Pestizide & Haushaltsgifte
Pestizide in Indien
BAYERs doppelte Standards
Im März 2015 führte das Berliner EUROPEAN CENTER FOR CONSTITUTIONAL AND HUMAN RIGHTS (ECCHR) in Indien eine Studie zu Pestiziden von BAYER und SYNGENTA durch. Es untersuchte unter anderem, welche Ackergifte die Unternehmen in dem Land vermarkten, ob die Warnhinweise den Anforderungen genügen und ob es ausreichend Schulungen für den Umgang mit den Chemikalien gibt. Die Ergebnisse waren verheerend. Deshalb informierte das ECCHR gemeinsam mit Partner-Organisationen die Welternährungsorganisation und die Weltgesundheitsorganisation. Auch das indische Landwirtschaftsministerium ist eingeschaltet.
Von Christian Schliemann und Carolijn Terwindt1
„Die Firmen aus dem Ausland kommen mit ihren Pflanzenschutzmitteln hierher und sagen, damit werde sich die Ernte verdoppeln. An den Schaden für die Menschen auf dem Land denken sie dabei nicht“, so die Meinung eines Bauern (42 Jahre) aus Guru Ki Dhab, einem Dorf in Punjab, Indien. Er besitzt 16 Morgen Land, welches er mit seinen zwei Brüdern bebaut. Sie züchten Gemüse, Senf, Gras und Reis. Seit zehn Jahren verwendet der Bauer das Pflanzenschutzmittel CONFIDOR, hergestellt von BAYER. Der Landwirt kann lesen und schreiben, aber nur Punjabi. Daher versteht er in Hindi verfasste Warn- und sonstige Hinweise auf den CONFIDOR-Behältern nicht. Ein älterer Bauer hingegen beschwert sich, dass er die Hinweise auf der Flasche wegen der kleinen Schrift überhaupt nicht zu entziffern vermag.
CONFIDOR ist nur eines der Pestizide, die BAYER CROPSCIENCE in Indien vertreibt. In Deutschland ist dieses Mittel nicht mal für Haus- und Kleingärten zugelassen. AnwenderInnen müssen erst einen Sachkunde-Nachweis vorlegen, bevor sie dieses Pestizid erwerben können. In Punjab jedoch steht jedem Menschen die Möglichkeit offen, das Mittel beim Händler zu erwerben.
Andere BAYER Produkte in den Regalen der Geschäfte sind LARVIN, REGENT UND NATIVO. Diese Ackergifte enthalten Wirkstoffe, die von der Weltgesundheitsorganisation als „moderat gefährlich“ eingestuft werden. Das PESTIZID AKTIONS-NETZWERK hat die Inhaltsstoffe hingegen anders bewertet. Es führt Thiodicarb (LARVIN) wegen möglicher Krebs-Gefahren und Imidacloprid (CONFIDOR) und FIPRONIL (REGENT) wegen ihrer bienenschädlichen Effekte in der Liste hochgefährlicher Substanzen2. Thiodicarb bezeichnet auch die US-amerikanische Umweltbehörde als wahrscheinlich krebserregend, und in der Europäischen Union ist der Wirkstoff seit 2004 nicht mehr zugelassen. Besondere Risiken für Kleinkinder, Gefährdungen von Vögeln und der Umwelt sowie unzureichende Daten zur Gefährlichkeit für den Menschen und für das Grundwasser haben Brüssel zu diesem Schritt bewogen.
Seit Längerem ist Punjab in Indien für seinen großen Pestizid-Verbrauch bekannt. Dementsprechend finden sich die Inhaltsstoffe der Mittel auch im Grundwasser und im Boden. WissenschaftlerInnen haben zudem Rückstände von Pestiziden in Blutproben von Bauern und Bäuerinnen gefunden. Akute Symptome und chronische Krankheiten, verursacht durch den direkten Kontakt mit Pestiziden, sind im Baumwollgürtel von Punjab weit verbreitet. Eine Studie unter LandarbeiterInnen dieser Region dokumentiert, dass 94,4 Prozent von ihnen an Ausschlag und Juckreiz leiden, 88,9 Prozent berichten von Übelkeit und Augenbrennen nach dem Sprühen. Indizien sprechen dafür, dass der dramatische Anstieg der Krebsrate in Punjab mit den Pestiziden in Zusammenhang steht. 2013 führte die Landesregierung eine landesweite Studie durch, die bestätigte, dass die Anzahl von Krebsfällen in Punjab – und dabei vor allem in dem Baumwollgürtel – deutlich über dem nationalen Durchschnitt liegt.
Verstöße gegen Standards
BAYER CROPSCIENCE beliefert in Indien 40.000 HändlerInnen mit seinen Mitteln und verfügt über 3.500 VertriebsmanagerInnen, die pro-aktiv FarmerInnen besuchen und für die Produkte werben. Damit ist der Agro-Multi einer der größten Pestizid-Anbieter in Indien. Umso wichtiger ist es, dass diese Acker-Gifte nur an Bauern und Bäuerinnen verkauft werden, die das notwendige Training bekommen haben und denen adäquate Schutzkleidung zur Verfügung steht. Beides ist jedoch in Punjab nicht gewährleistet, das belegt ein Bericht des EUROPEAN CENTER FOR CONSTITUTIONAL AND HUMAN RIGHTS (ECCHR), den die Organisation aus Berlin im Oktober 2015 der UN-Welternährungsorganisation (FAO) vorgelegt hat3. Für den Report wurden Pestizid-NutzerInnen, ZwischenhändlerInnen, VertriebsmanagerInnen und MedizinerInnen befragt. Die Ergebnisse wecken ernsthafte Zweifel an den Geschäftspraktiken von BAYER in Punjab. Eine Auswahl der Antworten der LandwirtInnen ist in einem Video enthalten, das als unterstützendes Beweismaterial bei der FAO eingereicht wurde4.
Das erschütternde Ergebnis der Befragung in Punjab: Etikettierungen auf den Pestizidbehältern sind in den allermeisten Fällen nicht in Punjabi verfasst, sondern in Hindi. Hindi sprechen aber nur acht Prozent der ortsansässigen Bevölkerung. Piktogramme, die über dieses Problem hinweghelfen sollen, verstehen die LandwirtInnen aber ebenso wenig. Auch die Signalfarben, welche die Toxizität anzeigen, deuten weder alle FarmerInnen noch alle befragten HändlerInnen richtig.
Aber nicht nur die mangelhafte Aufklärung über die Gesundheitsrisiken gefährdet die FarmerInnen. Die örtlichen PestizidhändlerInnen halten auch keine Schutzkleidung vor, und andere Bezugsquellen gibt es kaum. Und wenn die Herstellerfirmen mal Schutzkleidung liefern, dann in unzureichender Zahl und oft von schlechter Qualität. Deshalb bringen die Bauern und Bäuerinnen die Pestizide in der Regel in ihrer Alltagskleidung aus, meist nur mit einem Stück Stoff als Mundschutz gewappnet und häufig sogar ohne Schuhe, da das Laufen auf dem nassen Boden beschwerlich ist.
HändlerInnen, die ihre KundInnen über die bestimmungsgemäße und sachgerechte Anwendung von Agro-Chemikalien, die mit ihrer Anwendung verbundenen Risiken, über mögliche Risikominderungsmaßnahmen sowie über die sachgerechte Lagerung und Entsorgung der Mittel und ihrer Reste informieren, sind nach den Ergebnissen der Befragung eine Seltenheit. Dies ist besonders problematisch, da Indien – im Gegensatz zu Pflanzenschutzbehörden in Deutschland – für die Pestizid-AnwenderInnen keine Sachkunde-Nachweise fordert oder ausstellt. Überdies mangelt es auch den lizensierten Händlern oft an den entsprechenden Kenntnissen.
BAYER bricht Kodex
Laut dem Internationalen Verhaltenskodex für Pestizid-Management sind Unternehmen besonders dann gehalten, den Code zu beachten, wenn sie in Ländern agieren, in denen der Pestizid-Handel noch nicht unabhängig kontrolliert wird oder diese Kontrolle ineffektiv ist (Art. 3.2). Laut CropLife, dem Industrieverband der Pestizid-Hersteller, bedeutet dies, dass die höchste Management-Ebene innerhalb des Unternehmens diese Verantwortung für die Umsetzung des Codes übernehmen muss5. VertriebsmanagerInnen von BAYER besuchen wöchentlich die HändlerInnen in den Kleinstädten und gehen mit neuen Produkten auch oft selber zu den LandwirtInnen. Sie hätten also ausreichend Gelegenheit, sich ein Bild über den Informationsstand der FarmerInnen und HändlerInnen zu machen und entsprechend zu reagieren. Aussagen eines ehemaligen Vertriebsmanagers von BAYER in Punjab deuten allerdings an, dass der Konzern zwar Schritte unternimmt, die Bauern und Bäuerinnen aufzuklären, diese Versuche allerdings in ihrer Umsetzung scheitern. Die Unternehmensrichtlinien sehen vor, dass die örtlichen MitarbeiterInnen einmal im Jahr mit Hilfe des landwirtschaftlichen Bereichs der Universität vor Ort Trainings zu Sicherheit und Schutzkleidung durchführen. Nur wenige MitarbeiterInnen nehmen diese Richtlinien jedoch so ernst, dass sie die FarmerInnen tatsächlich adäquat trainieren. Wichtiger als diese sporadischen Hinweise auf Trainings waren laut dem befragten Manager die Verkaufsziele, für deren Erreichung die Vertriebspersonen von BAYER in Punjab MitarbeiterInnen-Vergünstigungen erhielten: „It is a must for a Territory in Charge to achieve at least 70 % of his targets. Otherwise he won’t receive the yearly incentives. … And the German guys used to give annual targets to India, Sri Lanka, Bangladesh, Pakistan, etc.” Es wundert daher nicht, dass von den befragten LandwirtInnen kaum eine/r ein Training in Pestizid-Anwendung erhalten hat.
Doppelte Standards
Pestizide müssen Warnungen über Gesundheits- und Umweltrisiken enthalten. In Europa verkauft der BAYER Konzern NATIVO mit der obligatorischen Warnung: „kann das ungeborene Leben schädigen“. Wie der Bericht für die FAO aber dokumentiert, fehlt dieser Hinweis auf den nach Indien exportierten Produkten. Die VerbraucherInnen werden auch nicht über mögliche Schutzmaßnahmen für Haut und Augen informiert. Die fehlende Kennzeichnung verstärkt die bestehenden Risiken für Frauen noch, denn sie nehmen über ihre Haut Pestizide leichter auf als Männer. Bei Schwangeren besteht zudem die Gefahr, ein krankes Kind zur Welt zu bringen. Nach Ansicht des ECCHR und seiner Partner-Organisationen deuten in diesem konkreten Fall die Ergebnisse der Umfrage zu fehlenden Warnungen überdies auf einen Verstoß gegen das indische Pflanzenschutzgesetz hin. VertreterInnen der indischen Bürgerbewegung Swadeshi Andolan reichten daher beim Landwirtschaftsministerium in Neu Delhi im Dezember 2015 eine Petition zur Aufnahme strafrechtlicher Ermittlungen gegen die Tochterfirma BAYER CROPSCIENCE INDIA LTD sowie gegen den Mutterkonzern BAYER CROPSCIENCE AG in Deutschland ein. Nach dem Gesetz sind eine Geldstrafe oder eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren vorgesehen. Das Verfahren ist derzeit anhängig. Der Konzern hat in seiner Reaktion auf den bei der FAO eingereichten Bericht hingegen beteuert, in Einklang mit der geltenden Gesetzeslage zu handeln.
Ausblick
Der Bericht, welcher der FAO zuging, schließt damit, dass die Pestizidhersteller gemäß der Angaben der LandwirtInnen und HändlerInnen offenbar wesentliche Vorschriften des Code of Conducts über das Pestizid-Management verletzen. Gleichzeitig leiden die anwendenden LandwirtInnen, aber auch ihre Familienmitglieder, die auf den Höfen leben und auf den Feldern helfen, an verschiedenen Gesundheitsproblemen. Die Bauern und Bäuerinnen berichten von Juckreiz auf der Haut, Brennen in den Augen, Atembeschwerden und weiteren Krankheiten. Laut dem Code of Conduct der FAO sollen Unternehmen, also auch BAYER, überprüfen, welche Folgen der Einsatz ihrer Produkte in der Praxis hat. Dabei sind schädliche Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit und die Natur zu berücksichtigen. Im Falle, dass eine Anwendung ohne unzumutbare Gesundheitsschäden und Umweltverschmutzung nicht gewährleistet werden kann, soll die Firma über Alternativen nachdenken. Diese Alternativen reichen auf dem Papier soweit, das Produkt vom Markt zu nehmen, wie Art. 5.2.5 des Codes deutlich macht. BAYER selbst beschreibt in seiner firmeneigenen „Product Stewardship Policy“ mit vielen Worten, wie eine „sichere“ Anwendung durch den Konzern gewährleistet wird und mittels welcher Kommunikationskanäle er über Risiken und Gesundheitsprobleme bei der Anwendung unterrichtet wird. Obwohl die Firma somit von der Situation in Punjab eigentlich klare Kenntnis haben müsste, sind angemessene Reaktionen soweit ersichtlich bisher nicht erfolgt.
Im Rahmen des Beschwerdemechanismus der Welternährungsorganisation WHO ist das ExpertInnen-Gremium gehalten, in Antwort auf den Bericht Empfehlungen darüber abzugeben, wie eine dem Standard entsprechende Situation wiederhergestellt werden kann. Eine sinnvolle Option wäre sicherlich ein gemeinsames Treffen der beteiligten zivilgesellschaftlichen Organisationen, allen voran der indischen Partner, mit den Unternehmen, aber auch der indischen Regierung, um über konkrete Änderungen bei der Vermarktung der Pestizide zu sprechen. BAYER hat hierzu seine Bereitschaft signalisiert. Die Unternehmen könnten beispielsweise die Label verbessern, ausreichend Schutzkleidung bereitstellen und Trainings durchführen. Ob hierdurch eine sogenannte sichere Nutzung (safe use) dieser gefährlichen Stoffe gewährleistet werden kann, bleibt aber weiterhin höchst fragwürdig. Solange allerdings nicht einmal diese grundlegenden Schutzmechanismen sichergestellt sind, ist eine weitere Vermarktung der BAYER-Pestizide im Punjab eine drastische Verletzung der Menschenrechte der ansässigen Bevölkerung – das nimmt der Agro-Riese aber offenbar sehenden Auges hin.
KASTEN
Der Code of Conduct der FAO für Pestizide
1985 entwickelte die FAO den Internationalen Verhaltenskodex für das Inverkehrbringen und die Anwendung von Pestiziden (Verhaltenskodex für Pestizid-Management), um damit den globalen Risiken zu begegnen, die von den Agro-Chemikalien ausgehen. Seit der Neufassung 2013 wird dieser Kodex ebenfalls von der Weltgesundheitsorganisation WHO unterstützt. Das Regelwerk adressiert Regierungen und Pestizid-Unternehmen gleichermaßen, und letztere haben sich dem Verhaltenskodex auch unterworfen. Für das Pestizid-Management formuliert dieser minimale Sicherheitsstandards, um die Gesundheits- und Umweltrisiken durch die Produkte zu reduzieren. Dem Kodex sind Richtlinien der FAO beigefügt, die Standards für Bereiche wie Werbung, Kennzeichnung und Verpackung enthalten. Zudem verlangt der Code, dass die Unternehmen den Vertrieb ihrer Produkte einstellen, wenn die nationalen oder internationalen Standards nicht eingehalten werden und der Pestizid-Einsatz eine unzumutbare Gefahr für die Bevölkerung darstellt (Art. 5.2).
Die AutorInnen arbeiten im Bereich Wirtschaft und Menschenrechte beim EUROPEAN CENTER FOR CONSTITUTIONAL AND HUMAN RIGHTS (ECCHR) in Berlin
2 Zu den Gründen für die jeweilige Einstufung siehe die Liste der hochgefährlichen Pestizide des PESTIZID AKTIONS-NETZWERKS abrufbar unter: http:www.pan-germany.org/download/PAN_HHP_List_150602_F.pdf
3Ad-Hoc Monitoring Report – Claims of (non-)adherence by BAYER CROPSCIENCE and SYNGENTA to the Code of Conduct Provisions on Labeling, Personal Protective Equipment, Training, and Monitoring. Abrufbar unter http:www.ecchr.eu/de/unsere-themen/wirtschaft-und-menschenrechte/pestizide.html.
4in Kürze abrufbar auf der Webseite des ECCHR unter: http://www.ecchr.eu/de/unsere-themen/wirtschaft-und-menschenrechte/pestizide.html
5CropLife International, „Guide for Industry on the Implementation of the FAO Code of Conduct on the Distribution and Use of Pesticides”, S. 5.