Nachhaltig unökologisch: Der Bayer-Nachhaltigkeitsbericht 2004
von Prof. Dr. Jürgen Rochlitz, Mitglied der deutschen Störfallkommission
Nachdem Bayer sich in seinem vorangegangenen Nachhaltigkeitsbericht mit Kofi Annan und Ernst Ulrich von Weizsäcker schmückte, werden nun die künstlerischen Talente von Kindern werbewirksam vermarktet. Leider wissen diese Kinder noch nicht, wie sehr Bayer mit seiner gesamten Geschäftspolitik gerade ihre Zukunft verbauen und ihre Vorstellungen davon zerstören kann.
Wohin die Richtung dieser Geschäftspolitik weist, wird gleich im Anschluss an das Bekenntnis von Bayer zu den Prinzipien der Nachhaltigen Entwicklung („Sustainable Development“) und damit zur sozialen und ethischen Verantwortung und zur gleichrangigen Behandlung von Ökonomie, Ökologie und sozialem Engagement deutlich: „Es gilt, den Unternehmenswert nachhaltig zu steigern“. Damit wird die wahre aber perverse Auffassung von Nachhaltigkeit formuliert: nachhaltige Gewinn-Maximierung im Interesse der AktionärInnen. Alle anderen Aussagen dazu verdrehen die Wirklichkeit – wie in Orwells „1984“ vorgemacht.
Die Umstrukturierung des Konzerns, „schneller und nachhaltiger als jemals zuvor in der Unternehmensgeschichte“, wird als Beispiel für die verantwortliche Unternehmenspolitik des Konzerns verkauft. Tatsächlich dient die Neuorganisation von Bayer vornehmlich der Profitsteigerung. Die neue strategische Holding ermöglicht es mit ihrer unübersichtlichen Vielfalt, die Arbeitnehmer, die kontrollierenden Behörden, die Finanzbehörden und die Öffentlichkeit auszutricksen – z. B. mit nicht nachzuvollziehenden Statistiken. Mit dem in diesem Jahr vollzogenen Börsengang von LanXess, der Nachfolgegesellschaft mit Zuständigkeit für viele chemische Produktionen, wurde schon einer der Effekte der neuen Holding deutlich. Der Leverkusener Chemie-Multi nutzte die Trennung vom Chemie-Geschäft dazu, Schulden in Milliarden-Höhe bei LanXess zu entsorgen, welche die Chemie-Firma mit Kosteneinsparungen durch Arbeitsplatz-Vernichtung tilgt.
Bayer hat richtig erkannt, dass die Börse soziale und ökologische Engagements honoriert und prahlt mit guten Platzierungen in den entsprechenden Indices. Es zahlt sich also aus, wenn der Multi Nachhaltigkeit besonders betont und werbewirksam über ihre angebliche Verwirklichung berichtet – die tatsächliche Praxis überprüft ja niemand. Immerhin richtete das Unternehmen eigens ein Konzernvorstandsbüro speziell für die Planung der Bayer-Nachhaltigkeit ein. Wie sehr jedoch diese Bayer-Nachhaltigkeit gegenüber den Ursprungsideen pervertiert worden ist, zeigen die folgenden Beispiele:
1) Gesellschaftliches und soziales Engagement – eine der Säulen der Nachhaltigkeit – wird in diesem Nachhaltigkeitsbericht besonders betont. Und tatsächlich können einige Projekte und Projektchen in der Größenordnung von einigen Millionen Euro aufgeführt werden. Doch verblassen diese Renommierobjekte angesichts des ständigen Abbaus der Gesamtzahl der MitarbeiterInnen. Wenn die verwirrende Graphik-Darstellung nicht täuscht, wurden im Zeitraum von 1998 bis 2002 ca. 28.000 Arbeitsplätze weltweit abgebaut. Dies bedeutet für den Konzern eine Einsparung von Milliarden; speziell für die deutsche Gesellschaft ist es ein Beitrag zur Zerstörung der sozialen Marktwirtschaft, für die übrigen nationalen Gesellschaften an den Bayer-Standorten sind es deutliche soziale Einschnitte. Denn mit diesen 28.000 Arbeitsplätzen an den Bayer-Standorten sind wiederum sekundäre und tertiäre Arbeitsplätze verknüpft, die parallel entfallen sind. Bayer hat damit auch einen Beitrag zur weltweiten Massenarbeitslosigkeit geleistet, und der Konzern ist dabei, diesen Prozess weiterzutreiben. Die Umstrukturierung des Global Player hat hauptsächlich diesen Zweck. Eine solche unsoziale Geschäftspolitik ist alles andere als nachhaltig. Wenn in Jahren mit Rekordgewinnen immer weiter an der Schraube des Job-Abbaus gedreht wird, dann ist dies nicht nur unnachhaltig sondern unmoralisch.
2) Schutz der Biodiversität wird von Bayer auch in einigen Projekten betrieben, um das Aussterben bedrohter Tierarten zu verhindern. Selbstverständlich ehrenwert. Doch auch dieses Engagement verblasst angesichts des systematischen Angriffs auf die Artenvielfalt durch Bayer Cropscience. Vor allem der Einsatz von Pestiziden aller Art hat ganz besonders in Mitteleuropa dazu beigetragen, dass eine Todeszone der Artenvielfalt entstanden ist, in der viele Pflanzen, Insekten und andere Tiere auf den roten Listen gelandet sind, da sie entweder schon ausgestorben, vom Aussterben bedroht oder im Bestand gefährdet sind. Diese Geschäftspolitik ist ökologisch unverantwortlich und darf auf keinen Fall als Beitrag zur Nachhaltigkeit angesehen werden.
3) „Verantwortungsvoller Umgang mit der Gentechnik“ ist eine dreiste Behauptung, da in der sogenannten grünen Gentechnik, bei Bayer „Pflanzenbiotechnologie“ genannt, prinzipiell weder eine ökologische noch eine ökonomische Sicherheit existiert. Pflanzenanbau mit transgenen Pflanzen und verstärktem Pestizide-Einsatz ist ökologisch nicht zu verantworten wegen der Beeinträchtigung von Böden, Grundwasser, Artenvielfalt und wegen der Weiterverbreitung gentechnisch veränderter Organismen. Zudem ist völlig ungeklärt, welche human- oder tiertoxikologischen Wirkungen die gentechnisch veränderten landwirtschaftlichen Produkte besitzen. Ökonomisch ungesichert ist der Anbau, weil die Gefahr einer Verunreinigung benachbarter Grundstücke mit gentechnisch veränderten Organismen nicht auszuschließen ist. Die daraus resultierenden ökonomischen Schäden sind in keinem Fall absehbar und können den Gentechnik anwendenden Landwirt ebenso treffen wie den konventionell oder ökologisch arbeitenden in der Nachbarschaft. Besonders unverantwortlich war es, das Haftungsrisiko den Landwirten aufzubürden – ein Glanzstück des Lobbyismus. Die eigentlichen Verursacher der Schäden an den Schreibtischen in Leverkusen und in den Labors von Monheim wurden so vom Gesetzgeber geschont. Die grüne Gentechnik bietet der Chemie-Industrie den Einstieg in die totale Beherrschung der Landwirtschaft. Nicht nur die benötigten Industriedünger und Pestizide sondern auch das Saatgut sind nämlich im Gentech-Paket enthalten.
4) Die sogenannte ökologische Bilanz (Aufzählung der Emissionen in Luft und Wasser, Abfall, Energie) ist in diesem sonst als Anti-Nachhaltigkeitsbericht verfassten Pamphlet das einzig Erfreuliche – aber auch nur auf den ersten Blick. Die deutliche Senkung von Belastungen der Umwelt ist nämlich nur eine Folge der Betriebsstilllegungen und Arbeitsplatz-Vernichtungen. Zudem zählt heutzutage nicht mehr die Produktion zum Hauptbelastungsfaktor für Mensch, Tier und Umwelt, diesen Rang haben die Produkte eingenommen. Dazu gehören nicht nur die schon erwähnten Pestizide, sondern auch Weichmacher,Tenside und ihre Vorstufen. Die Produktionslinien, die ausgehend von der Chlorproduktion über Phosgen immer noch an diesen höchstgefährlichen Zwischenprodukten festhalten, sind als ganz und gar nicht nachhaltig zu bezeichnen.
Um die Nachhaltigkeit bei Bayer steht es also insgesamt betrachtet ziemlich schlecht. Nur mit großem journalistischem Aufwand auf der Basis Orwellscher Verdrehungen und Ausblendungen ist ein Bericht entstanden, der sowohl die Bayer-Aktie als auch die Bayer-AktionärInnen beflügeln soll. Nur der flüchtige Leser wird davon eingenommen, der kritische bemerkt dagegen schon bald die bloß dekorative Funktion des Nachhaltigkeitsbegriffs.