Leere Mägen, volle Kassen
Im Frühjahr brach eine Ernährungskrise aus. Die Preise für Grundnahrungsmittel stiegen exorbitant, in zahlreichen Ländern kam es zu Brotrevolten, auf Haiti stürzte darüber sogar die Regierung. Aus der Perspektive des zweitgrößten Agro-Riesen der Welt stellt sich die Lage freilich ein wenig anders dar. „Insgesamt profitierte das Pflanzenschutzgeschäft von den positiven Rahmenbedingungen auf den Weltagrarmärkten“, vermeldete BAYER-Chef Werner Wenning auf der Jahreshauptversammlung des Konzerns am 25. April. Sorge um das tägliche Brot auf der einen Seite, profitable Rahmenbedingungen auf der anderen Seite – der Kapitalismus macht‚s möglich.
„Wir haben Hunger“ und „Das Leben ist zu teuer, ihr bringt uns um“ – unter diesen Rufen zogen Anfang April 1.500 Frauen aus den Armenquartieren Abidjans, der ehemaligen Hauptstadt der Elfenbeinküste, zur Residenz des Präsidenten Laurent Gbagbo. Zu ähnlichen Brotrevolten kam es in Ägypten, Burkina Faso, Bangladesh, Pakistan, Thailand, Honduras, Indonesien, Kamerun, Marokko, Mexiko und im Jemen. Auf Haiti stürzte darüber sogar der Premierminister Jacques-Édouard Alexis. „Wenn die Regierung die Lebenshaltungskosten nicht senken kann, muss sie eben gehen. Wenn die Polizei und die UN-Truppen auf uns schießen wollen, macht das auch nichts, denn wenn wir nicht von den Kugeln getötet werden, verhungern wir“, mit diesen Worten brachte ein Demonstrant in Port-au-Prince den Mut der Verzweiflung zum Ausdruck, der ihn auf die Straße getrieben hatte.
Hunger global
Innerhalb einer Woche hatten sich auf der Karibik-Insel die Preise für Reis verdoppelt. So war das Grundnahrungsmittel für Tausende Menschen unerschwinglich geworden, sie mussten sich aus Lehm, Wasser, Öl und Salz kleine Kuchen backen, um zu überleben. In Thailand kostete die Tonne Reis, die 2003 noch für 198 Dollar zu haben war und im letzten Jahr für 323, plötzlich 1.000 Dollar. Bei Molkereiprodukten, Weizen und anderen Getreidearten sah es auf den Weltmärkten nicht besser aus. Nach Angaben der Weltbank stieg der Preis für Weizen binnen der letzten drei Jahre um 181 Prozent. Die Kosten für Lebensmittel insgesamt erhöhten sich um 83 Prozent. Und sinken dürften sie allzu bald auch nicht wieder. Die Welternährungsorganisation FAO erwartet bis 2017 Teuerungsraten von zehn bis fünfzig Prozent, und die Ökonomen sprechen bereits vom Phänomen der „Agflation“.
„Das Ungeheuer, das die politische Bühne betreten hat“, wie Finanzminister Peer Steinbrück es ausdrückte, wird also so schnell nicht wieder abtreten. Das Monster hat seine Karriere auch nicht erst in diesem Jahr begonnen. Schon 1972/73, 1979/80, 1984, 1988, 1989, 1990 und 1995/96 hatte es in vielen Ländern für Angst und Schrecken gesorgt. Es brauchte jeweils nicht viel, um das Biest hervorzulocken, denn das Horrorszenario, das sich mit der in den 70er Jahren einsetzenden Globalisierung der Agrarmärkte eröffnete, bot immer wieder reichlich Stoff.
Seither kommen 80 Prozent des Weizens und 85 Prozent des Reises aus gerade einmal sechs Ländern, drei Staaten produzieren 70 Prozent des Korns. Das Mittel, mit dem die Weltbank und der Internationale Währungsfonds (IWF) Südamerika, Afrika und Asien zu Beginn der achtziger Jahre komplett diesem Weltmarkt auslieferten, hieß „Strukturanpassungsprogramm“. Die Finanzinstitutionen vergaben ihre Kredite nur noch unter der Maßgabe, die billigen, weil hoch subventionierten Ackerfrüchte aus dem Norden zu Minimalzöllen die Grenzen überschreiten zu lassen. In der Folge gaben viele KleinfarmerInnen ihre Höfe auf und zogen in die Elendsgürtel der großen Städte. Sie machten dann Platz für die export-orientierten Agroindustrien einiger Großgrundbesitzer, die keine Nahrungsmittelgrundstoffe, sondern vernehmlich Mais und Soja für die Massentierhaltung herstellten. Immer weniger Menschen hatten so die Möglichkeit zur Selbstversorgung. Die von der Weltbank im Rahmen der Implementierung des Neoliberalismus eingeforderte Kürzung der Subventionen für Lebensmittel tat ein Übriges, um den Kampf ums täglich Brot schwieriger und schwieriger zu gestalten.
Und wenn die Kurse auf Getreidebörsen in den USA dann einmal nach oben ausschlugen und die Nahrungsmittelimporte sich verteuerten, geriet dieser zu einem schier unmöglichen Unterfangen. Als „einen ökonomischen Totalitarismus, der nicht mit Kugeln, sondern mit Hunger tötet“, bezeichnete der von 1989 bis 1993 als Präsident Venezuelas amtierende Carlos Andrés Péres deshalb diese Politik des IWF.
Länder, die sich diesem Regime nicht beugten wie etwa Mali, konnten die Auswirkungen der jüngsten Ernährungskrise eindämmen. Die LandwirtInnen sahen wegen des Preisverfalls für Baumwolle davon ab, weiterhin Grundstoffe für die globale Textilindustrie herzustellen und pflanzten stattdessen rote Hirse und Mais an. Zusammen mit dem von der Regierung vorangetriebenen Reis-Anbau sicherte das einigermaßen die Versorgung der Bevölkerung mit dem Lebensnotwendigsten. In anderen Staaten hingegen wütete das Ungeheuer ungebändigt, dieses Mal genährt vom hohen Ölpreis, Missernten infolge des Klimawandels, Chinas gesteigertem Appetit auf Fleisch, Finanzspekulationen auf eine noch größere Knappheit und dem Agrosprit-Boom, der immer weniger Anbaufläche für Nahrungsmittelgrundstoffe übrig lässt.
Krisengewinnler BAYER
BAYER gruselt dabei als Global Player des Agrobusiness kräftig mit. Die Chemikalien, die der Multi für die Landwirtschaftsindustrie mit ihren cash crops herstellt, basieren nämlich auf dem Grundstoff Öl und haben so einen Anteil am Preisanstieg für landwirtschaftliche Produkte. Zum Klimawandel steuert der Konzern jährlich ein Scherflein von 8,3 Millionen Tonnen Kohlendioxid bei (4,4 Mio. aus eigener Produktion zuzüglich 3,9 Mio. aus derjenigen seiner Energie-Lieferanten) und den Flächenfraß durch den Agrosprit-Boom treibt er direkt mit seinem Jatropha-Pflanzen-Projekt in Tateinheit mit Daimler und indirekt durch sein maßgeschneidertes, besonders viel Tankfüllung produzierendes Saatgut an.
Dementsprechend treiben einem die Verlautbarungen des Leverkusener Multis zu seiner Geschäftstätigkeit Schauer über den Rücken. „Wir konnten an der positiven Entwicklung der Welt-Agrarmärkte partizipieren“, vermeldete der „1. Quartalsbericht 2008“. Und auf der letzten Hauptversammlung in den Kölner Messehallen erklärte BAYERs Vorstandsvorsitzender Werner Wenning seinen AktionärInnen genauer, warum der Hunger infolge der verteuerten Lebensmittel so profitabel für das Unternehmen ist. „Die Landwirte können höhere Preise für ihre Erzeugnisse, also für Nahrungsmittel, Futter und Pflanzen als alternative Energiequellen, erzielen. Das ermöglicht es ihnen, stärker in innovative Pflanzenschutzprodukte – und auch höherwertiges Saatgut – zu investieren“. Und BAYER-CROPSCIENCE-Chef Friedrich Berschauer freut sich ebenfalls über die „Knappheitspreise“, die endlich wieder eine freie Marktpreis-Bildung ohne Quoten, Subventionen und Interventionen ermöglichten und sich nur an den internationalen Rohstoffbörsen orientierten – für ihn eine „stille Agrarrevolution“.
Im letzten Geschäftsbericht hat diese schon ihre Spuren hinterlassen. „In Südamerika entwickelten sich unsere neuen Produkte CropStar in Mais und Atento in Sojabohnen sehr erfreulich“, hieß es dort. Auf den Feldern selber hält derzeit noch MONSANTO mit seinen Gentech-Pflanzen die Monopolstellung. Aber der Leverkusener Multi verbessert seine Marktposition kontinuierlich, da sich die Monokulturen mit den Hochertragssorten des US-amerikanischen Konkurrenten anfällig zeigen. Die Unkräuter haben sich nämlich mittlerweile an den Wirkstoff Glyphosate, gegen den Mais und Soja made by MONSANTO resistent sind, gewöhnt und trotzen der chemischen Keule. Deshalb sah sich MONSANTO zu einem Deal mit BAYER gezwungen: Die Firma erwarb eine Lizenz für die Liberty-Link-Technologie des bundesdeutschen Agroriesen und hofft nun, die Wildgräser mit einem Liberty/Glyphosate-Doppelpack am „unerlaubten“ Wachstum zu hindern.
Die Kooperation mit MONSANTO bietet für BAYER CROPSCIENCE die Chance einer stärkeren Penetration des LibertyLink-Systems in Mais und Soja und eröffnet uns gleichzeitig ein erhebliches Potenzial an Lizenzeinnahmen und Umsatzbeiträgen aus dem Absatz unseres Totalherbizids Liberty„, konstatiert Berschauer. Mit den Unternehmen MERTEC und M.S. TECHNOLOGIES entwickelt der Global Player nach dem selben Prinzip eine multi-resistente Soja-Pflanze. Damit der Konzern nun aber nicht alle Einkünfte aus den Geschäften rund um die cash crops teilen muss, plant er auch eine eigene Liberty-Link-Sojalinie.
Agro-Sprit
Besonders der Agro-Sprit sorgt für BAYER-Profit. “Vom starken Ausbau der Maisanbauflächen in den USA im Zuge des Biokraftstoff-Booms profitieren wir durch unser Saatgutbehandlungsmittel Poncho„, führte der BAYER-CROPSCIENCE-Chef auf der Jahrespressekonferenz der Landwirtschaftssparte aus. Aber nicht nur der Absatz des Bienenkillers und derjenige anderer Pestizide erhöhte sich durch die Treibstoff-Pflanzen. Auch der Umsatz mit dem genmanipulierten Raps-Saatgut Invigor, das hybrid ist und sich deshalb nicht für eine Wiederaussaat eignet, stieg. Der Leverkusener Multi hat den Biosprit-Baronen sogar schon genau ausgerechnet, welche Wettbewerbsvorteile ihnen der BAYER-Raps bietet. “So lassen sich mit Hilfe von Invigor rund 190 Liter mehr Biodiesel pro Hektar herstellen als aus normalem Hybridsaatgut„, verspricht Berschauer. Er hat sogar schon die Marktforschung bemüht, um genau zu eruieren, wieviel Geld das neue Marktsegment in die Kassen spülen wird. “Bis zum Jahr 2015 sehen wir hier ein Marktvolumen von mehr als vier Milliarden Euro„, sagte Berschauer auf der Bilanz-Pressekonferenz.
Dabei sind dem Multi die Nebenwirkungen des Agrosprit-Booms nicht ganz entgangen. “Natürlich sehen wir auch den drohenden Konflikt zwischen dem Anbau von Nahrungsmitteln und von Pflanzen für Biokraftstoffe„, räumte Wenning in Köln ein. Aber BAYER hat da einen Vorschlag zur Güte: die Jatropha-Pflanze. Sehr öl-haltig und anspruchslos auch auf so genannten Grenzertragsböden gedeihend, hält der Agro-Riese dieses Gewächs für geeignet, die Flächenkonkurrenz nicht weiter zu befeuern. Dafür befeuert BAYER sogar die Konkurrenz im eigenen Hause. Versuchte Berschauer auf der Jahrespressekonferenz noch, das Rapssaatgut Invigor als ergiebige Ölquelle zu verkaufen, so kritisierte sein Pressesprecher Utz Klages die Degradierung einer so hochwertigen Nahrungspflanze zur Tankfüllung, um den Segen von Jatropha zu preisen.
Der Wirklichkeit halten seine Reden allerdings nicht stand. In Indien beispielsweise wächst Jatropha nicht auf Ackerbrachen, sondern auf Gemeinschaftsland, auf dem die Menschen Früchte, Nüsse, Medizinal- und Futterpflanzen anbauen.
BAYERs weitere Vorschläge zur Bewältigung der Hungerkatastrophe erweisen sich als ebenso wenig hilfreich. So falsch wie die Diagnose – Überbevölkerung nannte Werner Wenning auf der Hauptversammlung als Grund – ist die Therapie, welche die Manager vorschlagen.
Direktzahlungen an die Bedürftigten“ empfiehlt Berschauer und setzt wie sein Chef Wenning auf noch ertragreichere und widerstandsfähigere Sorten sowie noch wirksamere Pestizide. Zudem hoffen die beiden, dass ihr ungeliebtes Kind als Krisengewinnler aus dem Nahrungsmittel-GAU hervorgeht. „Vor den Chancen der Gentechnik dürfen wir in Europa nicht weiter die Augen verschließen“, forderte der oberste CROPSCIENCEler in einem Interview mit der Welt. Alles soll also weiter seinen kapitalistischen Gang gehen, nur noch ein bisschen schneller, wenn‘s geht.
Farmer-Protest
Darum sehen die Betroffenen BAYER auch nicht als Teil der Lösung, sondern als Teil des Problems. So initiierte VIA CAMPESINA, die internationale Organisation der KleinfarmerInnen, am 17. April in Argentinien eine Kundgebung für Nahrungsmittelsouveränität und eine indigene Landwirtschaft und gegen das globale Agro-Business. Die LandwirtInnen protestierten gegen den immer raumgreifenderen Anbau von Soja, der zu einer Vertreibung der Kleinbauern und -bäuerinnen sowie zur Zerstörung riesiger Waldgebiete führt, Nahrungsmittel zu einer teuren Mangelware macht und die Gesundheit ihrer Kinder durch den massiven Einsatz von Pestiziden zerstört. Deshalb endet ihr Aufruf mit den Worten: „Die FarmerInnen werden ihren Kampf gegen dieses Modell, seine politischen Gewährsleute und Multis wie CARGILL, SYNGENTA, MONSANTO und BAYER fortsetzen“.
Und VIA CAMPENSINA tat das auch vor Ort in Leverkusen. Die Vereinigung beteiligte sich an der Demonstration, die am 17. Mai im Rahmen der Gegenaktivitäten zum Bonner Biodiversitätskonferenz am Stammsitz von BAYER stattfand. „Agrarreformen“ und „Nahrungssouveränität“ forderten die InderInnen, ArgentinierInnen und MexikanerInnen auf ihren Transparenten ein, und der VIA-CAMPENSINA-Sprecher José Oviedo konfrontierte den Konzern in seinem Kundgebungsrede konkret mit den verheerenden Auswirkungen seiner Geschäftspolitik in den Ländern des Südens.
Beistand bekam VIA CAMPENSINA vom jüngsten Bericht des 2002 von der Welternährungsorganisation FAO und der Weltbank gegründeten Weltagrarrats. In der Pressemitteilung zur Vorstellung des Rapportes, an dem 400 ExpertInnen von Universitäten, Nichtregierungsorganisationen und Unternehmen mitwirkten, lautet gleich der erste Satz: „Die Art und Weise, wie die Welt ihre Nahrung produziert, muss sich radikal ändern, um den Bedürfnissen der Armen und Hungernden gerechter zu werden, wenn sie sich den Herausforderungen “Bevölkerungswachstum„ und “Klimawandel„ stellen will, ohne soziale Verwerfungen und einen Umweltkollaps zu riskieren.“ Ein „Business as usual“ kann für die AutorInnen nicht länger eine Option sein, zu viele Flurschäden hat der agroindustrielle Komplex verursacht: unfruchtbarere Böden und Schäden für Mensch, Tier und Umwelt infolge der Überdosis Chemie, eine Zunahme der Pflanzenkrankheiten durch die intensive Landwirtschaft und einen Ausschluss kleinerer Betriebe vom Weltmarkt.
Aber die Agrarwende, wie der Bericht sie fordert, findet auf jeden Fall ohne den Leverkusener Multi statt. Er hat ebenso wie MONSANTO seine WissenschaftlerInnen kurz vor der Fertigstellung der Expertise abberufen und nach Hause beordert. Auf die Umsätze, welche die politische Ökonomie des Hungers dem Konzern beschert, mögen die BAYER-Manager nicht verzichten.
Von Jan Pehrke
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