28. September 2010
In der Wirtschaftswoche ist heute ein 8-seitiger Artikel zu Klagen gegen Pharmaunternehmen erschienen. Darin werden zwei Kampagnen der Coordination gegen BAYER-Gefahren aufgegriffen, Yasmin und Duogynon. Ein großes Foto zeigt Felicitas Rohrer, die in der vergangenen BAYER-Hauptversammlung zu tödlichen Nebenwirkungen von Antibaby-Pillen von BAYER gesprochen hat.
Pillen-Klagen
Der Feel-Bad-Faktor: Patienten verklagen Pharmariesen
Jürgen Salz (Düsseldorf)
Die Pharmaindustrie muss sich auf schwerere Zeiten einstellen. Mutmaßliche Medikamenten-Opfer gehen vor allem in Deutschland dazu über, Konzerne wie Bayer, Pfizer oder Merck & Co. verstärkt zu verklagen. Die Folgen für die Unternehmen sind kaum kalkulierbar.
Lothar Schröder will endlich Gewissheit. Er ist sicher, dass Zoloft, seine Frau in den Tod getrieben hat. Zoloft ist ein Mittel gegen Depressionen, das der US-Pharmakonzern Pfizer herstellt. Weil der die tödliche Nebenwirkung bestreitet, zieht der 47-jährige Mathematiker aus Dormagen bei Köln nun vor Gericht. Schröder verlangt von dem größten Arzneimittelhersteller der Welt, dass er Auskunft über die Gefahren gibt, die mit der Einnahme von Zoloft verbunden sind. Er verklagt den Konzern wegen fahrlässiger Tötung, verlangt Schadensersatz.
Die 61-jährige Rosemarie Herbermann aus der Nähe von München, streitet seit Jahren gegen MSD Sharp & Dohme vor Gericht. Das Unternehmen ist eine Tochter des US-Konzerns Merck & Co., der das umstrittene Schmerzmittel Vioxx produzierte und es 2004 wegen des Verdachts auf teilweise tödliche Nebenwirkungen vom Markt nahm. Herbermann erlitt vor Jahren einen Herzinfarkt und einen Schlaganfall – beides führt sie auf Vioxx zurück. In den USA hat das Unternehmen Milliarden für einen gerichtlichen Vergleich bezahlt. Die frühere Vorstandssekretärin ist eine von über 100 Klägern, die nun erreichen wollen, dass Merck & Co. endlich auch in Deutschland zahlen muss.
Badenerin will sich mit Bayer anlegen
Felicitas Rohrer, eine gelernte Tierärztin aus Bad Säckingen im Südwesten Deutschlands, wird sich demnächst mit dem Bayer-Konzern rechtlich anlegen. „Bayer hat mein Leben zerstört“, sagt die heute 26-jährige Frau. Sie fühlt sich als Opfer der Bayer-Verhütungspille Yasminelle, die sie eingenommen hat. Rohrer erlitt eine doppelte Lungenembolie. In ihren beiden Lungenflügeln bildeten sich Blutgerinnsel, sie verlor das Bewusstsein und war 20 Minuten lang klinisch tot. In einer dramatischen Aktion öffneten die Ärzte ihren Brustkorb und retteten sie. Das war vor etwa einem Jahr. Heute kann die Badenerin nicht lange stehen, sitzen oder sich konzentrieren, sie leidet unter Albträumen und Angstzuständen und kann, solange sie zur Verhinderung weiterer Thrombosen einen Blutverdünner einnehmen muss, keine Kinder bekommen.
Die Jahre zuvor hatte sie sich stets gesund ernährt, Sport getrieben und nie geraucht, sagt Rohrer. „Es gibt keinen anderen Grund für die Embolie als die Pille“, ist sie überzeugt. Deshalb will die Badenerin in den nächsten Wochen Bayer auf Schadensersatz verklagen. „Die Klage geht bald raus“, sagt ihr Anwalt Martin Jensch. Rohrer sieht gute Erfolgsaussichten, weil die Bayer-Verhütungspillen aus der Yasmin-Produktfamilie (Yasmin, Yasminelle, Yaz) auch in anderen Ländern mit Todesfällen und schwerwiegenden Nebenwirkungen in Verbindung gebracht werden.
Sowohl Pfizer, Bayer als auch MSD Sharp & Dohme bestreiten die Vorwürfe.
Pharmaklagen in Zahlen
Doch die Pharmakonzerne gehen – gerade auch in Deutschland – schwereren Zeiten entgegen. Immer mehr mutmaßliche Medikamenten-Opfer nehmen sich Anwälte und gehen gegen die mächtigen Pillenunternehmen vor. Durch die Klagen drohen den Medikamentenherstellern nun Imageschäden und Schadensersatzzahlungen. Zunehmend entscheiden die Gerichte in Deutschland – anders als früher – zugunsten der Kläger.
Die finanziellen Risiken der Pharmahersteller steigen. Der Umsatz der Bayer-Pille Yasmin etwa ist im zweiten Quartal weltweit um elf Prozent eingebrochen. Zwar mussten die Leverkusener sich in diesem Zeitraum gegen ein neues Konkurrenzpräparat des israelischen Herstellers Teva zur Wehr setzen. Doch zur Erlösminderung dürfte auch beigetragen haben, dass die Pillen aus der Yasmin-Produktfamilie in den USA, der Schweiz und Deutschland mit Todesfällen und schweren Komplikationen wie Embolien in Verbindung gebracht werden. In den Vereinigten Staaten sind derzeit etwa 2700 Klagen anhängig. Dabei zählen die Verhütungspillen zu den Spitzenpräparaten des Leverkusener Konzerns – allein 2009 brachten die Yasmin-Pillen einen Jahresumsatz von 1,3 Milliarden Euro ein.
In den USA, dem größten Arzneimittelmarkt der Welt, sind bei Medikamenten-Skandalen bereits hohe Summen fällig. Allein Merck & Co. zahlte in den USA wegen Vioxx fast fünf Milliarden Dollar. In Deutschland hat keiner der über 100 Kläger bislang auch nur einen Cent erhalten. Das Unternehmen erklärt, sich vor dem „Hintergrund der Besonderheiten des Rechts- und Gerichtssystems“ in den USA auf einen Vergleich eingelassen zu haben – langwierige und kostspielige Prozesse sollten so vermieden werden. Die Zahlung, so der Konzern, bedeute kein Schuldeingeständnis. Der britische Konzern GlaxoSmithKline ließ sich wegen seines umstrittenen Diabetes-Präparates Avandia – das Mittel soll zu Herzproblemen führen – auf eine Vergleichszahlung in Höhe von 460 Millionen Dollar ein. Auch GlaxoSmithKline bestreitet allerdings die Vorwürfe.
Inzwischen wehren sich aber auch die mutmaßlich Geschädigten in Deutschland stärker als zuvor. „Die Patienten sind mutiger geworden und machen mehr Druck auf die Unternehmen als früher“, sagt der Berliner Rechtsanwalt Jörg Heynemann, der zahlreiche Mandanten gegen Medikamentenkonzerne wie Pfizer, Merck & Co., Novo Nordisk oder Abbott vertritt.
„Die Kläger wurden meist mit Standardfloskeln abgespeist“
Auslöser für die sich aufbauende Klagewelle gegen die Pharmaunternehmen ist eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 1. Juli 2008. Die Richter minderten damit die Darlegungslast für geschädigte Patienten, die Schadensersatz einklagen wollen. Seither urteilen Gerichte zunehmend im Sinne der Kläger. Bislang hatten es die Pharmakonzerne nach der Erfahrung von Medizinrechtlern in Deutschland relativ leicht, Schadensersatzforderungen von Patienten abzuschmettern. „Die Kläger wurden meist mit Standardfloskeln abgespeist“, sagt Martin Jensch, der Anwalt der Bayer-Klägerin Rohrer. Die Einzelfälle seien zwar bedauerlich, hätten die Unternehmen meist erklärt, doch man könne keinen Kausalzusammenhang mit dem Medikament erkennen, werde das aber prüfen. „Danach kommt dann lange nichts mehr“, sagt Jensch. Mit der Beantwortung anwaltlicher Schreiben hätten sich die Konzerne meist viel Zeit gelassen, so der Anwalt. Vor allem aber hätten sie keine Unterlagen herausgerückt, in denen etwa unerwünschte Nebenwirkungen der Medikamente aufgelistet sind.
„Damit werden sie künftig kaum noch durchkommen“, prognostiziert Medizinrechtler Heynemann. Denn Gerichte in Berlin, Brandenburg und Siegen verfügten in den vergangenen Monaten, dass MSD Sharp & Dohme firmeninterne Unterlagen offenlegen muss – ein Novum in der hiesigen Rechtsprechung. Die Kläger wollen anhand der Unterlagen beweisen, dass Merck frühzeitig von einem erhöhten Herzinfarkt- und Schlaganfallrisiko seines Schmerzmittels Vioxx wusste.
Hohe Hürden für Schadensersatzklagen
Im Oktober will das Oberlandesgericht Köln entscheiden, ob auch Pfizer – nach der Klage von Mathematiker Schröder – Unterlagen zum umstrittenen Antidepressivum Zoloft präsentieren muss. Finden die Kläger darin belastendes Material, wächst die Chance, erfolgreich Schadensersatz einklagen zu können.
In den USA greifen in solchen Fällen oft sogenannte Sammelklagen, die im deutschen Rechtssystem in dieser Form nicht vorgesehen sind. Hunderte von Klägern bündeln ihre Interessen und lassen sich von Anwälten vertreten, die im Erfolgsfalle hohe Honorarsummen kassieren – damit kommt dann Schwung in die Gerichtsprozesse.
Wegen der besseren Erfolgsaussichten wollte sich auch die möglicherweise Vioxx-Geschädigte Herbermann einer solchen Sammelklage in den USA anschließen. Doch ein US-Gericht blockte den Versuch ab und beschränkte die Klage auf US-Bürger. „Dabei habe ich doch genauso gelitten wie Tausende Amerikaner“, sagt die 61-Jährige, „ich fühlte mich als Mensch zweiter Klasse.“
In Deutschland müssen die Pharmaunternehmen noch keine Sammelklagen fürchten. Stattdessen drohen ihnen viele Einzelklagen, bei denen es allerdings durchaus jeweils um fünf- bis sechsstellige Beträge geht. Zwischen 40 000 und 150.000 Euro Schadensersatz etwa fordert Anwalt Heynemann in Deutschland pro Vioxx-Patient – je nach Schweregrad der Erkrankung. Würden alle Kläger, die derzeit gegen Merck & Co. vor Gericht ziehen, ihre Ansprüche durchsetzen, müsste der Konzern insgesamt bis zu 15 Millionen Euro zahlen, schätzt Heynemann.
„Die Hürden sind immer noch hoch“, sagt der Anwalt. „Aber ich bin zuversichtlich, dass wir nach dem langen juristischen Prozedere Schadensersatzansprüche durchsetzen werden.“
Dabei sehen sich die Pharmahersteller längst nicht nur juristischen Klagen ausgesetzt. Die mutmaßlichen Pillen-Opfer entwickeln auch zunehmend öffentlichkeitswirksame Strategien, um die Medikamentenhersteller in die Enge zu treiben. Mutmaßlich geschädigte Patienten gründen inzwischen Interessengemeinschaften, rufen zum Boykott von Unternehmen auf und versuchen, Politiker für ihre Zwecke einzuspannen.
So trat die Badenerin Rohrer, die sich von der Anti-Baby-Pille Yasminelle geschädigt fühlt, auf der Bayer-Aktionärsversammlung auf. In ihrer Rede – Rohrer hatte sich von kritischen Aktionären eine Aktie übertragen lassen – las sie dann dem versammelten Vorstand und Aufsichtsrat die Leviten.
Die Folgen solcher Aktionen in der Öffentlichkeit sind für die Unternehmen kaum kalkulierbar. Für das größte Aufsehen in Deutschland sorgten in jüngster Zeit die Contergan-Opfer. 1957 brachte der Hersteller Grünenthal das fatale Schlafmittel auf den Markt – Tausende Kinder wurden mit verkürzten Armen und Beinen geboren. Nach einem längeren juristischen Prozedere ließ sich Grünenthal zu Beginn der Siebzigerjahre auf eine Vergleichszahlung von 100 Millionen Mark ein – aus heutiger Sicht ein lächerlich geringer Betrag.
Der Spielfilm „Nur eine einzige Tablette“, der vor drei Jahren im Westdeutschen Rundfunk lief, brachte das Thema Contergan zurück ins öffentliche Bewusstsein. Viele Contergan-Geschädigte traten öffentlich auf, waren in Filmen und Talkshows zu sehen. Durch den öffentlichen Druck erreichten sie, dass Grünenthal noch einmal 50 Millionen Euro lockermachte. Auch die Bundesregierung öffnete noch einmal die Schatulle und erhöhte die Renten für die Opfer.
Beispiele könnten Schule machen
Trotzdem können die Eigentümer von Grünenthal nicht damit rechnen, das Thema Contergan nun endgültig abgeschlossen zu haben. Eine Gruppe von Contergan-Opfern ruft inzwischen zum Boykott gegen Waschmittel der Dalli-Werke („Tandil“) und Düfte von Mäurer & Wirtz (Tabac, 4711) auf. Die Unternehmen gehören ebenfalls der Grünenthal-Eigentümerfamilie Wirtz. Die Kampagne soll bundesweit ausgedehnt werden.
Solche Beispiele könnten Schule machen. Eine weitere Initiative rückt Bayer zu Leibe. Im Allgäu organisiert der Lehrer Andre Sommer eine Interessengemeinschaft für mutmaßliche Duogynon-Opfer. Duogynon war ein Schwangerschaftstest des früheren Berliner Pharmaherstellers Schering, der Frauen in den Sechziger- und Siebzigerjahren entweder als Injektion oder als Dragee verabreicht wurde. Ende der Siebzigerjahre war von mindestens 1000 geschädigten Frauen die Rede, die Kinder mit auffälligen Fehlbildungen gebaren. Bei Sommer etwa war die Blase betroffen, die außen am Körper lag. Nach zahlreichen Operationen muss er nun dauerhaft mit einem künstlichen Ausgang leben.
2006 übernahm der Bayer-Konzern den Konkurrenten Schering. Für die Leverkusener, bei denen zum 1. Oktober der neue Vorstandschef Marijn Dekkers – ein gebürtiger Niederländer – antritt, wird es in den kommenden Monaten schwer werden, aus den Schlagzeilen zu kommen. Allerdings bestreitet der Pharma- und Chemieriese einen Zusammenhang zwischen Duogynon und den Missbildungen. Bayer verweist auch darauf, dass die Staatsanwaltschaft Berlin 1980 ein Verfahren eingestellt habe, weil es keinen Zusammenhang gebe.
Politik mischt sich langsam ein
Am 21. Oktober verhandelt nun das Landgericht Berlin die Auskunftsklage im Fall Sommer – es geht darum, ob Bayer firmeninterne Unterlagen offenlegen muss. Die Betroffenen verlangen endlich Aufklärung; in der Interessengemeinschaft haben sich mittlerweile 120 Mitstreiter zusammengefunden. Nach einem Fernsehbericht und diversen Zeitungsartikeln erhielt Lehrer Sommer inzwischen mehr als 1000 E-Mails zu Duogynon. Mittlerweile haben die möglichen Opfer beschlossen, auf der nächsten Hauptversammlung des Bayer-Konzerns im Frühjahr 2011 aufzutreten, um vom Unternehmen endlich Antworten zu erhalten.
Auch die Politik bringen die vermeintlich Pharma-Geschädigten zunehmend gegen die Unternehmen in Stellung. Im Juli etwa stellten die Grünen – im Sinne von Sommer – eine Anfrage an die Bundesregierung zu Duogynon. Gesundheits-Staatssekretärin Annette Widmann-Mauz antwortete zwar, dass „kein wissenschaftlich überzeugender Beweis dafür erbracht werden (konnte), dass diese Hormongaben einen höheren Prozentsatz an Fehlbildungen bei Neugeborenen hervorrufen“. Gleichzeitig erklärte sie jedoch, dass die Bundesregierung die Rechte der Patienten stärken will sowie eine von der Pharmaindustrie unabhängige Verbraucher- und Patientenberatung einrichten werde. Auch die EU will die Patientenrechte und Informationsmöglickeiten verbessern – so sollen etwa die Packungsbeilagen verständlicher werden.
Leute wie Sommer stehen in vorderster Front gegen die mächtigen Medikamentenunternehmen, arbeiten sich mit ungeheurer Akribie in die meist hoch komplizierte Materie ein. Und versuchen, alle Register zu ziehen. Witwer Schröder etwa, der derzeit wegen des Todes seiner Frau gerichtlich gegen Pfizer vorgeht, hatte sich ursprünglich an seine Parteifreunde von der SPD in Berlin gewandt. Doch die Genossen konnten oder wollten ihm nicht helfen, also wurde er selbst aktiv.
Schröders Frau hat sich vor fünf Jahren umgebracht. Ihr Mann sagt, dass sie an leichten Depressionen litt und dagegen das Pfizer-Mittel Zoloft nahm. Zwischen der Pille und der Selbsttötung seiner Frau sieht Schröder einen Zusammenhang. Er fand Hinweise, dass Wissenschaftler und Zulassungsbehörden das Präparat Zoloft schon etliche Jahre zuvor mit Suiziden in Verbindung brachten. Pfizer, so Schröders Verdacht, habe nicht rechtzeitig über das Risiko informiert. Im Sommer 2009 landete der Rheinländer einen sensationellen Erfolg. Er erhielt vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte in Bonn die Erlaubnis, die Zoloft-Akten – inklusive der Meldungen über unerwünschte Nebenwirkungen – einzusehen. Das war das erste Mal, dass die Zulassungsbehörde einem solchen Antrag auf Akteneinsicht stattgab. Zwei Tage lang stöbert Schröder zusammen mit der Tochter seiner verstorbenen Frau, Anwalt Heynemann und dem früheren Vorsitzenden der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft, Professor Bruno Müller-Oerlinghausen, 75 Leitz-Ordner durch.
Dabei stieß der Trupp auf brisantes Material. In einem Schreiben aus dem Jahr 1997 etwa hatte die Behörde Pfizer vorgeschlagen, im Beipackzettel auf die Suizidgefahr hinzuweisen. Doch es passierte nichts. Im März 2004 forderte die US-Zulassungsbehörde FDA Pfizer auf, bei Zoloft auf ein erhöhtes Risiko unter Kindern und Jugendlichen hinzuweisen. Auch die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft sorgte sich damals bereits wegen der Suizidfälle. Erst im Sommer 2005 änderte Pfizer, nach einem Beschluss der europäischen Arzneibehörde, den Beipackzettel – zu spät für Schröders Frau, die sich kurz zuvor umgebracht hatte.
„Wir bedauern den Verlust, den die Kläger durch den Suizid erleiden mussten“, schreibt Pfizer in einer Stellungnahme an die WirtschaftsWoche. „Wir haben die konkreten Umstände genauestens überprüft. Anhaltspunkte für die Annahme eines Kausalzusammenhangs mit der Einnahme des Medikaments Zoloft haben sich dabei nicht ergeben.“
Streit um Studien
Eine ähnliche Klage wie bei Zoloft steht – wegen des Verhütungsmittels Yasminelle – nun auch Bayer bevor. Die Badenerin Rohrer, die nach Einnahme der Pille 20 Minuten lang klinisch tot war, lässt sich gemeinsam mit der 28-jährigen Kathrin Weigele aus Regensburg, die ebenfalls an schweren Komplikationen litt, von der Kanzlei Dr. Burkhard Schulze und Kollegen vertreten. Das Anwaltsbüro aus Weiden in der Oberpfalz ist spezialisiert auf Haftungsfälle in der Medizin.
Die jungen Frauen halten auch Kontakt zu weiteren mutmaßlichen Yasmin-Opfern. Sie werfen Bayer vor, dass die Pillen aus der Yasmin-Produktfamilie das Thromboserisiko erhöhen und dass der Konzern darüber nicht rechtzeitig informiert habe. Seit dem Jahr 2000 werden in Deutschland zwölf Todesfälle mit Yasmin in Verbindung gebracht, weltweit sollen es 190 sein. In den USA sieht sich Bayer mit 2700 Yasmin-Klagen – wegen schwerwiegender Nebenwirkungen – konfrontiert.
Bayer sieht den Zusammenhang zu den Todesfällen und schweren Komplikationen als nicht erwiesen an. Das grundsätzliche Thromboserisiko bei allen Verhütungspillen sei bekannt. Zwei vom Unternehmen finanzierte Studien kommen zu dem Schluss, dass die Yasmin-Präparate – mit dem Wirkstoff Drospirenon – kein höheres Risiko aufweisen als andere Pillen.
Mit solchen Argumenten kommen Pharmaunternehmen inzwischen aber immer weniger durch. Sehr zum Leidwesen von Bayer argumentierten nämlich unabhängige dänische und holländische Wissenschaftler, das Risikoprofil älterer Anti-Baby-Pillen mit dem Wirkstoff Levenorgestrel falle deutlich günstiger aus das von Yasmin.
Bundesinstitut entkräftet Bayer-Argumente
Zwar versuchte Bayer die Kritik herunterzuspielen. Die dänische Studie weise erhebliche Mängel auf. Wichtige Faktoren wie Übergewicht und familiäre Vorbelastungen seien nicht berücksichtigt worden. Der holländischen Studie fehle es an statistischer Signifikanz, das heißt letztlich an der Beweiskraft.
Allerdings entkräftet das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte die Argumente von Bayer. „Die Studien haben Mängel, aber sie sind nicht erheblich“, sagt Ulrich Hagemann, Pharmazeut und Abteilungsleiter der Behörde. „Wir haben aus den Studienergebnissen den Schluss gezogen, dass die Änderung der Packungsbeilage der Yasmin-Familie notwendig ist.“
Im Frühjahr dieses Jahres änderte der Bayer-Konzern schließlich den Text für die Beipackzettel ab – die beiden für den Konzern ungünstigen Studienergebnisse finden dort künftig auch Erwähnung. In den USA musste das Unternehmen sogar einen Werbespot für Yasmin korrigieren, der die positiven Wirkungen übertrieben hatte. Einst wurde das Verhütungspräparat gar als „Pille mit Feel-Good-Faktor“ beworben.
Auch Felicitas Rohrer hatte die Pille eingenommen, weil sie angeblich schonender wirke. Ihre folgende Leidensgeschichte hat sie den Aktionären und Managern auf der Bayer-Hauptversammlung in Köln deutlich geschildert; während ihres Vortrags ist es sehr still. Die Aktionäre, die noch im Saal sind, schauen nachdenklich.
Draußen, im Foyer des Versammlungssaals hat Bayer eine Werbetafel aufbauen lassen. Glückliche junge Frauen sind dort zu sehen. Darüber steht geschrieben: „Eine kleine Pille verändert die Welt für immer.“ Felicitas Rohrer glaubt, dass die Verhütungspille Yasminelle ihre Welt ganz besonders verändert hat. Doch sie will nicht aufgeben. Die Klage gegen Bayer soll demnächst rausgehen.