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Interview

CBG Redaktion

taz NRW, 7. Februar 2007

„Eine verhängnisvolle Fehlentwicklung“

Ex-Landesumweltministerin Bärbel Höhn fordert von ihrem Nachfolger mehr Engagement gegen Giftmüllimporte

taz: Frau Höhn, was werden Sie den besorgten Hertener Bürgern sagen, mit denen Sie am heutigen Dienstag Abend über den geplanten Giftmülltransport aus Australien sprechen?
Bärbel Höhn: Ich kann ihre Sorgen nachvollziehen. Wenn sich eine Ruhrgebietsstadt damit profilieren will, dass sie weltweit Problemmüll akquiriert, damit es bei ihr verbrannt werden kann, ist das keine gute Strategie für die Menschen, die dort leben müssen.

Auch Ihr Amtsnachfolger Eckhard Uhlenberg kritisiert den Giftmüllimport aus Down Under, sieht aber keine rechtlichen Möglichkeiten, ihn zu verhindern. Teilen Sie diese Auffassung?
Es wundert mich schon, wie locker die jetzige Landesregierung mit diesem Thema umgeht. Meines Erachtens versteckt sich Herr Uhlenberg hinter der Ausrede, rechtlich nichts machen zu können. Auch wenn dies vielleicht so sein sollte, blieben ihm noch etliche Möglichkeiten des Handelns. Tatsächlich hat er jedoch bisher keinerlei Aktivitäten entfaltet, um andere Lösungen zu finden.

Wie könnten die aussehen?
Seine Aufgabe ist es doch nicht, nur Gesetze konservativ auszulegen. Als Umweltminister ist er auch in einer Position, in der er moderieren kann. Falls er wirklich dagegen ist, dass der australische Giftmüll nach NRW kommt, muss er mit den hiesigen Akteuren als auch den in Australien darüber sprechen, ob es nicht Alternativen gibt.

Am Anfang Ihrer politischen Karriere stand das Engagement in einer Bürgerinitiative gegen Giftmüllverbrennung. In Ihrer Amtszeit als Landesumweltministerin importierten über 50 Länder aus allen Regionen der Welt ihren Giftmüll zur Verbrennung nach NRW. Ist das nicht eine frustrierende Bilanz?
Zu Beginn meiner Amtszeit bin ich damit konfrontiert worden, dass aufgrund einer falschen Politik in den 80er bis Mitte der 90er Jahre in Nordrhein-Westfalen fatale Überkapazitäten geschaffen worden sind. Es ist genau eingetreten, was wir in den Bürgerinitiativen seinerzeit prognostiziert hatten: Diese überdimensionierten Müllverbrennungsanlagen werden sich zu Müllstaubsaugern entwickeln. Ich bin mit diesem Problem sehr sorgfältig und sensibel umgegangen und habe einiges getan, das Schlimmste zu verhindern. Die schwarz-gelbe Landesregierung versucht jetzt, zu suggerieren, es sei schon immer ganz viel Müll aus dem Ausland gekommen. Aber da muss differenziert werden: Der Großteil des ausländischen Mülls kam aus den Niederlanden oder aus Belgien. Solche Importe aus grenznahen EU-Ländern, bei denen der Transportweg kürzer ist als der aus Sachsen, unterscheiden sich fundamental von Müll aus Australien, da alleine schon aufgrund des langen Weges mit diesem weit mehr Probleme verbunden sind.

Nordrhein-Westfalen diene mittlerweile als „das Müllklo für die ganze Welt“, konstatiert der BUND. Was muss geschehen, damit sich das ändert?
Auf jeden Fall dürfen die Fehler der Vergangenheit nicht wiederholt werden. Momentan sieht es jedoch so aus, dass Kapazitäten sogar weiter ausgeweitet werden. Dadurch wird das Problem noch vergrößert. Das ist eine verhängnisvolle Fehlentwicklung. INTERVIEW: PASCAL BEUCKER

Land greift nach Giftkrone

NRW ist Spitzenreiter bei den Müllimporten – aus Tradition, sagt das Land. Europa wird entscheiden, ob dieses Jahr so viel australischer Abfall wie noch nie geliefert wird

Mit 16,5 Millionen Tonnen ist Nordrhein-Westfalen deutscher Import-Meister. In kein anderes Bundesland wurde von 1999 bis 2005 mehr Müll importiert als das Zweistromland zwischen Rhein und Weser. Spitzenreiter bei den Müllexporteuren sind die niederländischen Nachbarn mit 1,5 Millionen Tonnen. Und nur 23.700 Tonnen kamen von außerhalb Europas.
Dass sich diese Zahl 2007 verdoppeln könnte, ist die Schuld des australischen Unternehmens Orica, das 22.000 Tonnen mit Hexachlorbenzol (HCB) belastete Reststoffe von Down Under nach Deutschland importieren will. Eigentlich müssten diese Abfälle in der Nähe des Erzeugers entsorgt werden. So steht es zumindest im Baseler Abkommen von 1989, das den internationalen Giftmülltransport regelt. Deshalb müssen die Behörden aus dem Industrieland Australien erklären, dass ihre Verbrennungsanlagen technisch nicht für eine ordnungsgemäße Verbrennung ausgestattet sind. Nach Auskunft des Umweltministeriums steht diese Erklärung jedoch noch aus. „Das Zögern ist natürlich auch eine Aussage“, so Ministeriumssprecherin Sabine Raddatz. Bei der Bezirksregierung in Köln bestätigt man dies. Doch wenn alle Unterlagen ordnungsgemäß vorlägen, müsse man genehmigen.
Notwendig ist dazu auch die detaillierte Schilderung des Transportwegs. Um die 16.000 Meilen in die Müllverbrennung abzuschließen, muss der Müll in Südafrika stoppen, bevor er in Brunsbüttel an Land geht. Dort wird wird der am stärksten belastete Teil der Menge verbrannt, der Rest wird in die Müllverbrennungsanlage von Bayer in Leverkusen transportiert. Hier teilen sich die nordrhein-westfälischen Anlagen in Leverkusen, Dormagen (beide im Besitz von Bayer) sowie die RVR-Anlage in Herten den lukrativen Kuchen Giftmüll.
Das 4.500 Tonnen große Stück wird für Bayer Industry Services rund drei Millionen Euro Umsatz erzeugen, so Unternehmenssprecher Christian Zöller. Bayer sei für diese Aufgaben prädestiniert, schließlich habe man in der Vergangenheit selbst HCB produziert. Die Zahlen bestätigen dies. Laut Umweltministerium stehen ein Drittel aller bundesdeutschen Anlagen, in denen Giftmüll verbrannt werden darf in NRW. Dies sei „historisch gewachsen“ so Ministeriumssprecherin Raddatz.
Eine Altlast der Chemie-Unternehmen ist jedoch auch der hohe Eigenanteil an den verbrannten Abfälle. In der Bayer-Anlage in Dormagen werden jährlich etwa 65.000 Tonnen Müll verbrannt, davon sind drei Viertel Rückstände aus der hauseigenen Produktion. Damit bleiben immerhin knapp 16.000 Tonnen Mülls, die außer Haus produziert werden – zum Beispiel in Australien.
Umweltminister Uhlenberg hat bereits angekündigt, den australischen Mülltransport stoppen zu wollen. Wegen der EU-Bestimmungen seien ihm jedoch die Hände gebunden. Auf dem nächsten Treffen der Landesumweltminister werde er jedoch ein Konzept vorschlagen. Dies findet im Mai statt – sechs Wochen vor Ende der deutschen EU-Ratspräsidentschaft. VON CHRISTIAN WERTHSCHULTE