20.03.2007
LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN, 14. Wahlperiode
Antrag der Fraktion der SPD und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Worte in Taten umsetzen: Giftmüllimport aus Australien nicht genehmigen!
I. Der australische Chemiekonzern Orica plant den Export von ca. 22.000 Tonnen hexachloridhaltigem Giftmüll (HCB) nach Deutschland. Dieser Müll soll in Brunsbüttel, im westfälischen Herten sowie den Bayer-Anlagen Dormagen und Leverkusen verbrannt werden.
Aktuell wird über die Auslegung der EG-Abfallverbringungsverordnung diskutiert. Insbesondere die Frage, ob die nordrhein-westfälischen Behörden einen Ermessensspielraum zur Untersagung der Importe haben, wird von der Landesregierung verneint.
Die Landesregierung hat sich ausdrücklich gegen den Import von Giftmüll aus Australien ausgesprochen. Doch wenn es um die entsprechende Genehmigung geht, versteckt sie sich hinter Rechtsetzungen: „Das Land besitzt keine rechtliche Möglichkeit, Importe aus anderen Bundesländern oder dem Ausland zu verhindern. Nach europäischem Recht können Landesbehörden eine Genehmigung nur verweigern, wenn es in NRW keine Entsorgungskapazitäten gibt.“ (DIE WELT, 04.02.2007). Bei der Darstellung der Handlungsspielräume des Landes NRW verweist das Ministerium darauf, dass sich die zuständige Behörde bei ihrer Prüfung im Rahmen der Einwandsgründe an die EG-Abfallverbringungsverordnung halten müsse. Lägen die einschlägigen Voraussetzungen und Notifizierungen vor, so sei eine „gebundene Entscheidung“ zu treffen, die kein eigenes Ermessen zulasse.
Die Generaldirektion Umwelt der EU-Kommission vertritt in einem Schreiben vom 20. Februar 2007 dagegen die Position, dass sich aus EG-Recht keine Verpflichtung für die deutschen Behörden zur Genehmigung der Giftmüll-Importe ergibt. Danach „liegen ´unbestimmte Rechtsbegriffe´ vor, die einen gewissen Beurteilungsspielraum mit sich bringen. Dieser Beurteilungsspielraum ist im Falle der Einfuhr von Abfällen zur Beseitigung aus einem Drittstaat besonders groß, weil hier potentiell immer die Einwandsgründe der Entsorgungsautarkie und des Näheprinzips gemäß Artikel 4 Abs. 3 (b) (i) und (ii) AbfVerbrV in Frage kommen. Eine “gebundene Entscheidung„ besteht also nur theoretisch; bei Abfalleinfuhren aus Australien kann die Behörde praktisch frei entscheiden, ob sie die Einwandsgründe geltend machen will oder nicht.
Gemäß Artikel 19 der EG-Abfallverbringungsverordnung (VO EWG Nr. 259/93) gilt das grundsätzliche Verbot, Abfälle zur Beseitigung in die Gemeinschaft einzuführen, nicht für Einfuhren aus Ländern, die Vertragsparteien des Basler Übereinkommens sind (d.h. für derzeit 169 Staaten, zu denen auch Australien gehört). Allerdings ist bei Import aus Nicht-EFTALändern zuvor der zuständigen Behörde des Empfängermitgliedsstaats ein ausreichend begründeter Antrag zu unterbreiten, der sich darauf stützt, dass der Versandstaat die technische Kapazität und die erforderlichen Anlagen für die Beseitigung der Abfälle in einer umweltverträglichen Weise nicht besitzt und billigerweise nicht erwerben kann.
Das Fehlen eines allgemeinen Verbots bedeutet darüber hinaus nicht, dass der Empfängermitgliedstaat zur Genehmigung des Imports verpflichtet ist. Wie aus Artikel 20 Abs. 3 und 4 EG-AbfVerbrV hervorgeht, kann die zuständige Behörde am Bestimmungsort vielmehr gegebenenfalls Einwände gegen die Verbringung nach Artikel 4 Abs. 3 erheben und die Genehmigung der Einfuhr auch verweigern.“ Aus Sicht der EU-Kommission liegt die Entscheidung also im Ermessen der deutschen Behörden.
Daraufhin hat die Landesregierung in einer aktuellen Viertelstunde im Umweltausschuss am
28. Februar 2007 erneut Stellung bezogen. Dabei ist sie von ihrer Haltung abgerückt, dass
sie keinerlei rechtliche Handhabe habe. Einen eigenen Ermessensspielraum sähe sie allerdings
nicht. Dieser läge beim Bund: Nur das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und
Reaktorsicherheit (BMU) könne entsprechende Einwandsgründe erheben.
Das BMU widerspricht dem jedoch in einem Brief an Staatssekretär Dr. Schink. Danach sind
„für die Genehmigung grenzüberschreitender Verbringungen (…) die vom jeweiligen Bundesland dafür als zuständig erklärten Behörden, in Nordrhein-Westfalen die Bezirksregierungen“
zuständig. „Eine eigene Zuständigkeit für den Bund (..) besteht nicht (…).“
Schließlich räumte Minister Uhlenberg in der Fragestunde am 7. März 2007 ein, „dass die
Entscheidung über die Frage, ob der Sondermüll bei uns verbrannt werden muss, im Ermessen
der Bezirksregierung als Genehmigungsbehörde liegt“. Danach ist „für die konkrete Genehmigung abschließend die Bezirksregierung als obere Abfallbehörde des Landes zuständig“ (Plenarprotokoll 14/54).
Die Landesregierung kann die Verantwortung nun nicht mehr von sich weisen. Alternativen
sollten sorgfältig geprüft und auch die Verpflichtung der Vertragsparteien des Basler Übereinkommens
berücksichtigt werden, um sicherzustellen, dass die grenzüberschreitende
Verbringung gefährlicher Abfälle auf ein Mindestmaß beschränkt und gleichzeitig eine umweltgerechte und wirksame Behandlung solcher Abfälle sichergestellt wird.
II. Der Landtag beschließt:
1. Der Landtag begrüßt die klare Position von Landesumweltminister Uhlenberg, dass der
weltweite Müllimport nicht zur abfallpolitischen Leitlinie des Landes gehört.
2. Der Landtag fordert die Landesregierung auf, den vorhandenen Ermessensspielraum im
Sinne einer grundsätzlich ablehnenden Position zu nutzen.
3. Der Landtag appelliert an das Parlament und die Regierung von Australien, für die Schaffung
eigener ausreichender Kapazitäten für eine umweltgerechte Entsorgung von Sondermüll
die Verantwortung zu tragen. Soweit solche Investitionen durch das nationale
Aufkommen nicht hinreichend refinanziert werden können richtet sich dieser Appell auch
an grenzüberschreitende Kooperationen mit australischen Nachbarstaaten zur umweltgerechten
Lösung und globaler Verantwortung in dieser Frage.
III. Der Landtag fordert die Landesregierung auf,
1. zu prüfen, ob Ansätze zur Schaffung nationalen Rechts oder die Veränderung internationaler Vereinbarungen notwendig sind, um solche Transporte zu verhindern, und hierzu gegebenenfalls gesetzgeberisch aktiv zu werden.
2. Bundesumweltminister Gabriel aufzufordern, auf europäischer wie auch internationaler Ebene initiativ zu werden mit dem Ziel, dass die Nationalstaaten, die der Basler Konvention beigetreten sind, auch entsprechende Kapazitäten für eine ortsnahe Entsorgung
vorhalten bzw. schaffen müssen.
3. eine Werbe- und Exportoffensive für derartige Technologien aus NRW zu starten. Dies
trägt zur Vermeidung gefährlicher globaler Giftmülltransporte bei, stärkt zugleich den
Technologie- und Wirtschaftsstandort NRW und schafft Arbeitsplätze.
Der Landtag beschließt als Grundsätze eines Sonderabfallwirtschaftsplans:
a) Die Umsetzung des Basler Übereinkommens vom 22. März 1989 wird gewährleistet
Sonderabfälle sind ortsnah, umwelt- und gesundheitsunschädlich zu entsorgen,
b) Die Erzeugung gefährlicher Abfälle wird auf ein Mindestmaß beschränkt,
c) Gefahren für Umwelt und Gesundheit im Umgang mit gefährlichen Abfällen sind zu
verhindern;
d) grenzüberschreitende Verbringungen von gefährlichen und anderen Abfällen werden
streng kontrolliert und die Anzahl grenzüberschreitender Abfallverbringungen
dadurch verringert, so dass umweltgerechte Entsorgungskapazitäten möglichst
dicht am Entstehungsort geschaffen werden;
e) eine illegale Verbringung gefährlicher Abfälle wird verhindert, wobei Abfallverbringungen
zwischen Parteien der Basler Konvention und Nicht-Vertragsparteien
immer als illegal gelten.
Hannelore Kraft Sylvia Löhrmann
Carina Gödecke Johannes Remmel
Svenja Schulze Reiner Priggen
und Fraktion und Fraktion