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Kontrazeptiva

CBG Redaktion

Tages-Anzeiger (Schweiz), 18. Februar 2010

Pille „natürlich“, Risiko unbekannt

Die Pharmaindustrie preist die „Natürlichkeit“ einer neue Antibabypille. Risiken, die der neuartige Stoff birgt, sind ihr im Detail „nicht bekannt“. Jungen Frauen verkauft sie das Produkt mit Lifestyle-Argumenten.

„Harmony“ heisst der Schmusesong Samantha Heards. Aufgenommen hat die Londoner Sängerin ihr Lied, um „eine revolutionäre neue Verhütungspille namens Qlaira zu promoten“. Im Internet freut sich Heard, die Pille bald auszuprobieren. Qlaira habe vielleicht weniger Nebeneffekte „wie Gewichtszunahme, Depressionen, Stimmungsschwankungen verrückter Frauen“, und sei Teil eines „grünen Lebenswegs“ sowie „einer Reise zu besserer Gesundheit“. Herunterladen lässt sich „Harmony“ auf der Homepage von Bayer Schering. Der deutsche Qlaira-Hersteller verspricht ein „gutes Feeling zum Mithören und Mitsingen“.
Harmonie verheisst Bayer auch dank seiner „neuen Klasse der Verhütungsmittel“, „angepasst an den natürlichen Zyklus der Frau“. Herausgestrichen wird einer der Qlaira-Wirkstoffe: das „natürliche Östrogen“. Die Substanz ersetzt das in den allermeisten Pillen verwendete Ethinylestradiol. Medien feiern Qlaira als „Alternative zur hormonellen Verhütung“, „komplett ohne Chemie“. Die Propagierung der „Natürlichkeit“ Qlairas löst Kritik aus. Ein „Marketinggag“ sei das, schreibt das pharmakritische Arznei-Telegramm.

Effekt sei entscheidend
Bayer weist „diese Behauptung“ zurück. Qlaira enthalte als erste Antibabypille „dasselbe Östrogen, das im weiblichen Körper produziert wird“. Für Stephan Krähenbühl, der die Abteilung Klinische Pharmakologie des Universitätsspitals Basel leitet, ist die „Natürlichkeit“ der Wirkstoffe nicht von grosser Bedeutung: „Entscheidend ist der Effekt, unabhängig davon, ob die Substanz natürlich ist.“ Bayer pries bereits seine älteren Antibabypillen mit schwer nachweisbaren Versprechen an: Yasmin, Yaz und Yasminelle verhinderten Akne und eine Gewichtszunahme.
Dank diesen Produkten ist Bayer auch in der Schweiz der Marktführer in der chemischen Empfängnisverhütung. Vergangenes Jahr wurden mehrere Zwischen- und gar Todesfälle nach der Einnahme von Yasmin und Co. bekannt. Antibabypillen erhöhen generell das Risiko von Blutgerinnseln und venösen Thromboembolien (VTE). Betroffen von den seltenen Nebenwirkungen sind oft Frauen, die rauchen und übergewichtig oder erblich vorbelastet sind. Bei zwei Todesfällen in Nidwalden und Basel konnten Gutachter aber keine dieser Risikofaktoren erkennen.

Hoffnungsträger nach Yasmin
Qlaira ist für Bayer ein Hoffnungsträger für die Zeit, wenn der Patentschutz für Yasmin und Co. ausläuft. Die Häufigkeit fataler Blutgerinnsel lässt sich nicht beziffern. „Das VTE-Risiko während der Anwendung von Qlaira ist im Moment nicht bekannt“, schreibt Bayer in einer Fachinformation. Trotzdem hat das schweizerische Heilmittelinstitut Swissmedic die Pille letztes Jahr zugelassen. Bayer schreibt, es habe die „Wirkung und Sicherheit“ gegenüber den Behörden „in umfangreichen Studien“ nachweisen können. Die Häufigkeit von VTE könne aber „nur in grossen epidemiologischen Studien geklärt werden“. Für Qlaira sei eine solche Untersuchung bereits am Laufen. Der Basler Professor Krähenbühl geht davon aus, dass das neuartige Produkte in diesem Bereich „nicht weniger Risiken aufweist als “nicht natürliche„ Östrogene“.

Rechtsstreit im Yasmin-Fall
Die Berichte über das tragische Schicksal einer jungen Schaffhauserin lösten 2009 eine breite Diskussion über die Gefährlichkeit von Antibabypillen aus. Nach der Einnahme des Produktes Yasmin ist die 19-Jährige schwerstbehindert. Celine, die ansprechbar ist, aber sich kaum ausdrücken kann, steht mit dem Pillenhersteller Bayer in einem Rechtsstreit. Das Bezirksgericht Zürich hält nun fest, dass die Chancen der Klägerin im Verfahren „nicht aussichtslos“ seien und gewährt unentgeltliche Prozessführung.

Auch um den neuen Text auf dem Yasmin-Beipackzettel wird gestritten. „Fachwelt, Hersteller und Behörden diskutieren intensiv, welche Studienresultate wie gewertet werden und wie die neuen Formulierungen aussehen müssen“, bestätigt Rudolf Stoller, der Leiter der Abteilung Arzneimittelsicherheit bei Swissmedic. Das Heilmittelinstitut verlangt schärfere Warnungen.Von Thomas Knellwolf

Risiken von Antibabypillen von BAYER