Glyphosat & Co. – unterschätzte Gefahren
Pestizid auf dem Prüfstand
Glyphosat, das meistverkaufte Pestizid weltweit, steht zurzeit auf dem Prüfstand. Da die Zulassung auf dem EU-Markt Ende 2015 ausläuft, entscheiden die EU-Mitgliedsstaaten im Laufe dieses Jahres darüber, ob die Zulassung um weitere zehn Jahre verlängert wird. Das wirtschaftliche Interesse an einem positiven Votum ist enorm, auch bei der BAYER AG – schließlich vertreibt der Konzern in Konkurrenz zu MONSANTO, SYNGENTA & Co ebenfalls einige glyphosat-haltige Pestizide (1) und glyphosat-resistente Pflanzen (2).
Zum Verkaufsschlager stiegen glyphosat-haltige Pestizide weltweit vor allem durch die Entwicklung und Verbreitung gentechnisch veränderter – glyphosatresistenter – Pflanzen auf, welche die Hersteller extra darauf ausrichteten, den Kontakt mit dem sogenannten Totalherbizid zu überleben. Aber auch in der konventionellen Landwirtschaft kommt Glyphosat immer häufiger zum Einsatz – das Anwendungsspektrum ist sehr breit. Weltweit brachten die LandwirtInnen im Jahr 2012 etwa 718 000 Tonnen glyphosat-haltige Pestizide aus.
Deutschland trägt im aktuellen Zulassungsverfahren eine große Verantwortung. Vier deutsche Behörden unter Federführung des „Bundesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit“ (BVL) haben im Auftrag der EU die Risiken des Wirkstoffs neu überprüft. Dabei haben sie sich wieder dem Urteil der Glyphosat-Produzenten angeschlossen – Glyphosat sei nicht humantoxisch. Dementsprechend empfehlen sie, die Zulassung zu verlängern. Der Bewertungsbericht bildet eine wichtige Grundlage für die Entscheidung über die weitere Zulassung, an der sich alle EU-Mitgliedsstaaten in einem Ausschuss beteiligen.
Gefährlichkeit belegt
Zahlreiche Studien Industrie-unabhängiger WissenschaftlerInnen haben jedoch in den vergangenen Jahren immer mehr Zweifel an der Unbedenklichkeit von glyphosat-haltigen Pestiziden aufkommen lassen. Neben den schädlichen Auswirkungen auf Biodiversität, Gewässer, Böden und einige Tierarten geraten vor allem die gesundheitlichen Gefahren des Wirkstoffs in den Blick. Glyphosat steht unter anderem in Verdacht, Krebs auszulösen, die Fruchtbarkeit zu beeinträchtigen sowie Schädigungen des Erbguts und der Embryonal-Entwicklung zu verursachen.
Es stellt sich die Frage, wie es angehen kann, dass all diese Studien offenbar keinen Einfluss auf das behördliche Urteil hatten. Analysen des deutschen Bewertungsberichtes offenbaren erhebliche Defizite bei der Einschätzung des Gefährdungspotenzials. Offenbar basiert das Urteil der Behörden fast ausschließlich auf Studien, die von Glyphosat-Produzenten durchgeführt oder in Auftrag gegeben wurden. Demgegenüber haben die staatlichen Stellen viele in wissenschaftlichen Journalen publizierte, peer-reviewte Studien zu Glyphosat zunächst überhaupt nicht zur Kenntnis genommen, wie eine Analyse von PAN Europe zeigt3. Demnach nahmen die Behörden nur 52 Prozent der relevanten toxikologischen Studien wahr und diskutierten nur 31 Prozent von ihnen im Bewertungsbericht. Sie haben damit eine Vorgabe der EU-Verordnung 1107/2009 missachtet, nach der bei Zulassungsverfahren für Pestizide alle vorhandenen wissenschaftlichen Studien zu dem betreffenden Pestizid Berücksichtigung finden müssen.
Sehr problematisch ist zudem, dass die Behörden die unabhängigen wissenschaftlichen Studien, welche sie registrierten, größtenteils als nicht oder nur eingeschränkt zuverlässig eingestuften, da sie nicht den sogenannten GLP-Richtlinien (GLP = Good Laboratory Practice) entsprachen.
Diese Richtlinien hat die US-amerikanische Food and Drug Administration erstmalig 1978 als Reaktion auf schwerwiegende Betrugsprobleme bei Industriestudien zu Pestiziden aufgestellt, die auch toxikologische Tests bei glyphosat-haltigen Pestiziden wie MONSANTOs ROUNDUP betrafen. GLP-Richtlinien dienen seither als Qualitätskontrolle für von der Industrie eingereichte Studien im Rahmen der Risikobewertung und Zulassung von Chemikalien. Sie legen sehr detailliert den organisatorischen Ablauf und die Dokumentationspflichten von Untersuchungen zugrundeliegenden Versuchsabläufen fest. Doch die GLP-Bedingungen sind für universitäre Einrichtungen kaum erfüllbar. So ist eine GLP-Zertifizierung mit einem hohen Zeitaufwand und hohen Kosten verbunden, welche die Kapazitäten wissenschaftlich-universitärer Einrichtungen häufig übersteigen. Auch die Anforderungen an die Methoden-Beschreibung und Ergebnis-Dokumentation sind im Rahmen der Publikation in wissenschaftlichen Zeitschriften gar nicht einzuhalten. WissenschaftlerInnen kritisieren daher nachvollziehbar, dass wissenschaftliche Studien im Rahmen der behördlichen Risikobewertung von Pestiziden mangels GLP-Konformität automatisch als nicht oder nur eingeschränkt zuverlässig bewertet werden.
Im Hinblick auf Objektivitätskriterien ist zudem zu kritisieren, dass die behördliche Risikobewertung größtenteils auf Studien basiert, die Mitglieder der „Glyphosat Task Force“ (ein Zusammenschluss Glyphosat-produzierender Unternehmen) in Auftrag gaben oder selbst durchführten. Auch lässt die Transparenz zu wünschen übrig. Die von den Glyphosat-Herstellern im Rahmen des Zulassungsverfahrens eingereichten Studien sind nämlich der Öffentlichkeit und damit der Überprüfung durch unabhängige WissenschaftlerInnen nicht zugänglich. Der Verdacht liegt nahe, dass von wirtschaftlichen Interessen geleitete Unternehmen Studiendesigns, statistische Methoden und die Interpretation der Ergebnisse dahingehend beeinflussen können, dass negative Effekte maskiert werden.
Tatsächlich legten WissenschaftlerInnen bereits 2011 plausibel dar, dass selbst einige von den Behörden (im vorigen Glyphosat-Zulassungsverfahren) geprüfte Industrie-Studien zeigen, dass Glyphosat Missbildungen bei den Versuchstieren verursacht. Mit Hilfe von wissenschaftlich zweifelhaften Argumenten hätten die ForscherInnen jedoch abgestritten, dass Glyphosat die Ursache für die Missbildungen ist4. Dieselbe Kritik äußern andere WissenschaftlerInnen am aktuellen Bewertungsbericht der deutschen Behörden5. Dabei spielt unter anderem die Relativierung von statistisch signifikanten Unterschieden zwischen der Versuchsgruppe und der eigentlichen Kontrollgruppe durch den Verweis auf historische Kontrolldaten eine wichtige Rolle6. Auch die wiederholten Hinweise auf (angeblich) fehlende Dosis/Wirkung-Beziehungen beanstanden die ExpertInnen. Problematisch ist, dass die Behörden die Angaben und Argumente der antragstellenden Unternehmen größtenteils kritiklos übernehmen und dabei auch eindeutige Mängel übersehen oder ignorieren7.
Es deutet vieles darauf hin, dass die Objektivität der Risikobewertung durch Interessenskonflikte beeinträchtigt wird. Auch die Mitgliedschaft von BAYER- und BASF-MitarbeiterInnen8 in einer Pflanzenschutzmittel-Kommission des für die humantoxische Risikobewertung zuständigen Bundesamtes für Riskikobewertung (BfR) erhärtet diesen Verdacht, auch wenn das BfR angibt, dass diese Kommission nicht direkt in amtliche Entscheidungen hinsichtlich der Risikobewertung eingebunden ist. Sie sei ein externes Beratungsgremium, keine Organisationseinheit des BfR. Andererseits erwartet das BfR laut einem Sitzungsprotokoll von der Kommission „fachliche Beratung, konzeptionelle Unterstützung und kritische Begleitung bei der Bewertung von Pflanzenschutzmitteln und ihren Rückständen hinsichtlich Toxikologie, Rückstandsverhalten und Exposition“9. Eine indirekte Einflussnahme von Pestizid-Herstellern auf die Risikobewertung ist also beim BfR offenbar systematisch verankert.
Zweifelhafte Zulassungen
Die Defizite bei der Risikobewertung im Fall von Glyphosat verdeutlichen, dass das System der Pestizid-Zulassung einer grundlegenden Reformierung bedarf7. Die gesundheitlichen Risiken von Pestiziden (und anderen Produkten) sollten nicht von den Konzernen, die diese Produkte herstellen, überprüft werden, sondern von unabhängigen wissenschaftlichen Instituten. Das „Bundesinstitut für Risiko-Bewertung“ (BfR) rechtfertigt das bestehende System zwar in einer Stellungnahme folgendermaßen: „Zulassungsverfahren in aller Welt beruhen auf dem Prinzip, dass derjenige, der ein Produkt auf den Markt bringen möchte, sämtliche erforderlichen toxikologischen Studien bezahlt, damit dem Steuerzahler dadurch keine Kosten entstehen.“ Doch es gibt sinnvolle Reformvorschläge, welche die SteuerzahlerInnen nicht belasten. So könnten industrie-unabhängige Forschungsinstitute aus einem unabhängig verwalteten Fonds für die Durchführung toxikologischer Studien bezahlt werden. Unternehmen, die das jeweilige Pestizid vermarkten möchten, sollten weiterhin die Kosten tragen, indem sie im Rahmen des Zulassungsantrags zur Zahlung von Gebühren verpflichtet werden.
Im Falle des aktuellen Glyphosat-Zulassungsverfahrens kommen derartige Reformvorschläge zu spät. Hier machen allerdings aktuelle Entwicklungen Hoffnung auf einen Bann des Ackergifts. Denn der öffentliche Druck auf die Behörden in Sachen „Glyphosat“ wächst zurzeit enorm. Ein wichtiger Beitrag dazu war im März 2015 die Meldung, dass die IARC – die Krebsforschungsinstitution der WHO – Glyphosat nach eingehender Prüfung vorhandener Studien als „wahrscheinlich krebserregend“ einstuft. Hilfreich dürfte auch sein, dass CAMPACT Anfang Mai innerhalb weniger Tage mehr als 200.000 Unterschriften für ein Glyphosat-Verbot gesammelt hat. Es bleibt spannend zu verfolgen, wie Bundeslandwirtschaftsminister Schmidt auf diese neuen Entwicklungen reagiert. Wird ihn der öffentliche Druck oder die wissenschaftliche Autorität der WHO-ExpertInnen zu einem Kurswechsel veranlassen?
Die Entscheidung über die Zulassung von Glyphosat in der EU ist wegen des großen Stellenwerts, den Glyphosat in der konventionellen Landwirtschaft und beim Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen einnimmt, von hoher Bedeutung. Von der Entscheidung wird sicherlich auch eine Signalwirkung auf andere Regionen ausgehen. Allein Glyphosat vom Markt zu nehmen, ist natürlich nicht die Lösung des Pestizid-Problems. Weitere gefährliche Pestizide sind weltweit und auch in Europa im Einsatz – dazu gehört auch das von Bayer vermarktete Glufosinat, das sogar die Behörden als reproduktionstoxisch einstufen und das dennoch weiterhin bis September 2017 in der EU zugelassen bleibt. Die Tatsache, dass es immer wieder Agro-Chemikalien gibt, bei denen sich nach jahrelangem Einsatz herausstellt, dass sie doch nicht so ungefährlich sind wie zunächst propagiert, sie vielmehr schwerwiegende ökologische und gesundheitliche Auswirkungen haben, sollte Anlass für ein grundsätzliches Umdenken sein. Das ganze System der Pestizid-Zulassung und des Pestizid-Einsatzes muss in Frage gestellt werden – zugunsten der Vorsorge für die Gesundheit von Mensch, Tier und Umwelt.
Fußnoten
1 BAYER vertreibt folgende glyphosathaltige Pestizide: GLYFOS, PERMACLEAN, USTINEX G, KEEPER und SUPER STRENGTH GLYPHOSATE
2 BAYER vertreibt folgende gentechnisch veränderte, glyphosat-resistente Pflanzen: die Soja-Arten CREDENZ und FG 72, die Baumwollarten GHB 614, GHB 119, GLYTOL und T304-40 sowie den Raps IH 50 RR
3 Tweedale, Lysimachou, Muilermann (Pan Europe, 2014): Missed & Dismissed – Pesticide regulators ignore the legal obligation to use independent science for deriving safe exposure levels
4 Antoniou et al., 2011: Roundup and birth defects – is the public being kept in the dark?; siehe auch: Antoniou et al., 2012: Teratogenic Effects of Glyphosate-Based Herbicides: Divergence of Regulatory Decisions from Scientific Evidence
5 Swanson (2014): Glyphosate re-assessment in Europe is corrupt: toxicology
6 Earth Open Source (2012): Why Monsanto´s attempt to disappear tumors by using historical control data is unvalid
7 Siehe dazu auch die Publikation „Roundup & Co – Unterschätzte Gefahren“
8 Der Bayer-Mitarbeiter Dr. Frank Pierre Laporte und die BASF-Mitarbeiterinnen Dr. Ivana Fegert und Dr. Monika Bross sind aktuelle Mitglieder der BfR-Kommission für Pflanzenschutzmittel und ihre Rückstände.
9 Zitat aus Protokoll der 6. Kommissionssitzung vom 6.5.2011
10 Weitere Erläuterungen zur Kritik am System der Pestizidzulassung (am Beispiel Glyphosat): AGRAR KOORDINATION, PAN Germany (2014): Roundup & Co. – Unterschätzte Gefahren.
Julia Sievers-Langer ist verantwortlich für die Kampagne „Roundup & Co. – Unterschätzte Gefahren“ der AGRAR KOORDINATION. Mit der Kampagne setzt sich die AGRAR KOORDINATION für ein Glyphosat-Verbot, eine grundlegende Reform des Systems der Pestizid-Zulassung und für eine verstärkte Förderung der ökologischen Landwirtschaft ein.
Mehr Infos unter: http://www.agrarkoordination.de/projekte/roundup-co/