Protest gegen BAYER & Co.
Die Coordination gegen BAYER-Gefahren und der Verein der ehemaligen Heimkinder Schleswig-Holstein nahmen den Weltkindertag zum Anlass, um vor den schleswig-holsteinischen Landtag zu ziehen. Die Ex-Heimkinder forderten von BAYER & Co. Entschädigungen für die mit ihnen in frühen Jahren unternommenen Medikamenten-Versuche und protestierten gegen Misshandlungen und sexualisierte Gewalt in den Einrichtungen.
Von Marius Stelzmann
Seit 2018 steht die Coordination gegen BAYER-Gefahren in engem Kontakt mit dem Verein der ehemaligen Heimkinder Schleswig-Holstein. Die Organisation hat sich die Aufarbeitung des Unrechts auf die Fahne geschrieben, welches an Heimkindern von den 1950er bis in die 1970er Jahre hinein verübt wurde: Misshandlungen, sexualisierte Gewalt und Medikamentenversuche. Gegen ihren Willen mussten die ehemaligen Heimzöglinge – entweder in den Einrichtungen selbst oder aber in Kinder- und Jugendpsychiatrien – verschiedenste Pharmazeutika einnehmen, meist Psychopharmaka oder Neuroleptika. Nicht wenige davon stammten von BAYER. Unter den Folgen leiden viele bis heute. Darum unterstützt die CBG die Heimkinder in ihrer Auseinandersetzung mit den Pharma-Konzernen, Kirchen und staatlichen Stellen um Entschädigung, Anerkennung und Würde. Zum Weltkindertag am 20. September traten beide Netzwerke zusammen in Aktion: Vor dem Kieler Landtag wurde der Protest auf die Straße getragen.
Fünf Jahre zuvor hatten die Ex-Heimkinder dort auf einem Symposium bereits von ihrem Leid berichtet. Versprochen wurde danach einiges. Die meisten Ehemaligen warten jedoch immer noch auf Entschädigungen. Darum kamen sie zurück. Um auf die Verwicklung der Pharma-Unternehmen hinzuweisen, errichtete der Verein vor dem Eingang des Landtags zusammen mit der Coordination eine symbolische Mauer aus Medikamentenpackungen. Auf den großen Kartons prangten die Logos von BAYER, MERCK und anderen Konzernen, die mit den an den Heimkindern getesteten Medikamenten Millionengewinne erwirtschafteten. AktivistInnen hielten Schilder mit Forderungen hoch, die sich nicht nur an die Pillen-Riesen, sondern auch an die staatlichen Stellen und die Kirchen als Träger vieler der Einrichtungen richteten. Unter anderem protestierten die Geschädigten dagegen, dass Anträge auf Opferentschädigungsrenten immer wieder abgelehnt werden. Auch die im Koalitionsvertrag der schwarz-grünen Landesregierung angekündigte Prüfung der Einrichtung einer Landesstiftung, an der sich alle für das Leid und Unrecht Verantwortliche beteiligen, stehe noch aus, kritisierten sie.
Die Reaktionen
Die Abgeordneten kamen nicht umhin, der mahnenden Präsenz Rechnung zu tragen. Mehrere PolitikerInnen verschiedener Parteien stießen zur Kundgebung, um mit den Heimkindern über Ihre Lage zu sprechen und Möglichkeiten der Aufarbeitung und Entschädigung zu erörtern. Ein ebenfalls anwesender Richter bot an, Fälle, in denen den Heimkindern Entschädigung verweigert wurde, nochmals nachzuprüfen. Auch der NDR war vor Ort und dokumentierte die Aktion. O-Ton der Reportage: „Die ehemaligen Heimkinder fordern, dass die Landesregierung endlich Nägel mit Köpfen macht.“ Franz Wagle, der Vorsitzende des Vereins der ehemaligen Heimkinder Schleswig-Holstein, sagte dem Fernseh-Team: „Unsere Forderung ist, dass die Opfer zu ihrem Recht kommen. Und dass die Politik das, was sie uns mal zugesagt hat in dem Symposium von 2018, auch umsetzt.“ Die Aktion erreichte ihr Ziel: Druck auf die Politik zu machen, damit diese die Verbrechen von Kirche, Pharmakonzernen und staatlichen Stellen endlich aufklärt und für eine angemessene Entschädigung der Betroffenen sorgt.
Einige Heimkinder haben durch eine Kampagne, zu der auch die CBG beigetragen hat, bereits Entschädigungen erhalten. Im Jahr 2019 waren Franz Wagle, Eckhard Kowalke und Günter Wulf von der Coordination auf die BAYER-Hauptversammlung eingeladen worden. Dort konfrontierten sie den Vorstand des Konzerns direkt mit ihren Krankengeschichten. Das Publikum reagierte mit hörbarem Raunen. Ein PR-Desaster, das auch der damalige Vorstandsvorsitzende Werner Baumann nicht mehr verhindern konnte. In seiner Antwort auf die Reden der ehemaligen Heimkinder bekundete Baumann, dass sich im Unternehmensarchiv keine Hinweise auf eine BAYER-Verwicklung finden würden. Um Druck aus dem Kessel zu nehmen, kam dann ein Vorstandsmitglied vom Podium herunter und machte den Dreien ein Angebot: Sie könnten den Aktenstand zu ihrer Frage im eigentlich für die Öffentlichkeit nicht zugänglichen BAYER-Archiv selbst prüfen. Die Heimkinder kamen – anders als vom Konzern erwartet – vorbereitet nach Leverkusen und brachten den Historiker Dr. Klaus Schepker von der Universität zu Ulm mit. Und dem Team gelang das, womit BAYER nicht gerechnet hat: Es förderte Dokumente zutage, die belegten, dass der Global Player in die Medikamentenversuche verwickelt war. Diese Funde flossen als Quellengrundlage in eine Studie der Universität Kiel ein, die wiederum vom Landtag Schleswig-Holstein als Grundlage dafür herangezogen wurde, zumindest einigen der Heimkinder eine Entschädigung zuzusprechen. Den Betroffenen reicht das jedoch nicht: Für sie ist Gerechtigkeit erst erreicht, wenn alle eine solche erhalten. Deshalb werden die CBG und der Verein der ehemaligen Heimkinder Schleswig-Holstein ihre Kampagne in diesem Jahr fortsetzen. Die Coordination wird sich dafür einsetzen, dass die ehemaligen Heimkinder 2024 auf der BAYER-Hauptversammlung wieder die Möglichkeit haben werden, ihr Anliegen vorzutragen. Auch wollen CBG und Heimkinder die Aktion in größerem Maßstab in der zweiten Jahreshälfte wiederholen. Dieses Mal haben sich großen Opfer- und Kinderschutzverbände wie zum Beispiel der Weiße Ring angesagt, die im vergangenen Jahr leider erfolglos angefragt worden waren.
Es bleibt also heiß in der Frage des Kampfes der Heimkinder um Würde, Anerkennung und Entschädigung. Die CBG wird sich weiterhin nach Kräften mit ihnen zusammen dafür einsetzen, dass Konzerne, Kirchen und Staat sich endlich öffentlich zu ihrer Verantwortung bekennen und die Betroffenen dafür entschädigen, dass sie sie für ihr Leben geschädigt haben. ⎜