Die CBG auf der BAYER-Hauptversammlung
Zwölf Gegenreden zu seiner goldenen Bilanz musste der BAYER-Konzern in der virtuellen Hauptversammlung entgegennehmen. Von Glyphosat und anderen Pestiziden über Gentechnik und schädliche Medikamente bis hin zur IG-FARBEN-Vergangenheit reichten die Themen der Einsprüche. Sendeplatz für Profit-Predigten blieb da kaum noch.
Von Jan Pehrke
Selbst in post-pandemischen Zeiten floh BAYER mit der Hauptversammlung wieder ins Internet. Der Leverkusener Multi wollte sich erneut nicht direkt mit MenschenrechtlerInnen, Bio-LandwirtInnen, Medikamenten-Geschädigten und StreiterInnen für eine Agrarwende konfrontieren. Er erlaubte es den RednerInnen lediglich, sich von ihren heimischen Computern aus zuzuschalten. Dazu mussten sie über das AktionärInnen-Portal gehen. Dieses erwies sich allerdings als Türhüter, vor dem manche ebenso verzweifelt standen wie der Josef K. aus Kafkas „Der Prozess“. Und das war auch Sinn der Übung. Zwölf Wackere jedoch kamen durch und praktizierten Aktivismus im Homeoffice, um BAYERs Geschäftsbilanz eine Schadensbilanz gegenüberzustellen.
Damit beherrschten Beiträge zu den katastrophalen Folgen der gnadenlosen Profit-Jagd den Ablauf der Veranstaltung. Für den Überhang sorgten neben den CBG-Mitgliedern VertreterInnen von FOODWATCH, PARENTS FOR FUTURE, der AURELIA-STIFTUNG, dem NETZWERK GERECHTER WELTHANDEL, der GESELLSCHAFT FÜR BEDROHTE VÖLKER, dem PESTIZID AKTIONS-NETZWERK, dem MARCH AGAINST BAYER & SYNGENTA und dem BUND DER DUOGYNONGESCHÄDIGTEN.
Die Causa „Glyphosat“
Das Symbol im BAYER-Portfolio für ein Gewinnstreben auf Kosten von Mensch, Tier und Umwelt ist seit geraumer Zeit Glyphosat. Dementsprechend viel Raum nahm das Herbizid an diesem Tag ein. Die prominenteste Intervention kam dabei von der kanadischen Schriftstellerin Margaret Atwood, welche die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) für ein Statement gewinnen konnte. „Hallo. Mein Name ist Margaret Atwood. Ich bin Schriftstellerin und schreibe schon seit langem über Umweltthemen. Ich fordere die Aktionäre auf, dafür zu stimmen, dass BAYER die Produktion von ROUNDUP einstellt und alle BAYER-Produkte, die Glyphosat in ihrer Formel enthalten, vom Markt nimmt“, hieß es in ihrer von CBG-Geschäftsführer Marius Stelzmann verlesenen Einlassung. „Es hat Auswirkungen auf Ihre Leber, Ihre Nieren, Ihren Verdauungstrakt, Ihre Fruchtbarkeit und Ihre Wahrscheinlichkeit, Krebs zu bekommen. Und es schädigt das Leben unzähliger Tiere und Pflanzen auf der ganzen Welt“, führte Atwood zur Begründung aus.
Marco Jenni vom MARCH AGAINST BAYER & SYNGENTA legte dar, was Glyphosat in Argentinien anrichtet. Er brachte den BAYER-AktionärInnen zu Gehör, wie ein argentinischer Aktivist der ALIANZA BIODIVERSIDAD ihm die Lage vor Ort schilderte: „Er berichtet, dass die Krebserkrankungen in Argentinien, besonders bei Bäuerinnen und LandarbeiterInnen, deutlich zunehmen“. Und das sei auch kein Wunder, so Jenni: „Argentinien ist mit 200 Millionen Litern Glyphosat, die pro Jahr versprüht werden, das Land mit dem höchsten Glyphosat-Verbrauch pro Einwohner weltweit. Und das hat leider messbare Auswirkungen. Es wurde in verschiedenen Studien vor Ort eine Verdoppelung oder sogar Verdreifachung des Krebs-Risikos bei der Landbevölkerung von Argentinien festgestellt.“
CBG-Geschäftsführer Marius Stelzmann widmete sich ebenfalls dem Glyphosat-Tatort Lateinamerika und zählte im Anschluss noch weitere Risiken und Nebenwirkungen auf. „Da Glyphosat auch wie ein Antibiotikum wirkt, schwächt das Mittel das Mikrobiom von Menschen und von Nutztieren. Darüber hinaus schädigt das Herbizid die Artenvielfalt“, konstatierte Stelzmann. Ludwig Essig vom NETZWERK GERECHTER WELTHANDEL nannte hier konkret die verheerenden Effekte auf Bestäuber, „auf die wir für die Erzeugung unserer Nahrungsmittel ja unbedingt angewiesen sind“. „Das Geschäftsmodell BAYERs beruht auf einer veralteten und rücksichtslosen Geschäftspraxis“, resümierte er.
Verheerende Effekte auf Bestäuber üben auch andere Pestizide aus dem Hause BAYER aus. Matthias Wolfschmidt von der AURELIA STIFTUNG führte in seiner Rede CONFIDOR und GAUCHO aus der Gruppe der Neonicotinoide an. Und als Zeugen der Anklage zitierte er niemand anderen als BAYERs Nachhaltigkeitsbeauftragten Dr. Klaus Kunz höchstpersönlich: „Die Leute sagten, unsere Produkte seien schädlich für Bienen, und unsere Botschaft lautete: ‚Unsere Produkte sind sicher für die Umwelt, wenn sie gemäß den Anweisungen auf dem Etikett angewendet werden‘ (…) Aber wenn man darüber nachdenkt – ein Insektizid ist sicher für die Umwelt – ist das ein Witz. Es ist so konzipiert, dass es nicht sicher für die Umwelt ist.“
Peter Clausing vom PESTIZID AKTIONS-NETZWERK (PAN) widmete sich dem Wirkstoff Thiacloprid, der Mensch und Umwelt gleichermaßen gefährdet, weil er reproduktionstoxisch und wasser-schädigend ist. Der CBGler Gottfried Arnold schließlich ging auf eine ganze Gruppe von Substanzen ein, die sogenannten PFAS, die auch in Pestiziden ihr Unwesen treiben. Dort sorgen sie als Zusatzstoff für die feine Verteilung der Ackergifte beim Spritzen. Die PFAS sorgen Arnold zufolge jedoch noch für etwas ganz anderes: „Leider sind PFAS aber auch kaum abbaubar und daher Ewigkeits-chemikalien, die sich immer mehr in der Umwelt, in Pflanzen, Tieren und in den Menschen ansammeln.“ Und dort blieben die Chemikalien nicht untätig, so könnten sie beispielsweise Krebs auslösen, erläuterte der Kinderarzt im Ruhestand.
Ein Eintragsweg für Glyphosat & Co. ist die Nahrung, wie Annemarie Botzki von FOODWATCH ausführte: „Ich spreche hier für all jene Verbraucherinnen und Verbraucher, die sich um die Auswirkungen von Ackergiften auf ihren Tomaten und Äpfeln sorgen. Doch lassen Sie mich betonen: Es geht um viel mehr als nur um Pestizid-Rückstände auf Obst.“ Sie zählte jedoch nicht nur zusätzlich Weizenmehl, Brot und Müsli auf, sondern prophezeite eine veritable Lebensmittelkrise, wenn die Pestizide die Bestände bestäubender Insekten weiterhin so krass lichten, wie sie es im Moment tun.
Doppelte Standards
Aber nicht nur die einzelnen Produkte, sondern die ganze politische Ökonomie des Pestizid-Geschäfts stand an diesem Tag auf der Tagesordnung. Gleich mehrere RednerInnen kritisierten die Praxis BAYERs, innerhalb der EU wegen ihrer Gefährlichkeit nicht (mehr) erlaubte Ackergifte in anderen Ländern weiter zu vermarkten. „Wir sagen, Verantwortung fängt beim Export an. BAYER exportiert einen Großteil dieser Wirkstoffe, die auch HHPs – hochschädliche Pestizide – genannt werden, und viele davon sind in der EU nicht zugelassen“, hielt Regina Sonk von der GESELLSCHAFT FÜR BEDROHTE VÖLKER (GfbV) fest. In ihrem Beitrag griff sie als Beispiel Brasilien auf und führte offizielle Statistiken an, wonach sich im Trinkwasser von über 1.300 Städten Ackergift-Rückstände befinden. Unter dieser Überdosis Chemie leiden nach Darstellung der Aktivistin besonders die indigenen Gemeinschaften. „Jeden Tag sterben wir Stück für Stück in unserem Dorf. Denn all diese Wirkstoffe sind in unseren Flüssen und Böden“, mit diesen Worten zitierte Sonk einen Dorfältesten. Anfang Februar hatte die GfbV das Gespräch mit dem Konzern über die Lage in Brasilien gesucht und ihm dabei auch konkrete Vergiftungsfälle präsentiert. Das Unternehmen versprach, diesen nachzugehen, ließ dann aber nichts mehr von sich hören. „Bisher bekamen wir keine Antwort“, so Sonk.
Peter Clausing und Ludwig Essig thematisierten die doppelten Standards ebenfalls. Essig band diese in den größeren Kontext der Außenwirtschaftspolitik ein, für dessen global gerechte, faire und nachhaltige Gestaltung er sich als Koordinator des NETZWERKS GERECHTER WELTHANDEL einsetzt. Und im Moment ist hier viel Einsatz gefragt. Die EU treibt nämlich die Unterzeichnung des Mercosur-Abkommens mit den Staaten Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay voran, das die Ungleichgewichte zu verschärfen droht. BAYER hingegen profitiert laut Essig von der Vereinbarung z. B. durch den Wegfall vieler Zölle auf Pharmazeutika und Chemie-Produkte und lobbyiert dementsprechend kräftig für den Deal.
Aus all diesen Gründen forderten die RednerInnen eine radikale Kehrtwende vom Leverkusener Multi. „Nur mit einem kompletten Pestizid-Ausstieg können wir unsere Lebensgrundlagen wie frisches Wasser, gesunde Böden und Bestäuber dauerhaft schützen“, konstatierte Annemarie Botzki, und Matthias Wolfschmidt pflichtete ihr bei: Zukunftsfähig kann der BAYER-Konzern nur sein, wenn er umweltschädigende Geschäftspraktiken aufgibt und sich von sämtlichen chemisch-synthetischen Pestiziden verabschiedet.“
BAYER wiegelt ab
Aber die ManagerInnen-Riege zeigte sich uneinsichtig. „Glyphosat ist ein wichtiger Baustein für Landwirte weltweit zur effizienten Unkraut-Bekämpfung. Produkte auf Basis dieses Wirkstoffs sind bei sachgemäßer Anwendung – wie bereits mehrfach erwähnt – sicher. Glyphosat wird weiterhin eine wichtige Rolle in der globalen Landwirtschaft und der Produkt-Palette von BAYER spielen“, betonte BAYER-Chef Werner Baumann. Und den materiellen Beweis dafür trat er auch gleich an: Die Erschließung einer Mine zur Gewinnung des Glyphosat-Vorprodukts Phosphorit war nach seinem Bekunden die größte Investition des Konzerns im Geschäftsjahr 2022 dar. Zu Thiacloprid stand der Vorstandsvorsitzende ebenfalls in Treue fest. „Produkte mit dem Wirkstoff Thiacloprid sind für viele Landwirte weltweit wichtig, um ihre Ernten vor Schädlinge zu schützen. Es gibt zu Thiacloprid derzeit keine wirksamen Alternativen.“ Und Unbedenklichkeitsbescheinigungen stellte er auch gleich allen anderen Pestiziden aus: „Bevor Pflanzenschutzmittel auf den Markt gebracht werden können, muss nachgewiesen werden, dass diese (…) für Menschen unschädlich sind und die Umwelt keinem unvertretbaren Risiko ausgesetzt wird.“ Darum muss es seiner Meinung nach auch andere Gründe für das Artensterben geben als die chemischen Keulen auf den Feldern. Die verstärkte Landnutzung, der Klimawandel und die Umweltverschmutzung fiel ihm da ein.
Andere Länder, andere Sitten
Die Existenz von doppelten Standards stritt Baumann ebenfalls ab. „Allein die Tatsache, dass ein Pflanzenschutzmittel nicht in der EU zugelassen ist, sagt nichts über seine Sicherheit aus. Auch viele andere Zulassungsbehörden aus der ganzen Welt verfügen über robuste und hochentwickelte Regulierungssysteme zum Schutz der menschlichen Gesundheit und der Umwelt“, beschied er Ludwig Essig. Zudem gebe es im globalen Süden andere klimatische Bedingungen und „einen höheren Schädlingsdruck“ Andere Länder, andere Sitten – darauf brach der Manager es herunter. Und von diesen „kleinen“ Unterschieden möchte der Konzern gern noch mehr profitieren, „weshalb wir uns für eine Unterzeichnung des EU-Mercosur-Abkommens aussprechen“. Den Worten folgen selbstverständlich auch Taten. „BAYER hat in Berlin, Brüssel und beispielsweise auch in Brasilien im Rahmen seiner Verbandsmitgliedschaften an zahlreichen Treffen teilgenommen, bei denen das EU-Mercosur-Abkommen angesprochen worden ist. In Brüssel fanden darüber hinaus beispielsweise Gespräche mit der GD Trade [Generaldirektion Handel, Anm. CBG] und der GD Agri [Generaldirektion Agrar, Anm. CBG] statt“, plauderte Baumann aus dem Nähkästchen.
Bernd Rodekohr von der AURELIA STIFTUNG brachte einen anderen Bestandteil der agro-industriellen Landwirtschaft zur Sprache: das Genome Editing als neueste Spielart der Gentechnik. Hierbei kommen Gen-Scheren wie CRISPR-Cas9 zum Einsatz, die das Erbgut angeblich genau an einer vorgegebenen Stelle auftrennen können, um es dann „umzuschreiben“ oder neue, im Labor hergestellte DNA-Stränge einzufügen. Ohne Reibungsverluste geht das nicht ab, so Rodekohr: „Das ‚Bundesamt für Naturschutz’ warnt, dass Genome Editing anders als klassische Züchtung auch geschützte Bereiche des Genoms für mehrfache und parallele Veränderungen zugänglich macht. Pflanzen aus neuer Gentechnik würden möglicherweise ein größeres Risiko-Potenzial aufweisen als Pflanzen aus alter Gentechnik.“ Er verwies zudem auf eine Studie der Universität Zürich, wonach genom-editierte Ackerfrüchte das Potenzial haben, die Stoffwechsel- und Signalwege von Bestäubern zu stören. Damit nicht genug, erlauben es die Patent-Regelungen den Konzernen, sich im Zuge der Arbeiten an CRISPR-Cas9 & Co. auch ganz natürliche Pflanzeneigenschaften als geistiges Eigentum schützen zu lassen, was züchterischen Fortschritt massiv behindert. Kleinere, konventionell arbeitende Betriebe müssen so nämlich immer mit Patentverletzungsklagen von Seiten der Agro-Riesen rechnen. Darum wollte Rodekohr wissen, wie der Leverkusener Multi zur Forderung des „Bundesverbandes Deutscher Pflanzenschützer“ steht, keine Schutzrechte auf solche Pflanzen-Charakteristika zu erteilen.
Finanzvorstand Wolfgang Nickel aber leugnete den Tatbestand schlicht: „Pflanzen-bezogene Erfindungen sind nur dann patentierbar, wenn sie die Patent-Kriterien ‚Neuheit’, ‚erfinderische Tätigkeit’, ‚Reproduzierbarkeit’ und ‚gewerbliche Anwendbarkeit’ erfüllen.“ Risiken und Nebenwirkungen von Genpflanzen stellte er ebenfalls in Abrede. „Bei Cropscience überprüfen wir während der Entwicklungsphase alle unsere Produkte im behördlich vorgeschriebenen und internationalen standardisierten Test-Verfahren auf ihre Sicherheit für Anwender, die Umwelt und auch die Konsumenten“, bekundete er. Ohne Wenn und Aber bekannte Nickel sich deshalb zu den umstrittenen Praktiken: „Die klassische Gentechnik sowie neue Züchtungsmethoden sind essenziell, um eine wachsende Weltbevölkerung ernähren zu können.“
Auf eine andere Nebenwirkung der Agrochemie-Fertigung – sie produziert bei BAYER deutlich mehr Treibhausgas-Emissionen als die Pharma-Sparte – kam Alice Werner von den PARENTS FOR FUTURE Leverkusen zu sprechen: die Gefährdung des Klimas. „Schonung der Ressourcen und Klimaneutralität muss (…) das wichtigste Ziel aller Unternehmen sein. Wo dies nicht möglich ist, müssen die Unternehmen ihre Tätigkeit drosseln und sich transformieren. Das erwarten wir auch von der BAYER AG“, erklärte Werner. Unverändert hoher Güter-Transport, Energie- und Grundwasser-Verbrauch seien heutzutage nicht mehr zu verantworten, meinte sie. Darum redete die Leverkusenerin den ManagerInnen ins Gewissen: „Meine Damen und Herren, bitte nehmen Sie ihre Verantwortung ernst! Der größte Teil der einfachen Bevölkerung hat nur recht begrenzte Möglichkeiten, um zur Problem-Lösung beizutragen. Weitaus umfassendere Möglichkeiten und damit auch Verantwortung hat da ein Unternehmen wie die BAYER AG, die weltweit tätig ist.“
Verantwortung Fehlanzeige
Eine solche Übernahme von Verantwortung verlangte Margret-Rose Pyka dem Konzern auch in Sachen „DUOGYNON“ ab. Dieser hormonelle Schwangerschaftstest der heute zu BAYER gehörenden Firma SCHERING hat nämlich ab den 1950er Jahren zu tausenden Totgeburten geführt. Darüber hinaus kamen durch das Medizin-Produkt bis zum Vermarktungsstopp Anfang der 1980er Jahre unzählige Kinder mit schweren Fehlbildungen zur Welt. „Man kann (…) Eltern am stärksten treffen, wenn man das Kind trifft. Und unsere Kinder wurden getroffen. Die sind heute nicht mehr klein, sondern sie leben ihr Leben und zwar mehr oder weniger diejenigen, die überlebt haben (…) mit unendlichen Leiden auf dieser Welt, mit teilweise multiplen Behinderungen“, legte Pyka dar. Bereits seit 1953 war es ihr zufolge bekannt, dass die Inhaltsstoffe der DUOGYNON-Dragees auf die DNA wirken und Missbildungen hervorrufen können. „Es war also unverantwortlich damals, dieses Produkt nicht vom Markt zu nehmen“, resümierte Pyka und fragte: „Wann werden Sie auf die Opfer zugehen und werden ihnen endlich eine angemessene Entschädigung zahlen?“
Der Pharma-Riese aber hatte wieder nur den Standard-Satz parat: „BAYER schließt DUOGYNON nach wie vor als Ursache für embryonale Missbildungen aus.“ Jan Pehrke von der Coordination präsentierte mit dem Langzeit-Verhütungsmittel ESSURE ein neueres Produkt der Abteilung „Frauengesundheit“ mit fatalen Folgen. Er begnügte sich damit jedoch nicht, sondern legte eine umfassende Schadensbilanz vor. Als Posten auf seiner Liste tauchten unter anderem die Substanzen PCB und Asbest sowie die Pestizid-Wirkstoffe Dicamba, Clothianidin, Imidacloprid und last not least Glyphosat auf. Letzteres sorgt für einen Gutteil von BAYERs Treibhausgas-Emissionen, denn neben allem anderen ist das Herbizid wegen des energie-intensiven Herstellungsprozesses auch ein veritabler Klima-Killer. „Plant BAYER an den Glyphosat-Standorten Soda Springs und Luling Investitionen in klima-freundlichere Technologien?“, fragte Pehrke deshalb, bevor er sich die Öko-Bilanz für 2022 im Ganzen vornahm. Nichts ist da im grünen Bereich, überall nur steigende Stoffeinträge in die Umwelt, von Anorganischen Salzen über Schwefeloxide bis hin zu Schwermetallen, lautete sein Fazit. All das führte der kritische Aktionär schließlich auf eine einzige Ursache zurück: Das Profitsystem. Dieses zeigte sich auch in Kriegszeiten voll funktionsfähig. „Zu einem guten Teil stieg der Umsatz nicht trotz des Krieges um 8,7 Prozent auf 50,7 Milliarden Euro, sondern gerade wegen des Krieges. BAYER profitierte nämlich von Mangellage auf dem Nahrungsmittel-Sektor und den steigenden Preisen für Lebensmittel“, kritisierte Pehrke. Seine ManagerInnen belohnte das Unternehmen fürstlich für diese Krisen-Renditen. Allein Baumann erhält 7,8 Millionen Euro. Das ist 93 Mal so viel, wie Tarifbeschäftigte beim Konzern durchschnittlich verdienen, erboste sich das CBG-Vorstandsmitglied.
„[E]ine in sich konsistente Abstandslogik“, befand hingegen der Aufsichtsratsvorsitzende Norbert Winkeljohann. Der Vorstandsvorsitzende Werner Baumann verteidigte indes BAYERs Abgabenlogik und beantwortete die Frage des CBGlers, ob der Konzern bereit wäre, für seine Riesen-Profite eine Übergewinn-Steuer zu zahlen, abschlägig. Zum Klima-Komplex hatte er sich schon in seiner Antwort auf die Rede von Alice Werner geäußert. Der Konzernchef bekannte sich da zum Pariser Klimaschutz-Abkommen, führte die unternehmensinternen Reduktionsziele auf und sah den Global Player diesbezüglich auf einem guten Weg. Pehrke gegenüber kündigte er nun Sanierungsmaßnahmen an den Glyphosat-Standorten Soda Springs und Luling an. Die Coordination hatte das auf den zurückliegenden Hauptversammlungen immer wieder angemahnt und wird die Entwicklungen vor Ort jetzt genau beobachten.
CBG-Geschäftsführer Marius Stelzmann verlängerte die umfassende Perspektive seines Kollegen sogar bis in die Vergangenheit. Er beschäftigte sich mit der Ankündigung des Leverkusener Multis, seine Nazi-Geschichte aufzuarbeiten und eine neue Stiftung mit der Aufgabe zu betrauen, sich dem von BAYER mitgegründeten Mörder-Unternehmen I.G. FARBEN zu widmen. „Nach Ansicht der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN ist dieser Schritt fast 80 Jahre nach dem Nationalsozialismus mehr als überfällig“, konstatierte Stelzmann. Er fordert allerdings einen Lackmus-Test für die Glaubwürdigkeit des Unterfangens ein: „Um die Ehrlichkeit des BAYER-Vorhabens unter Beweis zu stellen, muss der Konzern sich zu allererst öffentlich bei allen Opfern der I.G.-FARBEN-Verbrechen bzw. deren Hinterbliebenen entschuldigen und die gerechte Entschädigung der betroffenen Familien sicherstellen. Bisher hat BAYER das stets abgelehnt. Die heutige Hauptversammlung wäre der richtige Ort, wo dies stattfinden könnte“.
Werner Baumann wich allerdings aus und bekannte sich nur allgemein zur Verantwortung BAYERs. „Herr Stelzmann – Sie fragten, ob wir uns bei den Hinterbliebenen der Opfer der I.G.-FARBEN entschuldigen und diese entschädigen wollen. Die Frage eines verantwortungsvollen Umgangs mit der eigenen Vergangenheit, bei dem wir uns besonders mit dem Erbe der I.G. FARBEN befassen, bleibt jederzeit aktuell. Als verantwortungsvolle globale Akteure sind wir es den Opfern und ihren Nachfahren schuldig, uns unserer Geschichte zu stellen“, entgegnet er und stellte dann die „Hans und Berthold Finkelstein Stiftung“ als Fundament für solch ein „selbstkritisches Gedenken“ vor.
Auf Drängen der Konzern-KritikerInnen musste der BAYER-Vorstand also bis tief in die Vergangenheit absteigen und sein Zahlenwerk dafür beiseite legen. Nicht weniger als zwölf Mal musste er sich zum Abschluss der Gegenreden die Aufforderung an seine AktionärInnen anhören: Darum bitte ich Sie, Vorstand und Aufsichtsrat nicht zu entlasten und stattdessen für die Gegenanträge der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN zu stimmen. Und so ganz ohne Gewicht waren diese nicht. Aktien im Wert von rund zwei Millionen Euro warf die CBG in die Waagschale, weil kritische AktionärInnen ihr die Stimmrechte übertragen hatten. So konnte sie dann an dem Tag selbst bei den Zahlen punkten.
Abstimmungsergebnisse
Abstimmungen auf Hauptversammlungen der Konzerne werden bestimmt von dem Block der ca. ein Prozent GroßaktionärInnen. Entsprechend beachtlich ist die Anzahl der NEIN-Stimmen.
Die Kritischen AktionärInnen der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) stimmen bei allen Tagesordnungspunkten mit NEIN und fordern die anderen AktionärInnen auf, dies ebenfalls zu tun. Der Erfolg dieser Anträge wird deutlich an den Gegenstimmen zu den Anträgen des Vorstands. Die Nein-Stimmen und Enthaltungen bei ca. 600 Mio. anwesenden Aktien wie folgt:
Gewinnverwendung
Die CBG hat vorgeschlagen, die Gewinnausschüttung auf NULL Euro zu senken. Da das gesetzlich nicht möglich ist, hat sie empfohlen, nur zehn Cent auszuschütten und die Gewinne stattdessen für BAYER-Geschädigte. Da zunächst der Gewinnvorschlags des Vorstands beraten wurde, forderte die CBG alle AktionärInnen auf, mit NEIN zu stimmen.
Nein-Stimmen 1,7 Mio. 0,27 %
Enthaltungen 2,2 Mio. 0,36 %
Summe 3,9 Mio. 0,63 %
Entlastung Vorstand
Die CBG hat vorgeschlagen, die Mitglieder des Vorstands nicht zu entlasten, weil sie verantwortlich sind für Verbrechen an Mensch und Umwelt, für Profitgier und Ausbeutung. Da zunächst der Vorschlag des Vorstands auf Entlastung beraten wurde, forderte die CBG alle AktionärInnen auf, mit NEIN zu stimmen.
Nein-Stimmen 25,8 Mio. 4,2 %
Enthaltungen 4,5 Mio. 0,7 %
Summe 30,3 Mio. 4,9 %
Entlastung Aufsichtsrat
Die CBG hat vorgeschlagen, die Mitglieder des Aufsichtsrats nicht zu entlasten, weil sie verantwortlich sind für Verbrechen an Mensch und Umwelt, für Profitgier und Ausbeutung. Da zunächst der Vorschlag des Vorstands auf Entlastung beraten wurde, forderte die CBG alle AktionärInnen auf, mit NEIN zu stimmen.
Nein-Stimmen 34,0 Mio. 5,6 %
Enthaltungen 24,1 Mio. 4,0 %
Summe 58,1 Mio. 9,6 %
Vorstandsgehälter
Die meisten Gegenstimmen kassierte BAYER bei dem Vorschlag zur maßlosen Vergütung der Vorstände.
Nein-Stimmen 241,0 Mio. 39,6 %
Enthaltungen 102,0 Mio. 16,8 %
Summe 343,0 Mio. 56,4 %
Virtuelle HVs
Bei dem Tagesordungspunkt „Ermächtigung des Vorstandes zur Abhaltung virtueller Hauptversammlungen“ gab es ebenfalls viele ablehnende Voten.
Nein-Stimmen 124,0 Mio. 20,3 %
Enthaltungen 18,0 Mio. 3,0 %
Summe 142,0 Mio. 23,3 %