BAYER macht EU-Politik
Kommission immer industrie-freundlicher
Die neue EU-Kommission hat sich vollends dem Primat der Ökonomie verschrieben. Die Riege um den portugiesischen Präsidenten José Manuel Durão Barroso hat sich vorgenommen, die „Lissabon-Strategie“ konsequenter zu verfolgen, wonach Europa bis 2010 „die wettbewerbsfähigste wissensgestützte Wirtschaft der Welt“ werden soll. Dabei erwies sich in der Vergangenheit besonders die Umweltpolitik als störend. In Gestalt der Chemikalien-Verordnung brachte diese BAYER & Co. gehörig gegen Brüssel auf. Ihr Protest gegen das Vorhaben führte schließlich zu einer Neuausrichtung der gesamten EU-Politik.
Von Jan Pehrke
Eigentlich ist es die normalste Sache von der Welt: Wenn Unternehmen ein neues Produkt herausbringen, müssen sie gesundheitsgefährdende Wirkungen ausschließen können. Bei der Chemie stimmt das jedoch nicht. Auf dem Markt tummeln sich tausende niemals auf ihr mögliches Schadenspotenzial hin untersuchte Stoffe. Unter der Umweltkommissarin Margot Wallström nahm sich die EU endlich dieses unhaltbaren Zustandes an. Mit der Chemikalien-Verordnung wollte die Schwedin die Chemie-Firmen zu den entsprechenden Tests verpflichten. Die Konzerne stiegen auf die Barrikaden und entwarfen ein Horror-Szenario: immenser bürokratischer Aufwand, große Mehrkosten und drohende Arbeitsplatz-Verluste in Millionen-Höhe.
Auf dem kleinen Dienstweg wandte sich BAYER umgehend an Bundeskanzler Gerhard Schröder. Dieser intervenierte sogleich beim damaligen Kommissionspräsidenten Romano Prodi und wetterte bei jeder Gelegenheit gegen „diese Dame aus Schweden“, Umweltkommissarin Margot Wallström. Die Bundesregierung brachte das Thema immer wieder auf die Tagesordnung. Mit Erfolg. Schröder meldete 2003 auf der Mitgliederversammlung des Europäischen Chemie-Verbandes CEFIC Vollzug und dankte dem Industrie-Kommissar Erkki Liikanen für seine Obstruktionspolitik. „Die Kommission hat einen ersten Entwurf des neuen Zulassungsverfahrens für chemische Stoffe Anfang Mai veröffentlicht. Wenn ich das mit dem vergleiche, was ursprünglich gewollt und in Form von Büchern auf dem Tisch lag, hat sich ihre Arbeit, Herr Liikanen, gelohnt“, führte der Bundeskanzler aus und lobte den Finnen dafür, „dass industrie-politisches Denken mehr als früher Gegenstand von Kommissionsarbeit geworden ist“. Mehr als früher, aber noch lange nicht genug, befand Wolfgang Clements Staatssekretär Georg Wilhelm Adamowitsch: „Die Industrie-Politik hat in der EU kein eigenes politisches Standbein“. Eigentlich sollte die von den MinisterpräsidentInnen im März 2000 beschlossene „Lissabon-Strategie“ ihr eines verschaffen. Die PolitikerInnen wollten aus Europa mit dieser Richtschnur bis zum Jahr 2010 „die wettbewerbsfähigste wissensgestützte Wirtschaft der Welt“ machen. Aber mit Chemie-Gesetzen und anderen nicht zum imperialen Kerngeschäft gehörenden Aktivitäten rückt dieses Ziel in weite Ferne, urteilten die Industrie-PolitikerInnen.
Adamowitsch setzte sich flugs daran, den Abstand zu verringern. Er führte Geheim-Gespräche mit französischen und britischen RegierungsvertreterInnen und schmiedete die „Koalition der Industrie-Länder“. Dabei handelt es sich um ein Übereinkommen der wirtschaftlich leistungsfähigsten EU-Staaten, die Interessen von „nationalen Champions“ wie BAYER künftig noch stärker zu berücksichtigen. Unter anderem trat die Koalition dafür ein, in Zukunft jedes EU-Gesetz einer Art Wirtschaftsverträglichkeitsprüfung zu unterziehen.
Der Brüsseler Lobby-Verband von BAYER & Co., der „European Roundtable of Industrialists“ (ERT) witterte Morgenluft. BAYER-Aufsichtsrat Manfred Schneider und die anderen Mitglieder, die sich durch „Zugang zu höchsten Regierungsmitgliedern“ ihr Entrée in den exklusiven Club verschafft haben, schrieben im Februar 2004 zum Frühjahrsgipfel der EU einen Brief an den Ratsvorsitzenden Bertie Ahern. Daran gaben sie ihrer „tiefen Sorge über die fortgesetzte Aushöhlung der europäischen Wettbewerbsfähigkeit Ausdruck“ und verlangten als Muntermacher einen EU-Kommissar, „der sich exklusiv um alle Aspekte einer zum Wachstum führenden Industrie-Strategie kümmert“. Schröder schloss sich dem Begehr nach einem Super-Kommissar postwendend an. Er wusste sogar schon einen geeigneten Kandidaten für das Amt: Günter Verheugen.
All diese industrie-politischen Wünsche erfüllten sich mit der neuen Kommission. Präsident José Manuel Durão Barroso erklärte das Vorantreiben der Lissabon-Strategie zum höchsten Ziel seiner Regierungsmannschaft. Als sein Stellvertreter bei der Koordination des Vorhabens fungiert der von Schröder auserkorene Super-Kommissar Günter Verheugen. Formell hat er zwar nicht mehr Rechte als seine KollegInnen, weil das gegen geltende EU-Gesetze verstoßen hätte, aber es handle sich doch um eine „ganz herausgehobene Position“, freute sich der Kanzler und mit ihm DGB-Chef Michael Sommer und der „Bundesverband der Deutschen Industrie“ (BDI). Bei der Anhörung durch das EU-Parlament ließ Verheugen keinen Zweifel an seiner Amtsauffassung. Die Kommission werde sämtliche Instrumente einsetzen, um allen Unternehmen so günstige Rahmenbedingungen zu schaffen, dass sie auf dem Weltmarkt mithalten können„, führte er aus. Über viele dieser Instrumente verfügt der Industrie-Kommissar selber. Ihm obliegt es, den Primat der Ökonomie durchzusetzen. Er kann alle Gesetzes-Entwürfe auf ihre Wirtschaftsverträglichkeit hin prüfen und gegebenenfalls ein Veto einlegen. Bei der Chemikalien-Verordnung liegt es sogar komplett in seiner Hand, solche Zweifel gar nicht erst aufkommen zu lassen. Verheugen – und nicht etwa der Umweltkommissar – organisiert nämlich die Umsetzung, schließlich verdankt er der Auseinandersetzung um die Regelung seinen Arbeitsplatz.
Der Umweltausschuss-Vorsitzende Karl-Heinz Florenz (CDU) dürfte Verheugens Arbeit tatkräftig unterstützen. Er entstammt BAYERs Homeland Nordrhein-Westfalen und geht beim Konzern ein und aus. Als die BAYER-Abteilung “Gouvermental & Product Affairs„ (GPA) in Straßburg zu einem “Parlamentarischen Abend„ lud, machte er dem Gastgeber viel Freude und trat für eine Maximal-Lösung in Sachen “Chemie-Gesetz„ ein. “Bei der weiteren Diskussion ist es mit einem bloßen Drehen an den Stellschrauben nicht getan – diese Verordnung muss komplett überarbeitet werden„, ereiferte sich Florenz.
Widerstand gegen diese konzertierte Aktion ist von Seiten des Umwelt-Kommissars nicht zu erwarten. Margot Wallström wurde auf das VizepräsidentInnen-Amt weggelobt, und ihr von der Faz als wirtschaftsnah bezeichneter Nachfolger Stavros Dimas sieht sich ihrem chemie-kritischen Kurs nicht verpflichtet. “Für die wirtschaftliche Reform-Orientierung der Kommission spricht auch die Besetzung des Umwelt-Ressorts„, urteilt die Zeitung deshalb. Für diese “Reform-Orientierung„ sprechen die anderen personal-politischen Entscheidungen ebenfalls. Die Niederländerin Neelie Kroes-Smit empfahl sich durch zwei Dutzend Aufsichtsratsmandate, BeraterInnen-Verträge und die Verwicklung in einen Umwelt-Skandal für den Job der Wettbewerbskommissarin und Peter Mandelson durch die Neoliberalisierung der Labour-Party in Tateinheit mit Tony Blair für den des Außenhandelskommissars. Dem Binnenmarkt-Kommissar Charlie McCreevy eilt der Ruf eines “keltischen Thatchers„ voraus und der Spanier Joaquín Almunia führte sich durch sein Eintreten für weitere Sozial- und Renten-Reformen bestens in die Kommissarsrunde ein. Nur die härtesten Fälle, den katholischen Fundamentalisten Rocco Buttiglione und die ihre Karriere der Öl-Industrie verdankende und mit ihrer Partei in einen Spenden-Skandal verwickelte Lettin Ingrida Udre akzeptierte das Straßburger Parlament nicht. Die Vereinigte Linke stimmte gegen die Borroso-Kommission, weil sie noch mehr als die vorherige dem “Kult des Marktes„ erliege, die Grünen schlossen sich an.
Aber am neoliberalen Kurs Europas ändert das alles nichts. Seit einiger Zeit weisen alle Signale in diese Richtung. Der im September veröffentlichte Arbeitsmarkt-Report plädierte für eine Flexibilisierung der europäischen Arbeitsmärkte und für Privatisierungen im Dienstleistungsbereich, wofür die nach dem bisherigen Binnenmarkt-Kommissar benannte “Bolkenstein-Richtlinie„ dann die EU-weiten Rahmenbedingungen liefern will. Erwartungsgemäß empfahl auch die zur Evaluierung des bisher mit der Lissabon-Strategie Erreichten eingesetzte Kok-Kommission den Ausverkauf von Wasser- und Stromversorgung sowie Telekommunikations- und Verkehrsangeboten. Nur durch Kraft-Anstrengungen wie diese könne Europa, dem es am “richtigen Klima für Unternehmer„ fehle, die hochgesteckten Ziele noch erreichen, konstatierte die Riege um den früheren holländischen Ministerpräsidenten Wim Kok. Über ihre Vorschläge zur Neuausrichtung des Lissabon-Projekts, das die bundesdeutsche Monopol-Kommission wegen ihres aggressiven Charakters als tief in “militärischen Denk-Tradition„ stehend geißelte, beraten die europäischen Ministerpräsidenten bei einem Treffen im März.
Wegen dieses Fundamental-Ökonomismus‘ macht ATTAC die EU als treibende Kraft der neoliberalen Globalisierungsmaschinerie aus. Die französische Sektion des Netzwerkes hat deshalb gemeinsam mit CORPORATE WATCH, CEO, der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) und anderen Gruppen einen Offenen Brief an Kommissionspräsident Borroso geschrieben. Darin protestierten die Initiativen gegen die zunehmend industrie-freundliche Ausrichtung der EU-Politik und den wachsenden Einfluss der Lobby-Verbände von BAYER & Co. “Immer öfter setzen sich Partikular-Interessen einzelner Industrie-Zweige gegenüber dem Allgemeinwohl durch – dies ist mit demokratischen Prinzipien nicht zu vereinbaren. So wurde auf Druck der deutschen Chemie-Industrie die ursprünglich ambitionierte Reform der EU-Chemikalien-Gesetzgebung vollkommen verwässert„, kritisierte CBG-Geschäftsführer Philipp Mimkes in dem Schreiben. Der Offene Brief dürfte nicht die letzte Aktion gegen das “Europa der Konzerne“ gewesen sein.