Ein großes Medien-Echo begleitete Anfang Februar 2024 die Eröffnung des ersten Teilstücks der neuen Leverkusener Rheinbrücke. Endlich wieder freie Fahrt für freie BürgerInnen, so der Tenor der Jubel-Arien – Klima- und Lärmschutz war gestern. Dass für den Bau BAYERs Giftmüll-Deponie Dhünnaue wieder geöffnet werden musste, interessierte auch nicht weiter.
Von Jan Pehrke
„Das ist heute ein toller Tag nicht nur für den Bund, sondern ein großartiger Tag für das Rheinland“, erklärte Oliver Luksic vom Bundesverkehrsministerium am 4. Februar 2024 bei der Freigabe des ersten Teilstücks der neuen Leverkusener Autobahn-Brücke. Zunächst wollte Bundesverkehrsminister Volker Wissing FDP die Einweihung sogar zur Chef-Sache machen, er sagte aber kurzfristig ab. So war es an NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU), das zur Feier des Tages in Deutschland-Farben gehaltene Flatterband durchzuschneiden und das Bauwerk damit offiziell dem Verkehr zu übergeben. „Die Fertigstellung des ersten Teils der Rheinbrücke ist ein wichtiger Meilenstein für eine funktionierende und belastbare Verkehrsinfrastruktur im Rheinland“, hielt er fest. Der nordrhein-westfälische Verkehrsminister Oliver Krischer von Bündnis 90/Die Grünen, der jüngst eine „Sanierungsoffensive“ gestartet hat, lobte derweil den reibungslosen Entstehungsprozess: „Die Planungen waren zügig abgeschlossen. Auch die juristischen Fragen waren schnell erledigt.“ Und seine ParteifreundInnen aus Leverkusen störte einzig der aus „Sicherheitsgründen“ erfolgte Ausschluss der Öffentlichkeit beim Festakt. „Die Leverkusener Bevölkerung hätte es verdient, einen Tag vorher die Brücke zu Fuß zu besichtigen“, meinten sie. Der ADAC zeigte sich selbstredend ebenfalls zufrieden und sprach von einem „Lichtblick im NRW-Brückendesaster“.
Die Medien stimmten in den Jubel-Chor ein. „Historischer Moment in Leverkusen“, befand rheinische anzeigenblätter.de. „Das lange Warten hat ein Ende“, schrieb die Rheinische Post, während der Express titelte „A1: Rheinbrücke bei Leverkusen endlich wieder freigegeben“ und der WDR „[g]ute Nachrichten für stau-geplagte Autofahrer“ vermeldete.
Für kleine Misstöne sorgte einzig ein Kommentar im Kölner Stadtanzeiger. Der Autor kritisierte den Umgang der Verantwortlichen mit der Protestkundgebung. „Dadurch, dass sie nur an der Rheinallee stattfinden durfte, wurde sie aus dem Bild gedrängt“, monierte er. „Die 150 friedlichen Leute hätten zwar auf der breiten Autobahn fast schon verloren gewirkt, aber sie repräsentieren dennoch eine große Gruppe an Menschen, die mehr Klimaschutz fordern, den der Verkehrsminister Volker Wissing besonders nachlässig angeht. Die sich um die gesundheitlichen Folgen von Lärm und Luftverschmutzung durch Auto- und LKW-Verkehr sorgen und denen zusätzliche große Asphaltflächen und zig Meter hohe Lärmschutzwände und kommende Enteignungen von Grundstücken mitten in einer Stadt nicht egal sind“, so der Journalist.
Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) hatte dieser Liste an dem Sonntag noch einen weiteren Punkt hinzugefügt. „Wir von der Coordination haben uns gegen den Bau von neuer Brücke und Autobahn gewendet, weil für die Arbeiten Hand an BAYERs Dhünnaue-Giftmülldeponie gelegt wurde, in der – mehr oder weniger friedlich – rund eine Million Tonnen gefährlicher Stoffe ruhten“, sagte der Autor des vorliegenden Artikels in seiner Rede. Seiner Ansicht nach wurde damit die Büchse der Pandora geöffnet, die erst seit 2005 wieder halbwegs zu war. Zehn Jahre hatten die betreffenden Sanierungsarbeiten in Anspruch genommen, und Beteiligte von damals warnten im Zuge der Planungen zu Brücke und Autobahn aufgrund ihrer Erfahrungen mit den Altlasten dann auch eindringlich: „Finger weg von der Deponie!“
Trotzdem machte sich Straßen.NRW daran, die Oberflächenabdichtung wieder einzureißen und an die Spundwände zu gehen. Für das Fundament von Brücke und Zubringer trug der Landesdienst 200.000 Kubikmeter Erde bis zu einer Tiefe von zwei Metern ab, davon rund 90.000 schwer belastet. Der Straßenbau-Trupp des Landes selbst sprach in diesem Zusammenhang von einem nur „beschränkt optimierten Eingriff“ und einem Risiko, das noch „vertretbar“ sei. Eine „optimale Gründung“ der A1 wäre es einem Mitarbeiter zufolge gewesen, nicht bei den zwei Metern haltzumachen, sondern an die Wurzel des Übels zu gehen und den ganzen Giftmüll herauszuholen.
Aber das wäre zu teuer gewesen. Deshalb blieb es bei der zwei Meter dicken Polsterschicht. Nach Ansicht des ehemaligen Abteilungsleiters des NRW-Umweltministeriums, Harald Friedrich, reicht das als Schutz allerdings nicht aus: „Keine Asphalt-Dichtung ist so dicht, dass sie den Kriterien, die ich für eine ordnungsgemäße Sicherung für eine Sondermüll-Deponie haben muss, entsprechen kann.“ Und der Ingenieur Helmut Hesse befürchtet sogenannte „Setzungsschäden“. Der Giftmüll lebt nämlich. Der organische Anteil des Mülls zersetzt sich, weshalb das Volumen abnimmt und mit Bodenabsenkungen zu rechnen ist, so dass die schöne neue Autobahn-Welt schon bald Risse bekommen könnte. Damit rechnet auch Straßen.NRW. „Eine gegebenenfalls erforderliche vorzeitige Instandsetzung des Oberbaus ist berücksichtigt“, hieß es in der schriftlichen Stellungnahme des Landesbetriebs zu einer Eingabe der CBG gegen das Projekt.
Wie gefährlich die ganzen Arbeiten waren, zeigte sich nicht zuletzt an den Sicherheitsvorkehrungen, die Straßen.NRW traf. Da sogar aus der eigentlich abgedichteten Deponie noch Gas austritt, installierte der Landesbetrieb mit viel Aufwand eine Absaugvorrichtung und stattete alle ArbeiterInnen mit Schutzanzügen aus. Der abgetragene Giftmüll kam in besonders gesicherte Container, und die LKW, die ihn abtransportieren, mussten vor Verlassen des Geländes erst einmal eine Art Waschstraße passieren.
Wegen der im Zuge der Arbeiten avisierten Öffnung der Deponie hat die Coordination zusammen mit vielen anderen deshalb immer wieder „Tunnel statt Stelze“ gefordert – eine unterirdische Verkehrsführung statt einer, die quer durch die Dhünnaue geht. Die Zahl der Eingaben von Initiativen und Einzelpersonen summierte sich am Ende auf rund 300. Mehrere Tage dauerte ihre Erörterung in Köln Anfang Juli 2016.
Eine Leverkusener Initiative rief in der Sache sogar die Gerichte an. Aber ihr machte der damalige NRW-Verkehrsminister Michael Groschek (SPD) das Leben schwer. „Es darf zu keinen vermeidbaren Verzögerungen kommen“, meinte er im Hinblick auf den maroden Zustand der alten Brücke und warnte: „Wir können es uns nicht leisten, durch Klagewellen das Risiko einer Vollsperrung einzugehen.“ Also schuf der Sozialdemokrat in Tateinheit mit dem damaligen Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer ein „Lex Leverkusen“ und schränkte durch Änderung des Paragrafen 17 E des Fernstraßen-Gesetzes die Beschwerde-Möglichkeiten ein. Im Zuge dessen verkürzte sich der Instanzen-Weg. Die Klage landete bald schon beim Bundesverwaltungsgericht in Leipzig und scheiterte dort. Darauf bezog sich Oliver Krischers: „Auch die juristischen Fragen waren schnell erledigt.“
Eingedenk all dieser gescheiterten Bemühungen bezeichnete der CBG-Aktivist den Tag der ersten Freigabe eines Brückenabschnitts der A1 in seinem Kundgebungsbeitrag als einen traurigen Tag. „Ein trauriger Tag für das Klima, ein trauriger Tag für die Verkehrswende und ein trauriger Tag für die Umwelt“, konstatierte er. ⎜