BAYER & Co. vernachlässigen den Hochwasser-Schutz
Schadstoffe in den Fluten
Die Hochwasser-Katastrophe vom Juli 2021 hat auch die mangelhaften Schutzvorrichtungen von BAYER & Co. offenbart. So lief im Chemie„park“ Knapsack, wo der Global Player Pestizide produziert, die Abwasser-Behandlungsanlage über und setzte Giftstoffe frei.
Von Jan Pehrke
Der Starkregen, der Mitte Juli 2021 Deutschland, Holland, Belgien und die Schweiz heimsuchte, hatte katastrophale Folgen. Durch das Hochwasser, das er auslöste, starben allein in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz über 170 Menschen. Unzählige erlitten Verletzungen. Zudem verloren Zehntausende ihr Hab und Gut. Die Schäden an Häusern, Fabriken, Straßen, Brücken und Gleisen gehen in die Milliarden.
Auch im Chemie„park“ Knapsack südwestlich von Köln, wo BAYER Pestizide produziert war „Land unter“. „Durch die extremen Wassermassen kam es zu Erdrutschen und einer vollständigen Überschwemmung des Geländes“, vermeldete der Betreiber YNCORIS. Und zu noch etwas anderem kam es: Die Abwasser-Behandlungsanlage lief über, was den „Abfluss erheblicher Mengen Niederschlagswassers sowie Abwassers“ zur Folge hatte. Die Stadt Hürth setzte daraufhin eine Warnmeldung ab, die das „Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe“ aufgriff und weiterverbreitete. „Innerhalb des Stadtgebietes Hürth ist es im Bereich Alt-Hürth und Teilen von Hermülheim zu einem größeren Schadensereignis gekommen. Dabei werden Schadstoffe freigesetzt, die zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen und Hautreizungen führen können“, so der Wortlaut. Tatsächlich traten bei einigen AnwohnerInnen solche Krankheitssymptome dann auch auf. Trotzdem wiegelte YNCORIS ab. In der näheren Umgebung des Chemie„parks“ entnommene Proben hätten „keine auch nur annähernd gefährlichen Schadstoff-Gehalte“ ergeben.
Chemie-Fluten
Aus SHELLs Kölner Energie- und Chemie„park“ in Köln-Godorf floss Kohlenwasserstoff in den Rhein. Am BAYER-Standort Bergkamen ist hingegen alles noch einmal gut gegangen. Das Auffangbecken der Kläranlage war zwar „außergewöhnlich belastet“, konnte die Wassermassen aber gerade noch halten. So gelangten keine Chemikalien in die Umwelt. Wie schon 2017 nach heftigen Regenfällen blieb es bei weithin spürbaren Geruchsbelästigungen – die Niederschläge hatten sich mit Hefe-Bakterien und anderen Produktionsrückständen aus der mikrobiologischen Abteilung vermischt und zu Faulgas-Bildungen geführt. „Wir entschuldigen uns für die Unannehmlichkeiten durch die Geruchsbildung und arbeiten mit Hochdruck daran, das Wasser zu verarbeiten und zu beseitigen“, bekundete das Unternehmen. Auf dem Wuppertaler Werksgelände musste die Feuerwehr anrücken, um das Wasser abzupumpen. So blieb es bei vollgelaufenen Kellern in den Verwaltungsgebäuden. „Das Produktions-gelände ist nicht betroffen“, gab der Konzern Entwarnung. In Leverkusen lief es ebenfalls glimpflich ab. Am Stammsitz haben sich die Vorsorge-Maßnahmen, auf welche die Politik nach 2002 drängte, ausgezahlt. „Nachdem staatlicherseits nach den letzten großen Rheinhochwasser-Ereignissen die Schutzziele neu definiert wurden, hat der BAYER-Chemie‚park’ Leverkusen seinen Hochwasser-Schutz mit dem Neubau von ortsfesten und mobilen Schutzwänden sowie durch ein Hochwasser-Pumpwerk auf ein 200-jähriges Bemessungshochwasser erweitert“, so beschrieb das Umweltbundesamt im Jahr 2007 die vorgenommenen Veränderungen. Und das reichte offensichtlich aus. In Dormagen passierte ebenfalls nichts. „Uns sind keine Schäden bekannt“, bekundete die CURRENTA, die beide Chem„parks“ unterhält.
Zu den bekannten Schäden jedes Hochwassers zählt indes die Erhöhung der Giftstoff-Konzentration in den Flüssen. Und das nicht nur, weil vermehrt Pestizide von den Feldern in die Gewässer geraten oder die Fluten Chemikalien aus Lagerstätten mitreißen. Durch die Wetter-Ereignisse steigt nämlich die Fließgeschwindigkeit der Gewässer und wirbelt Sedimente auf dem Grund auf, in denen sich Schwermetalle, Dioxine und andere schädliche Substanzen ablagerten. Diese finden sich dann unter anderem in den Auen der Flüsse wieder. So bergen die Böden rund um Wupper und Rhein nach einer Untersuchung des „Ingenieurbüros Feldwisch“ im Auftrag der Stadt Leverkusen bedenkliche Mengen an Quecksilber, Chrom und anderen Rückständen aus der Industrie-Produktion. „Ich habe den Eindruck, dass das Problem der Schadstoffe aus den Altsedimenten in Deutschland und auch in Europa stark unterschätzt wird. Schadstoff-belastete Altsedimente sind aber eine tickende Zeitbombe, die mit jeder Flut hochgehen kann“, sagt der Umwelt-Toxikologe Henner Hollert von der Frankfurter Goethe-Universität.
Überdies unterspült jedes Hochwasser BAYERs Giftmüll-Deponie „Dhünnaue“, und ob allein Brunnen und Sperrwände verhindern können, dass belastetes Wasser bei niedrigeren Pegelständen wieder zurück in den Rhein oder ins Grundwasser fließt, daran haben viele ExpertInnen Zweifel.
Eine lange Geschichte
Bereits 1988 hatte die damals noch nicht sanierte und mit Wohnsiedlungen überbaute Lagerstätte bei einem Hochwasser für Gesundheitsgefährdungen gesorgt. Die Fluten spülten Dioxine, Chrom und andere Stoffe der Altlast in die Keller und lösten bei den AnwohnerInnen Nasenbluten und Übelkeit aus. So wie damals offenbarten sich die Gefahren, die von Chemie-Anlagen und ihren Hinterlassenschaften ausgehen, wenn die Flüsse über die Ufer treten, immer wieder. Im Jahr 1995 wäre es beinahe zu einer Überflutung des Leverkusener Chem‚parks’ gekommen. Das Rhein-Hochwasser stand lediglich zehn Zentimeter unterhalb der Kaimauer-Kante. 2001 havarierte ein mit Salpetersäure für BAYER beladenes Schiff auf dem Rhein. Wegen des hohen Wasserstandes und der starken Strömung drohte es zu bersten, weshalb die Feuerwehr gezwungen war, die Salpetersäure abzupumpen und in den Fluss zu leiten. 2002 trat die Elbe über die Ufer und setzte die tschechische Chemie-Fabrik Spolana Neratovice unter Wasser, so dass Chlorgas und Quecksilber in den Fluss gelangten. Für den elbabwärts gelegenen Bitterfelder Chemie„park“ entstand ebenfalls eine bedrohliche Lage. Dabei hatte der Pillen-Riese aus der Geschichte gelernt – 1954 wurde das gesamte Gelände überflutet – und seine neuen Anlagen auf einem höheren Grund errichtet. Auch baute er auf sicherem Fundament, verzichtete auf Keller und verlegte die Verarbeitung wassergefährdender Substanzen auf höhere Stockwerke. Trotzdem stand eine Umwelt-Katastrophe unmittelbar bevor. Bis an eine unmittelbar neben der Fertigungsstätte gelegene Straße drang das Wasser vor. Nur dem unermüdlichen Einsatz der vielen Helfer*innen war es zu verdanken, dass der den Chemie„park” umgebene Damm hielt. Und hätten nicht Deichbrüche bei Bad Düben das Wasser des Elb-Nebenflusses Mulde in die alten Tagebau-Stollen geführt, wäre auch diese Arbeit nutzlos gewesen. Von einer akuten Gefährdung sprach ein Bundeswehr-Angehöriger damals. Beim Leverkusener Multi aber hieß die Devise, solange es nur irgend ging: „Business as usual”. Ein Runterfahren der Produktion aus Sicherheitsgründen hielt das Unternehmen zunächst für unnötig, weil das ans Geld gegangen wäre. Darüber hinaus war der Global Player erst auf eindringliche Ermahnungen von GREENPEACE hin bereit, draußen auf dem Werksgelände lagernde Chemikalien vor den Fluten in Sicherheit zu bringen.
Die Elbe trug damals bleibende Schäden davon. Die erhöhten Fließgeschwindigkeiten von Mulde und Spittelwasser hatten nämlich die hochbelasteten Altsedimente gelöst und in den größeren Strom gespült.
Für BAYER wiederholte sich 2013 das Spiel. Wie schon 2002 musste die Bundeswehr einen provisorischen Deich errichten, um das Areal zu schützen. „Durch die anhaltenden Niederschläge ist die Hochwasser-Situation im Umfeld der BAYER BITTERFELD GmbH und in der Chemie-Region Bitterfeld sehr angespannt“, erklärte der Konzern.
In den USA trat 2017 derweil der Worst Case ein. Einströmende Wasser-Massen unterbrachen die Stromversorgung einer Chemie-Fabrik in Texas. Die Kühlung versagte, und die Temperatur der eingelagerten Substanzen sank ab. Das löste eine Reihe von chemischen Reaktionen aus, an deren Ende zwei Explosionen standen.
VCI gegen Maßnahmen
Trotz alledem wiegelt der „Verband der Chemischen Industrie“ ab. „Gefahren für Chemie-Anlagen durch Natur-Katastrophen wie Hochwasser sind in der chemisch-pharmazeutischen Industrie in einem komplexen Sicherheitsmanagement berücksichtigt“, bekundet die Organisation. Darum lehnt sie zusätzliche Maßnahmen ab. So wendet sich der VCI gegen den länderübergreifenden Raumordungsplan für einen verbesserten Hochwasser-Schutz (BRPH), wie ihn CDU, CSU und SPD in ihrem Koalitionsvertrag beschlossen haben. Die Parteien beabsichtigen nämlich, den Betrieb von Chemie-Anlagen in Überschwemmungsgebieten zu untersagen, da von diesen im Überflutungsfall ein besonderes Gefährdungspotenzial für die Gesellschaft ausgeht. „Darunter fallen insbesondere jene Anlagen und Tätigkeiten, die im Falle einer Überflutung zur Freisetzung giftiger Stoffe sowie aufgrund thermischer Wirkungen zu Bränden und Explosionen führen können“, heißt es im Raumordnungsplan-Entwurf. Auch nimmt sich dieser vor, neue Risiko-Gebiete auszuweisen. Das alles behagt dem Verband nicht. Schwierigkeiten bei der Errichtung neuer Werke befürchtend, spricht er sich gegen „eigenständige Regelungen auf Bundesebene“ aus. „Da hier auf ‚hochwasser-angepasste Bauweise’ und technische Regeln verwiesen wird, dürfte hier die Begründungs- und Darlegungslast beim Vorhaben-Träger liegen, die von den Behörden eingehend zu prüfen ist. Das führt zu einer weiteren Planungsunsicherheit“, konstatiert der Lobby-Club in der seiner Stellungnahme zu dem Vorhaben. „Soll Deutschland Hightech-Industriestandort bleiben, sollten derartige Regelungen nicht in Kraft gesetzt werden“, so der VCI abschließend.
Der „Bundesverband der Industrie“ (BDI) pflichtete dem bei. Er monierte ebenfalls den Ausschluss bestimmter Gebiete als Bau-Gründe für Anlagen. Zudem sieht der Verband die „Bewirtschaftung und Weiterentwicklung der Flüsse“ durch den BRPH gefährdet. Praktischerweise macht der BDI auch gleich konkrete Streichungsvorschläge. Sein Resümee lautete: „Zusätzliche Regelungen halten wir für nicht erforderlich und lehnen den BRPH in Gänze ab. Sollte der Bundesraumordnungsplan in der aktuellen Fassung verabschiedet werden, hat dieser massive negative Auswirkungen auf die Entwicklung und das Fortbestehen des Wirtschaftsstandorts Deutschland.“
Politik hört die Signale
Beinahe hätten BAYER & Co. Vollzug melden und den Plan auf den Müllhaufen der Geschichte bugsieren können. Aber dann kam im Juli die Hochwasser-Katastrophe, die der Politik keine Wahl ließ. Aber die Konzerne erreichten über das Wirtschaftsministerium viele Änderungen, die nicht einmal Innenminister Horst Seehofer geheuer waren. Es gebe Kritik an den Ausnahmen für Unternehmen und Infrastruktur in Risiko-Gebieten erklärte der CSU-Politiker laut Handelsblatt und kündigte an: „Wir schauen uns das Ganze noch mal an.“ Daraus wurde allerdings nichts, und ob die nächste Bundesregierung das tun wird, steht auch in Frage. Das Umweltministerium zeigte sich ebenfalls unzufrieden. „Die zuletzt getroffenen Ausnahmen innerhalb des Plans behindern eine wirksame Hochwasser-Vorsorge“, hielt Staatssekretär Jochen Flassbarth fest und empörte sich über BAYER & Co. Auch der Wirtschaft müsse klar sein, „dass ihre Betriebe direkt vom Hochwasser-Risiko betroffen sein können und dass der Allgemeinheit aber auch ihnen selbst in Zukunft enorme Schäden und Kosten durch Hochwasser drohen“, so Flassbarth.
Der nordrhein-westfälischen Landesregierung indes gelang noch im Frühjahr das Kunststück, den Hochwasserschutz massiv zurückzufahren. Im Rahmen seiner „Entfesselungspolitik“, mit der Armin Laschet auch die ganze Republik hatte beglücken wollen, nahm er sich das rot-grüne Landeswasser-Gesetz vor und fledderte es. „Wasserrechtliche Verfahren sollen dereguliert und verschlankt werden“, verkündete Schwarz-Gelb und verabschiedete im Mai das Gesetz zur Änderung des Landeswasserrechts. Mit diesem begaben sich CDU und FDP freiwillig vieler Möglichkeiten, Vorsorge-Maßnahmen zu treffen, wie etwa den Flüssen durch das Anlegen von Überschwemmungsgebieten mehr Raum zu geben, um die Folgen steigender Wasserstände zu mildern. So strichen die Parteien den Paragrafen, der dem Land bei fluss-nahen Flächen ein Vorkaufsrecht sicherte. Ein Passus, der den staatlichen Stellen die Befugnis einräumte, mehr solcher Retentionsareale auszuweisen, fiel ebenfalls unter das Rubrum „kann wegfallen“.
Und schließlich machten sich die EntfesselungskünstlerInnen auch daran, an einer Regelung herumzuschrauben, welche beabsichtigte, Abwasser-Behandlungsanlagen wie die in Köln-Knapsack gegen Starkregen-Ereignisse zu wappnen.
Die Gefahr eines Abgangs von chemikalien-haltigem Wasser aus den Becken im Falle heftiger Niederschläge ist bereits seit Langem bekannt. Angelika Horster vom BUND NRW vermisste „Maßnahmen gegen einen Abfluss von Abwasser aus Industrie-Kläranlagen“ in den Katastrophen-Plänen von BAYER & Co. bereits 2003; „Gefahrenherd Rhein-Hochwasser – Anlagen von BAYER & Co. nicht hochwasser-sicher“ überschrieb sie ihren SWB-Artikel damals. Im Jahr 2016 reagierte die rot-grüne Landesregierung unter Hannelore Kraft schlussendlich auf entsprechende Warnungen und änderte das Landeswasser-Gesetz entsprechend. So schrieb der Paragraf 84 im Absatz 3.2 nun vor, neue Abwasser-Anlagen hochwasser-sicher zu bauen und ältere bis Ende 2021 umzurüsten. Der Absatz 3.3 verfügte, Anlagen „nur so zu errichten und zu betreiben, dass wassergefährdende Stoffe durch Hochwasser nicht abgeschwemmt oder freigesetzt werden.“ Aber das ist jetzt Geschichte. Laschet & Co. verlängerten die Modernisierungsfrist für Abwasser-Anlagen kurzerhand bis 2027 und tilgten den Absatz 3.3 ganz.
Auch dem Flächenfraß mit seinen Versiegelungen, der dem Wasser die Möglichkeit nimmt, in die Böden einzusickern, leisten CDU und FDP weiter Vorschub. 22 Hektar pro Tag kommen in Nordrhein-Westfalen so unter die Räder, aber die beiden Parteien hatten nichts Besseres zu tun, als das 5-Hektar-Ziel aus dem Landesentwicklungsplan zu streichen.
Jetzt auf einmal aber gibt Armin Laschet den obersten Deichgrafen. „Wir müssen Dämme bauen, Rückhalte-Becken, Wasser-Reservoirs, Flächen renaturieren – Schutz nicht nur am Rhein, sondern auch an den großen und vielen kleinen Flüssen“, bekundet er. BAYER erkannte ebenfalls Handlungsbedarf: „Die Katastrophe wird sicher dazu führen, dass bestehende Schutz-Konzepte überprüft werden. Und die CURRENTA will im Chem„park“ Leverkusen ihre mobile Hochwasserwand ausbauen. Bei der Ursachen-Forschung hält sich sich die Branche allerdings nicht länger auf. Ein „Ereignis höherer Gewalt“ nennt Knapsack-Betreiber YNCORIS den Starkregen in einem Brief an die AnwohnerInnen des Chemie„parks“. Klimawandel – nie gehört. Dabei strickt die Chemie-Industrie daran kräftig mit. Neben der Stahl- und der Zementbranche zählt sie zu den größten Emittenten von Kohlendioxid. Auf 3,58 Millionen Tonnen kam allein der Leverkusener Multi im Geschäftsjahr 2020.
Und Armin Laschet zeigt sich da auch nicht einsichtiger. Er, der im Mai 2019 noch verblüfft konstatierte: „Aus irgendeinem Grund ist das Klima-Thema plötzlich ein weltweites Thema geworden“, fühlt sich noch nicht einmal nach dem Hochwasser bemüßigt, es zu seinem eigenen Thema zu machen. „Weil jetzt ein solcher Tag ist, ändert man nicht seine Politik“, sagte er am 15. Juli in einem Interview mit dem WDR. ⎜