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Mehr Gegenreden als Reden

Marius Stelzmann

18 Konzern-KritikerInnen ergriffen auf BAYERs diesjähriger virtueller Hauptversammlung das Wort und nahmen sie damit über weite Strecken in Beschlag. Die AktivistInnen sorgten dafür, dass die Anliegen der Kundgebung vor der Unternehmenszentrale in Leverkusen auch online Gehör fanden und setzten darüber hinaus noch zahlreiche weitere Risiken und Nebenwirkungen der gnadenlosen Profit-Jagd auf die Tagesordnung.

Von Jan Pehrke

Bevor die Coordination gegen BAYER-Gefahren (CBG) auf der BAYER-Hauptversammlung in medias res ging, ging sie in medias media und brachte deutlich ihre Missbilligung des Online-Formats zum Ausdruck. „Es gibt keinerlei objektive Gründe mehr dafür, nur subjektive. Und diese bestehen einzig darin, dass der Vorstand sich Konzern-Kritik buchstäblich vom Leib halten und sich mit Medikamenten-Geschädigten, Gentechnik-Gegnern, Umweltaktivisten und anderen nicht mehr direkt konfrontieren will“, hielt der Autor dieser Zeilen der ManagerInnen-Riege vor. Er stellte klar, dass die Coordination sich mit BAYERs Flucht ins Internet nie abfinden und darauf immer auch mit Protest in Präsenz antworten wird.  Dabei verwies er auf die Kundgebung am Morgen vor der Konzern-Zentrale in Leverkusen.

Die CBG hatte dort die massive Arbeitsplatzvernichtung beim Global Player zum Thema gemacht, und Jan Pehrke trug das nun auch in die Hauptversammlung selbst. „Die Beschäftigen zahlen jetzt die Zeche dafür, dass es das Management nicht geschafft hat, mit den Glyphosat-Geschädigten eine gütliche und faire Einigung zu finden. Und sie zahlen dafür jetzt schon zum zweiten Mal die Zeche“, warf er dem Vorstand vor, das Rationalisierungspaket von Ende 2018 in Erinnerung rufend. Der Konzern hätte schon oft die Gelegenheit gehabt, die Akte „Glyphosat“ zu schließen, setze aber lieber auf rechtliche Winkelzüge und Extrem-Lobbyismus wie etwa die Lancierung eines neuen Pestizid-Gesetzes in den USA mit Landwirtschaftsverbänden als Vorhut, kritisierte der CBGler.

Mit Glyphosat hatte sich die Kundgebung ebenfalls schon beschäftigt – die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) hatte es dort neben der Gentechnik zum Thema gemacht – und es sollte nicht bei einer einmaligen Online-Erwähnung bleiben. Gottfried Arnold sprach als ehemaliger Kinderarzt über alarmierende Glyphosat-Belastungen von Kindern und Jugendlichen und ging hart mit dem Vorstand ins Gericht. „Ein möglicherweise krebsauslösendes Produkt auf dem Markt zu lassen, ist in ihren Augen vielleicht ein Geschäftsmodell, wenn man nebenwirkungsreiche Krebs-Medikamente in seinem Angebot hat (…) Für mich ist das allerdings menschenverachtend und völlig inakzeptabel!“, hielt der Mediziner fest. Camille Bouquet von der französischen Organisation Terre d’abeilles (Erde der Bienen) schilderte die verheerenden Effekte, die das von BAYER zumeist unter dem Produktnamen ROUNDUP vermarktete Mittel auf Bienen hat, weil es deren Nervenzentrum angreift. Cornelia Mayer vom Comité Ecologique Ariégeois und Isabelle Georges von Secrets Toxiques (Geheime Gifte) legten das Augenmerk auf das, was sich in dem Herbizid – wie in den meisten anderen Ackergiften auch – außer dem eigentlichen Inhaltsstoff sonst noch so alles an Substanzen tummelt und munter Wechselwirkungen entfaltet. Beide Frauen forderten das Unternehmen auf, das für Prozesse, Entschädigungen und politische Landschaftspflege bereitsstehende Geld in eine Agrar-Wende zu investieren. „Wäre es nicht klüger, diese Milliarden zu nutzen, um die Menschheit auf dem Weg zu einer Landwirtschaft zu begleiten, die alles Lebendige respektiert, hin zu einer echten Agrar-Ökologie?“, fragte Mayer.

Auch die Risiken und Nebenwirkungen der Gentechnik fanden Widerhall in der Hauptversammlung selbst. Christian Then, der für die Initiative Testbiotech das Wort ergriff, berichtete von alarmierenden spanischen Studien mit BAYERs Gentech-Mais MON810. Demnach kann die Laborfrucht auskreuzen und ihre Eigenschaften – sie ist mit einem Protein versehen, das Maiszünsler tötet – auf die Ursprungspflanze des heutigen Mais, die Teosinte, übertragen. Gleichzeitig sorgte die Genfracht noch für eine verfrühte Blüte und größere Exemplare, was das Wachstum fördert. „Wenn jetzt der Anbau von MON810 in Spanien nicht gestoppt wird, dann droht die Entstehung von Populationen insekten-giftiger, transgener Wildpflanzen mit einer erhöhten Tendenz zur Ausbreitung“, warnte Then und forderte BAYER zu einem Vermarktungsstopp auf. Vor diesem Hintergrund kritisierte er auch den Lobby-Einsatz des Unternehmens dafür, den mit Hilfe von CRISPR/Cas und anderen neuen Gentechniken erschaffenen Gewächsen künftig die Risiko-Prüfungen zu ersparen. „Dabei lässt sich der Konzern offenbar vor allem von der Aussicht auf kurzfristige Gewinne leiten“, konstatierte der Gentech-Kritiker. Um die möglichen längerfristigen Folgen schert der Agro-Riese sich ihm zufolge dagegen nicht, die bürdet er künftigen Generationen auf. Darum wollte Christoph Then ganz konkret wissen, mit wie viel Umsatz der Vorstand durch CRISPR/Cas & Co. rechnet. Zudem erkundigte er sich nach dem Stand der Dinge bei Pestizid-Sprays und Mikroorganismen zur Verbesserung der Ackerboden-Qualität auf Gentech-Basis.

Die OECD-Klage

Den meisten Raum nahm an dem Tag jedoch der Bund ein, den die Gentechnik mit Glyphosat zu Lasten Dritter eingeht. Soja-Pflanzen mit dem Herbizid im Huckepack, auf dessen Gebrauch sie gentechnisch geeicht sind – dieses in Lateinamerika riesige Ackerflächen in Beschlag nehmende Duo Infernale hinterlässt nämlich eine Spur der Verwüstung. Weil das nach Einschätzung dortiger Menschenrechtsorganisation einen Verstoß gegen die Leitlinien der Industrieländer-Vereinigung OECD für multinationale Unternehmen darstellt, hatten die Gruppen – unterstützt von Misereor und dem European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) – dazu im Vorfeld des AktionärInnen-Treffens eine Beschwerde bei der deutschen Kontaktstelle der OECD eingereicht. Die Begründung brachten sie nun der Hauptversammlung zu Gehör, und das gleich in mehrfacher Ausführung.

Als „eines der tragischsten Beispiele“ für die desaströsen Auswirkungen des gegenwärtigen agro-ökonomischen Modells bezeichnete Daisy Ribeiro von der Initiative Terra de Direitos BAYERs Kombi-Pack. Die Verseuchung angrenzender Felder und die Verschmutzung des Wassers sind nicht die Ausnahme, sondern die Regel, so die Brasilianerin. Was das konkret bedeutet, machte Luna Miguens vom argentinischen Centro de Estudios Legales y Sociales (CELS) klar. Wegen der verunreinigten Flüsse und Brunnen sind einige Gemeinden auf Mineralwasser-Lieferungen angewiesen, berichtete sie. Auch Wohngebiete und Schulen geraten ihr zufolge in den aus Sprüh-Flugzeugen kommenden Glyphosat-Regen, denn Mindestabstand-Regeln stehen nur auf dem Papier, und ein Übriges tut der Wind. „Das hat zu schwerwiegenden Gesundheitsproblemen (…) geführt“, klagte Miguens an. Silvia Rojas Castro vom ECCHR zeigte die fatalen Folgen auf, die die Ausbringung des Pestizids für die Artenvielfalt hat, nicht zuletzt deshalb, weil sich die Soja-Monokulturen immer weiter in die Regenwälder reinfressen. Für Bolivien konnte Irene Mamani Velazco von der Fundatíon Tierra sogar genaue Zahlen liefern. „In den letzten zehn Jahren hat Bolivien mehr als zehn Millionen Hektar verloren“, hielt sie fest. Als Hauptleidtragende nannte Velazco die indigenen Gemeinschaften, deren Lebensgrundlagen den Abholzungen zum Opfer fallen. Bei den Landstreitigkeiten spielt Glyphosat dann auch wieder eine unrühmliche Rolle. Es kommt bei Vertreibungen als Chemie-Waffe zum Einsatz, wie Sarah Schneider von Misereor darlegte. Sie warf dem BAYER-Konzern vor, keine Präventiv-Maßnahmen zu ergreifen, um die Bevölkerungen in den Ländern des Globalen Südens vor den Risiken und Nebenwirkungen seiner Produkte zu schützen. „Statt diese Probleme anzugehen und seinen Einfluss auf den nachgelagerten Bereich der Wertschöpfungskette zu nutzen, verweist BAYER auf die nationalen Behörden“, konstatierte Schneider. Dass die Produkte sicher seien, sofern sie entsprechend der Vorschriften angewandt werden, darauf zöge sich der Global Player stets zurück, kritisierte sie, doch „sieht die Realität in der Praxis an vielen Orten ganz anders aus“. Das Unternehmen nimmt seine Sorgfaltspflichten nicht ernst, so ihr Resümee. Christian Schliemann vom ECCHR ergänzte die Mängelliste Sarah Schneiders später noch. Er vermisste bei der Geschäftspraxis des Leverkusener Multis in lateinamerikanischen Staaten Risiko-Analysen.

Aber nicht nur in Argentinien, Bolivien, Brasilien und Paraguay verletzt der Agro-Riese Standards. Ähnliches aus Peru vermeldete Anna Kothe vom ‚. Sie zitierte zwei Berichte der dortigen Nichtregierungsorganisation Equidad, wonach BAYER Beschäftigte daran hindert, einer Gewerkschaft beizutreten, sie unter prekären Bedingungen arbeiten lässt und insbesondere nicht genug für den Gesundheitsschutz tut. Darum sieht sich der Leverkusener Multi in dem Land mit einem Beschwerde-Verfahren wegen Verletzung der Menschenrechte konfrontiert. Dazu wollte Kothe nun Genaueres wissen. Zudem erkundigte sie sich nach den Maßnahmen, die der Konzern seither ergriffen hat, um die Arbeitssituation in Peru zu verbessern.

Auch Tricia Euvrard vom Collectif Vietnam Dioxine beschäftigte sich mit einer Rechtsangelegenheit. Sie setzte die Klage der Agent-Orange-Geschädigten Tran To Nga gegen BAYER auf die Tagesordnung der Hauptversammlung. Der Global Player steht nämlich zurzeit in Frankreich vor Gericht, weil seine jetzige Tochter-Gesellschaft MONSANTO im Vietnam-Krieg zu den Hauptlieferanten des zur Chemie-Waffe umfunktionierten Herbizids gehörte. 80 Millionen Liter gingen Euvrard zufolge damals auf das Land nieder und verseuchten Wälder, Ackerflächen und Gewässer, was für eine epidemische Ausbreitung von Krankheiten sorgte. „Tran To Nga ist eines der vielen Opfer. Die erste Tochter starb im Alter von 17 Monaten an einem Herz-Defekt“, berichtete die Aktivistin. Dann appellierte sie an den Vorstand, sich nicht auf die Position zurückzuziehen, MONSANTO habe lediglich im Auftrag der US-Regierung gehandelt. „Es ist nie zu spät, auf der richtigen Seite der Geschichte zu stehen“, ermunterte Tricia Euvrard den Vorstand und fragte: „Sind Sie dazu bereit, die Verantwortung zu übernehmen für die Millionen von Opfern von Agent Orange und sie dafür zu entschädigen?“

BAYERs Medizinschrank

Aber nicht nur BAYERs Agro-Sparte weist ein langes Sünden-Register auf, das Pharma-Segment steht dem kaum nach. So widmeten sich an dem Freitag gleich mehrere RednerInnen dem Fall „DUOGYNON“. Dieses Medizin-Produkt der heute zum Leverkusener Multi gehörenden Firma SCHERING hat ab den 1950er Jahren zu tausenden Totgeburten geführt. Darüber hinaus kamen durch das Mittel, das als hormoneller Schwangerschaftstest sowie als Präparat zur Therapie ausbleibender Monatsblutungen Verwendung fand, bis zum Vermarktungsstopp Anfang der 1980er Jahre unzählige Kinder mit schweren Fehlbildungen zur Welt. Geschädigte oder deren Eltern fordern den Pillen-Riesen bereits seit Jahren auf, dafür die Verantwortung zu übernehmen – und sie taten es auch auf der diesjährigen Hauptversammlung. „Finanziell können Sie nicht mehr zur Rechenschaft gezogen werden, das ethische Ehrgefühl jedoch sollte sie dazu bewegen, die Fakten offenzulegen“, appellierte etwa Roswitha Lukas vom Netzwerk DUOGYNON e. V. an den Vorstand und forderte ihn auf, das SCHERING-Archiv frei zugänglich zu machen. Margret-Rose Pyka vom Bund der DUOGYNON-Geschädigten stellte unumwunden fest: Das Problem ist, dass dieser Schwangerschaftstest perfiderweise das werdende Leben schädigt“. Und das mit einer Wahrscheinlichkeit von sage und schreibe 40 Prozent, wie Pyka ausführte. Deshalb sprach die Mutter einer durch DUOGYNON geschädigten Tochter im Zusammenhang mit dem Pharmazeutikum von einem „Mordanschlag auf die Schwangeren und auf die Em-bryonen“. Sie hat 2023 sogar zusammen mit zwei MitstreiterInnen ein Buch zum Thema veröffentlicht und darin noch einmal haarklein dargelegt, wie sich die in DUOGYNON eingesetzten synthetischen Sexualsteroide an die DNA von Embryo und Mutter binden und zerstörerische Prozesse einleiten. „Ich bin jetzt bald 75 und werde bis ich 100 bin das weiterführen“, kündigte Margret-Rose Pyka zum Schluss ihres Beitrags kämpferisch an.

CBG-Geschäftsführer Marius Stelzmann führte die Kritik von Lukas und Pyka fort. Er warf dem Konzern vor, unrichtige Behauptungen über die Wirkungsweise des Medizin-Produkts aufzustellen. Stelzmann griff auch den Komplex „Agent Orange“ noch einmal auf und wiederholte seine bereits im letzten Jahr vorgetragene Forderung an die Unternehmensspitze, sich bei den Opfern der von BAYER mitgegründeten IG FARBEN zu entschuldigen. Welche globalen Auswüchse die einzig auf Gewinn-Maximierung abgestellte Geschäftspolitik hat, zeigte ihm allein schon der Nationalitäten-Mix auf, der Aufsichtsrat und Vorstand an dem Tag zur Rede stellte. „Die internationale Zusammensetzung der von uns mobilisierten SprecherInnen belegt, dass BAYER-Produkte weltweit Schäden an der menschlichen Gesundheit und der Umwelt anrichten“, konstatierte Stelzmann.

Alice Werner von den Parents vor Future Leverkusen legte der Manager-Innen-Riege einen ganzen Katalog von Fragen vor, der sich hauptsächlich auf das Treiben des Unternehmens im engeren Umkreis seines Stammsitzes beschränkte. So wollte Werner etwa wissen, wie viel Grundwasser das Unternehmen verbraucht, wie viel Abwasser es in den Rhein leitet und wie sein Plan B aussieht, wenn die Pegelstände infolge des Klimawandels noch mehr sinken und der Fluss seine Funktion als Wasserstraße nicht mehr erfüllen kann. Zudem sprach sie die Rolle des Konzerns bei der Leverkusener Verkehrsplanung an. Dabei kritisierte die Aktivistin besonders dessen Intervention bei der Landesregierung zur Verhinderung einer Untertunnelung des Rheins als Alternative zu Brücken-Neubauten.

Spärliche Antworten

Die Antworten von Aufsichtsratschef Norbert Winkeljohann, Finanz-Vorstand Wolfgang Nickl, Pharma-Vorstand Stefan Oelrich und Cropscience-Vorstand Rodrigo Santos auf all die Fragen fielen spärlich aus. Der Vorstandsvorsitzende Bill Anderson konnte sich wegen fehlender Sprachkenntnisse sogar ganz bedeckt halten. Besonders einfach machte es sich Santos. Gegen die Risiken und Nebenwirkungen des Glyphosat/Gensoja-Kombipacks wusste er ein ganz einfaches Mittel. Anruf genügt, empfahl er Sarah Schneider: „Auf unseren Produkt-Verpackungen steht eine Telefonnummer, unter der potenzielle Schadensfälle gemeldet werden können.“ Entsprechenden Hinweisen würde BAYER konsequent nachgehen, so der Brasilianer. Auch Schneiders MitklägerInnen gegenüber zeigten sich der Manager und seine KollegInnen nicht auskunftsfreudiger. Sermonartig bekannten sie: „Die Verantwortung für unsere Produkte steht im Zentrum unseres Handelns“. Unerwünschte Effekte könnten einzig durch eine falsche Anwendung entstehen, weshalb das Unternehmen umfangreiche Schulungsprogramme für LandwirtInnen durchführe, verlautete aus BAYERs Hauptversammlungsstudio.

Ausführlicher gab das Management hingegen Auskunft über die in Peru vorliegende Beschwerde wegen Menschenrechtsverletzungen. Das Unternehmen hatte den in seinem Nachhaltigkeitsrat für Menschenrechte zuständigen Dante Pesce-Gonzalez dorthin gesandt, und der sah einigen Handlungsbedarf. Pesce-Gonzalez schlug den BAYER-Gremien nach seiner Rückkehr eine Reihe von Maßnahmen vor. Sie reichten Wolfgang Nickl zufolge von Schulungen zur Sicherung der Einhaltung von Menschenrechten über die Verbesserung der konzern-internen Beschwerde-Kanäle bis hin zu einer Einbindung von Menschenrechtsfragen in Management-Systeme und Geschäftsprozesse. Vor Ort hat sich bisher allerdings nur wenig geändert.

Zu seiner IG-FARBEN-Vergangenheit fand der Konzern klarere Worte als früher. „Wir bekennen uns zu unserer Schuld“, sagte Wolfgang Nickl. Die Forderung Stelzmanns nach einer Entschädigung der Opfer wollte er jedoch nicht auf BAYER bezogen wissen. Nickl blieb im Allgemeinen und stellte alltagsphilosophische Betrachtungen darüber an, ob „in diesem historischen Kontext“ ein finanzieller Beitrag überhaupt je angemessen sein könnte: „Man kann geschehenes Unrecht nicht ungeschehen machen.“

Ansonsten aber zeigte die Aktiengesellschaft wenig Einsicht. In Sachen „Agent Orange“ etwa ignorierte sie den Appell von Tricia Euvrard wies sie jede Verantwortung von sich: „Es war die US-Regierung, die die Spezifikationen für die Herstellung des Entlaubungsmittels Agent Orange entwickelte und vorgegeben hat, wann, wo und wie es eingesetzt wird. Agent Orange wurde ausschließlich für den militärischen Einsatz auf Anweisung der Regierung von MONSANTO hergestellt.“ Auf DUOGYNON ließ der Leverkusener Multi ebenfalls nichts kommen. „BAYER schließt DUOGYNON nach wie vor als Ursache für embryonale Missbildungen aus“, beschied Pharma-Chef Stefan Oelrich Marius Stelzmann, und Margret-Rose Pykas Buch konnte ihn auch nicht umstimmen. „Wir haben das von Ihnen erwähnte Dokument von unseren Experten prüfen lassen. Diese kamen zu dem Ergebnis, dass es keine neuen Erkenntnisse liefert“, so Oelrich.

Und nicht nur den OECD-BeschwerdeführerInnen stellte der Konzern Unbedenklichkeitserklärungen Glyphosat betreffend aus. Gottfried Arnold etwa erhielt ebenfalls eine, wozu Wolfgang Nickl weit ausholte. „Ich kann Ihnen versichern: Die Sicherheit unserer Produkte steht für uns immer an erster Stelle. In zahlreichen Sicherheits- und Zulassungsstudien zu unseren Produkten weisen wir dediziert und anhand von fundierten wissenschaftlichen Erkenntnissen nach, dass unsere Produkte bei sachgemäßem Gebrauch gemäß der Anwendungshinweise sicher sind“, hob er an, um dann zu dem Herbizid selbst zu kommen. „Wir haben großes Mitgefühl für alle Betroffenen und ihre Angehörigen, die an Krankheiten leiden, darunter auch Krebserkrankungen. Die Wissenschaft kommt aber klar zu dem Schluss, dass ROUNDUP nicht krebserregend ist“, erklärte der Finanzvorstand.

Zu den Übergriffen seines Gentech-Mais‘ MON810 auf andere Pflanzen hielt sich der Leverkusener Multi indes bedeckt. Die betreffende Studie sei BAYER bekannt, beschied Rodrigo Santos Christoph Then, das Unternehmen kooperiere in der Angelegenheit mit den spanischen Behörden.

Einmal nur hatte ein Konzern-Verantwortlicher Klartext zu den Risiken und Nebenwirkungen der BAYER-Erzeugnisse gesprochen. Klaus Kunz, der Nachhaltigkeitsbeauftragter von BAYER CROP-SCIENCE, tat es in Bezug auf die Bienengefährlichkeit von Ackergiften. In einem Interview mit Business Insider führte er am 6. Februar 2023 aus: „Die Leute sagten, unsere Produkte seien schädlich für Bienen, und unsere Botschaft lautete: ‚Unsere Produkte sind sicher für die Umwelt, wenn sie gemäß den Anweisungen auf dem Etikett angewendet werden‘. Das ist eine sehr juristische Sprache. Aber wenn man sich das vor Augen führt – ein Insektizid ist sicher für die Umwelt – ist das ein Witz. Es ist dafür gemacht, nicht sicher für die Umwelt zu sein. Es ist so konzipiert, dass es die Umwelt beeinträchtigt, egal was auf dem Etikett steht.“

Jan Pehrke hatte das in seiner Rede zitiert, in der vagen Hoffnung, den Vorstand in der Folge von seinen Standardformeln abbringen zu können, aber dieser zeigte sich davon unberührt.

Politische Landschaftspflege

Zum Lobbyismus bekannte sich der Global Player unumwunden. So antwortete Wolfgang Nickl Alice Werner, BAYER wäre – „genauso wie alle anderen Anleger“ – mit der Autobahn GmbH im Gespräch über die Planungen zur Verbreiterung der Autobahnen A1 und A3. Diese seien jedoch noch nicht so weit gediehen, „um die Verträglichkeit unserer Anforderungen mit den Planungsvarianten im Detail prüfen zu können“. Im Übrigen brachte Nickl die Zufriedenheit des Unternehmens mit dem bisherigen Verlauf der Arbeiten zum Ausdruck: „Wir sind sehr froh darüber, dass die neue Rheinbrücke am 4. Februar eröffnet werden konnte.“ Verkehrswende ist mit ihm definitiv nicht zu machen.

Auch die gesetzgeberischen Aktivitäten des Konzerns in der Causa „Glyphosat“, die Jan Pehrke, Cornelia Mayer und Isabelle Georges angesprochen hatten, rechtfertigte der Vorstand. Weil viele Gerichte in den einzelnen US-Bundesstaaten den Agro-Riesen zu Entschädigungszahlungen verurteilten, mit dem Argument, er habe auf den Glyphosat-Packungen unzureichend vor den Gefahren gewarnt und damit gegen die Bundesgesetze verstoßen, will das Unternehmen die Wirkmächtigkeit dieser Bestimmungen auf dem Rechtsweg aushebeln. Dazu hat er mit dem „Agricultural Labeling Uniformity Act“ ein neues Gesetz formulieren lassen, das er nun – mit Landwirtschaftsverbänden als Werbepartner – durch den Kongress und den Senat zu bringen gedenkt. Das habe im Jahr 2023 einen Großteil des Lobby-Etats gefressen, so Nickl in seiner Antwort an Jan Pehrke. „Sie erkundigten sich nach unseren Ausgaben für die politische Interessensvertretung im Zusammenhang mit der Glyphosat-Thematik in den USA. Ferner erkundigten Sie sich nach Unternehmensspenden von BAYER in diesem Zusammenhang“, fasst er das Anliegen des CBGlers zusammen und gab dann Auskunft: „Die Gesamtkosten für die politische Interessensvertretung auf Bundesebene in den USA betrugen laut Transparenz-Register des US-Kongresses 7,35 Millionen US-Dollar im Geschäftsjahr 2023. Die Kosten für einzelne Kampagnen werden dabei nicht ausgewiesen, die erwähnte Thematik stellte im Geschäftsjahr 2023 allerdings eines der wesentlichen Schwerpunkte unserer politischen Interessensvertretung dar.“

Mit dieser Interessensvertretung hat der Konzern keinerlei Probleme. „Gesetzgebung und Politik prägen die Rahmenbedingungen unseres Geschäfts. Als global agierendes Unternehmen haben wir eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung, aktiv unsere Fähigkeiten und Kenntnisse zur Verfügung zu stellen und politische Entscheidungsprozesse mit unseren Experten zu unterstützen“, erklärte Wolfgang Nickl.

Klare Dominanz

Die Konzern-KritikerInnen der CBG hielten 18 der insgesamt 30 Reden und dominierten die Hauptversammlung damit deutlich. Zudem stärkten ihnen zuweilen andere AktionärInnen den Rücken. Ulrich Giebel beispielsweise lehnte sich gegen die am Nachmittag exekutierte Redezeit-Begrenzung auf fünf Minuten auf. Er sah darin eine Ungleichbehandlung und stellte einen Antrag zur Geschäftsordnung, der allerdings nicht die erforderliche Mehrheit bekam. Darüber hinaus sprachen andere AnteilseignerInnen die Verluste der Artenvielfalt durch Pestizide, die exorbitante Vorstandsvergütung und weitere unschöne Dinge an.

Wer vielleicht gedacht hatte, wegen erstmals auch in englischer Sprache gestatteter Beiträge würden sich nun InvestorInnen aus aller Welt zuschalten, sah sich getäuscht. Aber Blackrock & Co. tragen sich eben nicht frühmorgens in digitale RednerInnen-Listen ein und warten dann den halben Tag geduldig, bis der Versammlungsleiter sie drannimmt. Bei ihnen spricht der Aufsichtsrat persönlich vor. Die Hausbesuche, die Anderson & Co. unternahmen, deckten 40 Prozent des Aktien-Kapitals ab, wie Norbert Winkeljohann stolz verkündete.

Die Mühen einer virtuellen Hauptversammlung taten sich nur VertreterInnen kleinerer Gesellschaften wie Ingo Speich von Deka Investment oder Janne Werning von Union Investment an. Diese aber dürfen sich zum Ausgleich über den Rang von ExpertInnen freuen, den ihnen deutsche Leitmedien zubilligen. So fehlen die beiden in kaum einem Artikel über die Versammlungen von Dax-Unternehmen, während außer-ökonomische Konzern-Kritik kaum vorkommt. Entsprechend geduldig und ausführlich bean twortete der BAYER-Vorstand dann auch die Fragen von Speich & Co. Die ManagerInnen kündeten ihnen gegenüber von einem im Kern gesunden Unternehmen, das in vielen Bereichen schneller als der Markt wachse und alles tue, um die juristischen Nebenwirkungen von Glyphosat zu minimieren. Zudem priesen sie noch einmal das ominöse neue Organisationsmodell „Dynamic Shared Ownership“ an, hinter dem sich einzig schnöde Arbeitsplatzvernichtung verbirgt.

Und damit kam die Management-Riege am Ende durch. Die Abstimmungen zur Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat und zu den anderen Tagesordnungspunkten endeten zwar nicht mehr mit den Traumergebnissen von anno dazumal, aber damit rechnete in Leverkusen auch niemand mehr. ⎜

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