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[Interview] STICHWORT BAYER 04/2007

CBG Redaktion

Pharma-Zulassungen

„Massive Nebenwirkungen von TRASYLOL lange bekannt“

Der Mediziner Prof. Dr. Jürgen H. Fischer hat schon in den achtziger Jahren vor den Gefahren von TRASYLOL gewarnt. Aber geschehen ist nichts. SWB-Autor Philipp Mimkes sprach anlässlich des jüngsten Pharma-GAUs mit ihm über die lange Karriere eines mitunter tödlichen Medikamentes.

Herr Fischer, in welchem Zeitraum haben Sie zu TRASYLOL gearbeitet und wieviele Studien bzw. Artikel haben Sie zu diesem Präparat veröffentlicht?
Zusammen mit Mitarbeitern bzw. Doktoranden habe ich in Fachzeitschriften zwei Artikel in den Jahren 1983 und 84 zur Nebenwirkung von TRASYLOL an der Niere veröffentlicht, einen Artikel 2005 zur Wirkung auf Herzkranzgefäße, daneben einige Vorträge.

1984 organisierte der BAYER-Konzern in Luxemburg eine Tagung über „Neue Aspekte der TRASYLOL-Therapie“. Wurden Sie hierzu eingeladen?
Als ich von dem geplanten Symposium hörte, zu dem viele namhafte Herzchirurgen aus dem deutschen Sprachraum eingeladen wurden, rief ich den Veranstalter an und fragte, ob dies eine Veranstaltung werden solle, zu der Kritiker nicht erwünscht seien. Schließlich seien die von mir publizierten Daten ja sehr wichtig im Hinblick auf die Verwendung in der Herzchirurgie, da wir massivste Nierenfunktionsstörungen in der Kombination von TRASYLOL und Hypothermie (Unterkühlung) im Rahmen der Nierenkonservierung gefunden hatten. In der Herzchirurgie wird eine Hypothermie häufig bewusst herbeigeführt, um die Stillstandszeit des Herzens zu verlängern. Ich wurde daraufhin eingeladen und hielt einen Vortrag mit dem Titel: „TRASYLOL-Effekte an der Niere – Temperatur- und Dosisabhängigkeit“.

Wie waren die Reaktionen auf Ihren Vortrag?
Es stellte sich heraus, dass dies der einzige kritische Beitrag bleiben sollte. Innerhalb der von allen gemeinsam besuchten Sitzung wurde meiner Präsentation großes Interesse entgegengebracht, so dass ich glaubte, hiermit klinische Studien angestoßen zu haben. In der Folgezeit sprach ich verschiedentlich klinisch tätige Kollegen darauf an, aber das weitere Geschehen ist ja bekannt: Aus deutschen Kliniken kamen überwiegend TRASYLOL-freundliche Publikationen, manchmal mit dem kleinen Hinweis, an der Niere habe man nichts Besonderes gefunden. Und in der Publikation der Vorträge des Symposiums wurden fast alle wertenden und warnenden Passagen aus meinem Vortrag gestrichen.

Dennoch findet sich in der Publikation Ihre Schlussbemerkung „bei Anwendung hoher Aprotinin-Dosen, bei vorgeschädigten Nieren und insbesondere bei Temperatursenkung sollte jedoch die Nierenfunktion grundsätzlich überwacht werden“. Die Gefahren von TRASYLOL (Wirkstoff: Aprotinin) für die Nierenfunktion waren demnach seit langem bekannt?
Entgegen den Beteuerungen der Firma BAYER war zumindest seit 1984 vielen deutschen Herzchirurgen ebenso wie den für dieses Medikament zuständigen Mitarbeitern bekannt, dass die von mir zitierten tierexperimentellen Studien verschiedener Autoren von 1970 bis 1984 massive Nebenwirkungen von TRASYLOL auf die Niere berichtet hatten. Was ist für dieses Faktum beweiskräftiger, als ein von BAYER selbst veröffentlichter Tagungsband?

Bayer ließ in den 70er Jahren auch in der DDR Untersuchungen zur Wirkung von TRASYLOL bei Nierenkonservierung durchführen. Wie waren die Ergebnisse?
Der Leiter der Abteilung für experimentelle Organtransplantation der Charité in Ost-Berlin, Dr. Horpacsy, wies in einer Veröffentlichung von 1975 auf günstige Einflüsse von TRASYLOL auf die Enzymaktivitäten hin. Zur Funktion der Niere bemerkte er in der Publikation lediglich, dass keine Verbesserung des Transplantat-Überlebens durch TRASYLOL zu verzeichnen sei. Als Dr. Horpacsy später von unseren sehr negativen Ergebnissen einer Nierenkonservierung unter TRASYLOL erfuhr, berichtete er mir, auch er habe gefunden, dass konservierte Nieren nach TRASYLOL-Gabe nur noch minimale oder gar keine Funktion mehr aufwiesen. Da er einen Fördervertrag mit der Firma BAYER zur Finanzierung der Versuche in der DDR abgeschlossen hatte, sei er jedoch von dem Projektbetreuer der Firma angewiesen worden, lediglich die positiven (aber letztlich unbedeutenden) Enzymdaten zu veröffentlichen und den Funktionsverlust geheim zu halten.

Warum ließ BAYER überhaupt Untersuchungen in der DDR durchführen?
Da in der DDR Forschung zentral angeordnet, gesteuert und überwacht wurde, wäre es natürlich interessant, die Details der mit der DDR abgeschlossenen Forschungsverträge zu kennen.

Prof. Schönhöfer urteilt über TRASYLOL, „dieses Produkt war immer ein Arzneimittel auf der Suche nach einem Anwendungsgebiet“. Würden Sie dem zustimmen?
Das ist eine treffende Beschreibung der damaligen Situation. Seit 1965 wurden regelmäßig Symposiumsberichte unter dem Titel „Neue Aspekte der TRASYLOL-Therapie“ von der Firma BAYER organisiert. Bis zum Band 8 von 1975 findet man darin alle möglichen (letztendlich erfolglosen) Anwendungsversuche von der Pankreatitis über den Schock, die Geburtshilfe und Ödembehandlung bis zum Herzinfarkt.

Hätte TRASYLOL überhaupt zugelassen werden sollen?
Es ist schwierig, diese Frage zu beantworten. Liest man die Arbeit von Dean Fergusson et al. , die 2005 in der Zeitschrift Clinical Trials erschienen ist, so erfährt man, dass von 64 randomisierten klinischen Studien zu TRASYLOL, die zwischen 1987 und 2002 publiziert wurden, fast alle als Prüf-Hypothese die Zahl der Bluttransfusionen oder den Blutverlust untersuchten und keine einzige die Mortalität. Wenn in solchen Studien nur noch ein einziger positiver Aspekt eines Medikaments im Vordergrund gesehen wird (und die den postoperativen Blutverlust senkende Wirkung von TRASYLOL ist ja belegt), ohne ausreichende Berücksichtigung negativer Effekte im Studienziel, so ist die Zulassung zumindest nachvollziehbar.

Wo liegen heute allgemein die Probleme bei der Kontrolle von Pharmazeutika?
Das große Problem in der heutigen Beurteilung zugelassener Medikamente ist, dass von den Zulassungsbehörden letztlich nur noch klinische Studien akzeptiert werden. Ergebnisse tierexperimenteller Studien oder auch klinische Ergebnisberichte werden so unabhängig von der Bedeutung der mitgeteilten Schäden nicht mehr wahrgenommen. Der Hersteller dieser Medikamente hat es somit in der Hand, klinischen Studien seine Unterstützung zu versagen oder eigene, geheim durchgeführte Studien zu unterschlagen (wie im Fall BAYER geschehen), wodurch dann der weitere Absatz des Medikaments gesichert ist. Ich glaube, dass hier ein Umdenken dringend erforderlich ist.

Prof. Jürgen Fischer ist Direktor des Instituts für Experimentelle Medizin der Universität Köln