt, braucht sie Dekkers zufolge wettbewerbsfähige Energie-Preise, gute Schulen, weniger öffentliche Schulden, mehr Offenheit für neue Technologien und eine moderne Infrastruktur – bzw. die Kohlenmonoxid-Pipeline zwischen den BAYER-Standorten Dormagen und Krefeld. Auch Hans-Peter Keitel vom „Bundesverband der deutschen Industrie“ machte Zielvorgaben. Das Ergebnis vom 13. Mai interpretierte er als einen „Auftrag an die gestärkte SPD, ihr industriepolitisches Programm nicht nur auf dem Papier zu propagieren, sondern auch in der Koalition mit den Grünen durchzusetzen“.
Die SozialdemokratInnen signalisierten sogleich die Bereitschaft, diesen Auftrag annehmen zu wollen. So erklärte Hannelore Kraft, die schon im Wahlkampf betont hatte, „auf einer Linie“ mit der Wirtschaft zu sein, die Energiewende zur Chefinnen-Sache, während SPD-Fraktionsführer Norbert Römer schon einmal konkret wurde. „Wir brauchen neue Gas- und Kohlekraftwerke“, verkündete er. Entsprechend hart gestalteten sich für die Grünen, die auf 11,3 Prozent der Stimmen kamen und damit gegenüber 2010 0,8 Prozent eingebüßt hatten, die Koalitionsverhandlungen mit der dank eines Stimmenzuwachses von 4,6 Prozent auf 39,1 Prozent selbstbewusster agierenden SPD. „Ob die SPD meint, der Klimawandel sei gestoppt, weil sie bei der Wahl in NRW zugelegt hat?“, fragte der Grünen-Parteivorsitzende Sven Lehmann während der Gespräche schon sarkastisch. Das bereits in der letzten Legislatur-Periode heftig umstrittene Klimaschutzgesetz, das bis 2020 eine Kohlendioxid-Reduzierung um 20 Prozent und bis 2050 eine um 80 Prozent im Vergleich zu 1990 vorsieht, hätten Kraft & Co. am liebsten auf die lange Parlamentsbank geschoben. Weil sich die KoalitionärInnen nicht auf einen Umsetzungstermin einigen konnten, kam es zu einem Eklat: Die betreffende Gesprächsrunde platzte. Ebenfalls große Kontroversen gab es um den Zuschnitt des grünen Umweltschutzministeriums. Die SPD hätte am liebsten das Ressort „Energie“ herausgelöst und es „ihrem“ Wirtschaftsministerium zugeschlagen, aber die Grünen wehrten sich. Am Ende stand ein Kompromiss. Um die Erneuerbaren Energien durfte sich Minister Johannes Remmel weiter kümmern, auf alles andere erhielt die SPD den Zugriff.
Die Schwierigkeiten des Zusammenfindens spiegelt der Koalitionsvertrag in Kompromiss-Formeln wie „nachhaltige Industriepolitik“ und der Ankündigung, Wettbewerbsfähigkeit und Umweltverträglichkeit als gleichrangige Ziele behandeln zu wollen, wider. Auch unter der Energiewende sollen BAYER & Co. nicht leiden. Rot-Grün bekennt sich zur Chemie-Industrie als „Schlüsselbranche“ und garantiert ihr in Sachen „Strom“ Versorgungssicherheit und Preisstabilität. Darum erhält die Kohlekraft einstweilen Bestandsschutz, muss aber mit härteren CO2-Reduktionsvorgaben rechnen.
Zu den zwei umweltpolitisch brisantesten Themen findet sich in dem Dokument nichts Neues. Sowohl beim Steinkohle-Kraftwerk Datteln als auch bei der CO-Pipeline, die im Moment beide noch die Gerichte beschäftigen und deshalb kein grünes Licht für ihren Betrieb haben, verweisen SPD und Grüne auf ausstehende RichterInnen-Sprüche und halten sich mit Wertungen zurück. Zur Rohr-Leitung heißt es lediglich sybillinisch: „Bei der CO-Pipeline dürfen Sorgen und Ängste der Menschen weiterhin nicht ignoriert werden. Auch die Arbeitsplatz-Sicherung hat für uns eine große Bedeutung.“ Nur einmal sprechen die Koalitionspartner Klartext: „Es wurde mit einer Vielzahl von Planungs- und Ausführungsfehlern sowie mit einer defizitären Kommunikationsstrategie dazu beigetragen, dass vorhandene Zweifel an einem sicheren Betrieb der CO-Pipeline stetig verstärkt worden sind.“
In dem neuen Koalitionsvertrag finden sich jedoch auch viele grüne Überträge aus dem alten, die durchaus ehrgeizige Vorhaben formulieren. Neben dem schon erwähnten Leuchtturm-Projekt „Klimaschutz-Gesetz“ nimmt sich die Landesregierung Maßnahmen zur Verbesserung des Tierschutzes, Gewässerschutzes, Boden- und Flächenschutzes, VerbraucherInnenschutzes, des Abfall-Managements und Initiativen zu einer ökologischeren Landwirtschaft vor.
Allerdings saß der neue sozialdemokratische Wirtschaftsminister Garrelt Duin nicht mit am Verhandlungstisch, und es erscheint fraglich, ob er das alles mitgetragen hätte. Der Ostfriese zählt als Angehöriger des Seeheimer Kreises nämlich zu den rechten Sozialdemokraten, im Bundestag tat Duin sich unter anderem als industrie- und wirtschaftspolitischer Sprecher der Fraktion hervor. Und genau deshalb hat Hannelore Kraft ihn auch an den Rhein geholt. Sie wollte mit seiner Nominierung ein Zeichen setzen, hieß es doch vom Vorgänger Harry Voigtsberger stets, er fremdele mit der Wirtschaft. Davon ist bei dem Seeheimer nichts zu spüren. Schon in seiner ersten Rede vor dem Landtag legte er ein klares Bekenntnis zur Chemie ab. „Diese Landesregierung und ich ganz persönlich, wir werden alles dafür tun, dass sich diese heimische Produktion gut entwickeln kann und gute Rahmenbedingungen vorfindet“, erklärte er und bezeichnete das Pipeline-Gesetz allen Ernstes als „ein gutes Zeichen“ dafür. BAYERs Chemie„park“ in Uerdingen stattete der Minister auch schon einen Besuch ab, nicht ohne ihm Unterstützung zuzusichern: „Solche Standorte müssen gestärkt werden, denn von ihnen profitiert die ganze Region.“
Den Pipeline-GegnerInnen machte Garrelt Duin allerdings ebenfalls schon seine Aufwartung. Sogar Konflikte mit seinem Kabinettskollegen Johannes Remmel hat er bislang vermeiden können. Demonstrativ mit ihm zusammen gab der Wirtschaftsminister den Verzicht des Landes bekannt, durch das „Fracking“ genannte Aufspalten tiefer Gesteinsschichten mit Hilfe von Chemie, Sand und Wasser Erdgas gewinnen zu wollen. Zudem ließen er und seine KollegInnen die Grünen gleich nach der Sommerpause das Klimaschutz-Gesetz in erster Lesung dem Landtag vorlegen. Das entsprach jedoch auch den Verabredungen des Koalitionsvertrags. Es stellt sich daher die Frage, wie sich das neue Kräfteverhältnis auswirken wird, wenn es Entscheidungen – etwa hinsichtlich der Nanotechnik, Gentechnik oder neuer gefährlicher Infrastruktur-Projekte – zu treffen gilt, für die noch kein Drehbuch vorliegt.