Die geplante Streichung der Subventionen für Agrar-Diesel hat ganze Trecker-Trecks gen Berlin in Bewegung gebracht. Auch in anderen Ländern gingen die LandwirtInnen auf die Straße. Gegen was aber richten sich die Proteste genau und gegen was nicht und wo steht BAYER in dem Ganzen? Das Stichwort BAYER sucht nach Antworten.
Von Jan Pehrke
Seit Jahr und Tag fährt die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) im Januar zu den „Wir haben Agro-Industrie satt“-Protesten nach Berlin. Dort findet zu diesem Zeitpunkt nämlich immer die Grüne Woche statt, die Leistungsschau der ohne Rücksicht auf Verluste betriebenen „Höher, Schneller, Weiter“-Landwirtschaft. Und gegen die gilt es einen Kontrapunkt zu setzen. So ziehen dann – angeführt von einer Trecker-Phalanx – VerbraucherInnen-Verbände, Umweltinitiativen und VertreterInnen der bäuerlichen Landwirtschaft stets gemeinsam für eine Art des Ackerns auf die Straße, die die Umwelt schont, das Tierwohl achtet, gesunde Nahrungsmittel herstellt und den ProduzentInnen ein Auskommen sichert.
Dieses Mal aber waren die Trecker schon vorher da. Die von der Bundesregierung im Zuge ihres 30 Milliarden schweren Sparpakets angekündigte Streichung der Subventionen für Agrar-Diesel und Abschaffung der Befreiung landwirtschaftlicher Fahrzeuge von der Kfz-Steuer hatten sie ins Rollen gebracht.
Nicht nur Agrar-Diesel
Die ARBEITSGEMEINSCHAFT BÄUERLICHE LANDWIRTSCHAFT (AbL), ein maßgeblicher Akteur von „Wir haben Agro-Industrie satt“, trug die Agrardiesel-Forderung mit, allerdings in veränderter Form. Sie plädierte dafür, die Rückzahlungen auf einen Verbrauch von 10.000 Litern zu begrenzen, um gezielt kleinere Betriebe zu unterstützen statt Big Agro zu subventionieren. Zudem gehören ihrer Meinung nach mehr Themen auf die Agenda.
Die Arbeitsgemeinschaft mahnt etwa eine Stärkung der Stellung der Landwirt-Innen in den Wertschöpfungsketten an, denn die Bauern und Bäuerinnen stehen sowohl beim Einkauf als auch beim Verkauf großen Playern gegenüber und sehen dementsprechend alt aus. Bei den Betriebsmitteln wie Pestiziden, Saatgut und Dünger sind das hauptsächlich BAYER & Co. sowie große Landmaschinen-Hersteller wie JOHN DEERE und auf der Abnahme-Seite die Schlachtereien, Molkereien sowie ALDI, REWE und Konsorten. Überdies drängt die AbL auf steuerliche Maßnahmen gegen den kontinuierlichen Anstieg der Bodenpreise, welche die ALDI-Stiftung und andere Player auf der Suche nach lukrativen Anlage-Möglichkeiten für ihr Kapital nach oben getrieben haben. Darüber hinaus macht sie sich in ihrem 6-Punkte-Plan für eine Tierwohl-Abgabe, eine strenge Regulierung der neuen Gentechniken und eine stärkere Ausrichtung der Subventionen auf Umwelt-Belange sowie auf Betriebe mit tatsächlichem Bedarf stark.
Aber der Bauernverband denkt gar nicht daran, das Problem so grundsätzlich anzugehen. Weder will er sich mit den Molkereien, Schlachtereien, Agro-Riesen und dem Lebensmittelhandel anlegen noch die Landwirtschaft ihrem Wesen nach ändern. Dafür ist der DBV zu sehr Teil dieser Strukturen. So gehört DBV-Präsident Joachim Rukwied nicht nur selbst zu den GroßagrarierInnen, er bekleidet überdies Aufsichtsratsposten bei Branchengrößen wie BAYWA, dem größten deutschen Agrarhändler, SÜDZUCKER und der R+V ALLGEMEINE VERSICHERUNG AG. Sein Vorvorgänger Constantin von Heereman saß einst sogar im BAYER-Aufsichtsrat. Aber auch mit Rukwied versteht sich der Leverkusener Multi bestens, nicht nur weil er in diesem einen treuen Glyphosat-Fürsprecher findet. Die DBV-Aktion „Pflanzen ernähren und schützen“, die sich gegen eine strengere EU-Regulation von Pestiziden wendete, war so ganz nach dem Geschmack des Konzerns. Deshalb unterstützte er sie nach Kräften und sammelte fleißig Unterschriften dafür. 13.000 übergab der damalige Geschäftsführer der deutschen Agrarsparte, Jürgen Schramm, dem Bauernverbandspräsidenten vor zehn Jahren. Damit nicht genug, sitzt die jetzige Chefin von Cropscience-Deutschland, Karin Guendel Gonzalez, zusammen mit Rukwied im Präsidium des „Forums moderne Landwirtschaft“. Und zum europäischen DBV-Pendant COPA-COGECA unterhält die Aktiengesellschaft ebenfalls ausgezeichnete Beziehungen.
Die ARBEITSGEMEINSCHAFT BÄUERLICHE LANDWIRTSCHAFT kritisiert den DBV wegen dieser Verflechtungen und den daraus folgenden Positionierungen vehement. Für die AbL ist der Agrar-Diesel nicht das ein und alles, sondern nur der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. „Der deutsche Bauernverband will über dieses Fass nicht reden. Aber genau da liegt die Ursache: Eine jahrzehntelang export-orientierte Agrar-Politik hat dazu geführt, dass die Betriebe unter einem immensen Kostensenkungsdruck wirtschaften mussten. Es brauchte und braucht billige Produkte, damit die Lebensmittelindustrie auf dem Weltmarkt konkurrenzfähig ist“, konstatiert AbL-Sprecher Berit Thomsen.
Der Agroindustrie-Komplex
Die Weichenstellung für diese Ausrichtung erfolgte innerhalb der Europäischen Union im Jahr 1958 mit den Römischen Verträgen. Noch Geprägt von den Hungerjahren des Krieges wollten die damaligen EWG-Staaten den Grundstein für eine Landwirtschaft legen, die immer in der Lage ist, die Bevölkerung zu ernähren. Dazu setzten sie eine Reihe von Anreizen wie Abnahme-Garantien, Export-Förderungen und Schutzzölle. Als Folge davon entstanden die sprichwörtlichen Butterberge. „Wenn wir jetzt nichts tun, fließt uns spätestens 1970 die Butter auf die Straße“, schlug der damalige Agrar-Kommissar Sicco Leendert Mansholt Alarm – und tat etwas. Der nach ihm benannte Plan sah vor, die Subventionen zu kürzen und durch größere Betriebseinheiten, Spezialisierung und Intensivierung die Wettbewerbsfähigkeit des Bereichs zu forcieren.
Die Landwirtschaft änderte sich durch diese Entwicklungen von Grund auf. Bartholomäus Grill beschreibt das in seinem Buch „Bauernsterben“ auch am Beispiel des elterlichen Hofs. Pestizide erhielten dort erst spät Einzug. Der Chef eines Lagerhauses diente sie den Grills im Jahr 1960 an: „Das sind Pflanzenschutzmittel, die kaufen jetzt alle.“ Kunstdünger kauften ebenfalls bald alle, und auf den Feldern verdrängte der Mais Weizen & Co. Pflegeleicht, ertragreich, günstig im Wasserverbrauch – das sprach für die Frucht, die nur einen Nachteil hatte: Das Saatgut für das hochgezüchtete Gewächs musste Jahr für Jahr neu erworben werden. Mit Ackerbau & Viehzucht war auch bald nichts mehr. Im Zuge der Spezialisierung galt es sich zu entscheiden. Und so wuchs das Futter für die Tiere dann irgendwann nicht mehr neben dem Stall auf dem Feld. „Unsere Kühe weiden am Rio de la Plata und am Mississippi“, sagte einst Ignaz Kiechle, von 1983 bis 1993 Bundeslandwirtschaftsminister, in Anspielung auf die Futtermittel-Lieferungen aus Lateinamerika.
Die Grills konnten all dem bis 2011 standhalten. Dann mussten auch sie sich der Frage stellen „Wachse oder weiche?“ – und entschieden sich für einen Verkauf. Und das taten in der vergleichbaren Situation viele. Gab es unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg noch fast zwei Millionen Bauernhöfe, so blieben 2023 nur noch 255.000 übrig. Vor allem die kleinen mit einer Fläche von 20 bis 50 Hektar verschwanden. Ihre Zahl sank allein zwischen 2010 und 2020 um 20 Prozent, während die der Betriebe mit einer Fläche von 200 bis 500 Hektar um 30 Prozent stieg.
Die Tendenz geht also hin zu riesigen Agrar-Fabriken, die ohne Rücksicht auf Verluste produzieren. Für Bartholomäus Grill kommt das gegenwärtige Produktionsmodell einem Krieg gleich, bei dem die Feldherren aus dem Agrar- und Lebensmittelsektor stammen und die Chemie-, Pharma- und Saatgut-Konzerne die Rüstungsgüter liefern. BAYERs „Rüstungslieferungen“ gehen dabei schon bis ins Jahr 1892 zurück. Da brachte der Konzern mit ANTINONNIN das erste synthetische Anti-Insektenmittel heraus, ein Mittel gegen die Nonnen-Raupe. Und so ging es immer weiter bis zu den Gen-Pflanzen und den „Errungenschaften“ der digitalen Landwirtschaft heutigen Tags.
Dieser ganze agro-industrielle Komplex kommt bei den Protesten der Bauern und Bäuerinnen, die sich mittlerweile auf fast alle Länder der Europäischen Union erstrecken und immer wieder auch Brüssel – als Schaltstelle der Agrar-Politik – zum Schauplatz machen, nicht in den Blick. Er bleibt diffus, beschränkt sich auf Einzel-Aspekte wie „Agrardiesel“, beklagt vage die Bürokratie oder versteht darunter weniger vage vor allem die Umweltauflagen und erwartet von der Politik schnelle Lösungen.Das macht ihn anschlussfähig für rechte Kreise.
Und tatsächlich bemühen sich diese in fast allen Staaten, die Proteste zu kapern. Zum Glück aber gelingt die Infiltration nicht recht. Diese stößt nämlich auf so einige Hindernisse. Die AfD beispielsweise kann sich nicht so einfach als natürliche Heimstatt des deutschen Bauernstands präsentieren. Dem steht ihr Programm entgegen. „Die AfD lehnt Subventionen generell ab. Wir wollen gleiche Regeln für alle – ob groß, ob klein, in jeder Branche“, heißt es dort nämlich. Der der Landwirtschaft gewidmete Abschnitt ist dementsprechend mit „Weniger Subventionen, mehr Wettbewerb“ überschrieben. Auch die kritische bis ablehnende Haltung, die ein Großteil der rechten Parteien der Europäischen Union gegenüber an den Tag legt, macht sie unattraktiv für Landwirt-Innen, denn für diese ist die EU eine maßgebliche Einkommensquelle.
Die Politik reagiert
Inhaltlich bewegte sich Brüssel schon vor der großen Protestwelle auf die LandwirtInnen zu. Die Europäische Volkspartei hatte die Gründung einer Bauernpartei in den Niederlanden nach einer Auseinandersetzung über Stickstoff-Emissionen nervös gemacht. Im Vorfeld der Europa-Wahlen fürchtete sie, Stimmen an Rechtsparteien zu verlieren, und begann, die mit dem Green Deal verknüpfte Umweltpolitik in Frage zu stellen. Die Trecker-Trecks auf den Straßen fast aller Mitgliedsländer beschleunigten die Abbruch-Arbeiten dann noch einmal immens. Im Februar 2024 musste die Pestizid-Verordnung dran glauben, mit der die EU-Kommission den Einsatz der Ackergifte bis zum Jahr 2030 um 50 Prozent reduzieren wollte. Im nächsten Monat ging es dann an die „Standards für einen guten landwirtschaftlichen und ökologischen Zustand (GLÖZ), an deren Einhaltung die EU die Vergabe von Subventionen knüpft. Und das Renaturierungsgesetz, das Umweltkommissar Virginijus Sinkevicius als einen „konkreten Beitrag der EU zur Erhaltung der biologischen Vielfalt, wertvoller Ökosysteme, gesunder Böden und Gewässer“ bezeichnete, liegt ebenfalls erst einmal auf Eis.
Darüber hinaus kündigte die EU weitere Schritte an. So will sie die ökonomische Position der LandwirtInnen stärken. „Besonderes Augenmerk wird auf Maßnahmen in Bezug auf Gewinnspannen, Handelspraktiken in der Wertschöpfungskette und Produktionskosten gelegt, da die Landwirte oft das schwächste Glied in der Lebensmittel-Wertschöpfungskette sind“, erklärte die Kommission.
Ähnliches schwebt auch der Bundesregierung mit ihrem 10-Punkte-Plan zur Unterstützung der Landwirtschaft vor, aber ob ALDI, BAYER & Co. in Zukunft ihr Geschäftsmodell zugunsten der Bauern und Bäuerinnen ändern müssen, erscheint doch mehr als fraglich. Überdies plant die Ampel Steuerentlastungen und andere Erleichterungen. Auch auf die Erhebung einer Kfz-Steuer für Trecker und andere landwirtschaftliche Fahrzeuge verzichtete Rotgrüngelb, aber an der Streichung der Subventionen für Agrardiesel hielt sie fest.
Der Bündnis90/Die Grünen-Bellizist Anton Hofreiter kannte da kein Pardon und erinnerte in einem Zeit-Interview dankeswerterweise auch noch einmal daran, wie es überhaupt zu dieser Maßnahme kam. So etwas gerät nämlich leicht aus dem Blick. Auf die Frage: „Auch die geplante Kürzung beim Agrardiesel muss ihrer Meinung nach vom Tisch?“ antwortete Hofreiter: „Diese Haltung konnte man sich leisten, als es noch keinen Krieg gab, als die Zeiten noch nicht so brutal waren.“ Der Krieg – oder besser die Kriege und mehr noch der erkennbare Unwille der Politik, Anstrengungen zu deren Beendigung zu unternehmen, haben also die Bauernfrage wieder auf die politische Tagesordnung gebracht. ⎜