Nanotechnik: kleine Teile, große Gefahr
BAYERs neue Risikotechnologie
Der Leverkusener Multi will mal wieder hoch hinaus und mittels der Nanotechnologie Gott spielen. „Wenn wir lernen, Materialien bis in die atomare Ebene hinein zu verändern, dann können wir neue Wirkungen erzielen, Eigenschaften optimieren und dadurch völlig neue Möglichkeiten für alle Geschäftsfelder unseres Unternehmens eröffnen“, frohlockte im Jahr 2003 der damaliger Forschungsvorstand Udo Oels. Was dem Konzern im Bereich der Gentechnik schon an Mikro-Manipulationen gelang, vollbringt er inzwischen auch auf dem neuen Gebiet – mit ähnlichen Risiken und Nebenwirkungen.
Von Jan Pehrke
Die Nanotechnologie beflügelt zurzeit die Fantasien der ForscherInnen wie kaum eine andere Disziplin. Nasa-WissenschaftlerInnen träumen von einer Art Himmelsleiter – einen aus Nanoteilchen zusammengesetzten Fahrstuhl zum Weltall. Andere halluzinieren sich mittels „atomarer Fertigung“ selbst generierende Maschinen, und ein Allheilmittel gegen Krebs soll bei dem Ganzen auch mal wieder abfallen. Visionen sind halt unverzichtbar, wenn es gilt, Gelder zu akquirieren.
Die Nano-Realität sieht weit profaner aus. Sie besteht bei BAYER im Wesentlichen darin, mittels der winzigen Nano-Partikel die Eigenschaften von Materialien zu verändern. So brachten Konzern-TüftlerInnen auf der Oberfläche von Leder kleine Duftkapseln an, die dem Stoff wieder zu dem typischen Geruch verhelfen, den die industrielle Bearbeitung ihm genommen hat. Eine andere Abteilung will Kunststoffen durch die Einarbeitung von Nanoröhrchen aus Kohlenstoff zu mehr Härte und Leitfähigkeit verhelfen. Und Folien made by BAYER halten jetzt dank luftabhaltender Nanopartikel industriell produzierte Lebensmittel frischer.
Dafür haben die ForscherInnen sich den Sauerstoff-Molekülen in den Weg stellende Schichtsilikat-Teilchen von der Größe einiger Nanometer in eine Folie aus Durethan-Kunststoff eingeschleust. Damit erreichen sie gerade eine Ausdehnung von ein paar Millionstel Millimeter – nicht von ungefähr leitet sich der Begriff „Nano“ vom griechischen Wort für „Zwerg“ her. Und in dieser Miniaturwelt herrschen ganz andere Gesetze als in der großen, weiten. Da die Nanoteilchen z. B. eine im Vergleich zu ihrem Volumen viel größere Oberfläche haben als ihre „Big Brothers“, sind sie kontaktfreudiger und reagieren schneller. Wie, das lässt sich allzu oft gar nicht vorhersehen. In diesen Dimensionen gelten schon die Regeln der Quantenphysik, und damit regiert der Zufall. So kann sich ein längst bekannter Stoff wieder in ein unbekanntes – und damit auch gefährliches – Wesen verwandeln. „Im Prinzip müsste man jedes Teilchen für sich charakterisieren und auf seine potenzielle Toxizität charakterisieren“, meint deshalb Wolfgang Luther vom „Bundesverband der Deutschen Industrie“.
Und das ist nach Meinung von BAYER & Co. natürlich zuviel verlangt – also geschieht gar nichts, obwohl WissenschaftlerInnen mit alarmierenden Befunden aufwarten. Texanische ForscherInnen haben die Ausbreitung von Nanoteilen im Erdreich beobachtet und vor einem Eindringen dieser in die Nahrungskette gewarnt. MedizinerInnen wiederum haben durch Kohlenstoff-Nanoröhrchen verursachte Entzündungen von Lungengewebe diagnostiziert. Mäuse, die eine hohe Konzentration dieser Röhrchen einatmeten, starben binnen 24 Stunden.
Allerdings hätten die WissenschaftlerInnen sich ihre Tierversuche sparen können. Für eine Gefahrenanalyse hätte es genügt, die Erkenntnisse aus den Feinstaub-Untersuchungen hochzurechnen, oder besser herunterzurechnen: Nanos sind 1000 mal kleiner als Feinstäube. Deshalb gelingt es ihnen noch viel besser als Ruß-Partikeln, durch die Membranen der Zellen zu schlüpfen und mit den Mitochondrien deren Energiezentren auszuschalten oder über das Blut ins Gehirn vorzudringen, was bei größeren Substanzen eine körper-eigene Schranke verhindert. Als „das nächste Asbest“ gelten Nanoteilchen deshalb schon, zumal ihr Aufbau der Faserform der Krebs erregenden Substanz gleicht. Und nicht nur die üblichen Verdächtigen schöpfen Verdacht, sondern auch große Versicherungskonzerne. „Es ist zu befürchten, dass die Nanotechnologie zur Kategorie der revolutionären Risiken mit ursächlich nachweisbarer Schadenfolge gehören wird“, heißt es in einer Studie des Unternehmens SWISS RE.
Wegen solch alarmierender Perspektiven hat es Mitte der 90er Jahre viel Protest gegen ein Werk der jetzt zum Verkauf stehenden BAYER-Tochter HC STARCK zur Herstellung von Nanopulvern aus Keramik oder Metallen gegeben. Ein Experte für gefährliche Arbeitsstoffe plädierte für einen streng kontrollierten Probebetrieb, und nicht einmal das Landesgesundheitsamt wollte Gesundheitsgefährdungen ausschließen. Trotzdem gaben die Behörden grünes Licht für die Anlage. UmweltschützerInnen klagten daraufhin, hatten aber keinen Erfolg.
Das Gericht übernahm die Position HC STARCKs, wonach von den Nano-Partikeln keinerlei Bedrohung ausgehe. „Small is beautiful“ lautet das Credo von BAYER & Co.. Ihrer Ansicht nach handelt es sich bei den Winzlingen keinesfalls um unbekannte Flugobjekte, sondern um alte Freunde. Im chemischen Sinne seien es schlicht und einfach Elemente, meinte Markus Pridöhl als Vertreter des „Verbandes der Chemischen Industrie“ im Oktober 2005 auf einer Tagung des Bundesumweltministeriums zu den Risiken der Nanotechnologie. Und wie mit denen zu verfahren sei, dazu stehe im Chemikaliengesetz alles Nötige. Allenfalls ein paar zusätzliche Tests wollte er zugestehen – natürlich nur auf freiwilliger Basis. Eine 100-prozentige Sicherheitsgarantie mögen die Multis nämlich auch nicht abgeben. Der Fortschritt hat halt seinen Preis. „Eine Technik, die nicht potenziell gefährlich ist, ist auch nicht potenziell hilfreich“, so der auch von BAYER immer wieder gern zitierte Wolfgang Heckl, der als Physiker der Universität München das „Exzellenznetzwerk für Nanobiotechnologie“ leitet. Trotzdem tun die Konzerne alles, um die Gefährdungen zumindest virtuell zu depotenzieren und üben massiven Druck auf die von ihren Aufträgen abhängigen Forschungseinrichtungen aus. „Die drohen, meinen Ruf zu zerstören, wenn ich offen vor den Gefahren warne“, vertraute ein Wissenschaftler eines großen bundesdeutschen Instituts dem stern an.
Von der Politik haben er und seine Kollegen keine Rückendeckung zu erwarten. Geschlagene vier Jahre musste Harald Krug vom Forschungszentrum Karlsruhe die staatlichen Stellen bearbeiten, ehe diese ein Forschungsprojekt zu den Nano-Nebenwirkungen bewilligten. Entsprechend halbherzig geriet „NanoCare“ dann auch. Die Bundesregierung nahm nämlich BAYER & Co. mit ins Boot. Die Konzerne steuern 2,6 Millionen Euro zum 7-Millionen-Etat bei und bestimmen die Ausrichtung mit. Der Leverkusener Multi hat so seine eigenen Vorstellungen vom Kurs der Institution. „NanoCare wird wichtige Grundlagen für innovative Materialforschung legen und die verantwortungsbewusste Verwendung neuartiger Nano-Materialien unterstützen“, kündigte Dr. Harald Pielartzik als Leiter von BAYERs „Nanotechnology Working Group“ in der konzern-eigenen Propaganda-Postille direkt an. Pielartzik zufolge wollen die NanoCarer „allgemein akzeptierte Mess- und Prüfmethoden erarbeiten, mit denen sich Sicherheitsfragen zu Nano-Materialien bewerten lassen“. Und es steht zu befürchten, dass diesen gewundenen Worten die entsprechenden Taten folgen werden. Nach Maßnahmen zum vorbeugenden Gesundheitsschutz hört sich das jedenfalls nicht an.
Es steht auch einfach zuviel Geld auf dem Spiel. BAYER rechnet bis 2010 mit einem Marktvolumen von über 200 Milliarden Euro für Nano-Produkte. Die Bundesregierung betrachtet die Sache gleichfalls vornehmlich unter wirtschaftspolitischen und nicht etwa unter gesundheitspolitischen Gesichtspunkten. Als Schlüssel- und Querschnittstechnologie von großer Bedeutung für den Wirtschaftsstandort Deutschland bezeichnet Forschungsministerin Annette Schavan die Nanowissenschaften und zeigt sich entsprechend spendabel. Das Programm „Nanotechnologie erobert Märkte“ bedenkt die Unternehmen jährlich mit ca. 120 Millionen Euro. HC STARCK ist es sogar schon in grauer Nano-Vorzeit gelungen, auf die Fördertöpfe zuzugreifen. 1997/98 hat das Unternehmen vom Forschungsministerium 1,5 Millionen Euro für die Entwicklung diverser Nano-Pulver erhalten. Nur Japan und die USA subventionieren ihre Wirtschaft auf diesem Sektor stärker. Da ließ es sich Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeyer im Februar des Jahres auf der „Nanotech“-Messe in Tokio auch nicht nehmen, mit dem Stand von BAYER, BASF & Co. einem der größten in der Halle persönlich seine Aufwartung zu machen. Als würde all das noch nicht reichen, zeigt sich auch die EU spendabel. Ihr neuestes Forschungsrahmenprogramm hält 3,5 Milliarden Euro für die kleinen Teile bereit. Nur eines interessiert die Geldgeber dabei kaum: die Auswirkungen auf die Gesundheit. Nach Angaben der kanadischen Umweltinitiative ETC fließt gerade mal ein Prozent des Geldregens in Verbraucherschutzprojekte.
Eine solche Investition wäre auch deshalb wichtig, weil die kleinen Teilchen sich anschicken, als Knotenpunkt einer neuen Querschnitttechnologie groß herauszukommen. „In der Nanotechnologie vereinigt sich die Nutzung von physikalischen Gesetzen, chemischen Stoffeigenschaften und biologischen Prinzipien“, schwärmt BAYERs PR-Organ Research. „NBIC“-Konvergenz nennen WissenschaftlerInnen die Fusion von Nano-, Bio-, Informations- und Neurotechnologien. Weil das Risiko-Ganze dabei mehr ist als die Summe seiner Teile, und ein großer Knall nicht auszuschließen ist, bezeichnet ETC die unheilige Allianz einfach als „BANG“, abgeleitet von den Anfangsbuchstaben der jeweiligen Ausgangsmaterialien Bits, Atome, Neuronen und Gene.
Und wie immer, wenn eine Disziplin in neue Dimensionen vorstößt, horchen die Militärs auf. Das US-amerikanische Verteidigungsministerium steckt hohe Summen in die Nanoforschung, und auch bundesdeutsche Strategen beschäftigen sich mit den Winzlingen. Schon 2001 widmete sich die „Bundesakademie für Sicherheitspolitik“ den wehrtechnischen Aspekten der Nano-Teilchen.
Die kühnsten Generäle fantasieren bereits ferngesteuerte Kampfroboter herbei. Etwas Bodenständigere warten auf eine neue Generation von Kampfstoffen. „Es könnte sich ein Missbrauchspotenzial ziviler Nanomedizin entwickeln“, meint etwa Matthias Grüne vom „Fraunhofer Institut Naturwissenschaftliche Trendanalysen“ und verweist auf die Gefahr, bislang bei Kontakt zu Sauerstoff vergehende Substanzen durch Nano-Partikel zu stabilisieren und so zu Waffen zu machen.
Die Realo-Krieger hingegen setzen erst einmal auf mittels Nano veränderte Materialeigenschaften, die Flugzeuge leichter, wendiger und unabhängiger vom Kraftstoff-Vorrat machen oder Munition noch härter als Kruppstahl. Als Rohstoff-Lieferant hierfür kommt nicht zuletzt die BAYER-Tochter HC STARCK in Frage, die bisher schon viel mit den Waffenschmieden kooperiert und ihnen beispielsweise fast die Hälfte der Produktion des eine extrem hohe Dichte aufweisenden Wolframs verkauft.
Aber selbst bei den nano-getunten Produkten hapert es einstweilen noch. Die auch in BAYER-Laboren gefertigten Nano-Röhrchen aus Kohlenstoff haben bislang nämlich die Erwartungen nicht erfüllt. Hatte deren Entdecker Richard Smalley einst prophezeit: „Kohlenstoff-Nanoröhrchen könnten für die Zukunft der Menschheit Wunder wirken“, so kündigten Unternehmen wie DEGUSSA an, sie bald schon wieder auf den Müllhaufen der Geschichte zu werfen. Die kleinen Teile erhöhen zwar wirklich die Leitfähigkeit und Härte von Kunststoffen, aber das tut Ruß bzw. Glasfaser auch – und zwar viel billiger.
„Was zurzeit einer breiten Anwendung im Wege steht, ist der Preis“, meint denn auch Leslaw Mleczko von BAYER INDUSTRY SERVICES. Ob es dem Leverkusener Multi gelingt, ihn durch ein neu entwickeltes kostengünstiges Produktionsverfahren zu senken, bleibt abzuwarten.
In manchen Bereichen gibt es die Nanos sogar schon kostengünstig, was den Multis aber ebenfalls einiges Kopfzerbrechen bereitet. Wenn BAYER & Co. sämtliche Fenster der Republik mit Titandioxid, dem Nano-Partikel Reinigungskraft verleihen, bestücken würden, hätten sie gerade mal eine halbe Million Euro in der Kasse, rechneten die Chemie-Arbeitgeber in ihren Blättern für Vorgesetzte vor. Sie geben den Konzernen deshalb den Rat, sich mehr Glieder der Wertschöpfungskette einzuverleiben und sich z. B. gleich als Fenstermacher zu versuchen.
Welche Entwicklung die Nanotechnologie nehmen wird, ist also noch unklar. Nur über eines besteht kein Zweifel. „Sicher ist heute, dass es ein Risiko-Potenzial gibt“, so Peter Wiedemann vom Forschungszentrum Jülich.
Nano – made by BAYER
– Duftkapseln für Lederwaren
– Farbstoffe aus Nanophosphoren zur medizinischen Diagnostik
– Sauerstoffabweisende Folien für Lebensmittel
– Härterer und leitfähigerer Kunststoff mittels Kohlenstoff-Nanoröhrchen
– Nano-Polierpasten zur Glättung von Speicherchips
– Schmutzabweisende Kontaktlinsen (mit PLASMA-CHEM)
– Schmutzabweisende und kratzfeste Windschutzscheiben (mit Leibniz-Institut für Neue Materialien)
– keramische und metallische Nanopulver
– Kooperationsvertrag mit NANOGATE