Große Koalition: gemeinsam für BAYER & Co.
Bestellt und abgeholt
Für BAYER hätte die Bundestagswahl nicht besser ausgehen können. Obwohl Konzernchef Werner Wenning gerne „klarere Verhältnisse“ gehabt hätte, arbeiteten SPD und CDU seine Wunschliste in ihrem Koalitionsvertrag konsequent ab.
Von Jan Pehrke
In der Rheinischen Post formulierte BAYER-Chef Werner Wenning seine Erwartungen an die neue Bundesregierung. Eine konsequente Wachstumspolitik mahnte er an. „Mit höherem Wachstum können neue Arbeitsplätze geschaffen werden. Mit Wachstum kann auch der Staat seine Handlungsfähigkeit zurückgewinnen. Steuersenkungen, vor allem aber effiziente Sozialsysteme und geringere Lohnnebenkosten sowie ein Abbau der Bürokratie sind unabdingbar für den notwendigen Aufschwung“, befand der Große Vorsitzende. Darüber hinaus erachtete er noch höhere Ausgaben für Bildung, Forschung und Entwicklung im Allgemeinen und für die Gentechnik im Besonderen als notwendig. „Dabei sollte auch deutlich werden, dass Innovationen politisch gewollt sind“, so Wenning.
BAYER konnte sich die geforderten Maßnahmen so wie bestellt abholen. Der zwischen CDU und SPD geschlossene Koalitionsvertrag lässt keinen Wunsch offen. Für 2008 stellt er eine Unternehmenssteuerreform mit dem Ziel der „Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit“ in Aussicht. Nach der letzten, unter Federführung des ehemaligen BAYER-Finanzchefs Heribert Zitzelsberger konzipierten Unternehmenssteuerreform, welche die Konzerne um mehr als 50 Milliarden Euro entlastete, ist da eigentlich nicht mehr viel zu verbessern. Doch die GroßkoalitionärInnen sehen immer noch Handlungsbedarf. „Die Senkung der Steuersätze der letzten Jahre hat zwar die Erträge mancher Unternehmen und deren Investitionsfähigkeit gesteigert. Die höhere Ertragskraft hat allerdings noch nicht zu ausreichenden Inlandsinvestitionen geführt“, heißt es im Koalitionsvertrag. CDU und SPD ziehen daraus nicht etwa den Schluss, das Paragrafenwerk wieder einzustampfen. Ganz im Gegenteil: Für Merkel & Co. waren die Geschenke einfach noch nicht groß genug, um dafür ein „Dankeschön“ in Form von Arbeitsplätzen zu erhalten. Deshalb dürfen sich die Multis 2008 unter anderem auf eine nochmalige Senkung der Körperschaftssteuer freuen. Und um den Konzernen schon einmal die Wartezeit zu versüßen, hebt die Regierungskoalition die Abschreibungssätze für Anlagegüter von 20 auf 30 Prozent an.
Die Sozialsysteme gestaltet die große Koalition im Wenning´schen Sinne „effizienter“, indem sie bei den Hartz IV-Geschädigten 3,8 Milliarden Euro einspart – die „Verschlankung“ des Gesundheitswesens hat sie sich einstweilen für später aufgehoben. Die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung senkt die Bundesregierung um zwei Prozentpunkte durch die Erhöhung der Mehrwertsteuer auf 19 Prozent. Und um den von Wenning verlangten Bürokratie-Abbau kümmert sich künftig der direkt dem Kanzleramt unterstellte Normenkontrollrat, der alle Gesetzes-Initiativen im Hinblick auf ihre Nebenkosten für BAYER & Co prüft. Eine Altlast hat die Merkel-Crew mit dem Umweltrecht schon aufgetan und eine Vereinfachung auf ihre Agenda gesetzt.
Für Forschungsprojekte will die CDU-geführte Bundesregierung zusätzlich sechs Milliarden Euro zur Verfügung stellen, belässt es aber nicht dabei. „Neben der Förderung von Forschung und Technologie wird die Bundesregierung auch die Rahmenbedingungen, insbesondere in den Bereichen Bio- und Gentechnik, Informations- und Kommunikationstechnologien, Chemie, Medizin/Pharma, Energie und Verkehr innovationsfreudig ausgestalten“, lautet die betreffende Passage im Koalitionsvertrag. Für Raps und Reis made by BAYER bedeutet das konkret: „Die EU-Freisetzungsrichtlinie wird zeitnah umgesetzt und das Gentechnikgesetz novelliert“. Die im bisherigen Gesetz vorgesehene Haftungsregelung, die den Genpflanzen anbauenden Landwirt für Auskreuzungen mit konventionell gezogenen Ackerfrüchten zur Verantwortung zieht, beabsichtigen CDU und SPD durch einen Ausgleichsfonds zu ersetzen.
Auch auf anderen Gebieten der Umweltpolitik droht Ungemach. In das „Erneuerbare-Energien-Gesetz“, das eine Förderung für Windkraft und andere alternative Energien über den Strompreis vorsieht, fügen die GroßkoalitionärInnen eine Härtefallregelung für stromintensive Industriezweige wie die Chemie ein. So brauchen BAYER & Co. höchstens noch 0,05 Cent pro Kilowatt-Stunde zu bezahlen. Ein später Lohn für Werner Wennings langen Kampf gegen die Windräder.
Beim Emissionshandel mit Kohlendioxid-Verschmutzungsrechten, dem die Chemie-Lobby vor der Einführung sowieso schon fast alle das Klima schonenden Zähne gezogen hatte, stellt die Merkel-Riege ebenfalls Schnäppchenpreise in Aussicht. „Wir wollen die Kostenbelastung der Wirtschaft durch den CO2-Emissionshandel senken“, bekundet Schwarz-Rot in seinem Vertragswerk.
Diesen Ansatz verfolgt die große Koalition in gleicher Weise bei der geplanten EU-Chemikalienrichtlinie REACH. Sie bezweckte ursprünglich, BAYER & Co. die Prüfung von tausenden, niemals auf ihre gesundheitsschädliche Wirkung hin untersuchten Substanzen aufzuerlegen und den Krankenkassen so Behandlungskosten in Höhe von ca. 50 Milliarden Euro zu ersparen. Dieses wusste die Chemie-Lobby allerdings durch beständige politische Interventionen zu verhindern – übrig blieb lediglich eine schmerzfreie Version des Vorhabens. Bei der Abfassung der entsprechenden Passage im Koalitionsvertrag haben BAYER & Co. Schwarz-Rot offensichtlich auch die Feder geführt. „Die künftige Gestaltung der EU-Chemikalienpolitik ist ein zentraler Prüfstein für die Glaubwürdigkeit der Wettbewerbsstrategie“, heißt es dort mit Verweis auf die so genannte „Lissabon-Strategie“, wonach Europa bis 2010 die „wettbewerbsfähigste wissensgestützte Wirtschaft“ der Welt werden soll.
Als die EU-ParlamentarierInnen REACH dagegen bei der Debatte im November 2005 zu einem Prüfstein für den VerbraucherInnenschutz zu machen drohten, ließen SPD und CDU Koalitionsverhandlungen Koalitionsverhandlungen sein und übten sich schon einmal im Regieren. Die bundesdeutschen EU-ParlamentarierInnen in Straßburg haben sich sklavisch an das gehalten, „was das neue Bundeskanzleramt will“, monierte etwa die Grünen-Abgeordnete Hiltrud Breyer. Trotz dieses politischen Feuerwehreinsatzes hat Angela Merkel ihre an Tony Blair gerichtete Bitte um eine Verschiebung der endgültig über REACH befindenden EU-Ministerratssitzung mit den anstrengenden Koalitionsverhandlungen begründet. Für die taz steckte hinter dem Begehr aber ein ganz anderes Kalkül. Im nächsten Jahr übernimmt nämlich Österreich die EU-Ratspräsidentschaft und bei dem dann für REACH verantwortlichen Wirtschaftsminister Martin Bartenstein stimmt die Chemie ganz unzweifelhaft, denn seine Familie nennt einen Plaste- und Pillenriesen ihr Eigen. Zukünftig hält die Bundeskanzlerin bei der Chemiepolitik ebenfalls den Daumen drauf, denn Schwarz-Rot siedelte die Zuständigkeit hierfür nicht etwa beim Umweltminister, sondern direkt beim Kanzleramt an – eine Politik der kurzen Wege für BAYER & Co. Schlechte Zeiten für die Gesundheit also: „Die deutschen Politiker stehen lieber BASF oder BAYER stramm zur Seite“, kommentierte die taz.
Aber nicht nur in Europa, auch über dessen Grenzen hinaus legt sich die neue Regierung dem Koalitionsvertrag zufolge für die Multis ins Zeug: „Durch eine aktive Außenwirtschaftspolitik sollen deutsche Unternehmen dabei unterstützt werden, den Weltmarkt zu erschließen“. Ein Mittel dazu sieht die Koalition in der besseren Verzahnung von Außenwirtschaftspolitik und Entwicklungszusammenarbeit, was auf so eine Art Hilfe zur Selbsthilfe für die Konzerne hinausläuft.
Bei der Erschließung der Weltmärkte standen den Global Playern oft Verstöße gegen Patentrichtlinien entgegen. Da entwickelte BAYER schöne neue und deshalb teure Medikamente, und musste miterleben, wie ärmere Länder den für sie unbezahlbaren Schutz des geistigen Eigentums nicht respektierten und Nachahmerprodukte auf den Markt brachten, um die medizinische Versorgung der Bevölkerung wenigstens halbwegs zu gewährleisten. Das geht natürlich nicht, weshalb die Bundesregierung jetzt „in enger Abstimmung mit der Wirtschaft und mit den Partnerländern eine Strategie mit konkreten Maßnahmen zur weltweit verbesserten Durchsetzung geistiger Eigentumsrechte“ erarbeitet.
Die Standortbedingungen für die Pharma-Industrie hierzulande halten Christ- und Sozialdemokraten gleichfalls – unter anderem durch schnellere Arznei-Zulassungen – für verbesserungswürdig. Sie haben sich zwar im Rahmen ihres gesundheitspolitischen Sparprogramms vorgenommen, von der Pillen-Industrie einen Beitrag von zwei Milliarden Euro zu verlangen, aber ob dieser wirklich erfolgt, bleibt abzuwarten. Fest steht allerdings der Plan, die Standortbedingungen für BAYER & Co. durch die Verschlechterung der Bedingungen für die Beschäftigten zu verbessern. CDU und SPD kündigten an, den Kündigungsschutz durch die Einführung einer zweijährigen Probezeit auszuhöhlen und den Billiglohnsektor noch weiter auszudehnen. Darüber hinaus stehen Veränderungen bei der Mitbestimmung an. Die große Koalition beauftragte eine Kommission unter Leitung von Kurt Biedenkopf, Vorschläge auszuarbeiten. Gesetzliche Eingriffe in die Flächentarifverträge zugunsten betrieblicher Bündnisse trug die SPD hingegen nicht mit. Sie stimmt mit ihrem politischen Partner aber darin überein, „dass betriebliche Bündnisse wichtig sind, um Beschäftigung zu sichern“. Im Chemie-Bereich ist für Angela Merkel sowieso nicht mehr viel zu tun, weil die IG BERGBAU, CHEMIE, ENERGIE (IG BCE) mit Standort-Vereinbarungen und ähnlichem schon so weit in Vorleistung getreten ist, dass es eigentlich keiner Veränderung der tarifpolitischen Rahmenbedingungen mehr bedarf.
Das im Koalitionsvertrag festgeschriebene Entlastungsprogramm für BAYER & Co. kostet natürlich. Finanzieren müssen es die Ärmsten der Armen und die abhängig Beschäftigten. Von Kürzungen bei Hartz IV und Reduzierung der Entfernungspauschale sowie des Sparerfreibetrags über die Erhöhung der Mehrwertsteuer bis zur Abschaffung diverser Steuervergünstigungen reichen die Zumutungen. Nach einer Rechnung der Zeit belastet das einen Alleinstehenden, der 24.000 Euro brutto verdient, mit 477 Euro im Jahr und einen über ein Bruttoeinkommen von 6.000 Euro verfügenden Arbeitslosen mit 106 Euro.
Die große Koalition hat Wennings Liste also konsequent abgearbeitet und ihm darüber hinaus noch so manchen Wunsch von den Lippen abgelesen. Der ist dank der bisherigen und noch zu erwartenden Segnungen der Angebotspolitik dann auch rundum glücklich. „2005 – das lässt sich jetzt schon sagen – ist ein sehr gutes Jahr für BAYER“, bekannte der Vorstandsvorsitzende angesichts der zu erwartenden Verdoppelung des Konzernergebnisses. Die Arbeitslosen dürfen sich allerdings nicht mitfreuen. „Es wäre für mich ein Glückstag, wenn ich vor die Belegschaft treten und sagen könnte: Wir werden in Deutschland soundso viel zusätzliche Arbeitsplätze schaffen. Aber dafür müssten die wirtschaftlichen Voraussetzungen gegeben sein.“ „Gute Zeiten, Schlechte Zeiten“ steht also mal wieder auf dem Spielplan, die altbekannte kapitalistische Schmierenkomödie.