Welt am Sonntag, 11. Februar 2007
Giftmüll für Bayer
Australischer Sonderabfall soll in Anlagen des Chemie- und Pharma-Unternehmens verbrannt werden. Der Konzern kennt sich aus mit solchen Aufträgen. Jedes Jahr entsorgen dort rund 300 Firmen gefährliche Abfälle.
Es klingt wie ein Ausflugstipp fürs Wochenende. „Der Chemiepark Leverkusen lädt zum Tag der offenen Tür ein.“ Heute gibt es in der Sondermüllverbrennungsanlage von 11 bis 15 Uhr Besichtigungen und Informationen aus erster Hand. „Halbstündig werden Führungen durch die Verbrennungsanlagen angeboten“, heißt es in einem Informationsschreiben des Leverkusener Bayer-Konzerns. Die freundliche Einladung hat einen bitteren Hintergrund. Die Angst geht um in der Bevölkerung. Denn in den Öfen soll nach dem Willen der Betreiber bald Giftmüll aus Australien verbrannt werden.
Es handelt sich dabei um Hexachlorbenzol, kurz HCB genannt. Die Sorge der Bürger ist verständlich, schließlich gehört HCB zum sogenannten dreckigen Dutzend. Dies sind zwölf hochgiftige Stoffe, die nach einem Abkommen der Vereinten Nationen seit dem Jahr 2001 weltweit verboten sind. HCB und die anderen Stoffe stehen im starken Verdacht, Erbgut verändernd und Krebs erregend zu wirken sowie Fehlbildungen zu erzeugen.
22 000 Tonnen australisches HCB sollen in vier deutschen Sondermüllverbrennungsanlagen verbrannt werden, in Brunsbüttel in Schleswig-Holstein sowie in den NRW-Anlagen in Herten, Dormagen und Leverkusen. Die letzten beiden gehören Bayer Industry Services (BIS), einer gemeinsamen Tochter von Bayer und Lanxess. Allein in diesen Anlagen sollen 4500 Tonnen entsorgt werden.
Bayer sieht es nach Angaben eines BIS-Sprechers als so etwas wie eine Pflicht an, das HCB anzunehmen. „Wir exportieren Chemikalien in die ganze Welt, also haben wir eine Gesamtverantwortung.“ Zudem sei HCB ja von Bayer selbst produziert worden. „Wir haben also Erfahrung mit dem Stoff.“
Tatsächlich hat Bayer das Pflanzenschutzmittel gegen Pilzerkrankungen bis zu Beginn der 80er-Jahre hergestellt und verkauft. Daraus allerdings eine Pflicht abzuleiten, das Gift auch wieder in hauseigenen Anlagen zu entsorgen, ist zu kurz gegriffen. Denn mittlerweile nutzt der Bayer-Konzern seine Müllverbrennungsanlagen längst nicht mehr nur, um die im eigenen Betrieb angefallenen Stoffe zu entsorgen, wofür der Bau der Anlagen einstmals gedacht war. Inzwischen werden auch fleißig auswärtige Aufträge angenommen. Dazu zählt auch die Annahme der HCB-Lieferung aus dem fernen Australien. Das aber ist längst nicht alles.
In einem Export-Antrag der australischen Firma Orica, jenes Unternehmens, das sein HCB gern in deutschen Müllöfen verbrennen lassen würde, werden neben der Anlage in Herten besonders die in Leverkusen und Dormagen gelobt. Das Schreiben liegt der „Welt am Sonntag“ vor. Geworben wird darin mit der großen Erfahrung, die Bayer mit dem Verbrennen giftiger Stoffe hat. Demnach haben allein im Jahr 2004 über 300 Firmen ihren Giftmüll in den Verbrennungsanlagen von Bayer entsorgt.
Bayer bestätigt diese Zahl: „Pro Jahr lassen rund 300 verschiedene Unternehmen Sonderabfälle bei BIS sicher und umweltgerecht entsorgen“, bestätigt der Sprecher in einer E-Mail-Antwort auf Nachfrage. Weiter wird erklärt, dass Bayer jedes Jahr rund 270 000 Tonnen Sonderabfälle an den Standorten Leverkusen, Dormagen und Krefeld-Uerdingen entsorgt.
Gut 16 000 Tonnen wurden im vergangenen Jahr aus dem Ausland angeliefert, das meiste aus europäischen Ländern wie Italien, Frankreich oder den Benelux-Staaten, ein kleinerer Teil aber auch von anderen Kontinenten. Für Bayer ist das Verbrennen von Sondermüll längst zu einem lukrativen Geschäft geworden. Allein die Entsorgung der 4500 Tonnen HCB aus Australien bringt der Bayer-Lanxess-Tochter BIS einen Umsatz von rund drei Millionen Euro ein.
„Wir sind ein Wirtschaftsunternehmen und verdienen damit Geld. Wir machen das nicht umsonst“, sagt der BIS-Sprecher. Um Gewinn bringend zu arbeiten, müssen die Anlagen indes möglichst hoch ausgelastet sein. Mit dem selbst produzierten Giftmüll ist das aber nicht mehr möglich. Also werden auswärtige Sonderabfälle über die Straße oder die Schiene bis zu den eigenen Verbrennungsanlagen importiert. Da wundert es allerdings, dass Bayer die Kapazität seines Sondermüllofens in Dormagen erst 2004 von 56 000 Tonnen auf 75 000 Tonnen ausgeweitet hat. „Für den eigenen Bedarf war diese Kapazitätsausweitung nicht nötig“, sagt der Unternehmenssprecher.
Der Bundesverband der deutschen Entsorgungswirtschaft (BDE) sieht an der Ausweitung von Kapazitäten und Importen von Sondermüll aus Australien nichts Dramatisches. „Wir sind in Deutschland führend, was unsere Technologie und Kompetenz im Umgang mit Abfällen anbelangt. Das gilt besonders auch für gefährliche Abfälle“, sagt Stephan Harmening, Hauptgeschäftsführer des BDE. Wer den Import gefährlicher Abfälle nach Deutschland kritisiere, fordere indirekt geringere ökologische Standards oder den Einsatz einer schlechteren Technik.
Bayer ist allerdings nicht das einzige Chemie-Unternehmen in Nordrhein-Westfalen, das über eigene Sondermüllverbrennungsanlagen verfügt. Von 13 in NRW befindlichen Anlagen sind nach Angaben des Umweltministeriums zwölf im Besitz von Chemiekonzernen (siehe Grafik). Eigentümer sind so namhafte Unternehmen wie Shell, BASF, die RAG-Tochter Degussa oder Remondis. Bayer hat durch die Übernahme des Berliner Pharma-Konzerns Schering im vergangenen Jahr automatisch noch dessen Sondermüllverbrennungsanlage in Bergkamen übernommen und ist damit im Besitz von vier Anlagen in Nordrhein-Westfalen.
Ein „Tag der offenen Tür“ ist dort nicht geplant. In Dormagen dagegen durften Interessierte bereits am vergangenen Wochenende die sogenannte Rückstandsverbrennungsanlage besuchen und einen Blick durch das Guckloch in den riesigen Ofen werfen. Dort soll dann irgendwann auch der HCB-Giftmüll aus Australien bei einer Temperatur von 1100 Grad verbrannt werden.
Noch steht aber eine Genehmigung der australischen Regierung zum Transport über 16 000 Kilometer aus. Im Umweltministerium ist unterdessen zu vernehmen, dass es in Australien möglicherweise doch Anlagen gibt, die HCB entsorgen können. Bayer würde ein gutes Geschäft durch die Finger gehen, die Anwohner rund um die Werke dagegen würden sich freuen. Von Wolfgang Pott
Welt am Sonntag, 4. Februar 2007
Gift-Müll aus aller Welt nach NRW
Quecksilber-Abfall aus Brunei, Chemikalien aus Kolumbien, PCB-Öle aus Mexiko. Von allen Kontinenten wird Sondermüll ins Land verfrachtet. Die Öffentlichkeit wird nicht informiert. Die Politik ist machtlos. Für die Müllkonzerne ist es ein lohnendes Geschäft.
In kein anderes Bundesland wird so viel Müll importiert wie nach NRW. Unter den Müll-Massen verbirgt sich auch tonnenweise gefährlicher Sondermüll, der zum Teil aus anderen Kontinenten nach NRW verfrachtet wird. Das aktuellste Beispiel dieses Gift-Müll-Tourismus kommt aus Australien. Der Sprengstoff-Hersteller Orica will 22.000 Tonnen des gefährlichen Produktionsrestes Hexachlorbenzol in Verbrennungsanlagen des Landes vernichten lassen. Dieser Stoff wurde früher häufig verwendet, zum Beispiel als Holzschutz- oder Desinfektionsmittel.
Über 16.000 Kilometer wird die giftige Ware unterwegs sein, wenn die letzten Genehmigungen in Australien und für einen Zwischenstopp in Südafrika erteilt werden. Mit dem Versuch, Gift-Müll hierzulande loszuwerden, stehen die Australier allerdings nicht allein. Wer seinen Müll im eigenen Land nicht verbrennen will, erinnert sich gern an Nordrhein-Westfalen.
Unter anderem kamen 401 Tonnen Müll im Jahr 2005 aus Südafrika, knapp 1500 Tonnen aus dem Iran, 1750 Tonnen aus der Ukraine, 4000 Tonnen aus Polen, 87.000 Tonnen aus Frankreich, 123.000 Tonnen aus Irland und ganze 1,57 Millionen Tonnen aus den Niederlanden. Aus einer Liste des Umweltministeriums geht hervor, dass zwischen den Jahren 1999 und 2005 insgesamt 52 Länder aus allen Regionen der Welt immer wieder große und kleinere Lieferungen nach NRW importiert haben. Die Liste liegt WELT.de vor.
Aufgeführt sind etwa Chile, Brasilien, die Dominikanische Republik, Südkorea, die Malediven, Nigeria, Peru, Katar, Sierra Leone, Sri Lanka, Singapur, Thailand oder Venezuela. Zwischen den Jahren 1999 und 2005 wurden gut 23.700 Tonnen Müll aus außereuropäischen Ländern nach Nordrhein-Westfalen importiert. Insgesamt beliefen sich die Importe ausländischen Mülls nach NRW in diesem Zeitraum auf 15,6 Millionen Tonnen. Warum das Land so beliebt ist, hat vor allem zwei Gründe.
„Erstens sind einige Anlagen technisch auf einem hohen Stand. Zweitens scheint es Überkapazitäten zu geben, die gestopft werden müssen“, sagt Johannes Remmel, Parlamentarischer Geschäftsführer der Grünen. „Dadurch wird verhindert, dass an anderen Orten Anlagen entstehen. Es scheint billiger zu sein, den Müll nach NRW zu transportieren.“ Unter diesen Voraussetzungen führt NRW auch die Rangliste nach Bundesländern an. In keinem anderen Land wird so viel importierter Müll verbrannt. Das geht aus einer Statistik des Umweltbundesamtes hervor.
Verbrannt wird praktisch alles. Lack- und Farbabfälle aus Belgien, Salzsäureabfälle aus Dänemark, Filterstaub aus den Niederlanden, Batterien aus Griechenland, Pestizide aus Portugal, Quecksilber verseuchte Abfälle aus Brunei, Chemikalien aus Kolumbien und PCB-haltige Öle aus Mexiko.
Die Verbrennung gefährlicher Stoffe ist allerdings kein Phänomen, das in der Amtszeit von Umweltminister Uhlenberg entstanden ist. „Sondermüllverbrennung in NRW hat Tradition“, sagt Umweltmoinister Eckhard Uhlenberg. Auch früher schon wurde tonnenweise hochgiftiger Müll im Land verbrannt. „Nordrhein-Westfalen ist das Müll-Klo für die ganze Welt“, sagt Dirk Jansen vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND).
An die Öffentlichkeit gelangt unterdessen kaum eine Information. „Gerade was Abfall betrifft, mangelt es an Transparenz“, sagt Jansen. Das wissen auch die verantwortlichen Politiker. Bislang aber haben sie sich nicht darum bemüht, etwas an diesem Misstand zu ändern. Erst jetzt, nach Bekanntwerden eines besonders außergewöhnlichen Falls von „Mülltourismus“ aus Australien nach NRW, wird Alarm geschlagen.
Die 22.000 Tonnen giftige Produktionsreste aus Australien sollen in den drei nordrhein-westfälischen Verbrennungsanlagen in Herten, Dormagen und Leverkusen sowie in Brunsbüttel (Schleswig-Holstein) verbrannt werden. Für die Betreiber dieser Anlagen ist das Verbrennen ausländischen Giftmülls ein lohnendes Geschäft.
In Leverkusen und Dormagen ist es eine gemeinsame Tochtergesellschaft der Unternehmen Bayer und Lanxess. Rund drei Millionen Euro Umsatz würde sie mit dem Australien-Müll machen. In Herten ist es die in öffentlicher Hand befindliche Abfallgesellschaft Ruhrgebiet. Die Gesamtkosten für die Entsorgung des australischen Mülls werden auf 30 Millionen Euro geschätzt. Die Ausgaben für den Transport sollen bei 15 Millionen Euro liegen.
„Australien ist ein hoch entwickeltes Industrieland, also soll der Sondermüll auch dort entsorgt werden“, sagt Uhlenberg. Er fordert eine generelle Entsorgung von Abfällen in den Ländern, in denen er auch entsteht. Zunächst wird es aber wohl nur bei einer Forderung bleiben. Das Land besitzt keine rechtliche Möglichkeit, Importe aus anderen Bundesländern oder dem Ausland zu verhindern. Nach europäischem Recht können Landesbehörden eine Genehmigung nur verweigern, wenn es in NRW keine Entsorgungs-Kapazitäten gibt. Das aber ist nicht der Fall, weswegen auch der Australien-Müll angenommen werden muss.
Die Verbrennung hierzulande ist aber nicht das einzige Problem. Mindestens genauso fraglich sind die langen Transportwege über die Weltmeere, über Schienen und Straßen. 16.000 Kilometer würde etwa der australische Sondermüll unterwegs sein. Nicht viel kürzer war die Strecke für die Verfrachtung des Quecksilbers aus dem asiatischen Brunei, von Chemikalien aus Kolumbien oder von in Ölen enthaltenen giftigen und Krebs auslösenden chemischen Chlorverbindungen aus Mexiko.
„Gefahrguttransporte auf der Straße sind ein hohes Risiko und Unfälle auf der Schiene und auf dem Meer hat es ja auch schon geben“, sagt Remmel. So gab es im Jahr 2005 in NRW 160 Verkehrsunfälle mit Gefahrguttransporten, ein Anstieg von vier Prozent gegenüber dem Vorjahr. Gerade hierzulande wird der meiste giftige Sondermüll über Straßen in die Verbrennungsanlagen transportiert. Bei dem hohen Transportaufkommen von Giftmüll sind die Chancen für Unfälle in NRW groß. (Von Wolfgang Pott)
taz NRW, 6. Februar 2007
Räte gegen Giftmüll
In Herten und Leverkusen wächst der Widerstand gegen Giftmüll-Importe. Umweltministerium nicht informiert
NRW hat zwischen zwischen 1999 und 2005 über 15 Millionen Tonnen Müll importiert. Allein im Jahr 2005 befanden sich darunter 600.000 Tonnen Sondermüll, so Sabine Raddatz, Sprecherin des Umweltministeriums, zur taz. Für 2006 liegen dem Ministerium noch keine Zahlen vor, das Umweltministerium hofft auf einen Rückgang wegen der 2005 in Kraft getretenen Deponie-Verordnung.
Währenddessen formiert sich der Widerstand gegen den Import von Sondermüll aus Australien (taz berichtete). 17.000 Tonnen des Ultra-Gifts Hexachlorbenzol sollen in den drei Müllverbrennungsanlagen in Herten, Dormagen und Leverkusen verbrannt werden. In Leverkusen stimmt der Stadtrat am kommenden Montag über eine Resolution ab, die zur sofortigen Beendigung der Giftmülltransporte auffordert.
Auch in Herten soll morgen über eine Resolution abgestimmt werden. Pressesprecherin Nele Däubler zeigt sich optimistisch, dass die Resolution im Stadtrat parteiübergreifend auf Zustimmung stoßen wird. In Dormagen regt sich kein Widerspruch. Dies geschehe „aus Gründen der politischen Glaubwürdigkeit“, wie Stadtsprecher Schlingen sagt. 2004 hatte die Stadt einer Erhöhung der Verbrennungskapazität auf 75.000 Tonnen jährlich zugestimmt.
Ob die Resolutionen Konsequenzen nach sich ziehen wird, ist jedoch unklar. Einen Überblick über die Kapazitäten der Verbrennungsanlagen hat das Umweltministerium nicht. „Das ist eine privatrechtliche Sache zwischen dem Müllerzeuger und der Anlage“, so Sprecherin Raddatz. Zuständig seien die Regierungspräsidien. Joachim Wuttke vom Umweltbundesamt aber hält deren Kontrollen für unzureichend: „Das können nur Leute entscheiden, die direkt damit befasst sind.“