Polychlorierte Biphenyle (PCBs) zählen zu den gefährlichsten Chemikalien der Welt. Bis zu ihrem Verbot gehörten BAYER und MONSANTO zu den weltgrößten Produzenten. Vor allem in öffentlichen Gebäuden sorgen die Substanzen immer noch für viele Gesundheitsstörungen. SWB-Redakteur Max Meurer sprach mit Jürgen Jäger über die Problematik. Er wurde als Lehrer an einer Wiesbadener Schule auf die PCB-Belastung öffentlicher Gebäude in der Bundesrepublik aufmerksam. Seitdem beschäftigt Jäger sich intensiv mit der Aufklärungsarbeit über die Ursachen und Folgen der Schadstoffbelastung von Einrichtungen. Unter anderem war er als Umweltbeauftragter der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Hessen tätig.
Herr Jäger, Sie haben während ihrer Arbeit an der Wilhelm-Leuschner-Schule nachweisen können, dass in besagter Schule PCB-haltiges Öl, das aus den Lampenkondensatoren getropft war, in Kombination mit der Belastung der Wände jahrzehntelang SchülerInnen und LehrerInnen einer hohen gesundheitlichen Gefahr ausgesetzt hat. Worin bestand diese von den Polychlorierte Biphenyle ausgehende Gefahr genau und wie wurden Sie darauf aufmerksam? Inwiefern hängt ihr Engagement als späterer Umweltbeauftragter bei der GEW Hessen damit zusammen?
Die Aufmerksamkeit für die gesundheitsschädliche Innenraumbelastung wurde durch die neu gebaute Kindertagesstätte in Wiesbaden-Kostheim geweckt, die meine Tochter Caroline besuchte. Dort war ich Elternsprecher und später Vorsitzender der 23 städtischen Kindertagesstätten der Landeshauptstadt Wiesbaden. Wir Elternsprecher stellten den Antrag, das Trinkwasser der neugebauten KiTa in der Küche auf Nitrat zu testen und stießen auf einen Kupfergehalt von 5,64 mg. Die Stadt tauschte die Kupferleitung in der Folge durch eine Kunststoffleitung aus. Dieses Ereignis führte dazu, dass ich in alle städtischen KiTas eingeladen wurde, mit dem Ergebnis, dass alle KiTas wegen einer Vielzahl von Gift- und Schadstoffen saniert werden mussten. Die letzte dieser KiTas, Baujahr ca. 1972, hatte PCB-Dehnungsfugen, und die Beton-Wände waren durch PCB-haltige Schalöle, die als Trennmittel eingesetzt wurden, großflächig PCB-belastet. Darüber hinaus waren in den Neonlampen-Schirmen gelbliche Spuren erkennbar. Bei der Herkunftsuntersuchung stellte sich heraus, dass die Lampenkondensatoren implodiert waren. Als ich an diesem Tag in die polytechnischen Räume kam, musste ich feststellen, dass ein Lampenkondensator auslief. Die KiTa wurde vorübergehend geschlossen und saniert. Daraufhin wurden in allen öffentlichen Gebäuden Wiesbadens die Lampenkondensatoren ausgetauscht, wie ein Magistratsangestellter dem Personalrat der 78 städtischen Schulen berichtete. Bei den Sanierungen wurde jedoch nicht auf Null-PCB-Belastung orientiert, die Werte wurden vielmehr auf unter 300 ng PCB pro Kubikmeter gedrückt (gemessen bei kalten Temperaturen, bei denen die Werte niedriger liegen als bei hohen Temperaturen). Da die Wilhelm-Leuschner-Schule (WLS), an der ich tätig war, im selben Jahr wie die KiTa gebaut wurde, stellte ich als Personalratsmitglied einen Antrag auf Untersuchung der Schule. Das Ergebnis war erschreckend. Die Werte bewegten sich in unterschiedlichen Räumen in mehrstelligen 1000er-Bereichen pro Kubikmeter Raumluft. Die Schule wurde drei Tage lang geschlossen, und jeder Raum wurde auf PCB-Belastung hin untersucht.
Die BAYER AG war der einzige namentlich bekannte Hersteller von PCB in der Bundesrepublik Deutschland. In den USA war ihre jetzige Tochter-Gesellschaft MONSANTO bis zum Verbot der Chemikalie der größte Produzent. Dort ist sie seitdem mit einer Flut von Entschädigungsprozessen konfrontiert, die auch bereits zu Milliarden-Zahlungen führten. Welche Verantwortung sehen Sie bei der BAYER-AG, welche Konsequenzen sollte das Unternehmen Ihrer Ansicht nach für die Gesundheit der Betroffenen tragen? Wissen Sie von Klagen gegen die BAYER-AG, waren diese berechtigt und erfolgreich?
Die BAYER AG sollte für den PCB-Skandal zur Rechenschaft gezogen werden. Sie muss auch die Betroffenen in Deutschland und anderswo entschädigen, wie es in den USA beispielsweise teils geschehen ist, und sich an den Sanierungskosten beteiligen. Da das PCB-Problem seit 1930 bekannt ist, und man seitdem über seine Auswirkungen auf die Gesundheit informiert ist, scheint es mir unverständlich, dass meines Wissens nach in der Bundesrepublik noch keine Klagen gegen die BAYER-AG erhoben wurden. Ich würde eine solche Klage auf Grundlage des Artikel 2 des Grundgesetzes für gerechtfertigt halten, in dem das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit garantiert wird. Eine bundesweite Initiative zur krankmachenden Chemie-Belastung durch PCB wäre notwendig und mit großer Wahrscheinlichkeit erfolgreich.
Ab den 90er Jahren setzten an einigen Schulen und weiteren betroffenen Gebäuden Sanierungswellen ein, deren Ziel es war, die PCB-Grenzwerte wieder unter 300 Nanogramm zu drücken. Wie beurteilen Sie derartige Sanierungsvorhaben, wie viele Gebäude sind davon bis heute betroffen und wer trägt die Kosten dafür?
Die Sanierungsvorhaben, die stets das Ziel verfolgten, die PCB-Belastung auf unter 300 ng pro Kubikmeter zu drücken, wurden nirgends dauerhaft erreicht. Die Messungen erfolgten meist in den kalten Jahreszeiten, da dann das PCB weniger stark ausgast. In Deutschland gibt es laut Statistischem Bundesamt ca. 45.000 Schulen und 58.000 Kindertagesstätten. Von diesen sind ca. 1.500 Schulen PCB-belastet, da PCB beispielsweise als Flammschutzmittel eingesetzt wurde, etwa in Farben, PVC-Bodenbelägen und Deckenplatten.
Großflächig dürften daher mehr Gebäude betroffen sein. Die Sanierungsvorhaben sind völlig ungeeignet für die Erreichung des Ziels eines gesunden Arbeitsplatzes in KiTas und Schulen, auch im Hinblick darauf, dass PCBs hormonell wirksam sind und somit epigenetische Folgen haben können. Außerdem werden die Kosten für die Sanierung nicht von den VerursacherInnen, sondern von den SteuerzahlerInnen getragen.
Wie sieht insgesamt die Sanierungsbilanz aus? Sind alle Schäden aufgenommen und entsprechende Sanierungsarbeiten veranlasst? Ist jetzt genügend Problembewusstsein vorhanden? Gibt es noch Neuerkrankungen?
Es gibt bundesweit und auch auf kommunaler Ebene keine Schadstoff-Kataster von Bildungseinrichtungen, und es kommt sporadisch jährlich zu neuen Sanierungsbestrebungen und Vorhaben für Bildungseinrichtungen, die in die Öffentlichkeit getragen werden. Zu Problembewusstsein kommt es meist nur dann bei PolitikerInnen, wenn sie persönlich betroffen sind (so beispielsweise in Nürnberg, Mainz, Wiesbaden oder Eschborn, wo Angehörige von PolitikerInnen in PCB-belasteten Umfeldern unterrichtet wurden oder unterrichteten). Es gibt immer noch eine hohe Zahl von Neuerkrankungen in Folge von PCB-Belastungen. Das Problem ist, dass ÄrztInnen meist die Ursachen der Erkrankungen nicht direkt erkennen und Wissensvermittlung über die Folgen von PCB-Belastungen möglicherweise nicht Teil der medizinischen Ausbildung ist.
Sie selbst haben eine Erkrankung entwickelt, die eine Folgeerscheinung des Kontaktes mit PCB sein kann. Worum handelt es sich und sehen Sie einen Zusammenhang mit der hohen PCB-Belastung in deutschen Schulen und öffentlichen Einrichtungen?
Ja, mein Körper ist PCB-belastet, das wurde von Professor Dr. med. Wolfgang Huber aus Heidelberg eindeutig festgestellt. Bei meiner Erkrankung handelt sich um eine chronische, schleichende Polyneuropathie (PNP) an den Füßen, Beinen, Armen und Händen sowie um Konzentrationsschwierigkeiten, das Müdigkeitssyndrom (Chronic Fatigue Syndrome) und Gehirnrauschen. Die PCB- und Schadstoffbelastungen bundesrepublikanischer Bildungseinrichtungen stehen meiner Meinung nach im engen Zusammenhang mit vielen Erkrankungen der Gliedmaßen, neurologischen Erkrankungen und ADHS. Als Gedächtnistrainer ist meine Wahrnehmung hier besonders gefordert. Nach der Stockholmer Vereinbarung, die von der Bundesregierung unterzeichnet und ratifiziert wurde, wären die Verantwortlichen in der Pflicht, aktiv zu werden und für eine konsequente Eliminierung der Gift- und Schadstoffe zu sorgen. Dass dies nicht passiert, ist eine Vernachlässigung der Aufgaben der verantwortlichen Akteur-Inenn. Gesundheit muss in der Gesellschaft immer Vorrang haben! ⎜
Infobox PCB
Polychlorierte Biphenyle (PCBs) sind giftige und krebsauslösende Verbindungen, die bis in die 1980er Jahre in Transformatoren, Kondensatoren, Kunststoffen, Hydraulikanlagen und in Weichmachern in Dichtungsmassen, Lacken usw. verwendet wurden. Sie bestehen aus 209 Einzelverbindungen, einige von ihnen gelten als synthetische Hormone, die auf das endokrine System (also auf Hormon- und weitere Drüsen) wirken und in der Lage sind, dort schwere Schäden zu verursachen. Sie stehen darüber hinaus im Verdacht, Krebs, ADHS und weitere Erkrankungen auszulösen. PCBs werden zum Großteil über die Nahrung aufgenommen, allerdings sind sie fettlöslich, weshalb bereits der Hautkontakt durch längere Aufenthalte in PCB-belasteten Gebäuden erhöhte PCB-Werte im Blut zur Folge haben. Das Stockholmer Übereinkommen von 2001 über persistente organische Schadstoffe zählt PCBs zu den zwölf gefährlichsten Chemikalien der Welt, die seither als das „dreckige Dutzend“ bezeichnet werden. Bis zu ihrem Verbot – in den USA 1977 und in Deutschland 1983 zählten MONSANTO und BAYER zu den größten Herstellern.