31.05.2008 / junge Welt / Seite 2
»Bayer will die Sache schnell durchziehen«
Der Leverkusener Chemiekonzern baut eine 67 Kilometer lange Giftgaspipeline. Dagegen wird geklagt. Ein Gespräch mit Philipp Mimkes, Sprecher der Coordination gegen Bayer-Gefahren
Der Leverkusener Chemie-Multi Bayer baut derzeit trotz fehlender Betriebsgenehmigung eine 67 Kilometer lange Pipeline für Kohlenmonoxid zwischen den Standorten Krefeld und Dormagen. Wie ist der Stand der juristischen Auseinandersetzung?
Die Gegner der Pipeline haben berechtigte Hoffnung, das Projekt vor Gericht zu stoppen. Zuletzt hatte das Oberverwaltungsgericht in Münster im Dezember 2007 den Bedenken der klagenden Kommunen und Einzelpersonen stattgegeben. Demnach wird die Betriebsgenehmigung erst nach Ende des Hauptsacheverfahrens und nur für den Fall erteilt, daß Bayer die Sicherheitsbedenken der Kläger ausräumen und ein »überwiegend öffentliches Interesse« am Betrieb nachweisen kann. Auf jeden Fall wirft das Urteil die Pläne des Konzerns weit zurück, weil sich das Verfahren über Jahre hinziehen kann.
Wann wird weiter verhandelt?
Am 16. Juni vor dem Verwaltungsgericht in Düsseldorf. Dann wird sich zeigen, ob das Kalkül von Bayer und der nordrhein-westfälischen Landesregierung aufgeht, das Verfahren zu beschleunigen. Regulär dauert eine juristische Auseinandersetzung dieser Größenordnung fünf bis sieben Jahre. Bayer ist dagegen gewillt, die Sache in einem halben Jahr durchzuziehen.
Warum sollte das Gericht diesem Wunsch nachkommen?
Ob es so kommt, muß man abwarten. Bedenklich ist allerdings, daß sich die Landesregierung die Argumente des Konzern fast vollständig zu eigen gemacht hat. Das betrifft sowohl die Unterstellung eines vermeintlichen Gemeinwohls des Projekts, weil dadurch angeblich Arbeitsplätze gesichert würden, als auch die Behauptung, von der Pipeline gingen keine Gefahren aus.
Würde die Pipeline für Bayer ökonomisch noch Sinn machen, wenn sie erst in fünf bis sieben Jahren in Betrieb ginge?
Ich glaube nicht. Hintergrund ist der, daß Bayer in Krefeld für die Kunststoffproduktion Kohlenmonoxid benötigt. Das wurde über Jahrzehnte direkt an Ort und Stelle produziert, was angesichts der hohen Giftigkeit des Gases auch der einzig vernünftige Weg ist. Die bestehende Anlage in Krefeld ist jedoch veraltet, und dort wird die Produktion mittelfristig wohl nicht mehr aufrechterhalten werden können. Deshalb lautet ja auch unsere Forderung, daß Bayer in Krefeld eine moderne Kohlenmonoxidanlage aufbaut. Das wäre in jeder Hinsicht sinnvoller: Ökologische Ressourcen würden geschont, der Konzern könnte sich die Pipeline und die juristischen Streitereien sparen, und die Gefahren für die Bevölkerung würden minimiert. Außerdem hätte man einen gefährlichen Präzedenzfall verhindert, denn Gefahrstoffe sollten weiterhin nur dort produziert werden, wo sie gebraucht werden.
Noch setzt Bayer stur auf den Weiterbau und hofft auf den Segen der Gerichte. Kann der Konzern die seitens der Kläger erfolgreich geltend gemachten Bedenken inzwischen entkräften?
Bayers Argumente sind heute noch die gleichen wie vor zwei Jahren. Wir bezweifeln ja nicht, daß das Unternehmen Unfälle vermeiden möchte. Aber wie will man für Jahrzehnte ausschließen, daß beispielsweise ein Bagger aus Versehen die Rohre beschädigt? Was ist mit Korrosion? Bei vergleichbaren Rohren kam es schon nach wenigen Jahren zu Korrosionsschäden. Und wer kann garantieren, daß es in der Rheinschiene in den nächsten 60 Jahren zu keinem Erdbeben kommt? All diese Risiken ließen sich umgehen, wenn man in Krefeld eine neue CO-Produktionsanlage bauen würde. Bei den jährlichen Milliardenprofiten könnte Bayer die durchaus überschaubaren Mehrkosten locker verkraften.
Bayer und die Regierung sagen, die Pipeline würde Arbeitsplätze sichern – ein Argument, das auch den DGB zum Verfechter des Projekts macht. Was ist dran an der These?
Tatsächlich gehören einzelne Regionalgliederungen des DGB zu den Projektgegnern. Daß sich ausgerechnet der DGB-Landesverband auf Druck der Chemiegewerkschaft IG BCE auf die Seite von Bayer geschlagen hat, ist bedauerlich und höchst fragwürdig. Denn wie wenig das Argument mit den Arbeitsplätzen wert ist, hat gerade die Konzerntochter Bayer MaterialScience bewiesen. Das Unternehmen hat mit der Kunststoffproduktion im vergangenen Jahr über eine Milliarde Euro Gewinn erwirtschaftet und trotzdem unlängst angekündigt, rund zehn Prozent der Arbeitsplätze zu vernichten.
Interview: Ralf Wurzbacher