Von Siegfried Grass, Handelsblatt
Jahrzehntelang profitierte Leverkusen davon, schließlich entpuppte sich die Monokultur als Nachteil: Die Stadt am Rhein ist abhängig vom Wohl und Wehe eines einzigen Unternehmens: des Chemiekonzerns Bayer. Wenn Bayer keine Gewerbesteuern mehr zahlt, gehen in dem einst reichen Leverkusen die Lichter aus.
HB LEVERKUSEN. „Der Leverkusener Chemiekonzern Bayer profitiert von der Globalisierung. Doch die Stadt Leverkusen bleibt lokal.“ Was der Stadtkämmerer Rainer Häusler mit prägnanten Worten formuliert, bedeutet für den Haushalt der Chemiestadt am Rhein ein Desaster. Weil die Gewerbesteuereinnahmen der einst so reichen Gemeinde seit 2001 dramatisch eingebrochen sind, kann der Stadtrat praktisch keine Beschlüsse mehr fassen, die mit Ausgaben verbunden sind. Das Zahlenwerk, das einen Etat von rund 500 Mill. Euro beschreibt, hat die Überschrift „Nothaushalt“. Statt einst 125 Mill. Euro Gewerbesteuereinnahmen muss Leverkusens Finanzwart mit 40 Mill. Euro kalkulieren. Mit über 14 Prozent Arbeitslosenquote liegt Leverkusen über dem Landesdurchschnitt.
Angesichts solcher Zahlen wirkt das Ergebnis einer Studie, wonach Leverkusen unter den produktivsten Standorten Deutschlands den zweiten Platz (nach München-Land) belegt, wie Hohn. Aber genau die dramatischen Restrukturierungs- und Sanierungsmaßnahmen der Weltunternehmen am Ort – der Bayer AG und der Bayer-Ausgliederung Lanxess AG – haben zu dem guten Platz in der Hitparade der ergiebigsten Standorte geführt. Der Abbau der Arbeitsstellen in Zahlen: 16 000 sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse sind in Leverkusen verloren gegangen. Das brachte der Rheingemeinde den wenig rühmlichen Titel „Stadt der Jobkiller“ ein.
Die meisten Stellen fielen bei Bayer weg, wenn die Betroffenen in der Regel auch mit ordentlichen Abfindungsangeboten meist komfortabel in den vorzeitigen Ruhestand geschickt wurden. Allerdings sind auch Firmen wie Agfa, Eumuco, Wuppermann oder Textar von der Leverkusener Bildfläche verschwunden bzw. haben kräftig Jobs gestrichen. Und noch immer verschwinden jährlich rund 2000 Jobs in der Chemiemetropole. Etwa, wenn die Deutsche Bahn ihr Ausbesserungswerk im Stadtteil Opladen dichtmacht. Verständlich, wenn dann der oberste Kassenwart im Leverkusener Rathaus beklagt, dass die Stadt im Rahmen des Solidarausgleichs an die neuen Bundesländern alleine über 100 Mill. Euro in den letzten Jahren überwiesen hat: „Wenn man dann noch liest, dass die Hälfte dieses Geldes am Bedarf vorbei läuft, dann kann man angesichts unserer eigenen Nöte schon aufgebracht sein.“
Leverkusens jahrzehntelanger Vorteil wurden binnen weniger Jahre zum folgenschweren Nachteil: die Monokultur. Bayer hat seine größte Umbauphase und seinen größten Skandal („Lipobay“) gerade hinter sich. Während wesentlich kleinere Gemeinden in der Nachbarschaft über Jahre wehmütig auf den Krösus blickten, können sie dank ihrer mittelständisch geprägten Wirtschaft heute mit ihren kontinuierlich fließenden Gewerbesteuereinnahmen kalkulieren. Leverkusen muss dagegen sparen. Gutachter des Beratungsunternehmens Kienbaum nahmen in der Stadt ohne Mittelstand – und ohne richtiger Stadtmitte – alles unter die Lupe und stellten einen umfangreichen Streich- und Sparkatalog zusammen. Die Leverkusener müssen sich von über Jahre lieb gewonnenen Einrichtungen verabschieden. Angesichts eines aktuellen Schuldenstandes von 150 Mill. Euro macht der Kämmerer keine Hoffnung auf Besserung: „Ende des Jahres werden wir wohl 200 Mill. Euro erreicht haben.“