BAYERs schmutzige Kohle
Der Schatten des schwarzen Goldes
Der Leverkusener Multi setzt zur Energie-Gewinnung immer mehr billige Import-Kohle ein. Doch der Preis ist hoch: In den Herkunftsländern findet der Abbau unter katastrophalen Bedingungen statt und hat verheerende soziale und ökologische Folgen.
Von Jan Pehrke
„Unsere kleinbäuerlichen Gemeinschaften können heute nicht mehr das produzieren, was sie zum alltäglichen Überleben brauchen“, so beschrieb der Kolumbianer Yoe Jefferson Arregoces Ustate 2009 in Uerdingen die Auswirkungen des Kohle-Tagebaus auf Roche und andere Dörfer. Die Mine El Cerrejón auf der Halbinsel Guajira im Nordosten des Landes – eines der größten Abbaugebiete der Welt – vernichtet nämlich systematisch die Lebensgrundlagen der häufig indigenen AnwohnerInnen. Sie verbraucht durch das Abpumpen, das Waschen des „schwarzen Goldes“ und die Bindung des Staubes enorme Mengen reinen Wassers und verunreinigt im Gegenzug die Flüsse und das Grundwasser mit Sulfat, Schwefelsäure, Schwermetallen und Selen. Auch die Luftverschmutzung ist immens, denn die Kohle-Partikel legen sich wie ein Schleier über die Region und greifen die Atem-Organe der Menschen an.
„Der Konzern hat sich unser gesamtes Land angeeignet“, beklagt sich der Gemeindevertreter. „Das Unternehmen schüchterte unsere Bevölkerung massiv ein und setzte sie unter Druck, damit der Staat zwangsenteignen konnte.“ Ustate und die Seinen trotzen dem Begehr des von den drei Global Playern ANGLO AMERICAN, BHP BILLITON und XSTRATA gebildeten Minen-Konsortiums CERREJÓN trotz massiver Repressionen. „Wir haben Angst um unser Leben“, bekannte der Südamerikaner in einem Interview mit dem Neuen Deutschland. Nicht zu Unrecht, wie sich ein paar Wochen später herausstellen sollte. „Dass er sterben werde, weil er so dumm und uneinsichtig sei“, übermittelte ihm ein Anrufer und gemahnte ihn, „bei seinem Tun an seine Kinder und seine Mutter zu denken“.
Ustate und sein Kollege Wilman Palmezano Arregoces machten auf ihrer von FIAN und MISEREOR organisierten Rundreise durch die Bundesrepublik nicht zufällig nahe des Uerdinger BAYER-Werkes Station. Der Konzern setzt nach eigenem Bekunden dort nämlich – ebenso wie im Leverkusener Stammwerk – nicht nur verstärkt Importkohle ein, das Unternehmen TRIANEL wollte in dem Chemie„park“ des Standortes sogar ein Steinkohle-Kraftwerk mit eigenem Terminal für das „schwarze Gold“ errichten und dieses auch aus der Mine von El Cerrejón beziehen. Nur massiver Bürger-Protest hatte das Projekt damals verhindert.
Die Kosten der Kohle
Aber auch ohne diese Dreckschleuder bleibt der Kohle-Hunger des Agro-Riesen immens. Rund ein Drittel seines Energie-Bedarfs deckt er mit diesem Stoff; darüber hinaus benötigt der Multi den Bodenschatz als Grundstoff zur Produktion von Kohlenmonoxid. Darum gehört der Chemie„park“-Betreiber CURRENTA, an dem BAYER 60 und LANXESS 40 Prozent der Anteile hält, auch dem „Verein der Kohlen-Importeure“ an. Die Frage, wieviel des Gesteins die Aktien-Gesellschaft jährlich aus Kolumbien bezieht, beantwortete der Vorstandsvorsitzende Marijn Dekkers auf der letzten Hauptversammlung der Kritischen Aktionärin Antje Kleine-Wiskott, die sich in ihrem Rede-Beitrag den Risiken und Nebenwirkungen dieser Art der Energie-Versorgung gewidmet hatte: „40.000 Tonnen“.
Als Hauptbezugsländer gab der BAYER-Chef allerdings die USA und Russland an. In diesen Staaten verursacht die Kohle-Gewinnung ebenfalls „Ewigkeitskosten“ en masse. Im Hauptabbau-Gebiet Nordamerikas, der wegen ihrer Artenvielfalt auch „Arche Noah“ der USA genannten Appalachen-Region, mussten den Konzernen schon 6.500 Quadratkilometer Waldfläche weichen. Zudem greifen sie zu besonders rabiaten Methoden. So sprengen ALPHA NATURAL RESOURCES und andere Firmen zur Erschließung der Reservoirs ganze Bergspitzen weg. 500 Kuppen sind dem „Mountaintop Removal Mining“ schon zum Opfer gefallen. „Stellen Sie sich für einen Moment vor, die Zugspitze würde gesprengt und der Abraum einfach in umlegende Täler verklappt“, mit diesem Vergleich machte Bob Kincaid von der APPALACHIAN COMMUNITY HEALTH EMERGENCY CAMPAIGN den AktionärInnen der COMMERZBANK, welche die Bergbau-Multis mit finanziert, auf der vorletzten Hauptversammlung die Dimensionen dieses Umweltverbrechens bewusst.
Auch von den gesundheitlichen Folgen berichtete er. Die Stäube und die durch den Tagebau freigesetzten Giftstoffe führen unter anderem zu Fehlbildungen bei Säuglingen, Herzkreislauf-Erkrankungen, Krebs und Unterleibsschädigungen. Fast 4.000 Menschenleben fordert das „Mountaintop Removal Mining“ jährlich, hielt Kincaid fest.
In Russland stellt sich die Situation ähnlich dar. Erst Mitte Februar starben in der Teilrepublik Komi 24 Arbeiter der Workutinskaja-Mine bei einer Grubengas-Explosion – eine ebenso gefürchtete wie häufige Begleiterscheinung der Kohle-Förderung. Und die Region Kuzbass bezeichnet die FIAN-Studie „Bitter Coal“ bereits als „ökologisches Notstandsgebiet“. Die Schadstoff-Konzentration liegt dort um das bis zu 18fache höher als im übrigen Land, und entsprechend steigen die Sterbe- und Krankenraten.
„Vorwürfe falsch“
Der Leverkusener Multi, der auch Geschäfte mit den Rohstoff-Riesen macht und ihnen Kunststoff-Produkte zur Hohlraum-Verfüllung und Abdichtung liefert, weist die Kritik an der in diesen Staaten geübten Förder-Praxis ebenso zurück wie die anderen bundesdeutschen Konzerne. „Diese Vorwürfe treffen auf die heutige Situation kohle-fördernder Unternehmen vor allem im Norden Kolumbiens nicht zu“, erklärten CURRENTA und die anderen im „Verband der Kohlen-Importeure“ zusammengeschlossenen Firmen. Nach Ansicht des VDKi haben die Minen-Konzerne aus der Vergangenheit gelernt und gehen inzwischen ganz anders mit der indigenen Bevölkerung, den anderen AnwohnerInnen und den Beschäftigten um. „Der Arbeitsschutz und das Lohn-Niveau entsprechen nationalen und internationalen Standards bzw. übertreffen diese deutlich“, behauptet die Organisation. Auch die Warnungen vor den ökologischen Auswirkungen der Abbau-Aktivitäten spiegelten nicht die inzwischen unternommenen Anstrengungen zur Schadensvermeidung wider; alle Beteiligten seien um „kontinuierliche Verbesserung der Verhältnisse vor Ort bemüht“. Und der Leverkusener Multi selber sieht ebenfalls alles im grünen Bereich. BAYER würde „intensive Gespräche mit den Lieferanten“ führen und auf die Einhaltung sozialer und ökologischer Standards dringen, versicherte Marijn Dekkers Antje Kleine-Wiskott auf der letzten Hauptversammlung.
Für die Kohle, die nicht direkt beim Global Player zur eigenen Strom-Produktion anlandet, sondern Teil der Lieferkette derjenigen Energie ist, die er zukauft, verbürgen sich derweil RWE, E.ON, EnBW & Co. Sie wollen zwar ihre genauen Bezugsquellen nicht nennen, verweisen jedoch auf Audits und eigene Kontrollen vor Ort, um saubere Geschäfte auszuweisen. Dabei musste sich CERREJÓN für Unbedenklichkeitsbescheinigungen allerdings nicht sonderlich ins Zeug legen. Trotz der Pläne, einen von den Indigenen als heilig angesehenen Fluss umzuleiten und des Versuches, sich die Zustimmung von Dorf-Bewohnern zur Umsiedelung mittels Kühen und Autos erkaufen zu wollen, erhielt der Minen-Multi ein Zertifikat. An dem Unternehmen DRUMMOND halten der VDKi und die Konzerne sogar trotz krimineller Umtriebe fest. So steht die Gesellschaft in den USA wegen des Vorwurfes vor Gericht, eine paramilitärische Einheit mit aufgebaut zu haben, die hunderte Morde verübte – unter anderem an den beiden Vorstehern der Bergarbeiter-Gewerkschaft Sintramienergética – und tausende Menschen aus den Kohleabbau-Gebieten vertrieb. Weitere Verfahren bereitet derweil die kolumbianische Justiz vor.
Zudem verklappte der Rohstoff-Gigant illegal Kohle in der Karibik, wie ein Gewerkschaftler enthüllte, der danach Morddrohungen erhielt. FIAN und URGEWALD informierten den VDKi und E.ON & Co. umgehend über den Fall. Während der Verband sich nicht einmal bemüßigt fühlte zu antworten, bekannte sich RWE weiter zu seinem Handelspartner: „DRUMMOND weist eine Mitverantwortung in der Sache nach wie vor strikt zurück. Mit Bezug auf die öffentlich bekannten Informationen sehen wir derzeit keinen Grund, Vertragsbeziehungen mit DRUMMOND auszusetzen.“ Nur EnBW kündigte Prüfungen an.
Berliner Helfershelfer
Und die Bundesregierung tut alles, um BAYER & Co., die 2012 fast 48 Millionen Tonnen Kohle aus dem Ausland bezogen haben, den Rücken weiterhin freizuhalten. Auf EU-Ebene sucht sie die Transparenz-Richtlinie 2004/109/EG und andere Regelungen zu verhindern, die den Konzernen eine Offenlegung der Geldströme bei Rohstoff-Geschäften abverlangen. Und auch auf heimischem Terrain wandte sich Schwarz-Gelb gegen strengere Auflagen. So lehnten CDU und FDP eine Gesetzes-Initiative der Grünen ab, die nicht nur beabsichtigte, den Unternehmen zur Vorschrift zu machen, die Bezugsquellen ihrer Steinkohle zu veröffentlichen und ihre Lieferanten auf Einhaltung sozialer und ökologischer Standards zu verpflichten, sondern das alles auch durch Monitoring-Instrumente kontrolliert sehen wollte.
Damit nicht genug, handeln Merkel & Co. sogar noch proaktiv und erschließen den Firmen durch ihre Rohstoff-Abkommen immer weitere Reservoirs zweifelhafter Provenienz. Der 2011 mit der Mongolei vereinbarte Vertrag ermöglichte RWE, SIEMENS und THYSSENKRUPP obendrein, sich selbst an der Ausbeutung einer der größten noch unerschlossenen Kohle-Vorkommen der Welt zu beteiligen. Und der Erfolg ließ nicht lange auf sich warten. Schon Anfang diesen Jahres konnte der VDKi „nennenswerte neue Produktion aus der Mongolei“ vermelden.
So wenig, wie auf Einsicht der Konzerne ist also auf Druck von Seiten der Politik zu hoffen. Einzig Aktionen von Initiativen vermögen die Lage in El Cerrejón und anderswo zu verbessern. Und da hat es in letzter Zeit so einige gegeben. Nicht nur auf den Hauptversammlungen von BAYER und der COMMERZBANK traten Importkohle-KritikerInnen auf, der DACHVERBAND DER KRITISCHEN AKTIONÄRE UND AKTIONÄRINNEN hat das Thema auf die Tagesordnung vieler AktionärInnen-Versammlungen gesetzt. GREENPEACE, URGEWALD und FIAN engagieren sich ebenfalls. Und erst Mitte Mai führte das Bündnis GEGENSTROM.13 eine spektakuläre Operation durch. Es blockierte mit 20 Booten die Elbe und verhinderte so das Einlaufen eines kohle-beladenen Frachtschiffes aus Kolumbien in den Hamburger Hafen.
Diese Sprache verstehen CERREJÓN & Co. Wenn sie ihr Geschäftsmodell auch nicht grundlegend ändern, so agieren sie doch inzwischen gegenüber ihrer Belegschaft und den AnrainerInnen etwas vorsichtiger und nehmen auch etwas mehr Rücksicht auf die Umwelt. Aber es bleibt noch viel zu tun.