CBG-Forderung erfüllt:
Produktionsstopp für Bhopal-Gas
25 Jahre Kampagnenarbeit führten endlich zum Erfolg: BAYER kündigte Mitte Januar an, im US-Werk Institute die Herstellung des Bhopal-Gifts MIC einzustellen.
Von Philipp Mimkes
„Dies ist ein monumentaler Schritt in unserem 25-jährigen Kampf für mehr Sicherheit. MIC ist wirklich das Schlimmste vom Schlimmsten.“ So kommentiert Maya Nye, Sprecherin der Initiative PEOPLE CONCERNED ABOUT MIC (PCAM), die Ankündigung des BAYER-Konzerns, die Produktion der Chemikalie Methyl Isocyanat (MIC) in seinem Werk am Standort Institute nach einer Frist von anderthalb Jahren einzustellen. Zwei hochgefährliche Pestizide, Aldicarb und Carbaryl, zu deren Herstellung MIC verwendet wird, sollen zudem vom Markt genommen werden.
Die Fabrik im US-Bundesstaat West Virginia gehörte einst zur Firma UNION CARBIDE und galt als Zwillings-Werk der Fabrik in Bhopal, wo 1984 ein MIC-Tank explodierte, was zum Tod von etwa 20.000 AnwohnerInnen führte. Über 100.000 Menschen leiden bis heute an den Vergiftungen.
Transatlantische Solidarität
Nach der Katastrophe in Indien hatten sich die Augen der Öffentlichkeit auf die Pestizid-Fabrik in West Virginia gerichtet. Institute blieb der einzige Ort in den USA, in dem bis heute große Mengen MIC produziert und gelagert werden – weit mehr, als in Bhopal damals austraten. Der deutsche BAYER-Konzern übernahm die Fabrik im Jahr 2001. Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) kooperiert seitdem eng mit Umweltgruppen aus West Virginia, die eine Beendigung der MIC-Produktion in Institute fordern. Mehrfach hatte die CBG hierzu Gegenanträge zur BAYER-Hauptversammlung eingereicht. Maya Nye bedankt sich denn auch für die Hilfe aus Europa: „Ohne den öffentlichen Druck, den Ihr kontinuierlich auf BAYER ausgeübt habt, wäre diese Entwicklung nicht möglich gewesen. Wir bedanken uns aus tiefstem Herzen für Eure Solidarität!“.
Zuletzt ereignete sich in der Anlage im August 2008 eine schwere Explosion, deren Erschütterungen in einem Umkreis von mehr als zehn Meilen zu spüren waren (SWB berichtete). Zwei Arbeiter verloren ihr Leben. Nur vier Monate zuvor hatte ein Vertreter der Coordination auf der BAYER-Hauptversammlung die mangelhafte Anlagensicherheit in Institute kritisiert. Einen Produktionsstopp für Giftgase wie Phosgen und MIC, wie vom CBGler verlangt, lehnte der BAYER-Vorstand jedoch als „unbegründet“ ab.
220 Arbeitsplätze bedroht
Uwe Friedrich vom Vorstand der CBG: „Wir fordern grundsätzlich, dass die chemische Industrie auf den großtechnischen Einsatz tödlicher Chemikalien wie MIC und Phosgen verzichtet.“ Als unfreiwillig komisch bezeichnet Friedrich die Argumentation von BAYER-VertreterInnen, die den Verkaufsstopp von Aldicarb und Carbaryl mit dem im Jahr 1995 gegebenen Versprechen begründet hatten, Pestizide der obersten Gefahrenklasse vom Markt zu nehmen. Dieses hat sein Verfallsdatum nämlich längst überschritten, sollte es doch schon zur Jahrtausendwende 1999/2000 eingelöst sein.
Angesichts der Rekord-Gewinne in den vergangenen Jahren tritt die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN darüber hinaus dafür ein, dass die 220 von der Einstellung der MIC-Produktion betroffenen Beschäftigten in Institute angemessene Ersatz-Arbeitsplätze erhalten. Auch Maya Nye von den PEOPLE CONCERNED ABOUT MIC solidarisiert sich mit der Belegschaft: „Wir fühlen mit den betroffenen Arbeitern, die ihre Stelle verlieren sollen. Wir müssen aber daran erinnern, dass dies die Folge der Weigerung von BAYER ist, vorauszudenken und in sichere Verfahren zu investieren.“ Nye kritisiert insbesondere die jahrelangen Drohungen von BAYER, Arbeitsplätze zu vernichten: „Dies ist ein übliches Mittel, um Anwohner, Umweltschützer und die Belegschaft auseinanderzudividieren. Wir werden dadurch zu Geiseln von Konzernen gemacht, denen Profite wichtiger sind als die Sicherheit der betroffenen Menschen.“
Untersuchungsbericht
Ebenfalls Mitte Januar legte die Aufsichtsbehörde „Chemical Safety Board“ (CSB) ihren lange angekündigten Abschlussbericht zum jüngsten Störfall vor. Die zeitliche Koinzidenz dürfte dabei kein Zufall sein: Mit der Ankündigung, aus der MIC-Produktion auszusteigen, wollte der Konzern offenbar dem CSB den Wind aus den Segeln nehmen. Der Report der Behörde hat es nämlich in sich: Die Werksleitung hatte demnach im August 2008 auf ein schnelles Wiederanfahren einer umgebauten Anlage gedrängt, damit keine Engpässe bei der Produktion des Pestizids LARVIN entstehen. Hierfür hatten Sicherheitssysteme bewusst außer Kraft gesetzt werden müssen. Die Programmierung der Computer-Steuerung war zu diesem Zeitpunkt noch nicht fertiggestellt, auch die MIC-Messgeräte an der Anlage waren nicht funktionstüchtig.
Dr. Rafael Moure-Eraso, Vorsitzender des CSB, kam daher bei der Vorstellung des 170-seitigen Berichts zu dem Ergebnis: „Der Tod der Arbeiter ist umso tragischer, als er hätte vermieden werden können, wenn BAYER eine angemessene Schulung der Mitarbeiter vorgenommen, eine umfassende Prüfung der Anlagen vor dem Hochfahren vorgeschrieben und eine strikte Einhaltung der Arbeitsabläufe gewährleistet hätte.“
Nur glückliche Umstände verhinderten die Beschädigung eines benachbarten MIC-Tanks. „Ein Austritt signifikanter Mengen MIC hätte tödliche Folgen haben können. Diese Sorge wurde von Anwohnern berechtigerweise seit Jahrzehnten geäußert“, so Dr. Moure-Eraso weiter. Dies ist ein deutlicher Seitenhieb gegen die Werksleitung, die nach dem Störfall vor zwei Jahren versucht hatte, Bürgerinitiativen und kritische Journalisten öffentlich zu diskreditieren.
Strafrechtliche Ermittlungen
Der US-Kongress strengte eine eigene Untersuchung des Störfalls an, die zu folgendem Ergebnis kam: „BAYER beteiligte sich an einer Geheimhaltungskampagne. Die Firma hat den Sicherheitskräften entscheidende Informationen vorenthalten, hat den Ermittlern der Bundesbehörden nur eingeschränkten Zugang zu Informationen gewährt, hat die Arbeit von Medien und Bürgerinitiativen unterminiert und hat die Öffentlichkeit unrichtig und irreführend informiert.“ Weiter hieß es: „Durch die Explosion flog ein mehrere Tonnen wiegender Rückstandsbehälter 15 Meter durch das Werk und zerstörte auf seinem Weg praktisch alles. Hätte dieses Geschoss den MIC-Tank getroffen, hätten die Konsequenzen das Desaster von Bhopal 1984 in den Schatten stellen können.“
Beschlagnahmte Unterlagen zeigten, dass die Firma die Ermittlungen bewusst behindert hatte. Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN fordert wegen des vermeidbaren Tods der beiden Mitarbeiter strafrechtliche Ermittlungen gegen die Werksleitung sowie einen endgültigen Verzicht auf alle Pestizide der obersten Gefahrenstufe. Die PCAM-AktivistInnen vor Ort engagieren sich indessen für einen sofortiges Ende der MIC-Herstellung. Sie klagten gegen die Wiederinbetriebnahme der Anlage. Am 25. Februar gab ihnen ein Richter Recht. Er untersagte dem Leverkusener Multi vorläufig, die gefährliche Chemikalie noch 18 Monate weiterzuproduzieren. Und drei Wochen später verkündete BAYER das endgültige Ende von MIC.