HV-Jubiläum der CBG
BAYER schafft Bannmeile
Zu ihrem 30-jährigen Hauptversammlungsjubiläum bot die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) so viele Konzern-KritikerInnen auf wie nie zuvor. Der Leverkusener Multi wappnete sich dagegen, indem er den Eingangsbereich der Kölner Messehallen weiträumig abschirmte. So ersparte er seinen AnteilseignerInnen die Konfrontation mit Medikamenten-Geschädigten, Bienenzüchtern, TierschützerInnen und anderen AktivistInnen. Im Saal selber gab es dann allerdings kein Entrinnen mehr: Die GegenrednerInnen dominierten das Aktionärs-Treffen.
Vor Beginn der BAYER-Hauptversammlungen in den Kölner Messehallen bot sich Jahr für Jahr das gleiche Bild: Die den Bussen entstiegenen AktionärInnen mussten sich den Weg in die heiligen Hallen des Profits durch einen Kordon von Konzern-Kritikern bahnen, die sie mit Transparenten, Flugblättern und politischen Aktionen empfingen. Das wollte der Leverkusener Multi ihnen dieses Mal ersparen. Er zog einen weiträumigen Bannkreis um den Eingangsbereich und chauffierte seine AnteilseignerInnen auf diese Weise unbehelligt von den ProtestlerInnen bis vor die Tür.
Allzu lange konnte der Leverkusener Multi sie allerdings nicht abschirmen, denn im Saal selber machten ihnen mit 20 GegenrednerInnen mehr Kritische Aktionärinnen und Aktionäre denn je ihre Aufwartung. Besonders die leibhaftige Konfrontation mit den Opfern, welche die gnadenlose Jagd nach Profit zwangsläufig produziert, dürfte den Aktien-Haltern einiges Unwohlsein bereitet haben. So berichtete etwa Monika Thinschmidt über ihre Qualen nach dem Einsetzen von BAYERs Hormonspirale MIRENA. „Die kommenden fünfeinhalb Monate sollten mich bis dato prägen. Meine Beschwerden waren: nächtliche Schweißausbrüche, Herzrasen, Unruhe, Schlaflosigkeit, permanente Bauchkrämpfe und Oberbauchschmerzen.“ Zudem klagte sie über Brustknoten, eine Eierstock-Zyste als Tumorvorstufe, Libido-Verlust und eine verfrühte Menopause. Und damit ist sie beileibe nicht die Einzige. Die Frau zitierte eine Untersuchung des Frauengesundheitszentrums Graz, wonach 96 Prozent der Teilnehmerinnen Gegenanzeigen schilderten, über die sich die bunten Werbe-Broschüren ausschwiegen. „Sie bringen also ein unsicheres Produkt auf den Markt, informieren falsch, unzureichend und zu spät (…) Sie gefährden damit die Gesundheit von vielen Millionen Frauen weltweit. Sie streichen die Profite ein und sind nach meiner Einschätzung deshalb auch haftbar“, resümierte Thinschmidt.
Auch Geschädigte des hormonellen Schwangerschaftstests DUOGYNON, den die heute zu BAYER gehörende Firma SCHERING bis Mitte der 1970er Jahre hinein vermarktete, gingen ans Mikrofon. „Ich wurde im Juni 1976 mit einer Schädigung an beiden Armen geboren“, legte Silke Ehrenberg dar und erzählte von ihrem Martyrium mit Krankengymnastik ab dem Alter von sechs Wochen, häufigen Operationen und Folge-Erkrankungen. Hinzu traten noch die seelischen Schmerzen: „Ich bin anders, und das bekam ich ständig und überall zu spüren.“ Es war ein langer Prozess, bis die 36-Jährige sich so annehmen konnte, wie sie ist. Und er ist noch immer nicht abgeschlossen. „Dies heute und hier ist für mich ein weiterer Schritt, zu mir zu stehen. Zu sagen: Ich lebe mit einer Behinderung“, betonte sie deshalb. Immer wieder trieb die 36-Jährige die Frage um, woher ihre Behinderung rühre. Auf die Antwort stieß sie erst vor zweieinhalb Jahren. Da wurde sie auf Andre Sommer aufmerksam, den Gründer einer Initiative DUOGYNON-Geschädigter, der im letzten Jahr auf der Hauptversammlung gesprochen hatte und schon lange mit der CBG kooperiert. Seither kennt sie die Ursache ihrer Leiden. Die Erzieherin will aber ebenso wie Sommer mehr wissen und fordert BAYER zur Offenlegung interner Dokumente über den Zusammenhang von DUOGYNON und den Fehlbildungen auf. Ein Gericht in Berlin wies diesen Anspruch jedoch zurück. „Die Aussage, die Angelegenheit DUOGYNON sei verjährt, ist ein Schlag ins Gesicht aller Betroffenen. Ich stehe hier heute vor ihnen und lebe damit. Von Verjährung keine Spur“, so Ehrenberg.
Auch die extra aus England angereiste Valerie Williams, deren Sohn durch den in ihrer Heimat unter dem Namen PRIMODOS angebotenen Schwangerschaftstest stark gehandicapt zur Welt kam, verlangte den Zugang zum Firmen-Archiv. Die bislang bekannt gewordenen Unterlagen belegen nämlich eindeutig: Der SCHERING-Konzern wusste, was er tat. „1969 schrieb SCHERING, heute BAYER SCHERING, dem Britischen Ausschuss für Sicherheit und Medizin, dass PRIMODOS wegen der hohen Rate von Fehlgeburten bei einer Studie mit Ratten zurückgezogen würde“, referierte Williams und fragte dann: „Welche Gründe hatten Sie, PRIMODOS weiter herzustellen?“ Die Antwort darauf gab Gisela Clerc, ebenfalls Mutter eines DUOGYNON-Opfers. Finanzielle Erwägungen ließen ihrer Ansicht nach das Unternehmen an dem Produkt festhalten. DUOGYNON habe BAYER „viel Geld, den Kindern viel Schmerz und den Eltern viel Leid“ gebracht, fasste sie den Fall zusammen.
BAYER-Chef Marijn Dekkers zeigte sich ungerührt von den Leidensgeschichten und holte die Textbausteine von der letzten Hauptversammlung wieder hervor. „Wir haben schon mehrfach betont, dass wir ihr Schicksal bedauern und dass wir die Suche nach den Ursachen verstehen“, antwortete er den DUOGYNON-Geschädigten, um dann unmissverständlich die Konzern-Sicht darzulegen, wonach es keinen Zusammenhang zwischen dem Schwangerschaftstest und den Fehlbildungen gebe. Zur Hormonspirale MIRENA stand er gleichfalls in Treue fest. Sie werde seit 22 Jahren von 20 Millionen zufriedener Frauen angewendet und weise kein erhöhtes Brustkrebsrisiko auf, so Dekkers. Auch die Gefahr, eine Eileiter-Schwangerschaft zu erleiden, sei verschwindend gering, führte er weiter aus. „Es kann (…) jede Arznei unerwünschte Nebenwirkungen haben“, räumte der Vorstandsvorsitzende dann zwar ein, aber die seien ja auf dem Beipackzettel aufgeführt, womit er den Konzern – geschützt vor juristischen Ansprüchen – auf der sicheren Seite wähnte.
Die Verhütungsmittel des Pharma-Riesen mit dem Wirkstoff Drospirenon, die zahlreiche, zum teil tödlich verlaufende Thrombo-Embolien verursacht hatten, verteidigte der Ober-BAYER ebenfalls. „Wir sind vom Risiko-Profil Drospirenons überzeugt“, hielt er dem Rechtsanwalt Martin Jensch entgegen, der im Namen der betroffenen Frauen der SELBSTHILFEGRUPPE DROSPIRENON-GESCHÄDIGTER gesprochen hatte. Nicht einmal die nunmehr ausdrücklich auf das Risiko „Embolie“ aufmerksam machenden Warnhinweise auf den Packungen und die Zahlungen von 142 Millionen Dollar an US-amerikanischen Klägerinnen galten ihm als Schuld-Eingeständnis. Und einen Imperativ, ähnlich mit bundesdeutschen Geschädigten umzugehen, wollte er daraus schon einmal gar nicht ableiten. Die Zahlungen seien der Besonderheit des Rechtssystems in den USA geschuldet, erklärte Dekkers.
Diese Besonderheit lenkte sogar die Aufmerksamkeit der sonst nur auf ihre Dividende fixierten AktionärInnen-Vertreter einmal auf die Nebenwirkungen der Konzern-Präparate. „Das ist kein Gerinnsel, das ist ein Risiko“, konstatierte Hans-Martin Buhlmann von der „Vereinigung institutioneller Privatanleger“. Und sein Kollege Marc Tüngler von der „Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz“ fragte in Anspielung auf den unseligen BAYER-Cholesterinsenker, der das Leben von mehr als hundert Menschen gekostet hatte und den Konzern zu Schadensersatz-Zahlungen in Höhe von über einer Milliarde Dollar zwang: „Ist das LIPOBAY II?“
Das Geschäft mit den Pillen rief jedoch noch mehr GegenrednerInnen auf den Plan. Philipp Frisch von ÄRZTE OHNE GRENZEN befasste sich mit BAYERs Pharma-Patenten, die dem Konzern Monopol-Einnahmen sichern und Menschen in den ärmeren Ländern den Zugang zu einer erschwinglichen Versorgung mit Pharmazeutika versperren. So kostet das Krebspräparat NEXAVAR in Indien 5.500 Dollar pro Monat, weshalb Frisch die Entscheidung der indischen Regierung begrüßte, den Schutz des geistigen Eigentums für das Mittel unter Berufung auf den Ausnahme-Paragraphen im TRIPS-Handelsabkommen aufzuheben und eine Zwangslizenz zu erteilen. Der Verfasser dieser Zeilen wandte sich ebenfalls dem südasiatischen Land zu und machte auf den Skandal aufmerksam, dass dort von 2007 bis 2010 138 Menschen während der Klinischen Tests von Medikamenten des Global Players starben. Die Tierärztin Dr. Christine Esch von PETA DEUTSCHLAND schließlich widmete sich dem Leid der Tiere, die in den Arznei-Laboren des Unternehmens oder seiner Vertragspartner ihr Leben lassen, noch dazu, ohne valide Erkenntnisse zu produzieren, wie die vielen unerwünschten Pillen-Folgen zeigen.
Aber nicht nur der Pharmazeutika-Entwickung fallen Kreaturen zum Opfer, auch die Agrochemikalien des Leverkusener Multis fordern ihren Tribut. Sie sorgten in den vergangenen Jahren für das Verenden von Millionen Bienenvölkern. Deshalb sind ImkerInnen bereits seit langem Stammgäste auf der Hauptversammlung. „Der Mais kommt, die Bienen gehen“, so beschrieb Christoph Koch vom DEUTSCHEN BERUFS- UND ERWERBSIMKERBUNDES die fatale Wirkung der auf den Feldern nicht nur dieser Ackerfrüchte eingesetzten BAYER-Produkte. Sein Kollege Holger Nettler bezeichnete das Mantra des Konzerns, bei sachgemäßer Anwendung seiner Pestizide und Saatgut-Beizen träten keine Beeinträchtigungen der Bienen auf, als „Augenwischerei“. Dem schloss sich Roland Netter an, sich dabei auf eigene Erfahrungen berufend. Er nahm nämlich an dem Projekt „Melissa“ teil, das die Effekte der Pestizide auf Bienen unter Berücksichtigung aller Schutzmaßnahmen untersuchte. Ergebnis: Die gemessenen Ackergift-Werte lagen sogar noch über denen des fatalen, von BAYER als „Unfall“ bezeichneten Bienensterbens in Baden-Württemberg 2008. Darum schloss sich Roland Netter dem Vorstoß der CBG an, Vorstand und Aufsichtsrat auch wegen des Bienensterbens nicht zu entlasten: „Wir Imker aus Österreich unterstützen den Gegenantrag der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN.“ Der BAYER-Chef ließ sich jedoch von alldem nicht beeindrucken und sprach GAUCHO & Co. von jedem Verdacht frei. „Die Gründe für den in einigen Ländern beobachteten Rückgang der Bienenvölker sind vielschichtig. Die Hypothese, dass Saatgut-Beizungen dazu gehören, wird durch eine Reihe von wissenschaftlichen Untersuchungen widerlegt“, antwortete er den Imkern.
Ähnlich ignorant zeigte sich Marijn Dekkers den Konzern-KritikerInnen gegenüber, die weitere Risiken und Nebenwirkungen der Profit-Jagd auf die Tagesordnung setzten. Dieter Donner von STOPP-BAYER-CO-PIPELINE und Dr. Gottfried Arnold von ÄRZTE GEGEN DIE CO-PIPELINE warnten einmal mehr vor der Inbetriebnahme der Kohlenmonoxid-Leitung von Dormagen nach Krefeld, Friedhelm Meyer von SOLIDARISCHE KIRCHE zeigte die Problematik der in vielen Alltagsgegenständen auftauchenden Industrie-Chemikalie Bisphenol A auf und Claudia Baitinger vom BUND beschäftigte sich mit der neuesten Gefahren-Quelle aus dem Hause BAYER, der Nano-Technik. CBG-Geschäftsführer Philipp Mimkes schließlich vervollständigte die Liste, indem er das Gefährdungspotenzial von Tier-Antibiotika, des Gerinnungshemmers XARELTO und des LIBERTYLINK-Genreises darstellte. Zudem verlangte er abermals Auskunft über die Marketing-Ausgaben und den vom Unternehmen mit der Universität Köln geschlossenen Kooperationsvertrag.
Der CBGler Axel Köhler-Schnura schließlich ergänzte dieses neue „Schwarzbuch BAYER“ aus gegebenem Anlass um die historische Dimension. Er beging im Kölner Messe-Saal nämlich nicht nur das 30-jährige Betriebsjubiläum der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN auf den Hauptversammlungen des Konzerns, sondern verabschiedete auch den Aufsichtsrats- und ehemaligen Vorstandsvorsitzenden Manfred Schneider. Während jedoch dessen Aufsichtsratskollege Paul Achleitner Schneider als „BAYER-Urgestein“ titulierte, das immer zur richtigen Zeit am richtigen Ort und ein „höchst aktiver Lotse für das Unternehmen“ gewesen sei, sah der Rückblick Köhler-Schnuras etwas anders aus. „Herr Schneider und ich, wir stehen auf verschiedenen Seiten, wir spielen in verschiedenen Mannschaften. Sie, Herr Schneider, sagen: Wir sind auf Profit aus. Das ist unser Job. Ich sage, um in Ihrer Wortwahl zu bleiben: Ich bin auf demokratische Konzern-Kontrolle aus. Das ist mein Job. Und dann stellte er die Negativ-Bilanz von dessen Amtszeit vor. Der Aktivist erinnerte noch einmal an den LIPOBAY-Skandal, die Farce um die Entschädigungen der ZwangsarbeiterInnen der von BAYER mitgegründeten IG FARBEN, das gebrochene Versprechen, bis zum Jahr 2000 sämtliche hochgefährlichen Pestizide der Klasse I vom Markt zu nehmen und den Coup, mit Heribert Zitzelsberger den Steuer-Chef des Konzerns ins Finanzministerium einzuschleusen. Das alles kam dann in dem „Geschenk“ zum Ausdruck, das der Diplom-Kaufmann dem Manager abschließend darbot: ein schwarzes Holzkreuz. „Es ist eines der Kreuze, das wir in den letzten 35 Jahren bei vielen unserer Protest-Aktionen zum Gedenken an die vielen Opfer der BAYER-Produkte und der Vernichtung der tausenden von Arbeitsplätzen bei BAYER eingesetzt haben“, erläuterte Axel Köhler-Schnura, „Möge es Ihnen Erinnerung und Mahnung zugleich sein.“ Doch der Konzern verweigerte die Annahme. Er sah darin einen Missbrauch christlicher Symbole. Auch mit dem Redebeitrag des CBG-Vorstandsmitglieds mochte das Unternehmen sich nicht so recht anfreunden. „Wir spielen nicht nur in unterschiedlichen Mannschaften, wir sind auch in unterschiedlichen Ligen. Wir stehen unverbrüchlich zur parlamentarischen Demokratie und zur sozialen Marktwirtschaft. Wir wissen, dass Sie da ganz andere Ansichten haben“, beschied ihm Dekkers.
Wie unverbrüchlich der Multi zu demokratischen Werten steht, das hatte am Morgen die Einrichtung der Bannmeile gezeigt und im Laufe des Tages die Ignoranz, die er den – die überwältigende Mehrheit der RednerInnen stellenden – KritikerInnen entgegenbrachte. Entsprechend schlecht für den Chemie-Riesen fiel deshalb das Urteil der Presse aus. „Zwischen Jubel und Tribunal“ überschrieb etwa die Westdeutsche Zeitung ihren Bericht, „Noch mehr Ärger mit der Pille“ titelte der Tagesspiegel, „Kleinkrieg mit den Kritikern“ der Kölner Stadtanzeiger und „Die Störenfriede“ die Frankfurter Rundschau. Von Jan Pehrke