BAYERs Umweltbilanz
Nicht im grünen Bereich
Es grünt so grün im neuen Umweltbericht des Leverkusener Multis, dass mensch sich in einem Öko-Paradies wähnt. Nachhaltigkeit, so weit das Auge reicht: bei der Produktion, bei den Produkten und sogar bei den Lieferanten. Auf fast 80 Seiten erblüht das Biotop BAYER, nur lassen es die schnöden Zahlen im Kleingedruckten recht schnell wieder eingehen. Sie dokumentieren nämlich fast durchweg eine wachsende Belastung von Mensch, Tier und Umwelt durch die Geschäftstätigkeit des Konzerns.
„Nachhaltigkeit ist fest in unserem Kerngeschäft verankert“, verkündete BAYERs Forschungsvorstand Wolfgang Plischke bei der Vorstellung des Nachhaltigkeitsberichtes für das Geschäftsjahr 2011 und vermeldete in allen Bereichen „erfreuliche Fortschritte“. Das gelingt dem Leverkusener Multi allerdings nur, indem er – ganz im Gegensatz zu seinen sonstigen Gepflogenheiten – nicht die nackten Zahlen sprechen lässt, sondern in dichterischer Freiheit die Bemessungsgrundlage für Nachhaltigkeit um Themen wie „soziales Engagement“, „Gleichberechtigung“, „demographischer Wandel“ sowie „Risiko-Management“ erweitert und auch sonst einige Phantasie entfaltet, um die harten Fakten in Vergessenheit geraten zu lassen. So versucht sich etwa der Vorstandsvorsitzende Marijn Dekkers als Science-Fiction-Autor: „In unseren Kerngeschäftsfeldern engagieren wir uns für die Gesundheit von Mensch und Tier, für eine bessere Ernährung der wachsenden Weltbevölkerung sowie auf dem Gebiet der Energie- und Ressourcen-Effizienz.“
CO2-Reduktionen eingefroren
Die wahre Umweltbilanz, wie sie sich nur im Kleingedruckten der Emissionstabellen und in einigen Randbemerkungen findet, fällt dann allerdings um einiges prosaischer aus. So weigert sich der Konzern, den Ausstoß des klimaschädigenden Kohlendioxids zu senken. Er möchte ihn bis 2020 vielmehr in etwa auf dem Niveau von 2007 halten, wo er sich auf 9,3 Millionen Tonnen belief. Aktuell betrugen die CO2-Emissionen 8,15 Millionen Tonnen, 350.000 Tonnen weniger als 2010. Allerdings fließen nicht alle Faktoren in diese Rechnung ein. Anders als die BASF bezieht BAYER das Kohlendioxid, das bei der Herstellung der extern bezogenen Vorprodukte entsteht, ebenso wenig mit ein wie dasjenige, das bei der Verwendung der Endprodukte anfällt. Deshalb musste das Unternehmen im Nachhaltigkeitsranking der britischen Nichtregierungsorganisation EIO auch mit dem 151. von 800 Plätzen vorliebnehmen, während die BASF Position 1 errang.
Für den Großteil des klima-schädigenden Gases ist die Energie-Erzeugung verantwortlich. Und da der Leverkusener Multi sich hier keine Einspar-Ziele vornimmt – die Terrajoule-Produktion blieb von 2007 bis heute quasi konstant – und sogar noch selber als Strom-Dealer auftritt, kann er seinen CO2-Ausstoß gar nicht substanziell senken. Wenigstens dürfte ihn das in nächster Zeit teurer zu stehen kommen, denn die EU will die Regeln des Emissionshandels verschärfen und nicht mehr so viele Verschmutzungsrechte wie bisher umsonst vergeben. Trotz großzügiger Ausnahme-Paragraphen für Großkonzerne, die im globalen Wettbewerb stehen, „müssen wir ab 2013 mit weiteren Kosten-Steigerungen rechnen“, konstatiert der Nachhaltigkeitsbericht deshalb. Mit intensivem Lobby-Einsatz wird BAYER das Schlimmste zu verhindern suchen.
Mehr Luftverschmutzung
Doch auch andere Stoffe, die aus den Schornsteinen des Global Players steigen, tragen zur Klima-Erwärmung bei. Die Emissionen der ODS (Ozone Depleting Substanzen) gingen im Berichtszeitraum um 4,5 Tonnen auf 16,3 Tonnen zurück. Das liegt jedoch keinesfalls an einem grüneren Wirtschaften – Leckagen hatten im letzten Jahr zu außergewöhnlich hohen Werten geführt. Abermals stammt fast das gesamte ODS aus einem einzigen Werk: Die Pestizid-Fabrik im indischen Vapi sorgt für 92 Prozent des Aufkommens. Zusammen mit der Fertigungsstätte im ebenfalls indischen Ankleshwar trug diese auch am meisten zum Anstieg des Wertes für die flüchtigen organischen Substanzen (VOC) bei, der um 150 auf 2.690 Tonnen zulegte. Und dazu, dass die Staatsregierung die Vapi-Region zum verseuchtesten Gebiet im ganzen Land erklärte; Ankleshwar folgt in dieser Aufstellung auf Rang sieben. Ändern wird sich an der Größe dieses Anteils vorerst nichts. BAYER kündigt zwar schon seit langem Maßnahmen an, mit der Umsetzung hat der Agro-Riese jedoch erst im letzten Jahr begonnen, und mit einem Abschluss rechnet er nicht vor 2015. Bis dahin müssen Mensch, Tier und Umwelt die immensen Belastungen noch ertragen.
Die Zahlen für weitere Luftverschmutzungen verharrten ebenfalls auf einem hohem Niveau. Wie schon 2010 entwichen den Schloten des Unternehmens auch 2011 wieder 3.700 Tonnen Stickoxide und 200 Tonnen Staub. Der Kohlenmonoxid-Ausstoß ging geringfügig von 1.400 Tonnen auf 1.300 Tonnen zurück, und das auch nur, weil BAYER die Kunststoff-Produktion im japanischen Niihama einstellte. Lediglich bei den Schwefeloxiden tat sich etwas. Ihr Ausstoß senkte sich um 16,7 Prozent auf 2.300 Tonnen. Der Multi setzte nämlich verstärkt Import-Kohle ein, die einen geringeren Schwefel-Gehalt aufweist. Die Bedingungen allerdings, unter denen diese Kohle beispielsweise in Kolumbien gefördert wird, machen den ökologischen Vorteil wieder zunichte, denn den Minen muss oftmals nicht nur der Mensch weichen, sondern auch die Natur. Die Betreiber-Gesellschaften holzen ganze Wälder ab, vertreiben die indigene Bevölkerung und leiten das umweltschädliche Grubenwasser in die Flüsse ein. Schwerer noch wiegen die gesundheitlichen Folgen für die ArbeiterInnen. Da der Abbau nicht dem neuesten Stand der Technik entspricht, setzen sich die Beschäftigten – unter ihnen viele Kinder – einem hohen Gesundheitsrisiko aus, das durch die erhöhte Unfall-Gefahr in den schlecht abgesicherten Stollen noch zusätzlich steigt. Der Chemie-Riese bekundet zwar, selbst die Lieferanten auf seine Nachhaltigkeitsziele zu verpflichten, ob er jedoch den Weg der Importkohle zurückverfolgt, steht sehr in Frage.
Mehr Wasserverschmutzung
Das Element „Wasser“ schont der Konzern ebenfalls nicht. Mit 72 Millionen Kubikmetern leitete er vier Millionen Kubikmeter mehr Abwässer in die Flüsse als noch 2010. Zu allem Übel stieg auch noch der Anteil der ungereinigten Prozess-Abwässer um drei Millionen auf 18 Millionen Kubikmeter. Die „Rückführung in den Wasser-Kreislauf“ von Kühlwasser reduzierte sich dagegen von 396 auf 324 Millionen Kubikmeter. Da es laut BAYER „ausschließlich erwärmt wird“, gilt es nicht als umweltgefährdend, was allerdings nicht ganz der Wahrheit entspricht. Dieses Wasser trägt nämlich zur Aufheizung der Flüsse bei und zerstört damit die Lebensgrundlage vieler aquatischer Lebewesen.
Bei den reinen Schadstoff-Frachten ist fast durchweg eine Zunahme zu verzeichnen. Auf 926.000 Tonnen anorganischer Salze (2010: 866.000), 1.500 Tonnen organisch gebundener Kohlenstoffe (2010: 1.420 Tonnen) und 530 Tonnen Stickstoff (2010: 490) kam der Gen-Gigant. Als Gründe dafür gibt er eine Ausweitung der Fertigung an, vor allem hervorgerufen durch das neue Kunststoff-Werk im chinesischen Caojing. Entsprechend sanken die Phosphor-Emssionen durch eine geringere Auslastung der Fabriken für phosphat-haltige Produkte von 90 auf 80 Tonnen. Die Werte für Schwermetalle nahmen ebenfalls ab, sie fielen von 11,4 auf 10,8 Tonnen, was der Multi auf ein verbessertes Abwasser-Management und andere technische Innovationen zurückführt. Auch konnte der Multi seinen Durst etwas lindern: Er drosselte seinen Wasser-Verbrauch um 63 auf 411 Millionen Kubikmeter.
Mehr Abfälle
Die Menge des erzeugten Abfalls stieg hingegen von 807.000 auf 958.000 Tonnen. Der Anteil des gefährlichen Mülls daran nahm ebenfalls zu, er erhöhte sich von 354.000 auf 474.000 Tonnen. Ausschlaggebend für diese Zahl sind weniger die Produktionsrückstände als vielmehr die Hinterlassenschaften von Rückbau- und Sanierungsaktivitäten. Während es 2010 keine umfangreicheren Arbeiten gab und das Müll-Aufkommen entsprechend sank, stand 2011 „ein groß angelegtes Grundwasser- und Bodensanierungsprojekt“ im indischen Thane an. Die dort von 1963 bis 2007 betriebene Pestizid-Herstellung ruinierte die Umwelt so nachhaltig, dass BAYER über acht Millionen Euro investieren musste, um das verseuchte Erdreich abzutragen und andere Maßnahmen zu ergreifen. Ein Großteil nicht nur der dort zu Tage geförderten Altlasten landet auf einer Deponie, 38 Prozent allen Ausschusses geht dorthin; in die Verbrennung gelangt 33 Prozent. 28 Prozent seiner Fertigungsreste recycelt der Leverkusener Multi. Das hört sich erst einmal gut an, aber diese Art von Kreislauf-Wirtschaft erweist sich in der Praxis als auch nicht gerade sehr ökologisch. Der „thermischen Wiederverwertung“, beispielsweise in BAYERs Krefelder Industrie-Kraftwerk, zugeführt, produziert der Müll nämlich viel mehr Schadstoffe als das bei einer Entsorgung in Sonderabfall-Verbrennungsöfen mit ihren aufwändigen Reinigungssystemen der Fall wäre (SWB 3/11).
Mehr Unfälle
Die Zahl der Beinah-Katastrophen, die BAYER verharmlosend als „Umweltereignisse“ bezeichnet, hat sich nach Angaben des Konzerns von sieben auf drei reduziert. Die Freisetzung von Ammoniak am Standort Krefeld, die Verseuchung des Kanawha-Flusses durch Prozess-Abwässer in Institute und einen Unfall eines mit Produkten von BAYER CROPSCIENCE beladenen LKWs in Peking führt der Nachhaltigkeitsbericht auf. Daneben verweist der Konzern auf das Internet, wo er „Ereignisse, die von unseren Stakeholdern wahrgenommen und gemeldet werden, aber nicht unsere eigenen Kriterien für Umwelt- und Transport-Ereignisse erfüllen“, auflistet. Dort finden sich dann Hinweise auf den Austritt von Phenol in Map Ta Phut und die Emission von Sandstaub in Leverkusen.
Daneben gibt es allerdings noch so einige Vorfälle, die weder der Multi selber noch seine Stakeholder als Unfälle ansehen und die deshalb nirgendwo erwähnt sind. Als da wären: die Gebäudeschäden bei japanischen BAYER-Niederlassungen nach dem Erdbeben vom März 2011, das Entweichen von Chemikalien in Institute nach einem Stromausfall, der Austritt von Schwefelsäure durch ein Leck auf einem Gefahrgut-Transport, das Auslaufen von einem Lösungsmittel in Wuppertal und die permanenten Geruchsbelästigungen in Bergkamen. Nur weil das Unternehmen diese Geschehnisse kurzerhand zu Nicht-Ereignissen erklärt und einige andere zu Halb-Ereignissen, kann er sich gesunkener Unfall-Zahlen rühmen.
Mehr Ignoranz
Ähnlich kreativ zeigt sich BAYER, wenn es gilt, die Produkte und Projekte zu verteidigen, die im Geschäftsjahr 2011 für Negativ-Schlagzeilen en masse gesorgt haben. Zur Industrie-Chemikalie Bisphenol A (BPA), deren Verwendung in Baby-Flaschen die EU untersagt hat, weil die Substanz Schädigungen des Nervensystems, Übergewicht, Unfruchtbarkeit, Diabetes sowie Herz- und Lebererkrankungen verursachen kann, heißt es im Umweltbericht: „Im Einklang mit zahlreichen wissenschaftlichen validen Studien (…) sind wir weiterhin der Überzeugung, dass die Sicherheit von BPA in den bestehenden Anwendungsgebieten gegeben ist.“ Auch den durch viele Expertisen belegten Zusammenhang zwischen dem Ausbringen von BAYER-Pestiziden und dem Sterben von Bienenvölkern streitet der Agro-Riese ab. „In der wissenschaftlichen Literatur sind jüngst einige Publikationen erschienen, die einen Rückgang von Bienen-Populationen mit Pflanzenschutzmitteln in Verbindung bringen. Diese Studien waren jedoch ganz oder teilweise unter unrealistischen Bedingungen durchgeführt worden und sind daher nicht auf Praxis-Bedingungen übertragbar“, stellt der Pillen-Gigant fest. Warum die Behörden Maßnahmen gegen die Einfuhr von Reis-Sorten ergriffen haben, nur weil aus vermeintlich unerfindlichen Grünen ein bisschen Gentech aus Leverkusener Laboren drin war, mag der Multi ebenfalls nicht verstehen. „Obwohl der Reis keine Gefährdung der Lebensmittel-Sicherheit darstellte“, verhängten einige Länder Import-Verbote, beklagt er sich bitterlich. Und selbstverständlich gibt es auf der ganzen Welt nichts Sichereres als den Transport von hochgiftigem Kohlenmonoxid quer durch das Rheinland per Pipeline, wenn sich denn ein Konzern vom Format BAYERs der Sache annimmt.
So fällt die Umweltbilanz ernüchternd aus. Bei fast allen Öko-Parametern gibt es negative Entwicklungen. Und steigen die Werte einmal nicht, dann liegt das nicht etwa an einer grüneren Geschäftspolitik, sondern lediglich an einer geringeren Auslastung der Dreckschleudern aufgrund schlechterer Absatzchancen oder an Standort-Schließungen. Nur in Ausnahmefällen ringt sich das Unternehmen doch einmal zu Umbau-Maßnahmen durch wie etwa im indischen Vapi oder im US-amerikanischen Baytown – und immer erfolgen sie zu spät oder dauern zu lange. Besonders skandalös mutet in dieser Hinsicht das Klimaschutz-Moratorium an, das BAYER beschlossen hat. Trotz immer beunruhigenderen Wetter-Phänomen wie dem Hurrikan Sandy die CO2-Emissionen bis 2020 auf dem Stand von 2007 einfrieren zu wollen, kündet von beispielloser Ignoranz. Das Steuerprüf- und Beratungsunternehmen ERNST & YOUNG, das den Nachhaltigkeitsbericht absegnete, störte das allerdings ebenso wenig wie die Ratingagentur SAM, die den Report sogar prämierte.
Von Jan Pehrke