Junge Welt, 26.04.2003
Clemens Fobian
BigBrotherAward geht an Bayer
Reale Orwell-Welt: Konzern nötigt Bewerber zu Drogentest per Urinprobe
Der Dachverband der Kritischen Aktionäre hat es möglich gemacht: Auf seine Einladung hin konnte der Bayer AG während ihrer Hauptversamm-
lung am Freitag ein Preis überreicht werden, den die Konzernspitze eigentlich nicht haben will. Kein Wunder, denn mit dem BigBrotherAward werden alljährlich Unternehmen und Institutionen geehrt, die es mit dem Schutz der Privatsphäre und persönlicher Daten ihrer Mitarbeiter nicht so genau nehmen. Den Preis, dessen Name George Orwells Roman „1984“ über einen fiktiven Überwachungsstaat entnommen wurde („Big Brother is watching you“), gibt es bereits in 14 Ländern. In der Bundesrepublik wird er seit dem Jahr 2000 von dem Bielefelder Verein FoeBuD verliehen. Anders als andere Preisträger war von der Bayer AG niemand zur Preisverleihung am 25. Oktober 2002 erschienen.
Der Konzern hat den Preis bekommen, weil er Bewerber, die im Unternehmen eine Ausbildung machen wollen, zu einem Drogentest zwingt. Dafür müssen die Betroffenen eine Urinprobe abgeben. Formal können sie den Test ablehnen. Aber wer das tut, hat selbstredend schlechte Karten bei der Vergabe der Ausbildungsplätze. Die Betriebs- ärzte dürfen die Testergebnisse der Firmenleitung zwar nicht mitteilen, aber sie ziehen den Vermerk „Bewerber/in geeignet“ oder „nicht geeignet“ nach sich. „Urintests haben vor allem den Effekt, neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einzuschüchtern und ihnen die Macht des Unternehmens zu demonstrieren“, sagt Rena Tangens von der Brother-Award-Jury. Bei allen „Nebenwirkungen“ seien die Urintests zudem fachlich „ausgesprochen unzuverlässig“. Nach Alkohol, auf dessen Genuß jeder dritte bis vierte Arbeitsunfall zurückgehe, werde bei Bayer nicht gefragt. Bezeichnenderweise werden Drogenscreenings vor allem bei den unteren Lohnklassen durchgeführt. Ingenieuren, Programmierern und Managern wird diese Prozedur nicht zugemutet.
Mit der Preisvergabe fordert die Jury, daß Bayer die Drogenscreenings wieder abschafft. Oder man frage ersatzweise, „wann ein Test auf Alkohol und andere Drogen vor allen wichtigen Entscheidungen auch für die Geschäftsleitung der Bayer AG eingeführt wird“.