Jahreshauptversammlung: Bayer AG 25/4/08
Ein Rede von Harald Jochums
Sehr geehrte Damen und Herren,
ich stelle mich kurz vor: Ich heiße und bin Harald Jochums, Architekt für Ökologisches Bauen sowie Anrheiner der Bayer AG Krefeld-Uerdingen, dem heutigen Chempark. Uns trennen nur ca. 2km Luftlinie; wir sind somit ziemlich untrennbar miteinander nachbarschaftlich verbunden.
Zu meinen mehr oder weniger nahen Nachbarn zähle ich weiterhin: Im Osten ein GuD der Stadtwerke, ein Hüttengaskraftwerk von RWE und das dampfende, qualmende Hüttenwerk HKM, alle jeweils direkt auf der anderen Rheinseite. Im Südosten begrüße ich jeden Morgen einen windrichtungsabhängig stinkenden Futtermittelhersteller (ehemals Cerestar), den mit Schwermetallen verseuchten Linner Hafen, den schon erwähnten Chempark, dessen Schornsteine mir als Windfahne dienen und der bisweilen mit Feuer-und Rauchzeichen auf sich aufmerksam macht. Dahinter, nicht weit entfernt am Elfrather See, hat sich die MVA/Kläranlage Krefeld versteckt – mit seinen imposanten Faultürmen malerisch gelegen an einem Naherholungsgebiet mit See. Man kann sich zwar ein romantischeres Nachbarschaftsszenario vorstellen, das eben beschriebene habe ich aber vorgefunden, als ich hierher zog und ich kann mich noch gut erinnern, daß ich damals wußte, was ich tat, habe es somit akzeptiert. –
Nun hat sich die Lage in kurzer Zeit erheblich, ja vielleicht sogar dramatisch verändert. – Nicht nur von den geplanten Bauten und Anlagen her, sondern auch das nachbarschaftliche Verhältnis geht in Richtung kleine Eiszeit. Wurden bis Frühling 2007 meine Briefe beantwortet und Gespräche, wenn auch nur noch telefonisch, geführt, so bedarf es nunmehr doch erheblicher Anstrengungen meinerseits, eine Kommunikation aufzubauen, von gutnachbarschaftlicher Beziehung ganz zu schweigen. Ich habe dann über den Umweg über die Zentrale in Leverkusen versucht, eine Verbindung herzustellen, sie kam jedoch anfangs nur rudimentär zustande. In dieser Woche habe ich aber zu meiner Überraschung einen Leverkusener Mitarbeiter laibhaftig in meiner Behausung zu Gesicht bekommen. Der Werksleiter läßt sich weiterhin von seinem Assistenten, der ihn wie ein Hütehund von der Herde abschirmt, beschützen. –
Ich habe in einem Brief mit insgesamt 4 Fragen (eine davon hatte Leverkusen schon beantwortet) eine gemein erscheinende Frage gestellt: In den Info-Flyern der Bayer AG ist auf der 1. Seite als headline zu lesen: „Ihre Sicherheit, unsere Verantwortung“. Griffig formuliert, aber was steckt dahinter? Und so habe ich angefragt, wie z.B. der Werksleiter im Ernstfall die Verantwortung ganz konkret übernehmen wolle, wenn Menschen >(es muß ja nicht unbedingt ich sein) Ich gehe dieser Frage schon seit den 90er Jahren nach. Damals hatte ich dem damals real amtierenden Bundeskanzler Helmut Kohl brieflich diese Frage gestellt und er ließ mich über seinen getreuen Adlatus Josef Ackermann wissen, daß er nicht wisse, wie Architekten dies tun, weil die Verantwortung überall anders aussähe und immer von neuem übernommen werden müsse. Patentlösungen gäbe es nicht – so Ackermann weiter –, sondern man müsse nach der jeweils richtigen Antwort suchen und das könne er mir nicht abnehmen, was aber umgekehrt auch gelte. – Gerade über den Schluß war ich damals sehr froh, ich hätte nämlich bei den Leuna – Werken eine Antwort schuldig bleiben müssen. Herr Kohl ist dann späterdings meinem Beispiel gefolgt.) <
Also, wie übernimmt man Verantwortung nach einem bösen Störfall? Springt man in den Rhein? Spendet den Hinterbliebenen oder dem SOS-Kinderdorf oder quittiert den Dienst und die Abfindungssumme oder wie sonst? – Vielleicht können Sie, Herr Wenning, uns später dazu etwas sagen. – (Dazu hat er später geschwiegen. Anm. d.Verf.)
Auf jeden Fall kann man aber schon im Vorfeld präventiv die Nachbarn über Verhaltensmaßregeln informieren. Meine letzte Information stammte aus dem Jahre 1992 und so habe ich bei der Pressestelle des Werks Uerdingen angefragt, ob es da etwas Aktuelleres gäbe. Ja, (so die Antwort) >wurde ich von einem freundlichen Mitarbeiter beschieden, und er brächte mir den neuesten Flyer vorbei, was er auch umgehend unter Aufopferung seiner Mittagspause getan hat.>er ist somit zeitlos und kann noch im nächsten Jahrhundert verteilt werden.<< Eine harsche Rüge muß ich allerdings in Richtung Vorstandstisch aussprechen: Laut Störfallverordnung §11 müssen Sie die Personen, die von einem Störfall betroffen werden könnten, in geeigneter Weise und unaufgefordert über die Sicherheitsmaßnahmen und das richtige Verhalten im Falle eines Störfalles informieren. Eine Blitzumfrage bei meinen unmittelbaren Nachbarn ergab übrigens auch ein negatives Ergebnis: Keine unaufgeforderte Infos. Gesamturteil deshalb: Extrem mangelhaft. –
Habe ich bisher nur von dem „Urzustand“ bei meinem Einzug gesprochen, muß ich jetzt auf die immer schneller werdende Entwicklung in unserem Umfeld, die wie ein Zunami über uns gekommen ist, zu sprechen kommen. In prioritätenloser Reihenfolge kann ich folgende Projekte auflisten: Bau einer CO-Pipeline von Dormagen nach Krefeld-Uerdingen über mehr als 60km, Bau eines Kohlekraftwerks auf dem Gelände des „Chemparks“ mit 750MW elektrischer Leistung (netto), Neubau einer Forensischen Klinik, die städtebaulich gesehen, in nicht zu weiter Zukunft das markante, einladende Entree unserer Siedlung bilden wird und dann ist wieder eine schon auf Eis gelegte Erweiterung der MVA um 50% im Gespräch, was angesichts der Müllberge in Neapel nicht verwunderlich ist. Mag auch die Konjunktur in Deutschland schwächeln: Wir haben Wachstumsraten ungeahnten Ausmaßes!
>Bei der schon vor Jahren angedachten Erweiterung der MVA argumentierten die Fachleute anders. Uns wurde vorgerechnet, wieviel CO2 man durch eine Müllverbrennung gegenüber einem fossilen Kraftwerk einsparen könne und wieviele Kilometer ein Müllaster fahren könne, um diese Einsparung wieder wettzumachen. Das Ergebnis hat verblüfft: 10.000km seien es, verkündete man stolz. Also vom hinter dem Ural kann man den Müll herholen und hat nicht mehr CO2 ausgestoßen, als wenn man den Müll nicht verbrennen und dafür ein Kohlekraftwerk anschmeißen müsse. Eine beeindruckende Aussage, die sogar Frau Bärbel Höhn – damals in Landtagsdiensten als Ministerin angestellt – beeindruckt haben soll laut MVA-Leitung. Ich wand – leider etwas zu zaghaft – ein, daß man auch an den zusätzlichen Verkehr denken solle und so, und außerdem sei es doch widersinnig, das gerade Ersparte wieder zum Fenster rauszuschmeißen und außerdem sei die CO2-Einsparung nicht mit den Motiven bei einem normalen Sparvorgang vergleichbar. – Meine Argumente gingen seinerzeit leider in der allgemeinen Aufbruchsstimmung unter. Die dargereichten Brötchen von einem bekannten Krefelder Catering – Service haben allerdings gut geschmeckt, auch weil sie kostenfrei zu haben waren.<
Kommen wir zum geplanten Kohlekraftwerk: Ich hoffe, meine anfängliche Schilderung des Bestands war eindringlich und verstehbar. Au jeden Fall wissen Sie nunmehr mehr als viele Entscheidungsträger aus Politik und Wirtschaft, bei denen ich eine erschreckende Unkenntnis der Örtlichkeiten festgestellt habe. Sowohl auf Krefelder als auch auf Duisburger Gebiet; >>auf letzteres schaut der Krefelder als solcher, wenn überhaupt, per se nur naserümpfend und unter Androhung von Gewalt. -<<
Das führte zu dem Entschluß, an diesem Standort auf steinzeitliche Energieumwandlung zurückzugreifen? Nun, da müßten zum Einen im Jahr 2015 zwei von drei vorhandenen Kohlekesseln von Grund auf saniert werden (Darüberhinaus gibt es noch vier Gaskessel). Diese Investition wäre laut Auskunft Bayer insgesamt um 20% teurer, als wenn man die fehlende Energie von dem geplanten Kraftwerk bezöge; bei dieser Zahl sind angeblich alle kostenrelevanten Faktoren über die gesamte Laufzeit des Kraftwerks (40-50 Jahre) berücksichtigt und selbst der Laie kann sich ausrechnen, daß die Bayer AG – und damit die Untertochter Currenta >> (Ja, wo laufen sie denn?)<< – wahrscheinlich an diesen Mehrkosten zu Grunde gehen würde. – Dann stärkt und kräftigt das naturgemäß den insgesamt hotelartig umgebauten Standort Chempark und schafft medaillenverdächtige 160 Arbeitsplätze innerhalb und außerhalb des Kraftwerks; die vorhandenen bleiben bis zu ihrer Abschaffung erhalten. Ein kleiner Wermutstropfen mag sein, daß sich in Krefeld der Ausstoß von CO2 mit dem Kraftwerk verdoppeln würde; das kann man aber gegen die Gewerbesteuer aufrechnen – so man das rechnerisch hinbekommt. Nicht einfach, aber mit der Heisenbergschen Unschärferelation schafft man das schon. –
Am Horizont ist Gott sei dank die SPD Krefeld mit einer Umweltinitiative, die den CO2-Ausstoß in Krefeld um 10% pro Jahrzehnt reduzieren möchte, an die Öffentlichkeit getreten, mit der sie Krefeld zu einer „grünen Stadt“ machen möchte. Einfache Berechnungen in der Grundrechenarten „Multiplikation und Division“ haben leider ergeben, daß durch die Verdopplung des CO2 – Ausstoßes man ca. im Jahr 2060 dort angekommen sein wird, wo man heute ist, also nicht wirklich eine Reduktion. Unsere Kinder bedanken sich schon heute präventiv, >> weil wir zu diesem Zeitpunkt wahrscheinlich schon im Himmel oder der Hölle sein werden. Dort soll es, zuverlässigen Informationen nach, schon zu ersten Versorgungsengpässen gekommen sein wegen der großen Nachfrage auf Erden. <<
Bei dem letzten anzusprechenden Bauvorhaben können wir selbst bei allem Bemühen noch nicht einmal mehr von einem „grünen Krefeld“ träumen, ist das Gas „CO“ doch farb – geruchs – und geschmacklos, für uns Menschen folglich nicht wahrnehmbar; der Begriff „geschmacklos“ für das Vorhaben untertreibt maßlos. – Unser aller Regierungspräsident Jürgen Büssow hat es, glaube ich, auf eine unnachahmliche Art auf den Punkt gebracht. Ich zitiere gemäß Plakaten von Bürgerinitiativen: „Es ist natürlich gefährlich, wenn das Gas (CO, d. Verf.) ausströmt und Sie stehen daneben; dann fallen Sie natürlich um und sind auch tot“. Allen eventuell Betroffenen sei als kleiner Trost gesagt, sie seien natürlich, also ökologisch korrekt umgefallen. Das baut sie dann eventuell wieder auf. – Als ich dieses Zitat zum 1. Mal gelesen habe, habe ich so zu mir gedacht: Tja, das sind so typische Momente im Leben, in denen man sich fragt, ob Weiterleben noch lohnt. –
Ich sage nur noch Folgendes zu der CO-Pipeline: Sie ist unverantwortlich, weil sie viele Menschen potentiell gefährdet und nicht nur die direkten Anwohner müßten ihr Leben lang mit einer latenten, tödlichen Gefahr leben, sollte die Pipeline in Betrieb gehen. Sie zahlen für die Dividenden der Aktienbesitzer, der Anleger, also für uns. Wir tragen die Verantwortung mit und spätestens seit heute kann kein Aktionär mehr sagen, er habe nichts gewußt. –
(ca. an dieser Stelle hat mich der Versammlungsleiter unterbrochen und mich gemahnt, zum Schluß zu kommen und meine Fragen zu stellen. Ich habe daraufhin ein signifikantes Foto von den Baustellen auf das Podium gestellt, leider aber versäumt, den Kameramann zu bitten, das Bild zu zoomen. Es wäre dann ca. 5,- x 3,- m groß geworden. Eigentlich schade. – Der Rest der Rede war improvisiert). –
>>>Ich werde jetzt Ihnen, Herr Wenning, als oberstem Vorstand eine Reihe von Fotos schenken, die besorgte Bürger von den verschiedenen Bauabschnitten gemacht haben. Auf den Fotos sind Anforderungen aus der Baugenehmigung abgedruckt, die der Realität Hohn sprechen. Ich kann Ihnen Allen aus eigener Erfahrung sagen: Solche katastrophalen Baustellen habe ich in meinem nunmehr 35 jährigen Berufsleben noch nicht gesehen und das bei so einem hochgefährlichen Medium.
Und noch eins: Planungen an den Menschen vorbei sind unmenschlich. Das können Sie auch durch vernebelnde Info-Heftchen nicht vertuschen. – Wir sollten dennoch versuchen, miteinander zu reden, auf einer Augenhöhe, mit gegenseitigem Respekt. Zu einem Gespräch bin ich bereit – wenn auch nicht zu jeder Zeit. -<<<
Und nun zu meinen Fragen:
· Was wollen Sie tun, um den vielbeschworenen Dialog der Chemie mit den Menschen wiederaufzunehmen?
· Halten Sie weiter an dem Kohlekraftwerk in der beantragten Form fest? Es liegen Alternativen auf dem Tisch!
· Wollen Sie die CO-Pipeline in Betrieb nehmen, gegen die Sorgen und Ängste der Bürger und in Kenntnis der aufgezeigten, gefährlichen Mängel und der latenten Gefahren?
( Ich habe dann einer Organisationsgehilfin die Baustellenfotos (Aufnahmen: „BI Contra Pipiline“) und zwei Fotos von mir vom Werk Uerdingen, über dem dicke grau-schwarze bis blutrote Wolken dräuten, schenkend überreicht und innerlich viel Vergnügen beim Betrachten derselben gewünscht.)
Passagen, die mit >
< gekennzeichnet = vor der Rede gekürzt
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<< „ = während der Rede weggelassen
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>>> „ = wg. Zeitüberschreitung „