taz, 25.10.2005
„Glückliche Ernte“ für Bayer-Profite
Der deutsche Chemiekonzern will eigentlich gegen Kinderarbeit vorgehen. Aktivisten unterstellen aber, dass Bayer weiter von Kinderarbeit profitiert: Indische Zulieferer des Konzerns würden tausende Kinder auf Baumwollfeldern rücksichtslos ausbeuten
AUS HYDERABAD WERNER PACZIAN
Das Lieblingsspiel des Mädchens Venkateswaramma ist Kabadi, eine Art Fangspiel. Viel Zeit für Kabadi bleibt nicht: Sie schuftet auf einer Baumwollfarm, die für den deutschen Bayer-Konzern Saatgut produziert. Das Mädchen, das nicht genau weiß, ob sie 12 oder 13 Jahre alt ist, verdient 50 Cent am Tag – für mindestens neun Stunden Arbeit. Im indischen Bundesstaat Andrah Pradesh arbeiten zehntausende Kinder auf Feldern, die Baumwollsaatgut produzieren. Auch für Bayer, das im Sommer 2002 die indische Firma ProAgro kaufte. 2003 enthüllte eine Studie von Agrarforschern des Glocal Research Institute aus der Provinzhauptstadt Hyderabad, dass für ProAgro mehr als 2.000 Kinder ausgebeutet wurden. Bayer hatte zunächst jede Verantwortung abgelehnt, weil es sich bei den Produktionsfarmen um eigenständige Betriebe handele. Bis heute legt der Konzern Wert auf die Feststellung: „Die Behauptung, Bayer profitiere von Kinderarbeit, ist weder für die Vergangenheit noch für die aktuelle Pflanzsaison richtig. Bayer beschäftigt keine Kinder!“ Tatsächlich kontrollieren Vertreter von Bayer die Felder regelmäßig – und sollten daher den massenhaften Einsatz von Kindern bestens kennen.
Venkateswaramma würde gern Lesen und Rechnen lernen, saß aber nie in einen Klassenraum. Dabei müsste sie nach den vollmundigen Ankündigungen von Wolfgang Faust, PR-Chef bei Bayer CropScience, längst eine Schule besuchen. Nachdem unter anderem das „Eine Welt Netz NRW“ die Kinderarbeit für Bayer-Profite Anfang 2005 öffentlich angeprangert hatte, entwickelte Bayer das Konzept „Glückliche Ernte“. Es sieht vor, ab 2005 Kindern, die bisher auf den Feldern arbeiteten, einen Schulbesuch zu ermöglichen. Außerdem kooperiert Bayer seit diesem Jahr nur noch mit 30 „privilegierten Dörfern“. Am 17. Mai 2005 schrieb Wolfgang Faust: „Ab Juni/Juli sollten durch die ergriffenen Maßnahmen auch keine Kinder mehr auf den Feldern arbeiten.“
Venkateswarammas „Glückliche Ernte“ führt häufig dazu, dass sie Kopfschmerzen hat. Etwa alle fünf Tage werden Pestizide auf der Plantage versprüht. Häufig verbieten die Plantagenbetreiber den Kindern, während der Sprühaktionen die Felder zu verlassen. Das berichten sowohl die Kinder selbst als auch der Vorsitzende des Glocal Research Institutes, Dr. Ramana Davuluri. Dabei wird unter anderem das auch von Bayer in Indien verkaufte Agrargift Monocrotophos eingesetzt, das die Weltgesundheitsorganisation als hoch gefährlich in der Kategorie 1 einstuft. 1995 hatte Bayer versprochen, Pestizide der WHO-Klasse 1 bis zum Jahr 2000 weltweit vom Markt zu nehmen. Der Arzt Siva Reddy behandelt in der Sprühsaison täglich Kinder mit typischen Symptomen einer akuten Pestizidvergiftung: Bewusstlosigkeit, Durchfall, Dehydrierung.
Nach Stichproben der renommierten indischen Kinderstiftung MV Foundation werden auch 2005 schätzungsweise 1.500 Kinder dafür ausgebeutet, dass sie für Bayer Baumwollsaatgut produzieren. Wolfgang Faust von Bayer betont: „Wir haben in dieser Saison den Schwerpunkt auf ein systematisches Kontroll- und Sanktionssystem gelegt. Dabei ist klar, dass die Ankündigung der Maßnahmen allein nicht sofort dazu führen kann, dass ausnahmslos alle Farmer gleich zu Beginn der neuen Saison keine Kinder mehr einsetzen.“ Venkat Reddy, Vizechef der MV Foundation, lässt das Argument nicht gelten. „Bayer sagt, sie hatten erst drei Monate Zeit, etwas zu bewegen. Wir sagen, sie hatten drei Jahre und drei Monate Zeit, um die Kinder vom Feld zu holen.“
„Ich würde sofort auf Kinderarbeit verzichten, wenn höhere Abnahmepreise gezahlt würden“, sagt Saatgutfarmer Chinnar Thimmulu. Eine Studie vom Glocal Research Institute, die am Wochenende vom „Eine Welt Netz NRW“ vorstellt wurde, belegt, dass schon 12 Prozent höhere Abnahmepreise die Farmer wirtschaftlich in die Lage versetzen würden, die Arbeit von Kindern durch Erwachsene zu ersetzen. Die Gewinnspanne im Saatgutgeschäft liegt derzeit bei 360 Prozent, resümiert die Studie.