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[IG Farben] STICHWORT BAYER 01/2009

CBG Redaktion

Späte Ehrung für Zwangsarbeiter

Das Wollheim-Memorial

1951 verklagte der ehemalige IG-FARBEN-Zwangsarbeiter Norbert Wollheim die Nachfolge-Gesellschaft auf Schmerzensgeld. Nach langwierigen Verhandlungen erhielt Wollheim nicht nur in eigener Sache Recht: Die IG FARBEN IN ABWICKLUNG mussten in einem Vergleich 15 Millionen Euro an die Opfer zahlen. Ohne diesen Musterprozess hätte es wahrscheinlich nie Entschädigungen für die SklavenarbeiterInnen der deutschen Industrie gegeben. Deshalb ehrte die Stadt Frankfurt Wollheim im vergangenen Jahr mit einem Memorial. Über die Art des Gedenkens hatte es vorher allerdings einige Auseinandersetzungen gegeben.

Von Jan Pehrke

Im Jahr 2001 ging das Frankfurter IG-FARBEN-Haus in den Besitz der Johann Wolfgang von Goethe-Universität über. Mit der von dem Gebäude repräsentierten Vergangenheit des von BAYER mitgegründeten Mörder-Konzerns wollte die Hochschule allerdings nichts zu tun haben. Seinem Architekten zu Ehren sollte es fortan „Poelzig-Ensemble“ heißen und so nach den Worten des damaligen Universitätspräsidenten Werner Meißner „die Reinwaschung von nationalsozialistischen Bezügen“ ermöglichen. Auch gegen das Anbringen einer Gedenktafel für die IG-SklavenarbeiterInnen wehrte sich Meißner lange Zeit beharrlich, aber die Überlebenden konnten sich schließlich durchsetzen.
In seiner Rede zur Enthüllung des Erinnerungsmals griff der bis 2005 das Fritz-Bauer-Institut leitende Micha Brumlik den Vorschlag Karl Broziks auf, den Platz vor der Universität nach Norbert Wollheim zu benennen. Der Vertreter der Jewish Claims Conference, welche die juristischen Ansprüche von jüdischen NS-Opfern gegenüber der Bundesrepublik vertritt, wünschte damit den Mann zu ehren, der Anfang der fünfziger Jahre mit seinem Musterprozess gegen die IG FARBEN IN ABWICKLUNG die ersten Entschädigungszahlungen für ehemalige ZwangsarbeiterInnen durchsetzte.
Zahlreiche Personen und Organisationen unterstützten dieses Ansinnen: Die Überlebenden des IG-eigenen KZs in Auschwitz, der langjährige Leiter des jüdischen Altersheims in Frankfurt, Alfred Jachmann, und die Studierenden. Diese riefen sogar die Initiative „Norbert-Wollheim-Platz“ ins Leben und starteten eine Unterschriften-Kampagne, der sich unter anderem Paul Spiegel, Elfriede Jelinek, Klaus Theweleit und mehrere Professoren anschlossen.

Umbennung scheitert
Aber die Stadt Frankfurt und die Hochschule hielten eisern an der Adresse „Grüneburgplatz“ fest. „Obwohl ich die Benennung einer Straße oder eines Platzes nach Norbert Wollheim grundsätzlich begrüßen würde, sehe ich mich im Falle des konkret von Ihnen vorgeschlagenen Platzes außer Stande, dem Beschlussgremium einen entsprechenden Vorschlag zur Umbenennung zu unterbreiten“, sagte die Oberbürgermeisterin Petra Roth. Auch das Stadtvermessungsamt lehnte ab. Es sah die strengen Maßstäbe, die wegen des Gewohnheitsrechts an einen Namenswechsel anzulegen sind, als nicht erfüllt an und warnte angesichts der viel kritisierten Umbenennungen der Untermain-Brücke in Ignatz-Bubis-Brücke und des Theaterplatzes in Willy-Brandt-Platz vor dem Plan. Der Meißner-Nachfolger Rudolf Steinberg argumentierte hingegen historisch: „Der Grüneburgplatz besitzt eine eigenständige, spezifische Geschichte“. Diese besaß er allerdings nur von 1930 bis 1945, und das auch nur in den Augen der IG FARBEN. Vorher und nachher verwendete niemand diese Bezeichnung. Zu allem Übel fühlte sich durch die Kritik auch noch das rechte „Bürgerbündnis für Frankfurt“ (BFF) ermutigt, seinerseits Ablehnung zu bekunden und eine Umbenennung der perfiden Art anzuregen – den Namen „20. Juli“-Mitverschwörers Karl Friedrich Klausing sollte der Platz nach dem Willen der BFF fortan tragen.
Der Ortsbeirat fällte schließlich die Entscheidung zu Gunsten des alten Namens. Der bis zum 1. 1. 2009 amtierende Steinberg nahm allerdings das Anliegen der Umbenennungsinitiative auf und berief eine Kommission ein, die den Auftrag erhielt, Pläne für eine angemessene Würdigung Norbert Wollheims zu entwickeln. Und diese Kommission, der VertreterInnen der Claims Conference, des Fritz-Bauer-Instituts, der Studierenden und Lehrenden angehörten, griff eine Anregung des Publizisten Arno Lustiger auf, auf dem Gelände der Hochschule eine Gedenkstätte zu errichten.

Das Memorial
Mit dem Entwurf wurde der Künstler Heiner Blum betraut. Er konzipierte ein dreiteiliges Ensemble. Es besteht aus Fototafeln, einem Ausstellungspavillon und – als zwar virtueller, aber genuin zum Denkmal gehörender Teil – einer Internetseite. Die im Park des IG-FARBEN-Hauses aufgestellten großformatigen Fotografien zeigen ehemalige Zwangsarbeiter des Konzerns. Es sind Bilder aus fröhlichen Kindertagen, denen mit den späteren Häftlingsnummern als Menetekel das spätere Grauen eingeschrieben ist. „Ich will zeigen, was diesen Menschen genommen wurde, nicht nur, was ihnen angetan wurde“, sagt Blum zur Begründung dafür, keine Abbildungen geschundener, ausgemergelter Körper verwendet zu haben. Auf einem dieser Fotos ist Hans Frankenthal zu sehen, der später auf den Hauptversammlungen von BAYER und den IG FARBEN i. A. immer wieder vehement eine angemessene ZwangsarbeiterInnen-Entschädigung einforderte. Im Matrosenanzug hockt der kleine Hans auf einem Tischchen und spielt mit einem Stofftier, während sich sein Bruder Ernst im gleichen Aufzug an der Kante abstützt und verträumt eine Schubkarre in Händen hält.
Das Foto der Brüder Frankenthal, das um 1929 entstanden ist, leitet gemeinsam mit den Kindheitsbildern der anderen Sklavenarbeiter zu einem Pavillon, dem ehemaligen Pförtnerhaus des Komplexes. An der Frontseite prangt groß und hell erleuchtet die Zahl 107984 – die Häftlingsnummer Norbert Wollheims. In einem Video-Interview, das die BesucherInnen sich im Inneren anschauen können, erzählt Wollheim, welch ein einschneidendes Erlebnis es für ihn war, bei seiner Ankunft in Auschwitz diese Zahlenfolge auf seinen linken Arm eingebrannt zu bekommen. „Eines der ersten Dinge, die ich mir sagte, war: ‚Ich habe eine Nummer, aber ich möchte keine Nummer werden‘“, erzählt der 1998 verstorbene Mann. Auf einem zweiten Bildschirm ist die Website der Gedenkstätte abrufbar, die viel Material zu Wollheim, seinem Prozess, den IG FARBEN, der Zwangsarbeit und der Entschädigungsdebatte bereithält und integraler Bestandteil des Memorials ist. Nach dem Willen des Künstlers soll es nämlich Gedenken und Information miteinander verknüpfen – auch um wirklich die Tragweite des Satzes von Norbert Wollheim zu ermessen, der eine Wand des Pavillons einnimmt: „Wir sind gerettet, aber wir sind nicht befreit“.

Zwangsarbeit bei IG Auschwitz
Dieser Satz stammt aus einem Brief Wollheims, in dem er seinen in New York lebenden Freund Hermann Simon bittet, sich für die 60.000 Überlebenden der KZs zu verwenden, die als „Displaced Persons“ nicht wissen, wo sie hin sollen. Die Sentenz kann jedoch auch im übertragenen Sinne als Beschreibung eines die Vorstellungskraft übersteigenden und die Opfer für immer prägendes Grauen verstanden werden. Und dieses Grauen beschreibt Norbert Wollheim in dem Interview eindringlich. Zunächst auf der Baustelle des IG-FARBEN-Werkes in Auschwitz eingesetzt, mit welchem Nazis und IG-Obere die „Germanisierung“ der Region vorantreiben wollten, war ihm eines sofort klar: „Ich wusste, dass mir nur so lange zu leben erlaubt war, wie ich diese Arbeit tun konnte“. Viele konnten es nicht lange. Von den 51.445 KZ-Häftlingen, die Frondienste für den Konzern leisten mussten (insgesamt hatte dieser ca. 160.000 ZwangsarbeiterInnen), starben allein in Auschwitz, wo die IG sogar ein firmen-eigenes KZ unterhielt, zwischen 23.000 und 25.000 Menschen.
Selbst noch bei klirrender Kälte zum Arbeiten auf dem Bau gezwungen und auf Wassersuppe gesetzt, raffte es die Gefangenen dahin. Nicht einmal ein Mindestmaß an Würde billigte die IG-FARBEN ihren Arbeitssklaven zu. Das Essen mussten die KZ-InsassInnen im Stehen einnehmen, und an Waschen war kaum zu denken. „Die grundlegensten Dinge des Lebens wurden Dir vorenthalten“, berichtet Wollheim. Er selber überlebte wohl vor allem, weil er dank seines früheren Berufs andere Arbeiten zugewiesen bekam. Zusammen mit einem Polen gelang es ihm dabei sogar, Sabotage an den Werksstücken zu betreiben.

Wollheim vs. IG FARBEN
Seinen „zweiten Geburtstag“ nennt Norbert Wollheim den Tag, an dem er auf den Todesmärschen seine Haut retten und von der US-Armee kontrolliertes Gebiet erreichen konnte. Glücklich, aber zugleich ungeheuer traurig sei er da gewesen, erinnert sich der Mann, weil er realisierte, dass er nun völlig allein war, ohne Eltern und ohne Familie. Wollheim blieb erst einmal in Deutschland. Er nahm sich der „Displaced Persons“ an, baute den „Zentralrat der Juden“ mit auf und sagte im Nürnberger IG-FARBEN-Prozess (siehe SWB 4/08) aus. Der Berliner heiratete wieder, wurde erneut Vater und entschied dann gemeinsam mit seiner Frau, die Kinder nicht in der Bundesrepublik aufzuziehen und stattdessen in die USA zu gehen.
Dort erfuhr er von dem Aufruf der von den Alliierten gebildeten IG-FARBEN-Kontrollgruppe an die AktionärInnen der Firma, ihre noch nicht abgegoltenen Ansprüche anzumelden. Wollheim sagte sich: „Ich habe auch Ansprüche. Sie haben mir nie einen Penny für meine schmutzige Arbeit gezahlt!“ Der Neu-Amerikaner suchte sich einen Anwalt und verklagte 1951 die IG FARBEN I. A.. Der Rechtsnachfolger des Mörderkonzerns lehnte die Forderungen des ehemaligen Zwangarbeiters jedoch strikt ab. Als reines „Instrument des Reiches“ stellte sich die IG FARBEN vor dem Frankfurter Gericht dar. „Sie versuchten sogar den Eindruck zu erwecken, sie hätten in Auschwitz so eine Art Sanatorium für uns gebaut“, so Wollheim. Kein Schuldeingeständnis kam den Verantwortlichen über die Lippen, noch nicht einmal zur Übernahme der moralischen Verantwortung waren sie bereit. Das Gericht aber sprach die IG schuldig. „Ihre angeblich völlige Unkenntnis bestätigt lediglich ihr mangelndes Interesse am Leben der jüdischen Gefangenen, für die Sie zu sorgen verpflichtet waren“, hieß es in der Urteilsbegründung. Ein „Aufschrei“ ging daraufhin laut Wollheim durch die deutsche Presselandschaft. Die Zeitungen werteten die Sache „Wollheim vs. IG FARBEN“ als Präzedenzfall und warfen dem NS-Opfer vor, die sich gerade erst wieder erholende deutsche Industrie in den Ruin treiben zu wollen. Die IG FARBEN akzeptierte das Votum ebenfalls nicht und ging in die Berufung. So kam es erst 1957 zu einem endgültigen Abschluss des Verfahrens: Im Rahmen eines Vergleichs musste die Gesellschaft 15 Millionen Euro an die einstigen Skavenarbeiter zahlen.
Ein Durchbruch, den Wollheims langjähriger Freund Albert Kimmelstiel bei der Einweihung des Memorials am 11. Februar 2008 mit diesen Worten würdigte: „Sein erfolgreicher Kampf vor den deutschen Gerichten bedeutete einen ungeheuer wichtigen Schritt für die Anerkennung des Leids, das wir als Arbeitssklaven der IG FARBEN in Buna/Monowitz erleiden mussten“. Abgeschlossen soll das Kapitel „IG FARBEN“ mit dieser Erinnerungsstätte für die Universität allerdings nicht sein. Präsident Steinberg sicherte bei der öffentlichen Vorstellung des Wollheim-Memorials im letzten November zu, dass die Hochschule sich weiterhin wissenschaftlich mit dem beschäftigen wird, was einst in ihren Gemäuern vor sich ging. „Das betrifft vor allem die Beteiligung des Chemie-Konzerns an Völkermord und Kriegsverbrechen“, so Steinberg.

www.wollheim-memorial.de