11. Juli 2011, Kehler Zeitung
Felicitas Rohrer klagt als erste Deutsche gegen Bayer
Heute ist der Tag, den sie wie einen zweiten Geburtstag feiert: Am 11. Juli 2009 bricht Felicitas Rohrer aus Goldscheuer plötzlich zusammen. Die Tierärztin ist 20 Minuten klinisch tot. Wie durch ein Wunder überlebt sie. Jetzt klagt sie als erste Deutsche gegen den Bayer-Konzern.
Ihre Venen transportieren das Blut nicht mehr richtig. Deshalb trägt sie häufig einen dicken Kompressionsstrumpf über ihrem linken Bein. Tag für Tag muss sie blutverdünnende Medikamente nehmen. Herz und Lunge arbeiten nur noch eingeschränkt. Felicitas Rohrer aus Goldscheuer ist 27 Jahre alt. Sie wird nie wieder gesund.Vor zwei Jahren wäre die Kehlerin fast gestorben. Sie wollte einfach nur verhüten – wie Millionen Frauen dies tagtäglich tun. Heute sagt sie: »Die Antibabypille von Bayer hat mein Leben zerstört.«
In Momenten wie diesen steigen in ihr die verschwommenen Bilder von damals wieder hoch. Erinnerungen an den 11. Juli 2009, also heute vor zwei Jahren, als 16 Ärzte um ihr junges Leben kämpften. Erinnerungen an die Nahtod-Erfahrungen, die sie nicht mehr loslassen, an den Augenblick, als sie in der Klinik wieder zu sich kam, die Arme am Krankenbett gefesselt und einen Schlauch in ihrer Luftröhre.
Aus den Arztberichten weiß Felicitas Rohrer, was damals mit ihr geschehen ist – sie hat es immer und immer wieder gelesen. Doch so richtig fassen kann sie es bis heute nicht: Zusammenbruch, akuter Herz- und Atemstillstand, doppelte Lungenembolie. Die Ärzte versuchen sie vergeblich wiederzubeleben, öffnen ihren Brustkorb, um bis zur Lunge vorzudringen. Bis dahin vergehen 20 Minuten, in denen ihr Herz nicht mehr schlägt. 20 Minuten, in denen sie klinisch tot ist. Beide Lungenflügel sind voll mit Blutgerinnseln. Sie muss an eine Herz-Lungen-Maschine angeschlossen werden, die sie am Leben erhält. Die Notoperation dauert viereinhalb Stunden. Dann beginnt ihr Herz wieder zu schlagen. Sie erwacht ohne sichtbare Hirnschäden aus dem Koma. »Ein Wunder«, sagen die Ärzte
Sie suchen intensiv nach der Ursache für die Lungenembolie. Und finden keine: Die Frau aus Goldscheuer hat keine Vorerkrankungen. Sie ist nicht erblich vorbelastet. Sie hat nie geraucht. Sie ist nicht übergewichtig. Keine Risikofaktoren. Nichts. Felicitas Rohrer hat nur die Pille Yasminelle von Bayer zu sich genommen. »Ich muss für acht Monate Antibabypille mein ganzes Leben lang büßen«, sagt sie.
Und nicht nur sie. Seit die 27-Jährige mit drei anderen betroffenen Frauen eine bundesweite Selbsthilfegruppe gegründet hat, melden sich fast täglich Mädchen und junge Frauen bei ihr, die es ähnlich schwer getroffen hat. Sie alle haben die Pillen Yasmin, Yaz oder Yasminelle verschrieben bekommen, mit denen Bayer jährlich einen Umsatz von mehr als einer Milliarde Euro macht.
Der Chemiekonzern wirbt für die Pillen mit Versprechen wie schönere Haut und Gewichtsabnahme, also wie für ein Lifestyle-Produkt. Ein Hinweis auf ein erhöhtes Thrombose- und Embolierisiko im Vergleich zu älteren Pillen fehlt dagegen im Beipackzettel. Genau dieses erhöhte Risiko legen aber jüngste Studien nahe.
Im Verdacht steht der in den Pillen enthaltene Wirkstoff Drospirenon. Das Hormon soll angeblich dem Körper Wasser entziehen. Deshalb werden die Pillen auch als Schlankmacher angepriesen. Weniger Flüssigkeit im Körper bedeutet jedoch auch, dass das Blut dicker werden kann. Somit steigt das Thrombose- und Embolierisiko. Das belegen inzwischen auch Studien aus Holland und den USA sowie Aussagen von anerkannten Arzneimittelexperten (siehe Stichwort). Bayer weist diese Ergebnisse zurück und verweist auf eigenfinanzierte Studien, die kein erhöhtes Thromboserisiko drospirenonhaltiger Pillen aufzeigen.
Vor zwei Jahren hat Felicitas Rohrer von alledem nichts gewusst. Sie vertraute ganz ihrer Frauenärztin, die die sportliche, normalgewichtige Nichtraucherin zu keiner Risikogruppe zählte. Außerdem, so hieß es, handele es sich um eine Pille der dritten Generation, die besonders niedrig dosiert sei. Das vermittelt Sicherheit. Die Folgen bekommt die Kehlerin bis heute zu spüren: Sie ist nicht mehr so belastbar wie früher, kann deshalb ihren Beruf als Tierärztin nicht mehr ausüben. Sie kann keine Kinder mehr bekommen, obwohl sie sich das so gewünscht hat. Und den Blick in den Spiegel meidet sie. Denn Felicitas Rohrer sieht dort den Körper einer jungen Frau, der mit Operationsnarben übersät ist.
Und dann ist da noch diese Angst. Die Angst, sie könnte wieder zusammenbrechen. Die Angst, es könnte wieder eine Thrombose entstehen – trotz aller blutverdünnenden Mittel. Die Angst, sie könnte durch die Medikamente eine lebensgefährliche Hirn- oder Organblutung erleiden – eine der häufigsten Nebenwirkungen der Medikamente. Die Angst vor der »Hölle«, wie sie selbst sagt.
Felicitas Rohrer will, dass keine weitere Frau diese »Höllenqualen« durchleiden muss. Deshalb hat sie jetzt eine Zivilklage gegen Bayer eingereicht – als erste Deutsche überhaupt. Weltweit gibt es bisher bereits 6000 Klagen gegen den Pharma-Riesen. »Das Unternehmen wird auf Schadenersatz und Schmerzensgeld verklagt«, sagt ihr Anwalt.
Der 27-Jährigen aus Goldscheuer geht es jedoch in erster Linie um Gerechtigkeit: »Es darf nicht sein, dass Bayer ungeschoren davon kommt, weil sie mir mein altes Leben genommen haben, und weil Bayer verantwortlich ist für das Leiden von vielen Frauen und ihren Familien.«
Zwölf Mädchen und junge Frauen sind bislang angeblich in Deutschland nach der Einnahme drospirenonhaltiger Antibabypillen gestorben. In den Vereinigten Staaten sind es etwa 200 Todesfälle. (Klaus Körnich)
12. Juli 2011, Kehler Zeitung
„Das ist die Hölle“
Frau Rohrer, gestern vor zwei Jahren hatten Sie Ihren Zusammenbruch. Was überwiegt: der Gedanke an das Schlimmste, was Ihnen jemals widerfahren ist, oder das Glück, es überlebt zu haben? Ist dieser Tag also so eine Art zweiter Geburtstag für Sie?
Ein zweiter Geburtstag ist es auf jeden Fall Meine Familie und mein Freund sehen den Tag auch als einen Tag zum Feiern an. Das Glück überlebt zu haben, wird mir an solchen Tagen wie gestern besonders deutlich und darüber bin ich auch sehr froh. Allerdings fällt es mir immer noch enorm schwer zu akzeptieren, was passiert ist, da es einen so gravierenden und schmerzhaften Einschnitt in mein Leben darstellt.
Was ist damals passiert?
Ich war für eine Prüfung mit meinem Freund in Freiburg. In der Uni wurde mir plötzlich schwindlig und ich wurde ohnmächtig. Mein Freund konnte mich gerade noch auffangen und mich nach einiger Zeit aus der Ohnmacht zurückholen. Ich hatte furchtbare Schmerzen und ein enormes Druckgefühl auf dem Oberkörper und konnte kaum noch atmen. Mit jeder Sekunde bekam ich weniger Luft und ich drohte zu ersticken. Den Sanitätern gelang es nicht mich zu stabilisieren. Der Notarzt ließ mich sofort in die Uniklinik einliefern. Die Schmerzen wurden im Schockraum so stark, dass ich nicht mehr liegen bleiben konnte. Dann weiß ich bis zum nächsten Tag nichts mehr.
Was war geschehen?
Mein Herz hatte aufgehört zu schlagen, ich erlitt einen akuten Herz- und Atemstillstand. Ich konnte nicht wiederbelebt werden. Daraufhin entschlossen sich die Ärzte meinen Brustkorb zu öffnen. Das Brustbein wurde durchgeschnitten und zur Seite gebogen. Beide Lungenflügel waren voll mit Blutgerinnseln. Während ich operiert wurde, hielt ein Arzt mein Herz in seinen Händen und versuchte es auf diese Weise zu pumpen. Nachdem die Blutgerinnsel entfernt waren, wurde ich an die Herz-Lungen-Maschine angeschlossen, da weder mein Herz noch meine Lunge in der Lage waren eigenständig zu funktionieren. Ab dem Zeitpunkt, an dem mein Herz stehen blieb bis zur Öffnung des Brustkorbes vergingen 20 Minuten, in denen mein Herz nicht schlug. Ich war daher 20 Minuten lang klinisch tot.