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IG Farben

CBG Redaktion

Vorwärts, 6. Juni 2011

Diarmuid Jeffreys: „Weltkonzern und Kriegskartell“

Eine rentable Verbindung: Die IG Farben und das NS-Regime

Kein anderer deutscher Konzern ist so eng mit dem NS-Regime verknüpft wie die IG Farben: Sie finanzierte den Aufstieg Hitlers, machte das Hochrüsten möglich und war für die Gräuel von Auschwitz mitverantwortlich. Ein neues Buch von Diarmuid Jeffreys beleuchtet die Geschichte des Konzerns und die Zusammenarbeit mit dem NS-Regime.

„Sie waren die Fäden in dem dunklen Todesmantel, der sich über Europa senkte.“ So bezeichnete 1948 General Telford Taylor, Chefankläger im zweiten Kriegsverbrecherprozess in Nürnberg, die Direktoren der IG Farben. Wissentlich und willentlich stellten sie, so die Anklage, die Ressourcen des Konzerns dem NS-Regime und seiner Kriegsmaschinerie zur Verfügung. Ob sie dieses Bündnis aus skrupellosem Ehrgeiz eingingen oder als patriotische Geschäftsleute nur am Wohle ihres Landes interessiert waren, legt Diarmuid Jeffreys in seinem Buch „Weltkonzern und Kriegskartell. Das zerstörerische Werk der IG Farben“ faktenreich dar.

Die deutsche Chemieindustrie – eine Erfolgsgeschichte
Er überlässt jedoch dem Leser eine endgültige Beurteilung. Seine gut lesbare, mit Elementen der Reportage versehene Studie erzählt die Geschichte des Konzerns als stringente Entwicklung, von seinen Anfängen Mitte des 19. Jahrhunderts an bis zur Bildung des „Höllenkartells“ – so der englische Originaltitel – zwischen der IG und dem NS-Regime.

Mit der zufälligen Entdeckung von synthetischen Farbstoffen begann die Erfolgsgeschichte der deutschen Chemieindustrie. Medikamente, Fotomaterial, Druckfarben und Kunstdünger gehörten bald zu der sich stetig vergrößernden Produktpalette von Agfa, Bayer, BASF und Hoechst. Die tödliche Allianz von Staat, Militär und Chemieindustrie fand erstmals im Ersten Weltkrieg zusammen. Gewinn- und Wachstumschancen die der Krieg bot wurden wahrgenommen, Sprengstoffe und Giftgase geliefert.

Nach dem Versailler Vertrag, der die Macht der deutschen Chemiekonzerne durch Beschlagnahme von Produkten und Patenten durch die Alliierten brechen sollte, galt es, Weltgeltung zurückzuerlangen. Am 2. Dezember 1925 schlossen sich BASF, Bayer, Hoechst, Agfa, Weiler-ter-Meer, Griesheim, Kalle und Cassella zur Interessengemeinschaft Farben, kurz IG Farben, zusammen. Es entstand ein weltweit agierendes Konglomerat aus Tochterfirmen, Holdings und Partnerschaften für Chemie, Stahl, Kohle und Treibstoffe.

Die Allianz mit dem Hitlerregime
Paradebeispiel für deutschen Forschergeist und zugleich Sorgenkind der Produktion war die Herstellung von synthetischem Treibstoff in Leuna. Sie war im Vergleich zum Naturprodukt zu teuer. Für das synthetische Gummi Buna gab es keinen Markt – bis das Naziregime mit seinem Streben nach der Autarkie Deutschlands Rentabilität versprach.

Bis Jahresende 1933 zahlte die IG 4,5 Millionen Reichsmark (RM) in die Parteikasse der NSDAP. Im Gegenzug kaufte das Reich die gesamte Produktion des Leuna-Treibstoffes auf: „Ab diesem Zeitpunkt war das Schicksal der IG Farben unmittelbar mit dem des Dritten Reiches verknüpft“, schreibt Jeffreys. Weder Krupp noch Thyssen oder Flick spielten eine derart wichtige Rolle: Der Krieg, den die Deutschen mit dem Angriff auf Polen am 1. September 1939 entfesselten, „lebte von den Chemikalien der IG“.

Das Bunawerk in Auschwitz
Ab 1941 ließ die IG in Auschwitz eine Produktionsstätte für Buna von jüdischen KZ-Häftlingen errichten. Sie zahlte 3 RM pro Tag und Häftling an die SS – für beide Seiten ein profitables Geschäft. Die Lebensdauer der Arbeiter betrug drei Monate. Schließlich als arbeitsuntauglich selektiert, wurden auch sie in den Gaskammern von Auschwitz ermordet – hierfür lieferte eine IG Tochter, die Degesch, das Giftgas Zyklon B.

Etwa 200 000 Menschen starben für das Bunawerk in Auschwitz, das niemals in Betrieb gegangen ist. So lautete die Nürnberger Anklage gegen die Führungsriege der IG auch auf Teilnahme an Versklavung und Massenmord. Dennoch kam sie glimpflich davon. Spätestens 1951 aus der Haft entlassen, fanden viele im Wirtschaftswunder in ihre alten Karrieren zurück.

Die IG wurde zerschlagen. Ihre Einzelteile BASF, Hoechst, Bayer und Agfa schrieben die Erfolgsgeschichte der deutschen Chemie weiter. Zwar leisteten sie Entschädigungszahlungen an ehemalige Zwangsarbeiter, doch eine offizielle Entschuldigung für ihre Beteiligung an der IG und damit am Holocaust hat kein Konzern je ausgesprochen. von Laura Meier-Ewert

Diarmuid Jeffreys: „Weltkonzern und Kriegskartell. Das zerstörerische Werk der IG Farben“ Aus dem Englischen von Helmut Dierlamm und Werner Roller, Karl Blessing Verlag, München 2011, 688 Seiten, 34,95 Euro, ISBN 978-3-89667-276-6