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IG Farben

CBG Redaktion

26. November 2007 / junge Welt

Plumpe-Wissenschaft

Wie willige Professoren in der „Gesellschaft für Unternehmensgeschichte“ ihre Corporate identity fanden und was sie heute zwischen zehn und achtzehn Uhr bei der Bayer AG in Leverkusen treiben
Von Otto Köhler

Man muß auch irren können. Ich jedenfalls kann. Gründlich. Ich habe über Professor Dr. Werner Plumpe vor achtzehn Tagen hier an diesem Ort (jW v. 8.11.2007) etwas geschrieben, was mit Sicherheit nicht stimmt, ja einer Verleumdung gleichkommt. Doch davon später.

Heute morgen wird er erst einmal durch die – wie denn sonst – Kaiser-Wilhelm-Allee zum Kommunikationszentrum der Bayer AG in Leverkusen kommen und dort um 11.15 Uhr den Jubiläumsvortrag halten und am Nachmittag um 16.30 die Diskussion moderieren. Das Bayer-Archiv wird 100, ach was: „100 Jahre Corporate History & Archives. Bayer – eine spannende Geschichte“. So heißt die Tagung des eingetragenen Vereins „Gesellschaft für Unternehmensgeschichte“, dessen Vorstandsmitglied Plumpe ist und dessen „Wissenschaftlichen Beirat“ er sogar als Vorstandsvorsitzender anführt, als CEO, wie man heute korrekt sagt.

Unternehmensgeschichte, nein „Corporate History“, wie diese Tagung es nennt, und das ist die viel plausiblere Bezeichnung, also diese Art von Wissenschaft findet seit drei Jahrzehnten in der „Gesellschaft für Unternehmensgeschichte“ ihre Heimat. Sie wurde am 10. Juni 1976 – mit dem allerhöchsten Segen und der nachdrücklichen Forderung von Hermann Josef Abs, dem großen alten Ackermann der Deutschen Bank im Krieg und Nachkrieg – als Kampforganisation gegen politisch falsche Geschichtsdeutungen gegründet. Sie sollte der „Gegenpol“ sein zur „marxistisch orientierten Betriebsgeschichte der DDR“ und „zu ideologisch befrachteten Historikern in West-Deutschland“. Mit der Gründung der „Gesellschaft für Unternehmensgeschichte“ wurde – das verriet zu ihrem 20jährigen Jubiläum einer ihrer umtriebigsten Funktionäre, der damalige FAZ-Mitherausgeber Jürgen Jeske – „die Unternehmensgeschichte gewissermaßen privatisiert“.

Inzwischen sind die falsch orientierten Historiker aus dem Osten längst abgewickelt und die befrachteten Historiker im Westen weitgehend vereinnahmt. Und da andererseits auch – wie man ein Jahr später auf einer Tagung nahezu fröhlich versicherte – die Unternehmer gestorben sind, die in der NS-Zeit tätig waren, und auch die von ihnen beeinflußten Nachfolger meist schon pensioniert wurden, konnte man sich endlich mit Schwung des leidigen Themas annehmen.

Vereinsziel: Weißwäscherei
Diese Tagung, Titel „Unternehmen im Nationalsozialismus“, wagte die „Gesellschaft für Unternehmensgeschichte“ im Sommer 1997. Das Ambiente war gut gewählt. Man traf sich im Poelzig-Bau, wie die Gesellschaft schamhaft die IG-Farben-Festung an der Frankfurter Grüneburg nannte. Dort also, von wo der „Rat der Götter“ (interne Eigenbezeichnung für die IG-Farben-Spitze) seine Beihilfe leistete, um den Führer auf den rechten Weg zu bringen (jW v. 19.11.2007). Der zweite Gesamtleiter der Tagung, Professor Manfred Pohl, festangestellter Historiker der Deutschen Bank – er war, das fügte sich so, Schatzmeister der „Gesellschaft für Unternehmensgeschichte“ -, hatte dafür gesorgt, daß das Arbeitspult des Hermann Josef Abs herbeigeschafft wurde, damit die freie Rede der eingeladenen Historiker vom richtigen Standpunkt aus erschalle.

Doch bei Henry A. Turner, dem wohlgeratenen Historiker von der Yale University, hätte es des Abs-Pultes nicht bedurft. Er wußte damals schon lange, was richtig ist, und verstand es vorzüglich, sein eigentlich entlarvendes Wissen über die Unternehmer im Dritten Reich so zu trimmen, daß irgendwie ein Widerstand gegen Hitler dabei rauskam. Oder wenigstens ein Zustand der vergewaltigten Unschuld. Nur einige seien in die Verbrechen des Regimes „verwickelt“ worden.

Turners Einführungsvortrag zur Tagung geriet zum Freispruch für das deutsche Unternehmertum. Es habe bei den Ereignissen, die Hitler zur Macht brachten, keine nennenswerte Rolle gespielt. Die Unternehmer seien allenfalls Mitläufer gewesen. Denn ihnen sei es nun einmal so gegangen wie allen anderen Berufsgruppen auch: Sie wurden – da muß man sie schon bedauern – „immer tiefer in den moralischen Sumpf des Dritten Reiches gezogen“. Aber, so erfreute Turner seine Zuhörer, auch bei ihm in den USA habe es nun einmal die ethische Maxime „My country, right or wrong“ gegeben. Und da wäre es „anachronistisch“, würde man die deutschen Unternehmer nachträglich mit „Maßstäben von heute“ richten. Nicht jeder habe nun einmal das Glück gehabt, so beendete Turner seinen Vortrag mit dem Zitat eines Industriellen, „durch vier jüdische Großeltern“ davor „geschützt“ zu sein, „in die Sünden des Nationalsozialismus“ hineinzuschliddern. Diese Juden, mußte das Unternehmerpublikum sich da sagen, haben es doch immer verstanden, sich Vorteile zu verschaffen.

Henry James von der Princeton University, der gerade als Herausgeber eines als „kritisch“ angekündigten Bandes über die „Deutsche Bank“ hervorgetreten war, hatte am Abs-Pult einen festen Stand. Zwar war an die Handakten von Hermann Josef Abs, die die Deutsche Bank nach der siegreichen Wende aus den Archiven der DDR reprivatisierte und in ihre Frankfurter Verliese schaffte, nicht heranzukommen. Doch das Abs-Pult vermittelte dem Historiker aus Princeton das richtige Feeling. Er räumte ein, daß die Banken bei der Arisierung jüdischen Vermögens „schwere moralische Schuld“ auf sich geladen hätten – die Deutsche Bank etwa sei an der Arisierung von 330 Unternehmen beteiligt gewesen. Undankbar aber dürfen die Juden trotzdem nicht sein – es war ein echter Service. Denn, so James: „Hätten die Banken nicht in Deutschland den Verkauf von Vermögenswerten vermittelt, wäre es für die Opfer nationalsozialistischer Verfolgung noch schwieriger gewesen, wenigstens den sehr dürftigen Anteil zu retten, den sie nach den staatlichen Bestimmungen behalten und ins Ausland transferieren durften.“

Ein Jahr später, 1998, wurde es trotzdem für die deutschen Unternehmen ungemütlich. Tagungsleiter Jeske veröffentlichte in seinem Blatt den Leitartikel „Die Unternehmen, die Schuld und das Geld“, in dem er die „Rechtsauffassung“ für durchgesetzt erklärte, daß „die Betriebe im Auftrag der Gefangenenverwaltung“ handelten. Die Nazischergen hätten sie gezwungen, Sklavenarbeiter zu beschäftigen. Der FAZ-Mann von der „Gesellschaft für Unternehmensforschung“ schrie nach „Rechtsfrieden“, nach dem „Schutz vor neuerlichen Klagen mit Hilfe der amerikanischen Regierung“. Und er beteuerte: „Die heutigen Unternehmen verdanken ihren ›Reichtum‹, auf den man so gern verweist, in erster Linie der Aufbauleistung nach dem Krieg und nicht der Zwangsarbeit.“

Jeskes Vereinskollege Manfred Pohl, der Chef des Historischen Instituts der Deutschen Bank, wußte in der FAZ von Unternehmern zu berichten, die gerade in den USA waren, daß „ihnen ein ziemlich kalter Wind entgegenbläst“, von „Anzeigenkampagnen“ der Opferanwälte, die „durchaus Wirkung gezeigt haben“. Man müsse befürchten, „daß verschiedene amerikanische Staaten, wie Kalifornien das ja teilweise schon gemacht habe, Gesetze auf den Weg bringen, die das Ganze noch verschärfen werden“.

Jetzt sollte der Jude büßen, der bekanntlich immer noch hinter allem steckt: „Es könnte natürlich in Deutschland eine neue Welle von Antisemitismus entstehen“, drohte Manfred Pohl, der für die Finanzierung der „Gesellschaft für Unternehmensforschung“ sorgte. Drei Tage später echote die Welt-Schlagzeile aus der Hauptstadt der Berliner Republik: „Die antisemitische Stimmung in Deutschland wächst.“ Konnten die Unternehmer etwas dazu, daß diese Juden unter den Zwangsarbeitern dem Mordprogramm „Vernichtung durch Arbeit“ nicht zum Opfer fielen? Daß sie immer noch leben? Und jetzt wollen sie auch noch Geld.

Es half alles nichts. Die deutsche Industrie konnte sich nicht länger aus der Affäre ziehen, ohne einen gewaltigen Einbruch ihres Exports in die USA zu riskieren. Plötzlich gab es „Erinnerung, Verantwortung, Zukunft“, jene Stiftung, der es gelang, die Zwangsarbeiter mit einem Almosen abzuspeisen. Doch die „Gesellschaft für Unternehmensforschung“ muß sich auch heute noch ihrem Gesellschaftsziel widmen: der Weißwäscherei.

Kollegen unter sich
Es ist inzwischen 11.15 Uhr, heute, am 26. November 2007, im Bayer-Kommunikationszentrum zu Leverkusen. Professor Werner Plumpe – sein Titel ist echt, er hat einen richtige Lehrstuhl an der Johann Wolfgang Goethe-Universität, und ich komme gleich zu meinem unverzeihlichen Irrtum – Professor Plumpe schreitet zum Rednerpult und spricht über „Carl Duisberg und das moderne Unternehmen“. Was er sagt, weiß ich noch nicht, wohl aber weiß ich sehr genau, was er nicht sagen wird. Und hoffe trotzdem, daß er mich darin widerlegt.

Plumpe wird nicht über Carl Duisbergs Leidenschaft für Kriegsprofite reden, die wir schon kennen (jW v. 8.11.2007) und die er als die „tiefsten Geheimnisse unserer Privatwirtschaft“ gewahrt wissen wollte. Plumpe wird nicht über den Gaskrieg im Ersten Weltkrieg sprechen, den Duisberg zusammen mit dem späteren Chemienobelpreisträger Fritz Haber initiiert hat. Aus Patriotismus und weil man mit den Chemieabfällen der Bayer-Fabriken etwas Nützliches anfangen mußte. Bei den Gas-Versuchen kam Duisberg selbst zu Schaden und hat das zum Dauerschaden seiner späteren Opfer überlebt.

Plumpe wird auch nicht über Duisbergs aggressives Expansionsprogramm sprechen, wie der Bayer-Chef 1931 „das europäische Problem von der Südostecke aus aufgerollt“ sehen wollte und dazu ein klares Programm verkündete: „Erst ein geschlossener Wirtschaftsblock von Bordeaux bis Odessa wird Europa das wirtschaftliche Rückgrat geben, dessen es zu seiner Behauptung in der Welt bedarf.“

Zehn Jahre später war der damalige Außenminister Joachim von Ribbentrop mit Hilfe der Wehrmacht stark engagiert bei der Verwirklichung dieses Programms und freute sich – etwas zu früh -, daß „der gesamte bisher neutrale Balkan sich im Lager der Ordnung“ befinde. Tatsächlich hat erst die „rot-grüne“ Regierung mit ihrer Bundeswehr entscheidende Schritte zur Verwirklichung des Duisberg-Programms getan, worüber Professor Plumpe heute gewiß nicht sprechen wird.

Aber vielleicht tut er es doch, und ich sollte ihm nicht schon wieder Unrecht tun. Ja, hier muß ich in aller Form Professor Werner Plumpe von der Johann Wolfgang Goethe-Universität um Entschuldigung bitten. Ich habe in dieser Zeitung behauptet (jW v. 8.11.2007), daß es ihn „betrüben“ könnte, wenn man ihn verwechselte mit Gottfried Plumpe von der Universität Bayer-Leverkusen (die hat ihn jahrelang „Professor“ genannt). Für meine Unterstellung gibt es, wie mich einer seiner Aufsätze, den ich vorher nicht gelesen hatte, überzeugte, nicht den geringsten Anlaß. Werner Plumpe hält Gottfried Plumpe für seinesgleichen. Der Frankfurter Professor betrachtet den „Professor“ als einen ganz normalen Wissenschaftskollegen, der schon gar nicht „die Sorte Literatur“ verfaßt, die „Bedenken in vielen Unternehmen gegenüber einer sogenannten kritischen Öffentlichkeit bestätigen“. Er hält ihn für einen ganz normalen Unternehmenshistoriker seiner Art.
„Auf meinen Antrag und …“

Und das kommt so. Duisbergs Nachfolger als Vorsitzender des Aufsichtsrats der IG Farben wurde Carl Krauch, der IG-Farben-Mann, der schon im Ersten Weltkrieg mit Hilfe von Zwangsarbeitern in Leuna die Großanlage für die notleidende Munitionsproduktion auf zwangsenteignetem Bauernland aus dem Boden stampfte.

Wir sind aber jetzt bei Carl Krauch im Zweiten Weltkrieg. Professor Werner Plumpe schreibt: „Wie weit etwa der Einsatz von Zwangs- und Sklavenarbeit eigeninitiativ veranlaßt wurde, ist selbst im Fall des IG-Werkes in Monowitz umstritten.“ Und verweist dazu auf Gottfried Plumpes Buch über die IG Farben.

Aber da ist nichts umstritten. In seinem Buch behauptet Gottfried Plumpe, Carl Krauch habe im Nürnberger Prozeß verneint, jemals die Zurverfügungstellung von Zwangsarbeitern für das Werk in Auschwitz beantragt zu haben. Gottfried Plumpe: Es gebe „keine gegenlautende Aussagen oder Dokumente“. Doch das Dokument für Krauchs Antrag auf Zwangsarbeiter steht in seinem eigenen Buch. Es ist der prozeßbekannte Brief, den Krauch am 4. März 1941 an seinen für Auschwitz zuständigen Vorstandskollegen, den Giftgasexperten Otto Ambros, richtete: „Auf meinen Antrag und auf Weisung des Herrn Reichsmarschalls“ habe der Reichsführer SS unter dem 26. Februar angeordnet, daß der Aufbau des Werkes in Auschwitz „durch die Gefangenen aus dem Konzentrationslager in jedem nur möglichem Umfange zu unterstützen sei“.

„Umstritten“, wie Plumpe, Werner, behauptet wird der Einsatz von KZ-Häftlingen erst, weil Plumpe, Gottfried, die ersten vier Wörter des Briefes („Auf meinen Antrag und…“) in seinem Buch streicht und so den Einsatz von Zwangarbeitern in eine Idee des Reichsmarschalls Hermann Göring umfälscht. Er unterschlägt die vier Wörter des Satzanfangs, damit er behaupten kann, es gebe kein Dokument, in dem Krauch Zwangsarbeiter beantragt. Diese ist auch Gegenstand einer Auseinandersetzung zwischen Peter Hayes und Gottfried Plumpe. In einer Fußnote nennt Werner Plumpe sogar die entsprechenden Artikel. Aber hat er sie gelesen? Kaum, wie sonst könnte der Frankfurter Gelehrte in eben dieser Fußnote scheinbar neutral behaupten: „eine Eigeninitiative bei der Beschäftigung von Zwangsarbeitern“ sei nicht dokumentiert.

Ich muß also Werner Plumpe um Verzeihung bitten, daß ich unterstellte, er wolle mit dem Zitat-Fälscher Gottfried Plumpe nichts zu tun haben. Das ist falsch. Der Vorsitzende des „Wissenschaftlichen Beirats“ der „Gesellschaft für Unternehmensforschung“ solidarisiert sich offensichtlich mit Gottfried Plumpes tollkühner Zitattechnik.

Lob des Privateigentums
Doch der Plumpe mit dem echten Professorentitel zeigt auch sonst Mut im Umgang mit der Geschichte. Zusammen mit dem BASF-Federhalter Werner Abelshauser (jW v. 18.9.2007) gab er 2003 einen Sammelband heraus: „Wirtschaftsordnung, Staat und Unternehmen. Neue Forschungen zur Wirtschaftsgeschichte des Nationalsozialismus“. Ausgerechnet eine Festschrift für den kritischen Wirtschaftshistoriker Dietmar Petzina, die der so wirklich nicht verdient hat. In seinem Beitrag legt Werner Plumpe sein Glaubensbekenntnis zum Thema „Unternehmen im Nationalsozialismus“ ab – dort steht auch die Gottfried-Plumpe-Fußnote. Sein Bekenntnis hebt an mit einer feierlichen Verdammung der „englischen Salon-Marxisten und deutschen Emigranten“ und ihrer bösen Nachrede, „imperialistische Profitgier und Revolutionsangst“ hätten die große Industrie dazu gebracht, „auf die tyrannische Diktatur Hitlers und seinen Kriegskurs zu setzen“. Schlimmer noch: „Eine eigentümliche Allianz aus Marxisten und Liberalen, aus Sozialdemokraten und Vertretern der Frankfurter Schule“ habe „in den Nürnberger Nachfolgeprozessen die folgerichtige Konsequenz des Verhaltens der großen Firmen vor 1945“ gesehen.

Plumpe anathematisiert solche Thesen voller Mut, vielleicht sogar Übermut. Er sagt: „(…) das Kriegsende und die Besetzung Deutschlands“ hätte „das Karriereaus“ für „die Masse“ belasteter Unternehmer bedeutet. Und daran änderten auch „prominente Gegenbeispiele“ nichts, die „in der gegenwärtigen ›vergangenheitspolitischen‹ Inszenierung gleichwohl prominent herausgestellt“ würden. Dafür nennt er als Beispiel den von dem Historiker Norbert Frei herausgegebenen Sammelband „Karrieren im Zwielicht. Hitlers Eliten nach 1945“.

Professor Plumpe nennt kein einziges Beispiel für dieses „Karriereaus“ der belasteten Unternehmer. Und er erwähnt auch nicht, daß die rechtmäßig verurteilten Kriegsverbrecher aus der Industrie lange vor Verbüßung ihrer Strafen aus ihren Gefängnissen freigesetzt wurden. Und schon gar nicht, daß etwa Friedrich Flick, der dort auch viel zu kurz einsaß, unter seinen Kriegsverbrecherkollegen die Karrierechancen für die bundesdeutsche Zukunft verteilte. So etwas ist für die Corporate History, wie sie in Plumpes Verein betrieben wird, ohne Belang.

Allerdings gibt Plumpe zu: „Ein eigenständiges nationalsozialistisches Wirtschaftssystem, etwa im Sinne einer Planwirtschaft, Kommandowirtschaft, Befehlswirtschaft, Zentralverwaltungswirtschaft etc. existierte nicht. Der Nationalsozialismus respektierte grundsätzlich das Privateigentum und die Entscheidungsautonomie privater Unternehmer, wohl wissend, daß eine ›Verstaatlichung‹ großer Teile der Wirtschaft unweigerlich mit Effizienzverlusten verbunden sein würde.“

Nebenbei: Da hätte sich die bekannte zweite deutsche Diktatur, die DDR, eine Scheibe von abschneiden können, dann bestünde sie heute noch weiter und hätte nach ihrem auch noch friedlichen Ende nicht die Enteignung und Zerschlagung ihrer Wirtschaft hinnehmen müssen. Aber die Kommunisten hatten nichts, aber auch gar nichts aus ihrem Verbot 1933 gelernt, nicht einmal den Respekt vor dem Privateigentum der Konzerne.

Kapital und Nazis
Die Industrie hat jedoch irgendwie dazu beigetragen, daß den Nazis die Macht im Staat übertragen wurde? Professor Plumpe weiß von nichts, vielmehr: „(…) so wissen wir, daß führende Industrielle der chemischen und der elektrotechnischen Industrie keineswegs mit dem Nationalsozialismus liebäugelten.“ Von liebäugeln kann in der Tat keine Rede sein. Sie nutzten die Nazis und mußten sich dann auch von ihnen benutzen lassen.

Beispiel Chemie: Die IG Farben setzte nicht aus Liebe auf Hitler. Sie setzte auf ihn aus existentieller Not – nur er konnte sie noch aus der großen Krise erlösen, die ihr die verlustreiche Benzinsynthese aus Kohle eingebracht hatte (jW v. 8.11.2007).

Beispiel Elektrotechnik: Bei Siemens schätzte man nicht den „plebejischen“ Charakter der NSDAP, erkannte aber sehr wohl, wie nützlich deren Führer war: „Hitler hat seine wirklichen Anhänger zu starker Disziplin erzogen, um revolutionäre Bewegungen des Kommunismus zu verhindern“, verkündete Konzernchef Carl Friedrich von Siemens schon 1931 ganz offen in einer Rede vor US-Industriellen. Und im Freundeskreis Reichsführer SS, bei Heinrich Himmler, der alles Nötige für die Vernichtung des Kommunismus veranlaßte, traf man sich. Zuallererst die Vertreter von Chemie und Elektrotechnik. Das war ein geschäftiges Do, ut des (Ich gebe, damit Du gibst), bei dem die Industrie gewiß nicht zu kurz kam.

Plumpe will nicht sagen, daß die Industriellen Parteigänger der Nazis waren. Er will aber auch nicht sagen, daß sie vor ihnen kapitulierten. Er will nur sagen, daß alles so sein mußte, wie es war und dazu greift er sich den 1920 verstorbenen Soziologen Max Weber. Wozu? Um die Industrie zu verteidigen? Oder will uns Werner Plumpe klammheimlich andeuten – ich fürchte, ich verleumde ihn schon wieder -, daß es zwischen Großunternehmern und Faschismus eine ganz natürliche Kooperation gibt?

Ich weiß es nicht. Aber ich möchte schon wissen, warum und zu welchem Ende Plumpe in seiner Abhandlung über „Unternehmer im Nationalsozialismus“ Max Weber so zitiert: „Die Versachlichung der Wirtschaft auf der Basis der Marktvergesellschaftung folgt durchweg ihren eigenen Gesetzlichkeiten, deren Nichtbeachtung die Folge des ökonomischen Mißerfolgs, auf die Dauer des ökonomischen Untergangs nach sich zieht. Rationale ökonomische Vergesellschaftung ist immer Versachlichung in diesem Sinn, und einen Kosmos sachlich rationalen Gesellschaftshandelns kann man nicht durch karitative Anforderungen an konkrete Personen beherrschen. Der versachlichte Kosmos des Kapitalismus bietet dafür gar keine Stätte. An ihm scheitern die Anforderungen der religiösem Karitas nicht nur, wie überall im einzelnen.“

Das heißt, wenn man dies – wie Plumpe – auf das Thema „Unternehmer und Nationalsozialismus“ anwendet und eine unverblümte Ausdrucksweise nicht scheut: Für die Wirtschaft gibt es nicht besseres als einen ordentlichen Faschismus ohne Moral; der von Hitler hatte sich leider letztlich als etwas unordentlich erwiesen. Auschwitz aber, wo die IG Farben ihr mächtiges Bollwerk gegen den Osten errichtet hatte, war mit seinem Vergasungsbetrieb für die nicht mehr verwertbare Arbeitskraft rational, und von irgendwelcher caritas unbefleckt. Der versachlichte Kosmos des Kapitalismus schlechthin. Doch so etwas will Professor Plumpe nicht sagen. Zumindest sollte er sich in seinem Freundeskreis nie dabei erwischen lassen.

21.11.2007 / jW

Historikergott Hippokrates

Bisher galt der antike Grieche als Bezugsperson für Ärzte – jetzt dient er den Auftragsgeschichtsschreibern von Banken und Industrie als Eidhelfer für ihre heilende Forschung
Von Otto Köhler

In alle Häuser, in die ich komme, werde ich zum Nutzen der Kranken hineingehen, frei von jedem bewußten Unrecht und jeder Übeltat.
Was ich bei der Behandlung oder auch außerhalb meiner Praxis im Umgang mit Menschen sehe und höre, das man nicht weiterreden darf, werde ich verschweigen und als Geheimnis bewahren.
Wenn ich diesen Eid erfülle und nicht breche, so sei mir beschieden, in meinem Leben und in meiner Kunst voranzukommen, indem ich Ansehen bei allen Menschen für alle Zeit gewinne; wenn ich ihn aber übertrete und breche, so geschehe mir das Gegenteil.

Der Bielefelder kann auch mal Recht haben: Hans-Ulrich Wehler lobt gegen seine industrieexkulpatorische Veranlagung (siehe jW v. 3.8.2007) das neue Standardwerk „Ökonomie der Zerstörung“ des britischen Historikers Adam Tooze, für den das deutsche Großunternehmertum der „willfährige Partner“ Hitlers ist. Der vielerseits angesehene Oberhistoriker zählt die Tooze-Studie zur „Spitzengruppe außergewöhnlicher Forschungs- und Interpretationsleistungen“; bisher habe die westdeutsche Zeitgeschichte so etwas nicht hervorgebracht.

Richtig. Nur Tooze muß natürlich auch auf die Forschungen anderer in Ost – insbesondere „Die Geschichte der deutschen Kriegswirtschaft“ von Dietrich Eichholtz – und West aufbauen. Dabei erwiesen sich manche der Westquellen, auf die sich Tooze beruft, als unzuverlässig: wie der US-amerikanische Historiker Peter Hayes (jW v. 27.8.2007), wie der Bielefelder Kollege und BASF-Federhalter Werner Abelshauser (jW v. 18.9.2007) und wie der in Bielefeld mit einer Habilitation geadelte ehemalige Bayer-Mann „Professor“ Gottfried Plumpe (jW v. 8.11.2007).

Unabhängige Wissenschaft
Da muß der Arzt helfen. Und das kommt so: Tooze ignoriert einen wichtigen Hinweis aus dem eigenen Land, den er eigentlich zur Kenntnis hätte nehmen müssen – eine Nachricht über die angesehenen Geschichtsprofessoren, die sich für beachtliche Summen von deutschen Unternehmen anheuern lassen, damit sie deren Geschichte erforschen.

Nicht bei uns, wohl aber im Times Literary Supplement, entstand eine heftige Debatte über jene Historiker, die sich in Deutschland als Auftragswissenschaftler betätigen. Und die mit deren Bekenntnis zur Heilkunst endete. „Ist es korrekt“, so eröffnete 1999 Michael Pinto-Duschinsky, Professor an der Brunel University in West London, die Diskussion, „wenn Historiker sich von Unternehmen, Banken oder Regierungsstellen bezahlen lassen, deren frühere Aktivitäten Gegenstand ihrer Forschung sind?“

Er sah ein besonderes „ethisches Problem“ in der in Deutschland üblichen Praxis, daß die Unternehmen es selbst sind, die Kommissionen „unabhängiger“ Historiker „auswählen, bezahlen und ihnen exklusiven Zutritt in ihre Archive gewähren“. Und er fordert deshalb für die akademische Gemeinschaft einen Verhaltenskodex. Zumindest müßten die Bedingungen offengelegt werden, unter denen die Forschungskommissionen antreten, einschließlich der finanziellen Arrangements, die getroffen wurden. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit, nicht jedoch für die Historikerkommission der Deutschen Bank.

Drei ihrer Mitglieder – Lothar Gall, Gerald D. Feldman und Harold James – fanden in einem Leserbrief Pinto-Duschinskys Kommentar im Times Literary Supplement „unhelpfull“. Gemeinsam erklärten sie, historische Forschung sei nun einmal zeitaufwendig und kostspielig, man müsse oft eine Fülle von Material von allen möglichen Seiten zusammensuchen. Da sei es doch hochwillkommen, wenn einige Unternehmen bereit seien, solche Untersuchungen zu finanzieren. Die Universitätsprofessoren fragten, warum Historiker anders behandelt werden sollten als jeder andere Anbieter von berufsmäßigen Diensten. Ärzte etwa, darauf insistierten die Gelehrten, erstellten doch auch nicht eine rosigere Diagnose, nur weil sie für ihre Bemühungen ein Honorar bekommen. Und sie beklagten sich, daß Pinto-Duschinsky „unsere Unabhängigkeit in Anführungszeichen setzt“. Er unterstelle wohl, daß „wir, die wir auf diesem Feld arbeiten, korrumpiert seien durch das Honorar, das wir für unsere Dienste bekommen“. In Wirklichkeit gehe es doch vor allem darum, Zugang zu den Unternehmensarchiven zu erhalten.

Allerdings, als die drei besagten Mitunterzeichner dieses Briefes 1995 an der Festschrift zum 125jährigen Bestehen der Deutschen Bank beteiligt waren, ging ihr Verlag – C. H. Beck in München – davon aus, daß die Autoren „Zugang zu allen Archivalien“ der Deutschen Bank hätten. „Selten hat wohl ein großes Unternehmen so angesehene Wissenschaftler für die Darstellung seiner Geschichte gewonnen, und nie zuvor dürfte den Autoren das Quellenmaterial mit solcher Großzügigkeit zur Verfügung gestellt worden sein – zum Nutzen des Lesers.“ Der Leser, und alle anderen Deutschen, wird denn auch gleich im Vorwort des damaligen Vorstandsvorsitzenden Hilmar „Peanuts“ Kopper, in Haftung genommen für alles, was diese Bank seit ihrer Schöpfung verbrochen hat: „Die Deutsche Bank ist, mit Höhen und Tiefen, den Weg gegangen, den die Deutschen gegangen sind seit 1870, der Zeit der Reichsgründung.“

Doch mit dem vom Beck-Verlag behaupteten Zugang zu „allen Archivalien“ war es nichts. Der inzwischen verstorbene Gerald D. Feldman gestand in seiner Einleitung, daß die Akten nur insoweit vorbehaltlos zur Verfügung gestellt wurden, als es keine Vorbehalte gab. Er formulierte das so: „Die wissenschaftlichen Beiträge in diesem Buch basieren auf den uneingeschränkt zur Verfügung gestellten Quellen in der Deutschen Bank (…) – soweit ihre Benutzung nicht durch die Rechte lebender Personen oder testamentarische Verfügungen eingeschränkt war.“

Privatisierung der Geschichte
Und genau dieser eingeschränkt uneingeschränkte Zugang ist das Problem. Es gab keinen Zugang zu den wichtigen Handakten von Hermann Josef Abs, der neben seiner Arisierungstätigkeit für die Deutsche Bank auch Aufsichtsratsmitglied der IG Farben und damit auch von IG Auschwitz war.

Für einen vertrauenswürdigen Mann hat sich das inzwischen geändert. Lothar Gall, der das besondere Vertrauen der Deutschen Bank genießt, erhielt für eine Abs-Biographie Einsicht in dessen Handakten. Und er hat in jener der Deutschen Bank nicht unverbundenen Zeitschrift für Unternehmensforschung einen eindrucksvollen Nachweis seines Könnens unter dem Titel „A man for all seasons? Hermann Josef Abs im Dritten Reich“ geliefert. „War er gar“, fragt Gall dort mutig, „an einer der Entscheidungen – etwa zum Einsatz von KZ-Häftlingen – konkret beteiligt?“ Wie denn! Gall vermochte in den ihm zugänglichen Akten kein Dokument zu finden, und so schrieb er: „Was er gewußt, was er geahnt haben könnte, wird nicht mehr zu ermitteln sein.“

Was Abs aber gewußt haben muß, das könnte, wenn er nur gewollt hätte, Gall längst ermittelt haben. Es steht in Akten, die schon öffentlich verhandelt wurden, als Gall noch zur Schule ging, beim Nürnberger IG-Farben-Prozeß zwischen 1947 und 1948. Auch Pinto-Duschinsky verweist darauf, daß in den dort vorgelegten Akten die Anwesenheit von Abs bei den IG-Farben-Aufsichtsratssitzungen vermerkt ist, in denen über die Beschäftigung von Zwangsarbeitern und Kriegsgefangenen gesprochen wurde.

Drei Jahre nach seiner Einleitung zum Gemeinschaftswerk über die Deutsche Bank veröffentlichte Gerald D. Feldman ebenfalls im C.H.-Beck-Verlag ein auftragswissenschaftliches Werk über einen der brutalsten Industriemagnaten der ausgehenden Kaiserzeit und der beginnenden Weimarer Republik: „Hugo Stinnes. Biographie eines Industriellen. 1870-1924“. Im Vorwort rühmt Feldman die Enkelin und ihre Familie, die ihm „unschätzbares Quellenmaterial zur Verfügung gestellt“ habe. Er schreibt: „Der persönliche Zuspruch und die wunderbare Gastfreundschaft, die meine Frau und ich von ihnen erfuhren, und die vielen genußreichen Tage und Abende, die sie und ihr Bruder Dieter uns bereiteten, haben unsere wissenschaftlichen Mühen um eine persönliche und freudvolle Dimension bereichert und werden unvergeßlich bleiben.“

Franziska Augstein, die Feldmans persönliche Integrität nicht bezweifelt, schrieb 2001 in der Süddeutschen Zeitung nach Erscheinen seines ebenfalls auftragswissenschaftlichen Werkes über den Versicherungkonzern Allianz: „Es ist die Krux mit der von den Unternehmen selbst finanzierten Unternehmensgeschichten, daß der Leser sich stets unwillkürlich fragen muß, ob die Autoren ihre Unabhängigkeit kompromittiert haben könnten.“ Franziska Augstein fragt, „was aus der Unternehmensgeschichte werden soll, wenn es dahin kommt, daß die Firmen ihre Archive künftig nur noch jenen Forschern öffnen, die sie selbst ausgesucht haben“. Und sie fragt schon kaum noch, sie weiß: „was aus der akademischen Geschichtsforschung wird, wenn sie sich an die Privatisierung ihrer Disziplin gewöhnt“.

Ja, Privatisierung der Geschichte. Als um die Jahrtausendwende die deutschen Konzerne endlich in Rechtfertigungsnotstand geraten waren, als Wirtschaftsboykott aus den USA drohte, weil sie ihre Zwangsarbeiter immer noch nicht entschädigt hatten, da wurde Hilfe gebraucht. Es ging, so US-Anwalt Ed Urbach im weltweit ausgestrahlten Programm der BBC, um „Unternehmensgewinne im Werte von mindestens 150 Milliarden Mark“, die deutsche Firmen durch den Einsatz der Zwangsarbeiter gemacht hatten. Und so konnte Feldman – in Norbert Freis Sammelband „Geschichte vor Gericht“ – anscheinend ahnungslos wahrnehmen, daß „eine Firma nach der anderen“ den Historikern ihre Archive öffnet und „ihnen gleichzeitig sogar beachtliche Mittel und Hilfen zur Verfügung“ stellt. Er fand das toll: „Es braucht nicht eigens erwähnt zu werden, wie sehr es schmeichelt, daß zur Abwechslung einmal auch Historiker gebraucht werden, und wie willkommen uns die Honorare für unsere Dienste sind.“

Und Feldman fand es „absurd zu behaupten, daß ernsthafte Historiker für ihre Leistungen nicht ebenso wie die Angehörigen anderer Berufe bezahlt werden sollten, die als Sachverständige vor Gericht tätig sind oder ihr Fachwissen Regierungsbehörden und privaten Organisationen anbieten.“ Entscheidend sei doch nur, so Feldman, daß „wir als Geschichtswissenschaftler vorgehen, unsere Unabhängigkeit so weit wie möglich wahren“. So weit wie möglich unabhängig. Insbesondere dann, wenn sie mit Ehefrau an vielen genußreichen Tagen und Abenden die wunderbare Gastfreundschaft der Auftraggeber erfahren. Gerade bei solchen Gelegenheiten vermag ein unabhängiger und kritischer Historiker einzusehen, wo Geschichtsschreibung Sinn macht und wo nicht. Feldman: „Es ist Unsinn, die Banken deswegen für die Zwangsarbeit verantwortlich zu machen, weil sie in den Aufsichtsräten von Firmen saßen, die Zwangsarbeiter einsetzten.“ Denn nach geschichtlicher Erfahrung kann und darf nur der Aufsichtsrat sein, der nichts sieht.

3,8 Millionen Mark für Mommsen
Während die Auftragshistoriker der Deutschen Bank Pinto-Duschinskys Vorwürfe in ihrer gemeinsamen Entgegnung im Times Literary Supplement lediglich „unhelpfull“ nannten, stufte Hans Mommsen, den Pinto-Duschinsky wegen seines voluminösen Volkswagenauftragswerks ebenfalls attackiert hatte, in einem eigenen Leserbrief dessen Vorhaltungen sogar „extremly unhelpfull“ ein.

Ein unverständlicher Tadel. Tatsächlich hatte Pinto-Duschinsky niemals die Absicht geäußert, den Auftragsforschern helfen zu wollen. Mommsen klagte, nein, er beklagte in seinem Brief: Die „Unterstellung“, die von ihm geleitete Forschungsgruppe über Volkswagen im Dritten Reich sei „durch die Tatsache kompromittiert, daß sie von VW bezahlt“ werde, sei „gänzlich irreführend“ und „überhaupt nicht substantiiert“. Und zweitens sei die Behauptung, daß sein Forschungsprojekt den Zugang zu den VW-Archiven blockiert hätte und damit auch Entschädigungszahlungen an die VW-Zwangsarbeiter, nicht im geringsten bewiesen.

Von wegen. Die VW-Konzernspitze, die Mommsen 1987 beauftragte, hatte den Historiker dazu benutzt, um die Forderungen ihrer Zwangsarbeiter erst einmal abzuwenden – im September 1991 erklärte mir der VW-Pressesprecher: Mommsen müsse erst zu Ende forschen, bevor man über eine Entschädigung für die Zwangsarbeiter reden könne.

Einen Monat später, bei einer Pressekonferenz in Wolfsburg, äußerte sich Mommsen schon ziemlich klar zum leidigen Problem einer Entschädigung der VW-Zwangsarbeiter: Wie soll man überhaupt feststellen, wer wirklich entschädigungsberechtigt sei? Sicher, das gestand er in diesem Zusammenhang ein, man war auch auf alte Krankenakten gestoßen, denen man Angaben über die Zwangsarbeiter hätte entnehmen können. Doch Mommsen: „Wir haben das aufgeschlossen, und wir haben das wieder zugeschlossen.“ Diese Akten zu prüfen, sei Aufgabe des Werkarchivs. Und überhaupt werde man durch „pauschale Abstandszahlungen“ an die Häftlinge der Sache nicht gerecht, da würde in der Bürokratie zuviel Geld hängenbleiben, und das führe zu einem – was immer er damit meinte – „unkontrollierten Schleppersystem“. Und zu „sekundären Korruptionserscheinungen“. Nicht im VW-Konzern, wo es so etwas nicht gibt, sondern unter dessen ehemaligen Zwangsarbeitern.

Besser sei doch, so plädierte der unabhängige Forscher Mommsen, die „überindividuelle Hilfe“, wie sie VW damals zugesagt hatte: zwölf Millionen Mark für Jugendbegegnungsstätten – die Zahlung der unterschlagenen Löhne hätte mit Zins und Zinseszins Milliarden gekostet. Mommsens eigener Forschungsetat betrug damals nach Angaben aus Wolfsburg 3,8 Millionen, fast ein Drittel der geplanten überindividuellen Entschädigung.

Als Mommsen und seine Mitarbeiter nach großen Schwierigkeiten Ende 1996 endlich zum richtigen Ende geforscht hatten und das Ergebnis „Das Volkswagenwerk und seine Arbeiter im Dritten Reich“ auf einer Pressekonferenz in Bonn vorlegten, war von einer Entschädigung dieser „Arbeiter“ durch VW nicht die Rede. Ausgerechnet der SPD-Politiker Hans Koschnik durfte eine Einleitung zum Mommsen-Opus abzeichnen, die eingestandenerweise zu zwei Dritteln von Mommsen und einem VW-Direktor vorformuliert worden war. Dort heißt es: „Ohne die Vorgänge während des Krieges zu bagatellisieren, gelangt die heutige Volkswagen AG zu der Entscheidung, auf eine individuelle Entschädigung für ehemalige Zwangsarbeiter, Häftlinge und Kriegsgefangene im allgemeinen zu verzichten.“

Zwei Jahre nach diesem großzügigen VW-Verzicht auf Zahlung der VW-Lohnschulden bei den Zwangsarbeitern, stand Mommsen düpiert da. VW entschloß sich jetzt doch, individuelle Entschädigungen zu zahlen – aus Angst vor Klagen im Exportland USA. Vergebens aber war die Investition in Mommsens zehnjährige Forschungstätigkeit für VW nicht. Einen Großteil der möglichen Empfänger von Entschädigungen hat der für VW so mildtätige Tod ereilt.

„Alle Druckmittel auspielen“
Zum vorläufigen Abschluß der Diskussion im Times Literary Supplement verlangte Pinto-Duschinsky von den Konzernen, die sich Auftragsforscher halten: „Wenn sie wirklich über ihre Aktivitäten im Krieg auspacken wollen, dann müssen diese Unternehmen zuallererst ihre Archive der Öffentlichkeit öffnen, bevor sie einzelne ausgewählte Historiker finanzieren.“ Der Wissenschaft sei nun einmal schlecht gedient, wenn einzelne Historiker von den deutschen Unternehmen gesponsert werden, die auf der Anklagebank sitzen. Doch da konterte Mommsen tief gekränkt, Pinto-Duschinsky habe „meine wissenschaftliche Glaubwürdigkeit untergraben“.

Die hatte er freilich – aber das kam erst später heraus – schon zu Beginn seiner Karriere verloren, als es um den Reichstagsbrand ging. Er hatte damals in einem Aufsatz, die von Rudolf Augstein im Spiegel beschworene Legende von der Unschuld der Nazis am Reichstagsbrand zunächst bezweifelt. Dann aber hatte das Institut für Zeitgeschichte, bei dem er angestellt war, Probleme mit dem Gutachten seines externen Mitarbeiters Hans Schneider, der allzu deutlich die Hintergründe der Spiegel-Serie über den Reichstagsbrand beschrieb. Mommsen mußte seinerseits ein Gutachten schreiben, warum das Institut für Zeitgeschichte Schneiders Untersuchungen nicht veröffentlichen könne. Er kam zu dem Ergebnis, daß das Institut „formell nicht in der Lage sei, von dem mit Schneider geschlossenen Vertrag zurückzutreten“. Insbesondere könne man Schneider juristisch nicht hindern, seine Forschungsergebnisse anderswo zu veröffentlichen. „Da aber aus allgemeinpolitischen Gründen eine derartige Publikation unerwünscht scheint“, empfahl Mommsen, „rasch und energisch alle Druckmittel, die in unmittelbarer Verfügung des Instituts stehen, auch da, wo sie einer endgültigen juristischen Prüfung nicht standhalten, auszuspielen“.

Da Schneider beamteter Studienrat in Baden-Württemberg war, regte Mommsen an, „über Stuttgart zu arbeiten“, wo der Nazi Kurt Georg Kiesinger damals Ministerpräsident und Hitlers erfolgreicher Marinerichter Hans Filbinger Innenminister war. Schneider wurde zum Schweigen gebracht und Mommsen veröffentlichte in den Vierteljahresheften für Zeitgeschichte eine Darstellung des Reichstagsbrands, die widerrief, was er selbst vorher geschrieben hatte, und die – vielfach nachgedruckt – von Augstein als wissenschaftliche Bestätigung seiner Unschuldslegende bejubelt wurde.

Als er sehr viel später nach den „allgemeinpolitischen Gründen“ für seinen Sinneswechsel befragt wurde, wehrte Hans Mommsen ab, wie er das heute noch wissen solle. Wissenschaftliche Unabhängigkeit – ja, was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr. Auch den konkreten Vorwürfen Pinto-Duschinskys zu seiner VW-Auftragsforschung entzog sich Mommsen – mit einem kuriosem Standortargument: er könne nicht sehen, daß das Times Literary Supplement ein geeignetes Podium sei, um „Details“ zu diskutieren.

Es ging um den vieldiskutierten Rühen-Fall. Im Werks-Lager Rühen hatte das Volkswagenwerk mit Hilfe des Werksarztes und SS-Hauptsturmführers Dr. Hans Körbel die Säuglinge seiner Zwangsarbeiterinnen durch Hungerkost letal entsorgt. Für Mommsen in seiner VW-Auftragsarbeit ein Problem eines „damals noch nicht hinreichend bekannten Hospitalismus“. Der sei auch dadurch entstanden, daß der SS-Arzt „völlig überlastet“ gewesen sei. „Eine Personalisierung dieses Problems“, versicherte Mommsen, führe „in die Irre“. Er plädierte – für etwas anderes wurde er nicht honoriert – auf „Tragödie“.

Ernst nehmen muß man diese „unabhängigen“ Historiker, die von ihren Untersuchungsgegenständen honoriert wurden und die ihr Tun mit dem eines normalerweise vom Patienten honorierten Arztes gleichsetzen – mutmaßlich sind sie privat versichert. Zumindest dem Schöngeist Lothar Gall dürfte der uralte Eid des Hippokrates nicht unbekannt sein. Der schreibt dem Arzt vor, niemals zum Nachteil des Patienten tätig zu werden. Und natürlich hat der Arzt, der sich dem hippokratischen Eid verpflichtet fühlt, gegenüber der Öffentlichkeit auch eine Schweigepflicht – insbesondere, wenn sie im Interesse des Patienten geboten ist.
Otto Köhler erhielt dieses Jahr den Kurt-Tucholsky-Preis

08.11.2007, junge Welt

… wirst du was in Bielefeld

Adam Tooze holt sich für seine Wirtschaftsgeschichte wieder einen schlechten Berater aus der deutschen Historikerszene. Gottfried Plumpe will den kriegsfördernden Einsatz von Bayer AG und IG Farben verschleiern – aber das Haus Bayer weiß keinen Dank
Von Otto Köhler

Was bisher geschah: Der britische Historiker Adam Tooze schrieb das vorzügliche Buch „Ökonomie der Zerstörung“ über die enge Kooperation der deutschen Industrie mit Hitler. Das entlockte dem Bielefelder Historiker Hans-Ulrich Wehler eine begeisterte Rezension („außergewöhnliche Forschungs- und Interpretationsleistung“), die er sich nicht erlauben durfte, weil er just zuvor im Fall des linken italienischen Altphilologen Luciano Canfora dekretiert hatte, der „Mythos“, Hitler sei mit Unterstützung durch die deutsche Großwirtschaft ins Reichskanzleramt eingezogen, sei „endgültig zerstört“.

Tooze wiederum verläßt sich – trotz seines richtigen Urteils über die deutsche Großindustrie – oft auf Unternehmenshistoriker, die wie der IG-Farben-Forscher Peter Hayes (siehe jW v. 27.8.2007) oder der Bielefelder BASF-Federhalter Werner Abelshauser (siehe jW v. 18.9.2007) groß im Erfinden von mildernden Umständen für Hitlers Wirtschaftsleute sind. Und die – wie Wehler voller Anerkennung über die Werke seines Bielefelder Kollegen Abelshauser urteilt – „zum Kernbestand einer deutschen ›New Business History‹“ gehören.

Geschichtsschreiber der Bayer AG
Der dritte Mann, den Tooze als wichtige Quelle benutzt, ist auch ein Produkt Bielefelder Geschichtswissenschaftspolitik: Gottfried Plumpe, bis vor kurzem Bayer-Vorstandsmitglied und Professor gar. Tooze hat immerhin gemerkt, daß Plumpes Wissenschaft „problematischer“ ist als die von ihm geschätzten Werke von Hayes und Abelshauser.

Aber zum Opfer gefallen ist er Plumpe gleichwohl. Etwa, wenn er ihm – mit den entsprechenden Folgerungen – abnimmt, das Treffen zwischen Hitler und der Interessengemeinschaft Farben habe erst „im Herbst 1932, unmittelbar nach dem spektakulären Erfolg der Nationalsozialisten bei den Juliwahlen“ stattgefunden. Und nicht schon im Juni. Die IG habe „mit dieser Aktion letztlich nichts anderes getan, als sich nach allen Seiten abzusichern“ (Tooze, S. 146 f.).

Doch Plumpe, mit dem Tooze diese Behauptung belegt, ist eine trübe Quelle. Ich lernte ihn auf der Frankfurter Buchmesse 1986 flüchtig beim Verlagsempfang für Bernhard Sinkels IG-Farben-Film „Väter und Söhne“ kennen. Der damals noch junge Mann – er hatte die IG-Chronologie im Anhang zu Sinkels Filmbuch verfaßt – rasselte Daten, Fakten, Zahlen aus der IG-Geschichte mit verblüffender Präzision herunter.

Offiziell war er seit 1987 in der Konzernverwaltung des IG-Nachfolgers Bayer AG tätig und beteiligte sich maßgebend an der 1988 erschienenen Bayer-Jubiläumsfestschrift „Meilensteine“. Gleichwohl konnte er sich im selben Jahr an der Geschichtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Bielefeld mit einer Arbeit über „Die IG-Farbenindustrie AG: Wirtschaft, Technik und Politik 1904-1945“ habilitieren, die 1990 bei der Duncker & Humblot GmbH in Westberlin als Buch erschien. Ein solcher Zusammenhang zwischen dem Werk, das der Autor schreibt, und dem Werk, in dem er verdient, mag in der Buchproduktion nicht ungewöhnlich sein. Es ist aber schwer vorstellbar, daß – zumindest damals – eine Universität, die Wert auf ihren Ruf legt, eine solche Habilitationsarbeit zuläßt. Unabhängiges wissenschaftliches Urteil ist dort nicht mehr möglich, wo es in die vom Untersuchungsgegenstand geführte eigene Personalakte eingehen kann. Doch an der Universität Bielefeld war das möglich.

Das Rendezvous mit Hitler
Das schon erwähnte Geheimtreffen von 1932 zwischen Hitler und zwei Abgesandten der IG Farben, bei dessen Schilderung und Wertung sich Tooze auf Plumpe verläßt, wäre womöglich geheim geblieben. Doch im Nürnberger IG-Farben-Prozeß in den Jahren 1947/48 (siehe jW v. 13.8.2007) tauchte der Entwurf für die 1941 geplante Festschrift „Leuna – 25 Jahre im Kampf um Deutschlands Freiheit“ auf, in der sich einer der IG-Farben-Abgesandten, Heinrich Bütefisch, des Treffens mit dem Führer rühmte. Es habe Hitler die „beruhigende Gewißheit“ vermittelt, Deutschland könne dank der IG „in der Treibstoffversorgung für die Luftwaffe und die wichtigsten Teile der übrigen Wehrmacht (…) von fremder Zufuhr unabhängig“ sein.

Das Geheimtreffen war eine wichtige Station in der Geschichte der IG Farben. Denn es ging um die Fortführung der Benzinhydrierung aus Kohle, eine IG-Erfindung in Leuna, die dem Konzern schwerste Verluste bereitete. Man hatte sich verspekuliert: Die IG rechnete in den zwanziger Jahren mit dem Versiegen der Ölquellen und wollte mit der synthetischen Produktion von Benzin aus Kohle Riesengewinne machen. Doch der Benzinpreis auf dem Weltmarkt sank und sank, zuletzt auf 5,6 Pfennige pro Liter, die IG aber konnte den Preis für ihr synthetisches Benzin aus den neu geschaffenen Hydrieranlagen in Leuna nicht unter 20 Pfennig herunterbringen. Der Konzern geriet in eine Krise, und es gab Krach in der Interessengemeinschaft. Aufsichtsratsvorsitzender Carl Duisberg plädierte für die sofortige Einstellung der Benzinproduktion; Vorstandsvorsitzender Carl Bosch und sein engster Mitarbeiter Carl Krauch wollten unbedingt weitermachen. Bosch schickte seinen Vertrauten Heinrich Gattineau zusammen mit dem Direktor des Hydrierwerkes in Leuna, Heinrich Bütefisch, zu Hitler nach München.

Hitler sah sofort ein, daß der „deutsche Treibstoff“ subventioniert werden mußte – „selbst unter Opfern“. Denn die Unabhängigkeit vom Welterdölmarkt war, das wußte er, kriegswichtig. „Die technische Durchführung muß ich Ihnen überlassen. Dafür sind Sie da“, sprach der Führer zu den IG-Vertretern und fügte hinzu: „Unser Weg aber deckt sich.“ Bütefisch: „Dieses Ergebnis der Unterredung mit dem Führer bedeutete für Leuna damals eine große Stütze. Jetzt konnte die Hydrierung bedenkenlos durchgehalten werden. (…) Die führenden Leute der IG-Farben-Industrie faßten nunmehr den entscheidenden Entschluß, den Betrieb in Leuna auch unter Opfern aufrechtzuerhalten.“

Tatsächlich beschloß die IG-Führung unmittelbar nach dem Juni-Treff mit Hitler – im Juli 1932, wie Bütefisch wiederholt bestätigt – die Benzinhydrierung weiterzuführen. Nach der Machtübergabe, im Dezember 1933, unterzeichnete Bosch zusammen mit seinem späteren Nachfolger Hermann Schmitz, den Hitler gerade in die NSDAP-Reichstagsfraktion aufgenommen hatte, den Benzinvertrag, der die IG aller Sorgen enthob. Noch 1986 – in der Chronologie zu Bernhard Sinkels Filmbuch „Väter und Söhne“ – schrieb auch Gottfried Plumpe auf Seite 435 korrekt: „Die Weiterführung der verlustreichen Hydrierarbeiten wird in der I.G. zunehmend umstritten: Nach harten Auseinandersetzungen wird im Juli 1932 die Fortführung der Arbeiten, wenn auch auf verringertem Niveau, beschlossen (…).“

Wenige Wochen nach Erscheinen der Plumpe-Chronologie legte ich mein IG-Farben-Buch vor, in dem ich anhand von Hitlers Itinerarium – ein vom Institut für Zeitgeschichte geführtes Tagebuch für Hitler – nachweisen konnte, wann der Besuch beim Führer stattgefunden haben mußte. Es gab unterschiedliche Angaben, ob das Treffen im Juni 1932 stattfand, wie Bütefisch 1941 diktierte, oder im November, wie sein Begleiter, der auch sonst bei Datierungen unzuverlässige Gattineau in Nürnberg aussagte. Auch die Historiker, soweit sie sich überhaupt für dieses historische Treffen interessierten, übernahmen mal die eine, mal die andere Angabe, ohne sie beweisen zu können. Denn keiner kam auf die Idee, die über das Treffen gemachten Angaben – im Wahlkampf, einen Tag zuvor hatte Hitler in München gesprochen – mit Hitlers Itinerarium zu vergleichen: Da bleibt als einziger Termin für die Zusammenkunft Hitler/IG Farben im Jahr 1932 der 25. Juni.

Doch da reagierte Plumpe schnell. Den Termin von Juli 1932 für die IG-Farben-Entscheidung zur Fortführung der schwer defizitären Benzinsynthese erwähnte er nicht mehr. Plötzlich schrieb er in seiner Bielefelder Habilitationsschrift – ohne eine Begründung für den Sinneswandel zu liefern: „Die entscheidende Sitzung des Zentral-Ausschusses, auf der über die Weiterführung der Mineralölsynthese beschlossen werden sollte, fand am 21. und 22. Dezember 1931 im Leunawerk statt.“

Und, doppelt hält besser: „Endgültig legte sich die I.G. dann am 18.6.1932 auf die Weiterführung der Mineralölsynthese fest.“ Also nicht nach, sondern genau eine Woche vor dem Treffen mit Hitler am 25. Juni 1932, das Plumpe nun wiederum in den November verlegte.

Auch sonst sichert Plumpe das Treffen ab. Die IG hielt den Kontakt geheim? Na bitte, der beste Beweis, wie unwichtig er war! Plumpe: „Seine politische Bedeutung ist gering, da der I.G. offensichtlich daran gelegen war, die Angelegenheit so diskret wie möglich abzuwickeln, um nicht in der Öffentlichkeit den Eindruck zu erwecken, es gebe wichtige Kontakte des Unternehmens zur NSDAP.“

Den Krieg gerettet
So wie die IG Farben im Juni 1932 mit dem Benzinpakt den Weg in den Zweiten Weltkrieg bahnte, so wurde auch der Erste Weltkrieg dank der IG-Vorläufer BASF und Bayer gerettet, als er vorzeitig zu enden drohte. Deutschland hätte nämlich 1915 kapitulieren müssen, schlicht aus Munitionsmangel. Die deutschen Militärs hatten nämlich bei ihren umfangreichen Kriegsvorbereitungen und Aggressionsplänen einen entscheidenden Punkt übersehen. Zur Produktion von Munition brauchte man damals noch Salpeter aus Chile. Die Einfuhr aber wurde von der englischen Flotte blockiert. Im Frühjahr 1915 wären die letzten Vorräte zu Ende gegangen. Deutschland hätte rechtzeitig vorher den Frieden suchen müssen – nein dürfen – unter damals noch günstigen Bedingungen. Millionen von Menschen hätten überlebt.

Doch die BASF hielt den deutschen Krieg am Leben. Sie hatte, um die Menschheit vor dem Hungertod zu bewahren, das Haber-Bosch-Verfahren entwickelt, das es erlaubte, aus der Luft, aus Stickstoff, Kunstdünger zu entwickeln. Im September 1913 wurde in Oppau die erste Produktionsstätte angefahren. Ein Jahr später – im Oktober 1914 machte die BASF dem Kriegsministerium das berühmte Salpeterversprechen – wurde das Haber-Bosch-Verfahren von der Düngererzeugung auf Munitionsherstellung umgestellt, um die soeben gerettete Menschheit jetzt zu Tode zu bringen. Damit begann, so drückt es Plumpe formvollendet aus, „das Engagement der Farbstoffindustrie für die deutsche Rüstungsproduktion“. Für den Autor eine Problemlösung: „Damit war das Salpeterproblem in Deutschland gelöst, die Munitionsproduktion konnte aufrechterhalten und ausgebaut werden, der Krieg weitergehen.“ Das war eine begrüßenswerte Entwicklung. Denn, so Plumpe: „Unter den gegebenen Bedingungen der deutschen Kriegswirtschaft war der weitere Ausbau der Stickstoffgewinnung sowohl aus militärischen Gründen als auch zur Sicherung der Nahrungsmittelversorgung dringend geboten.“

Das alles ist wissenschaftlich haltbar. Plumpe geht nun einmal von den Bedingungen der Kriegswirtschaft aus. Über das Faktum – die Interessengemeinschaft hat den Krieg gerettet – besteht Einigkeit. Plumpe ausdrücklich: „Mit ihrem Engagement für die deutsche Kriegswirtschaft trug die deutsche Farbstoffindustrie in erheblichem Maße dazu bei, die weitere Kriegführung überhaupt zu ermöglichen.“ Dem Mann, der in seiner Einleitung bemerkenswerte „Thesen zum Verständnis unternehmerischen Handelns“ aufstellt – „Ertragsmaximierung“ ist „prinzipielles Ziel“ -, muß es auch erlaubt sein, kriegswirtschaftlich zu denken – ohne Rücksicht auf die Leichenberge, über die er dabei zu klettern hat.

Heilige Kriegsprofite
Mitglieder einer communitas scientiae – das wissen wir schon von Plumpes Kollegen Wehler – können DDR-Historiker nicht sein. Sobald Plumpe in einer Fußnote auf so einen traf, sonderte er in einer allergischen Reaktion Schnellurteile ab wie „dubios“, „spekulativ“, „unseriös“, „parteimarxistisch“; kurz: Es „erübrigt sich daher, näher auf die entsprechenden Thesen einzugehen“.

Solch ein Fall ist Hellmuth Weber, der 1966 in der inzwischen abgewickelten Deutschen Akademie der Wissenschaften eine Untersuchung über „Deutsche Kriegspolitik 1916-1918“ publizierte. Es geht um das Hindenburg-Programm von 1916 zur totalen Kriegführung und zur Verdoppelung der für die Farbenindustrie so lukrativen Munitionsproduktion. Das wurde über den Generalstabsobersten Max Bauer maßgeblich von Bayer-Chef Carl Duisberg beeinflußt – was Plumpe energisch bestreitet. Plumpe beruft sich dabei auf eine solch klare Quelle wie „Meine Kriegserinnerungen“ des Hindenburg-Vize Erich von Ludendorff. Und auf einen Brief, den Duisberg am 10. September 1916 seinem Vertrauten, dem Obersten Bauer in der Obersten Heeresleitung, geschrieben hatte. Plumpe: „Weber, der den ganzen Brief nicht kennt, stellt Spekulationen über seinen Inhalt an, die als Musterbeispiel für ideologische Deduktionen gelten können. Der Brief zeigt, daß sie falsch sind.“

Plumpe, der kein einziges wörtliches Zitat aus dem Brief bietet, verließ sich offensichtlich darauf, daß der Duisberg-Brief nur bei ihm im Bayer-Archiv liege. Sein Pech – da liegt vermutlich der Durchschlag. Denn das Original ist im Bundesarchiv allgemein zugänglich: im Nachlaß Bauer. Und kein Brief ist so geeignet wie dieser, um das zu zeigen, was Plumpe ideologische Spekulationen nennt – wüste und wilde Spekulationen sogar müßte sie Plumpe von seinem speziellen Standpunkt im Bayer-Konzern nennen.

Duisberg freut sich in diesem Brief, daß wieder, wie schon 1914, der „Munitionsmangel (…) uns zusammenführte und uns nicht nur menschlich näher brachte, sondern auch praktisch in die Speichen des Kriegsrades eingreifen ließ“. Und er ist keineswegs – wie Plumpe behauptet – überrascht über die geforderte Verdoppelung der Munitionsproduktion. Umgekehrt, er und sein Kollege Gustav Krupp wollten das Hindenburg-Programm noch übertreffen. Und so beschwert er sich bei Bauer über das Kriegsministerium: „(…) wir wurden gebremst, wenn wir uns weiter betätigen wollten, wir wurden verärgert und in die Schranken des bureaukratischen, geschäftsordnungsmäßigen Betriebes zurückgewiesen, wir wurden geschimpft und gescholten, wenn wir uns rührten und regten und aus dem gewohnten Gleise heraustraten. Anstelle dankbarer Anerkennung, wie wir sie erwarten konnten, und wie sie zeitweise auch gewährt wurde, trat die übliche, nie Lob, aber wohl Tadel zeigende Amtsmiene, trat Krittelei und Nörgelei und von der Reichstagsmehrheit gewünschte Knauserei.“

Besonders heilig waren Duisberg, aber nicht nur ihm, die Kriegsprofite. Dem in einem Schreiben des Kriegsministeriums geäußerten Begehren, die an Rüstungsaufträgen wild verdienende Industrie solle sich in die Bücher gucken lassen, begegnete er mit verständlicher Wut. Auf dieses Verlangen gebe es, schrieb Duisberg im Brief an Bauer, „keine Antwort als die von der gesamten Industrie beschlossene Ablehnung dieses Eindringens in die tiefsten Geheimnisse unserer Privatwirtschaft, um entweder die Schwachen, Ängstlichen und nicht auf der Höhe ihrer Leistungsfähigkeit Stehenden zu falschen Mitteilungen zu veranlassen oder den Tüchtigen, Starken und Aufrichtigen aus den Einzelheiten ihrer Preisaufstellung einen Strick zu drehen“. Duisbergs Brief, dessen wahren Inhalt Plumpe kennt und unterschlägt, hatte Erfolg: Zwei Monate später wurde der von ihm angeklagte Kriegsminister Adolf Wild von Hohenborn entlassen, der Bayer-Profit am Krieg blieb unangetastet.

Gegenseitiges Einvernehmen
Das Bayer-Archiv, aus dessen ihm zugänglichen Schätzen Gottfried Plumpe auf solche Weise seine Habilitationsschrift mit viel Takt und Diskretion gebastelt hatte, feiert schon bald, am 26. November, mit einer Tagung der Gesellschaft für Unternehmensgeschichte e.V. in Leverkusen sein 100jähriges Jubiläum. Den Festvortrag „Carl Duisberg und das moderne Unternehmen“ hält Professor Plumpe. Professor Werner Plumpe von der J.W. Goethe-Universität Frankfurt, den es betrüben könnte, wenn man ihn verwechselte. Und nicht ein Duisberg-Spezialist wie der Bayer-Professor Gottfried Plumpe – den gibt es seit dem Frühjahr trotz einer steilen Karriere im Hause des Chemieunternehmens nicht mehr.

1987 trat er in die Konzernverwaltung ein, wurde Leiter der Öffentlichkeitsarbeit, stieg, nachdem es ihm gelungen war, sich aus dem Archiv seines Arbeitgebers über seinen Arbeitgeber in Bielefeld zu habilitieren, in den Konzernstab „Unternehmenspolitik“ ein und wurde Referent des Vorstandsvorsitzenden. 1996 berief ihn laut manager magazin die – nach dem Gründer des Metro-Konzerns benannte – Otto-Beisheim-Universität in Vallendar bei Koblenz zum Honorarprofessor. 1999 wurde er Leiter der Konzernplanung und des Controlling. 2002 sollte Plumpe laut manager magazin im Bayer-Vorstand das Finanzressort von Werner Wenning, der Vorstandsvorsitzender wurde, übernehmen. Doch dann ging es bergab. 2003 wurde der Professor (der Titel stand in jeder Presseverlautbarung) als Aufsichtratsvorsitzender der Bayer Restaurant + Service GmbH eine Art Frühstücksdirektor, der neue Firmenkasinos eröffnete oder nach Brasilien reiste. Jetzt, im Frühjahr, kam das Aus. Bayer teilte mit, daß Gottfried Plumpe – diesmal ohne Professor, in Vallendar ist er auch nicht mehr tätig – das Unternehmen „im gegenseitigen Einvernehmen“ verlassen hat. Wo er verblieben ist, wie er zum Titel „Professor“ kam, darüber weiß Andrea Knebel von der Bayer-Presseabteilung „Unternehmenspolitik“ nicht bescheid, sagt sie, und der Plumpe-Assistent, der das wissen könnte, sei mit ihm ausgeschieden. Günter Forneck, Leiter der Presseabteilung, der zunächst mutmaßt, Plumpe sei Professor in Vallendar, sagt, sein Ausscheiden habe nichts mit dem Professorentitel zu tun. Der Grund müsse „nicht unbedingt ein Fehlverhalten“ sein.

Das ist dieselbe Begründung, mit der sich soeben die Bertelsmann-Stiftung von ihrem langjährigem Vorstandsmitglied Professor Werner Weidenfeld trennte, nachdem die Staatsanwaltschaft wegen Betrugsverdacht Hausdurchsuchungen in seinen beiden Wohnsitzen veranstaltete.

Spiegel online veranstaltet davon unabhängig zur Zeit ein Quiz über bestimmte Formulierungen – Codes – in der Zeugnissprache und fragt: „Was bedeutet: ›Wir haben uns im gegenseitigen Einvernehmen getrennt.‹“ Einzig richtige Antwort: „Dem Arbeitnehmer mußte das Ausscheiden nahegelegt werden, sonst wäre er gekündigt worden.“ Unbedenklich für den weiteren Berufsweg sei übrigens nur die Formulierung: „Herr (…) verläßt das Unternehmen auf eigenen Wunsch.“ Herr Plumpe hat nach den Bayer-Mitteilungen einen solchen Wunsch nicht geäußert.

Das ist grober Undank. Plumpe hat sich – wie das Tooze-Buch beweist – gerade auch im Bereich der Geschichtswissenschaft unbezahlbare Verdienste um Bayer (samt IG Farben) erworben. Und jetzt setzt man ihn, dem noch eine ganz große Karriere bei Bayer zu winken schien, ganz einfach vor die Tür. Obwohl er doch zuvor seine Aufgaben als Unternehmenshistoriker mit äußerster Gewißheit jederzeit zur vollsten Zufriedenheit der Bayer AG ausgeführt hat. Und nur durch die bestechende Großzügigkeit der Fakultät für Geschichtswissenschaften der Universität Bielefeld sich damit habilitieren konnte.

Die Universität Bielefeld hat damit eine große Verantwortung übernommen. Wenn schon der Konzern, für dessen Ruf sich Plumpe aufgeopfert hat, wenn schon die Beisheim-Universität, bei der er Honorarprofessor war, wenn also beide nichts mehr von ihm wissen wollen, dann gibt es – Freiheit der Wissenschaft! – nur noch eins: Die im Austeilen von Lehrbefähigungen so tolerante Geschichtswissenschaftliche Fakultät muß ihn sofort als lehrfähigen Professor einstellen – nach ihrem Motto: Und wirst du nichts auf dieser Welt, dann wirst du was in Bielefeld. Den dafür erforderlichen Hippokratischen Eid hat Plumpe mutmaßlich auch schon abgelegt. Was der mit Historikern zu tun haben könnte, darüber demnächst mehr.

Nachtrag
Otto Köhler konnte in seinem Beitrag nicht mehr rechtzeitig vor Drucklegung eine Auskunft der Otto-Beisheim-Hochschule in Vallendar übermitteln. Danach war Gottfried Plumpe lediglich Lehrbeauftragter an der Wirtschaftshochschule und nicht Honorarprofessor, wie Köhler das manager magazin (3.12.2001) zitiert. Bei der Bayer AG wiederum, die bis zu seinem Ausscheiden Plumpe in Pressemitteilungen als „Professor“ titulierte, weiß man nicht, wo sonst als in Vallendar Plumpe Professor gewesen sein könnte. (jW)