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[MCS] STICHWORT BAYER 02/2005

CBG Redaktion

Chemie-Opfer klagen an

„Die sollten wissen, wie die Situation in diesem Lande ist!“

Der Fall des Ehepaars Fischer ist typisch für PatientInnen mit Multipler Chemikalien-Unverträglichkeit (MCS). Ebenso sehr wie unter ihrer Krankheit leiden sie darunter, dass diese nicht als eine solche anerkannt wird. BAYER & Co. haben erfolgreich alles darangesetzt, Chemie als Auslöser schwerster Gesundheitsstörungen aus den Medizin-Büchern zu tilgen. Die Betroffenen gelten deshalb als eingebildete Kranke. „Alles psychisch“- lautet die Diagnose stets. Das Düsseldorfer Gesundheitsamt leitete gegen Ellen Fischer sogar ein Entmündigungsverfahren ein.

Von Jan Pehrke

Im Sommer 1991 fiel Ruth Fischer plötzlich bewusstlos vom Fahrrad. Die mit ihrem Mann in der US-amerikanischen Kleinstadt Stuart lebende Frau kam sofort in ein Krankenhaus. Die ÄrztInnen versorgten die Deutsch-Amerikanerin, konnten sich ihren Zusammenbruch aber nicht erklären. Bald darauf zeigte ihr Körper weitere auffällige Reaktionen. Ruth Fischer erblindete kurzzeitig, bekam Schweißausbrüche und litt unter Schlaflosigkeit. Es begann eine Odyssee durch Praxen und Kliniken. Die Diagnosen entsprachen fast der Anzahl der konsultierten MedizinerInnen und reichten bis zu Darm- und Bauchspeicheldrüsen-Krebs. Erst nach einem Jahr fand ein Doktor die wahre Ursache ihrer Beschwerden heraus. Ein toxischer Schock hatte ihren Körper an dem Sommertag getroffen, ausgelöst durch Haushaltsinsektizide. Mit diesen war Ruth Fischer in Kontakt gekommen, weil die Verwaltung der Wohnanlage, in der sie mit ihrem Mann lebte, regelmäßig Kammerjäger in die Häuser schickte. Sie verspritzten hauptsächlich das von DOW ELANCO hergestellte – und inzwischen verbotene – Organophosphat DURSBAN mit dem Wirkstoff Chlorpyrifos, der sich auch in den BAYER-Produkten RIDDER, BLATTANEX und PROFICID befindet. Später wiesen die ExpertInnen im Hausstaub noch weitere Stoffe nach wie Permethrin, enthalten in ADVANTIX, BAYERs Anti-Flohmittel für Hunde. Die Insekten-JägerInnen hatten nämlich eigene Gift-Mixe angerührt, um die potentiellen Plagegeister nicht an eine Substanz zu gewöhnen. Allerdings gewöhnte sich auch der menschliche Körper nicht an die Biozide. „Es gibt kein gefahrloses Biozid“, erklärt der kurz nach seiner Frau ebenfalls an MCS erkrankte Siegfried Fischer, „Das sagt ja der Name schon: ‚Bio‚ für Leben und ‚zid‘ für Tod“.
Nach diesem Befund entschlossen sich die Fischers, in die Bundesrepublik zurückzukehren. Dort, wo BAYER-Forscher in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts die Pestizide entwickelt hatten, sollten doch auch die Behandlungsmethoden für die durch diese Substanzen hervorgerufenen Vergiftungserscheinungen am weitesten gediehen sein, dachte das Ehepaar – ein folgenreicher Irrtum. In BAYERs homeland kann nicht sein, was nicht sein darf. Nicht die Chemie stimmt nicht, sondern der Mensch. „Wer nach einer Organophosphat-Vergiftung nicht innerhalb von zwei Wochen gestorben ist, bei dem ist nach der deutschen amtsmedizinischen Meinung alles psychosomatisch“, zitiert Siegfried Fischer den MCS-Experten Müller-Mohnssen. Mit diesem Verdikt müssen auch die Fischers leben. Einer wahren Menschenverfolgung sehen die Fischers sich ausgesetzt, „weil der Industrie das Wort ‚Chemie‘ nicht passt“. Nicht auf ärztliches Unvermögen, sondern eindeutig auf den Druck von BAYER & Co. führt er die Ignoranz der Krankheit gegenüber zurück. Nur einmal schien sich eine Kehrtwende anzudeuten. Die SPD veranstaltete 1998 kurz vor der Bundestagswahl ein Hearing zum Thema „MCS“ und versprach, die Krankheit offiziell anzuerkennen. Später wollte die Partei nichts mehr davon wissen. „Die hat uns zu 100 Prozent verraten“, empört sich der Mann.
Dabei hat Fischer zufolge der Anschlag in der U-Bahn von Tokyo mit dem BAYER-Gift Sarin noch einmal eindeutig Aufschluss über MCS gegeben. Die unterschiedlichsten Reaktionsweisen zeigten sich. 12 Menschen starben sofort, einige konnten sich nicht mehr bewegen, bei nicht wenigen versagte das Sprachzentrum, andere wiederum blieben unversehrt. Welche Symptome sich herausbildeten, hing von der Konstitution der Einzelnen ab, dass sie aber alle auf das Sarin als Auslöser zurückgingen und nicht etwa dem subjektiven Faktor geschuldet waren, darin waren sich die Fachleute einig.
Aber auf die Wissenschaft hierzulande machte das wenig Eindruck. „Wäre rechtzeitig, z. B. in der Universität Düsseldorf, die Vergiftungsfolge überhaupt mal erwogen worden, man hätte uns noch helfen können“, klagt Siegfried Fischer. Jetzt bemüht der Rentner sich nur noch darum, den Gesundheitszustand seiner Frau so gut es geht stabil zu halten. Aber selbst dabei helfen ihm die medizinischen Einrichtungen nicht. Ellen Fischer ist inzwischen ans Bett gefesselt und zeigt bei der geringsten Dosis der in unserem Alltag allgegenwärtigen Chemie Besorgnis erregende Reaktionen. Deshalb ersuchte Fischer das Düsseldorfer Gesundheitsamt um Unterstützung bei der Isolation seiner Frau von der „chemischen Gesellschaft“, der Suche nach einer Wohnung ohne Gifte. Aber die Behörde scheute die Kosten. Sie war schnell mit der Diagnose „alles psychisch“ bei der Hand und leitete sogar ein Entmündigungsverfahren gegen Ellen Fischer ein, um das lästige Ehepaar loszuwerden. Siegfried Fischer zog vor das Amtgericht und bekam Recht zugesprochen. „Bei dem Betroffenen bestehen schwere neuro-toxische Schäden sämtlicher Organsysteme nach Vergiftung durch Organophosphate. Dies folgt aus dem Ergebnis der Beweisaufnahme, insbesondere aus dem Gutachten des Dr. Kiefer“, urteilten die Richter. Ein Verfahren vor den Sozialgerichten gegen die Krankenkasse läuft bereits seit drei Jahren. Sie weigert sich nämlich, Ruth Fischer von der Pflegestufe I in die Pflegestufe II zu setzen und spielt auf Zeit. Und die Gerichte spielen mit. Seinen Glauben an die Unabhängigkeit der Justiz hat Siegfried Fischer längst verloren: „Die Richter müssen tun, was die Mächtigen sagen“. Das Ehepaar hätte das Land längst verlassen, wenn Ellen Fischer transportfähig wäre, sagt der Mann verbittert.
In den USA haben nämlich Justizwesen und staatliche Institutionen gegenüber dem Einfluss der Chemie-Lobby eine gewisse Autonomie bewahrt, wie ein dort anhängiges Verfahren zeigt. DOW ELANCO haben die Fischers allerdings nicht auf die Anklagebank bekommen. Die Rechtsanwälte rieten ihnen von diesem Schritt ab. Das Unternehmen hätte sich sofort auf die Position zurückgezogen, nicht DURSBAN an sich, sondern lediglich eine falsche Anwendung hätte zu der Vergiftung geführt und damit wahrscheinlich auch Erfolg gehabt, prophezeiten die JuristInnen. So hat das Ehepaar Fischer den Kammerjäger, bzw. die Versicherung seiner Berufsvereinigung, verklagt. Seit acht Jahren läuft der aufwändige Prozess schon. Mehrmals reisten US-AnwältInnen und ExpertInnen nach Düsseldorf, um sich vor Ort ein Bild von dem Gesundheitszustand Ellen Fischers zu machen. Zudem hörten die RichterInnen zahlreiche WissenschaftlerInnen an. Bislang bestätigten alle Fachleute den Zusammenhang zwischen der Insektizid-Ausbringung und der Erkrankung – „mit Ausnahme der Deutschen“, bemerkt Siegfried Fischer. In den Vereinigten Staaten haben nämlich staatliche Einrichtungen wie das sich für Benachteiligte einsetzende Wohnungsamt „U.S. Department of Housing and Urban Development“ und die Umweltbehörde EPA MCS offiziell anerkannt. In einem Memorandum der EPA heißt es: „Chlorpyrifos und andere Insektizide stehen nach Berichten in Zusammenhang mit chronischen Schädigungen bei Menschen wie peripherale Neuropathie und chronischen, auf Nervenschädigungen zurückgehende Verhaltensstörungen (beides Nervenleiden, Anm. SWB) sowie einer Überempfindlichkeit gegenüber vormals keinerlei negative Reaktionen hervorrufenden Chemikalien“. Diese amtliche Beglaubigung von MCS ließ rund 70 Prozent aller Klagen vor den Sozialgerichten zugunsten der Opfer ausgehen. Auch Siegfried Fischer äußert Zuversicht: „Ich hab keine Bedenken, dass nicht zu unseren Gunsten entschieden wird“. Aber für ihn und seine Frau dürften die Mühlen der Justiz zu langsam mahlen. „Für uns bringt das nichts mehr, aber für die Nachwelt, da sind ja so viele Menschen, die sollten wissen, wie die Situation in diesem Lande ist“, ereifert sich Fischer. Darum bezeichnet er es als sein Hauptanliegen, die Öffentlichkeit zu informieren. So könnte er vielleicht wenigstens anderen das Schicksal ersparen, das er und seine Frau erleiden müssen.