BAYERs Tochter-Gesellschaft MONSANTO hat die politische Landschaft über Jahre hinweg mit Geheimdienst-Methoden vermessen lassen, um sie so pflegen zu können, dass Glyphosat & Co. darin ein ideales Habitat finden.
Von Jan Pehrke
Sie nennen sich harmlos Kommunikations- oder PR-Agenturen, arbeiten aber de facto oft als private Nachrichtendienste für Konzerne: BURSON COHN & WOLFE, PUBLICIS, FLEISHMAN HILLARD, FTI & Co. Genaueren Aufschluss über ihre Tätigkeit geben jetzt Dokumente, die Unbekannte der französischen Zeitung Le Monde und dem TV-Sender France 2 zugespielt hatten.
So erstellte FLEISHMAN HILLARD für die jetzige BAYER-Tochter MONSANTO ein ausführliches Lagebild über das politische Frankreich. Ein umfangreiches Dossier mit den Namen von 200 Journalist*innen, Politiker*innen, Verbands- und NGO-Vertreter*innen sowie Wissenschaftler*innen mitsamt Kontakt-Daten und Hobbys legte die Agentur für ihren Auftraggeber an. Minutiös verzeichnete sie die Haltung der Betreffenden zu Themen wie „Landwirtschaft“, „Ernährung“, „Umwelt“, „Gentechnik“, „Gesundheit“ und „Pestizide“. Die Glaubwürdigkeit der Personen, ihren Einfluss und ihre Haltung zu MONSANTO bewertete FLEISHMAN dabei mit Noten von „0“ bis „5“. Diese detaillierten Profile dienten dann als Ansatzpunkte, um passgenau „Vertrauen zu MONSANTO aufzubauen“.
Geheimdienst-Methoden
Schwerpunktmäßig widmeten sich FLEISHMAN HILLARD und PUBLICIS, die zweite an der Operation beteiligte Firma, Glyphosat. In den Jahren 2015 und 2016 konzentrierten sich die Aktivitäten hauptsächlich darauf, bei der Europäischen Union eine Zulassungsverlängerung für das umstrittene Herbizid zu erwirken.
Dabei gingen die beiden Unternehmen arbeitsteilig vor. Während FLEISHMAN HILLARD die Aufgabe zufiel, die öffentliche Sphäre zu überwachen und sorgsam sämtliche das Pestizid betreffenden politischen und juristischen Schritte zu registrieren, oblag es PUBLICIS, „Auskünfte und Informationen zu sammeln, die NICHT (Hervorhebung im Original, Anm. SWB) öffentlich zugänglich sind“, wie es in einem internen Memo hieß.
Als Ausgangsbasis hat PUBLICIS erst einmal eine „Kartografie“ der Glyphosat-Debatte in Frankreich erstellt. Anhand eines Koordinaten-Systems verorteten die Öffentlichkeitsbearbeiter*innen die Positionen der „Top 20 Stakeholder“ zu dieser Frage. Dazu trugen sie auf der x-Achse den Grad der Unterstützung bzw. Ablehnung ein, welche die betreffenden Personen MONSANTO entgegenbringen, und auf der y-Achse deren Einfluss. Die Farbe Orange haben die PR-Strateg*innen dabei für Regierungsvertreter*innen gewählt, hellblau für Abgeordnete, lila für Verwaltungsleute und grün für Vertreter*innen von Bauernverbänden und anderen Organisationen. Als verlässliche Bündnispartner*innen verzeichnete das Diagramm beispielsweise Maire Guittard, damals Beraterin des Landwirtschaftsministers, und den in der fraglichen Periode dem Landwirtschaftsverband FNSEA vorstehenden Xavier Beulin. Als eindeutigen Opponenten identifizierte das „Mapping“ hingegen Laurin Bouvier, der zu der Zeit Berater der Umweltministerin Ségolène Royale war.
FLEISHMAN HILLARDs Projekt zu dem von der Weltgesundheitsorganisation als „wahrscheinlich krebserregend“ eingestuften Pestizid war „FR Glyphosat-Ziele Aktionsplan“ überschrieben, wobei „FR“ für Frankreich stand. 74 Personen listete dieser Plan auf. Und zu den Eintragungen gab es jeweils Statusmeldungen. So firmierte etwa der Agrar-Ingenieur Gérard Kafadaroff – ein ehemaliger MONSANTO-Angestellter, der eine Organisation zur Förderung der Pflanzen-Biotechnologie gründete – als „Verbündeter“. Aber so ganz konnte FLEISHMAN doch nicht auf ihn zählen, obwohl Kafadaroff Botschaften des Unternehmens verbreitete. „Er könnte als Relais dienen, möchte aber nicht direkt mit MONSANTO in Verbindung gebracht werden, da er den Verlust seiner Glaubwürdigkeit fürchtet“, lautete der Vermerk in seiner Akte. Ebenfalls zu den „Verbündeten“ zählten die „Public Relations“-Expert*innen Jean Bizet, den Senatoren des Landkreises Manche. Als „prioritär“ stuften sie es ein, ihn zu rekrutieren. Dementsprechend verschnupft reagierte der Politiker gegenüber der Presse auf die Enthüllungen. Er zweifelte einfach die Echtheit der Dokumente an und verweigerte weitere Auskünfte. Auch auf den Präsidenten des Regionalrats von Hauts-de-France, Xavier Bertrand, wollte FLEISHMAN HILLARD bauen. Er habe zwar nicht allzu viele Einwirkungsmöglichkeiten auf den Prozess der Zulassungsverlängerung in Brüssel, so die Einschätzung der PR-Profis, dafür sei aber sein Einfluss auf konservative Abgeordnete „sehr groß“. Deshalb visierten sie einen Hausbesuch von MONSANTO-Emissär*innen bei ihm an und planten schon über den Termin hinaus. Sie fassten ins Auge, Bertrand danach mit detaillierten Informationen zu den ökonomischen, sicherheitstechnischen und klima-relevanten Aspekten von Glyphosat zu versorgen.
Die Umweltjournalistin Sandy Dauphin von der Radiostation „France Inter“ führte das Unternehmen als „mobil/beeinflussbar“, während es bei der damaligen Umweltministerin Ségolène Royal auf Granit biss: „null beeinflussbar“. Für solche Fälle hatte FLEISHMAN aber auch ein Mittel parat. „Isolieren“ stand als Arbeitsanweisung in den Dokumenten. „So funktioniert das Lobbying: „Wissen, welche Person zu kontaktieren ist und sie dann manipulieren, um eine Entscheidung zu verändern“, empört sich Royal über Glyphosat-Gate: „Was pervers ist, das ist dieses Lobbying im Verborgenen, das sich illegaler, der Spionage ähnelnder Methoden bedient.“
300 deutsche Namen
Die geleakten Papiere betreffen nur Frankreich. Aber FLEISHMAN HILLARD operierte aber auch in Deutschland, Italien, den Niederlanden, Polen, Spanien und Großbritannien, wie BAYER inzwischen einräumt. Hierzulande trugen die Einfluss-Agent*innen dem Konzern zufolge eine Liste mit 300 Namen zusammen. Nach Angaben des BAYER-Sprechers Christian Maertin befinden sich darunter mit Stand 14.06.2019 keine Journalist*innen, was Hendrik Zörner vom „Deutschen Journalisten-Verband“ allerdings für sehr unwahrscheinlich hält. Einen detaillierteren Einblick in die Arbeit vor Ort gewährte Le Monde. Das Blatt zitiert aus den berühmt-berüchtigten „MONSANTO-Papers“, welche durch die Schadensersatz-Prozesse in Sachen „Glyphosat“ publik wurden. Darin erwähnt der oberste MONSANTO-Öffentlichkeitsarbeiter Sam Murphey Arbeitsgruppen, die mit FLEISHMAN HILLARD eine Strategie für Deutschland entwickelten, „um es der Regierung zu erlauben, zu einer Position zurückzukehren, die der Glyphosat-Zulassungsverlängerung positiv gegenübersteht“. Und in der Tat ist der damals zuständige Landwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) bei der EU-Abstimmung am 27. November 2017 zu einer solchen Position zurückgekehrt, obwohl die damalige Koalitionsvereinbarung eigentlich eine Enthaltung vorsah. „Die jetzigen Enthüllungen werfen ein neues Licht auf das Votum von Christian Schmidt. Nun müssen BAYER und das Landwirtschaftsministerium Rede und Antwort stehen, ob Schmidt unter Einfluss stand“, forderte die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) deshalb in ihrer Presseerklärung zum Skandal.
FLEISHMAN HILLARD jedenfalls ließ sich nach der Entscheidung der Europäischen Union gebührlich feiern. Das Webportal Politico pries die größte Brüsseler Agentur, die über einen Jahres-Etat von fast sieben Millionen Euro für ihr Antichambrieren verfügt, überschwänglich. „Es war Fleishmans multinationale Kampagne, die MONSANTO und wohlmeinende Regierungen mit den Argumenten versorgte, welche diese brauchten, um diejenigen in die Schranken zu weisen, die für einen Bann eintraten“, konstatierte die Website.
Millionen-Summen hat es die jetzige BAYER-Tochter gekostet, sich der Dienste der rund 60 FLEISHMAN-Beschäftigten bei der Bearbeitung von Mitgliedern des Europäischen Parlamentes und der EU-Kommission zu versichern. Allein für die Lobby-Arbeit am EU-Hauptsitz überwies sie FLEISHMAN nach Angaben des Portals Lobbyfacts 2014 und 2015 jeweils 200.000 bis 300.000 Euro. Im Jahr 2016 waren es 700.000 bis 800.000 Euro, 2017 500.000 bis 600.000 Euro und 2018 400.000 bis 500.000 Euro. In den Hochzeiten der Kampagne hatte kein Auftrag eines Einzelunternehmens bei der Agentur ein so großes Volumen wie der von MONSANTO. Insgesamt brachte er ihr einen zweistelligen Millionenbetrag ein.
Dabei ist sich FLEISHMAN HILLARD keiner Schuld bewusst: „Unsere Arbeit entspricht den fachlichen Standards und Gepflogenheiten unserer Branche.“ Dies steht allerdings sehr in Frage. Das französische Gesetz untersagt es nämlich, politische Meinungen von Menschen ohne Zustimmung der Betreffenden in Datenbanken einzuspeisen. Deshalb kündigten Le Monde, Radio France und die Organisationen FOODWATCH und GÉNÉRATIONS FUTURES bereits rechtliche Schritte an. Vor deutschen Gerichten hätten sie ebenfalls Chancen, denn wie Sebastian Huld vom „Deutschen Journalistenverband“ in einem taz-Interview erläuterte, verbietet das Bundesdatenschutz-Gesetz das Verarbeiten persönlicher, der Öffentlichkeit nicht zugänglicher Daten. Und nach der Datenschutz-Grundverordnung „sind personen-bezogene Daten, aus denen weltanschauliche Überzeugungen hervorgehen, besonders geschützt“, so Huld weiter. Die nordrhein-westfälische Datenschutz-Beauftragte Helga Block ist deshalb schon an BAYER herangetreten und hat um Einsicht in die Unterlagen ersucht. Von einem möglichen Verfahren sprechen Block und ihre Kolleg*innen jedoch noch nicht, vorerst geht es nur um eine „Sachstandsermittlung“. Auch der „Deutsche Rat für Public Relations“ kündigte an, sich „Glyphosat-Gate“ annehmen zu wollen.
CBG will Auskunft
Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) forderte den Leverkusener Multi in einem Offenen Brief bereits auf, Auskunft darüber zu erteilen, ob und wenn ja, in welchen Zusammenhängen sich der Name der Coordination auf den Listen befindet. Die Grünen-Politiker*innen Anton Hofreiter, Oliver Krischer, Harald Ebner und Renate Künast haben vom Konzern ebenfalls schon Auskunft über eine eventuelle Speicherung ihrer Daten verlangt. „Mit der Übernahme von MONSANTO hat BAYER nicht nur landwirtschaftliche Gifte, sondern auch toxische Geschäftspraktiken übernommen“, konstatierte Künast. Die Aussage des Konzerns, keine Kenntnis von den Vorgängen gehabt zu haben, zweifelte die Bundestagsabgeordnete an: „Das Management von BAYER hat dabei wissentlich weggesehen.“ Konkreteres weiß offenbar schon der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Karl Lauterbach, der seinen Wahlkreis in Leverkusen hat. „Ich habe vor einigen Tagen Hinweise erhalten, dass MONSANTO auch über mich Dossiers in Auftrag gegeben hat“, erklärte der Politiker. Er forderte den Konzern daraufhin auf, „schnellstmöglich Klarheit zu schaffen“. Und Dr. Kirsten Tackmann von der Partei „Die Linke“ hat in der Causa eine Anfrage an die Bundesregierung gestellt. „Welche Maßnahmen ergreift die Bundesregierung, um konkrete Kenntnisse über deutsche Staatsangehörige auf den sogenannten ‚Schwarzen Listen’ von BAYER/MONSANTO für Glyphosat-Kritikerinnen und -kritiker zu erlangen, und welche Schlussfolgerungen zieht sie aus dem Vorgang?“, wollte die Bundestagsabgeordnete wissen. Das alles fiele in die Zuständigkeit der Landesdatenschutz-Behörden, antworteten Merkel & Co. knapp. „Statt sich schützend vor die betroffenen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu stellen (…), hält die Bundesregierung damit zumindest indirekt schützend die Hand über einen Konzern, der unterdessen zum deutschen BAYER-Konzern gehört. Das lässt tief blicken“, kommentierte Tackmann.
Nicht nur FLEISHMAN
Im Zuge von „Glyphosat-Gate“ kamen auch noch andere Operationen ans Tageslicht. So hat MONSANTO die von britischen Geheimdienstler*innen gegründete „Beratungsfirma“ HAKLUYT, berühmt-berüchtigt für das Einschleusen von Spitzeln in Umweltgruppen wie GREENPEACE, engagiert, um die politische Lage in Washington zu sondieren. Der Leverkusener Multi hat den Auftrag nach der Übernahme des US-Unternehmens dann einfach weiterlaufen lassen und hörte nur Gutes von HAKLUYT. „Das aktuelle politische Umfeld steht hinter Ihnen“, hieß es etwa in einer E-Mail von Juli 2018 an den damals bei BAYER für die globale Konzern-Strategie zuständigen Todd Rands. Die Probe aufs Exempel, nämlich „die Temperatur bezüglich der aktuellen Haltung zur Regulierung von Glyphosat zu messen“, bestätigte dann den Befund. Der HAKLUYT-Mann im Weißen Haus zitierte einen Politik-Berater, der zwar den aktuellen Besitzer-Wechsel noch nicht registriert hatte, dafür aber versichern konnte: „MONSANTO braucht keine zusätzlichen Vorschriften zu befürchten.“ Und wenn diese von anderer Seite, etwa aus Brüssel, drohen würden, stände die Trump-Administration bereit, „in die direkte Konfrontation zu gehen“.
Die US-amerikanische Umweltbehörde EPA hat den Reports zufolge ebenfalls nichts gegen Glyphosat. Die Autor*innen warnen jedoch vor einer möglichen Nebenwirkung des amtlichen Beistands: Er könnte NGOs auf den Plan rufen und sie zu einer verstärkten Aktivität animieren. Zudem stützt die Behörde die Industrie-Positionen laut HAKLUYT nicht einhellig. Die Berichte machen Konflikte innerhalb der Belegschaft fest. „Die politische Leitung favorisiert Deregulierungen und setzt sich über die Risiko-Analysen der Experten hinweg (…) Besonders, was Glyphosat angeht, gibt es starke Differenzen zwischen dem politischen und dem professionellen Personal“, gibt der „private Nachrichtendienst“ (Lobbypedia) die Worte einer Anwaltskanzlei mit gutem Einblick in die Behörden-Interna wieder.
Allerdings steht es auch bei der EPA mit dem Image von MONSANTO nicht zum Besten. So beklagt sich ein Angestellter über die Weigerung der BAYER-Tochter, auf wissenschaftlichem Gebiet „plausible Zusammenhänge anzuerkennen, wenn diese nicht ihrer Sichtweise entsprechen“. Nicht nur deshalb mahnt HAKLUYT an, etwas am Image zu tun. Zu diesem Behufe zitiert die Agentur einen Berater großer Agro-Konzerne: „Ich bin mir sicher, BAYER ist sich dessen bewusst und wird hier Korrekturen vornehmen. Es geht darum, das Image softer zu gestalten, nicht darum, die Argumente aufzugeben.“ Und mit der Berufung des Ex-Grünen-Politikers Matthias Berninger nach Washington sowie der Mitte Juni 2019 gestarteten PR-Kampagne hat der Leverkusener Multi solchen Empfehlungen dann ja auch entsprochen.
Die Mail-Wechsel zwischen BAYER und HAKLUYT diente im dritten Schadensersatz-Prozess um Glyphosat (siehe S. 18 ff.) als Beweismittel der Kläger*innen-Anwälte. Das Gericht vernahm dabei auch Todd Rands, der inzwischen nicht mehr in Diensten des Leverkusener Multis steht. Frank und frei erklärte der Ex-Angestellte den Richter*innen, warum MONSANTO und später BAYER die HAKLUYT-Leute die politische Landschaft in Washington vermessen ließen, ohne den Gesprächspartner*innen ihre Auftraggeber zu nennen: „Wir wollten sichergehen, dass wir Dinge zu hören bekommen, die die Leute uns nicht direkt sagen würden.“ Aber als „Nachrichtendienst-Arbeit für Konzerne“ („corporate intelligence work“) wollte er das, was HAKLUYT & Co. tun, nur zögerlich bezeichnet wissen. „Ich würde es ‚Recherche für Konzerne’ (‚corporate research’, Anm. SWB) nennen“, sagt Rands, gibt dann aber doch noch klein bei und akzeptiert den Begriff „Nachrichtendienst“.
Und nachrichtendienstlich wurde auch die Beratungsfirma FTI für BAYER tätig. Eine Beschäftigte gab sich in dem Schadensersatz-Prozess, den der Glyphosat-Geschädigte Edwin Hardeman in San Francisco gegen den Leverkusener Multi führte, als Berichterstatterin aus, um Gerichtsreporter*innen auszuspionieren. Die als „Glyphosate Girl“ bekannt gewordene Bloggerin Kelly Ryerson, zu der die FTIlerin ein engeres Verhältnis aufbauen konnte, deckte den Skandal auf.
Zu den neueren Enthüllungen äußerte der Agro-Riese sich noch nicht, in der Causa „FLEISHMAN HILLARD“ gibt er sich allerdings leutselig. „Nach einer ersten Analyse verstehen wir, dass ein solches Projekt Bedenken und Kritik ausgelöst hat“, bekundete er und kündigte die Prüfung interner und externer Konsequenzen an. Detaillierter, etwa zur Zukunft Sam Murpheys, der derzeit dem „Global Is-sues Management“ vorsteht, äußerte das Unternehmen sich jedoch bisher nicht. Ansonsten ließ es aber kein Zweifel daran, das in Rede stehende Vorgehen zu missbilligen. „Dies ist nicht die Art, wie BAYER den Dialog mit unterschiedlichen Interessengruppen und der Gesellschaft suchen würde“, hielt der Konzern fest. Sogar eine Entschuldigung kam ihm über die Lippen. Dabei sind dem Global Player die angewandten Methoden alles andere als fremd. Der Leverkusener Multi unterhält nicht nur selbst langjährige Geschäftsbeziehungen zu FLEISHMAN HILLARD, er geht auch mit Kritiker*innen ähnlich um. Von Bespitzelung über Verleumdung und Täuschungsmanövern bis hin zu gerichtlichen Schritten reicht das Arsenal.
BAYERs Aktivitäten
So hob er dereinst die Fake-Bürgerinitiative „Malocher gegen Schmarotzer“ aus der Taufe, um den alljährlichen Protest auf der BAYER-Hauptversammlung zu desavouieren. Zusammengestellt aus Werkschutz-Leuten und anderem Personal aus den eigenen Reihen, sollte die Truppe bei den Aktionär*innen-Treffen den „ehrlichen Arbeiter“ gegen dahergelaufene „Berufsdemonstranten“ und „rote Vögel“ in Stellung bringen.
Im Jahr 2008 sah sich der Konzern nach einer verheerenden Explosion am US-amerikanischen Standort Institute zu Maßnahmen gegen die ortsansässige Bürgerinitiative PEOPLE CONCERNED ABOUT MIC veranlasst, hatte diese doch die unzureichende Anlagen-Sicherheit im Vorfeld immer wieder kritisiert. „Wir sollten versuchen, die PEOPLE CONCERNED ABOUT MIC zu marginalisieren und als irrelevant erscheinen zu lassen. Dies sollte gerade in der aktuell schwierigen ökonomischen Situation möglich sein, in der Arbeitsplätze so viel zählen“, hieß es in einem firmen-internen Strategie-Papier.
Auch vor klandestinen Unternehmungen schreckt der Multi nicht zurück. Als die Coordination einmal zu einer schulinternen Veranstaltung geladen war, um über die Gefahren von Pestiziden zu berichten, bekam sie später aus BAYER-Kreisen ein minutiöses, dreiseitiges Werksschutz-Protokoll über den Vortrag und die anschließende Diskussion zugespielt. Und bei anderen Terminen tauchte regelmäßig ein Mann auf, der sich als freier Journalist ausgab, den CBGler*innen aber dann auf der Hauptversammlung des Unternehmens wiederbegegnete – in der Montur des Werksschutzes. Der Global Player streitet ein solches Vorgehen im Übrigen auch gar nicht ab. So räumte ein Anwalt des Unternehmens vor Gericht einmal ein: „Selbstverständlich überwacht meine Mandantin alle Veranstaltungen, auf denen Themen behandelt werden, die für BAYER relevant sind.“ Und sichtlich stolz fuhr er fort: „Wir wissen über alles Bescheid, auch in den höchsten Entscheidungsgremien der CBG.“
Da wundert es dann nicht, dass der Leverkusener Multi immer wieder auf ominöse Weise Kenntnis von geplanten Aktionen erhält, wie etwa 1993. Im März des betreffenden Jahres publizierte Tierra Amiga, die Zeitschrift eines Ökologie-Netzwerkes in Uruguay, einen kritischen Artikel über BAYERs Schmerzmittel ASPIRIN. Der Pharma-Riese reagierte postwendend. Er stritt dem Blatt das Recht ab, geschützte Markennamen auch nur zu erwähnen und forderte eine Unterlassungserklärung. Die Redaktion setzte sich umgehend mit der CBG in Verbindung. Mensch besprach das weitere Vorgehen und kam überein, eine Presseerklärung und einen Protestbrief zu veröffentlichen. Und bereits am nächsten Tag erhielt das Magazin einen Droh-Anruf von dem Konzern mit der unmissverständlichen Botschaft, solche Schritte besser nicht zu unternehmen. „Die Schlussfolgerung ist offensichtlich“, schrieb der Chefredakteur Jorge Barreiro in einem Kommentar: „Entweder hört BAYER auf irgendeine Art die Telefongespräche der Coordination mit oder hat jemanden dort eingeschleust. In jedem der beiden Fälle ist klar, dass BAYER einen Teil seiner Energien dazu verwendet, seine Kritiker auszuspionieren.“
Zuweilen schlägt das Unternehmen auch den Rechtsweg ein, um sich die CBG und andere vom Hals zu schaffen. Zuletzt ging es gegen die taz vor (siehe SWB 2/19), weil die Zeitung als „Krebs-Rundumpaket“ zusammenbrachte, was nach Leverkusener Meinung nicht zusammengehörte: BAYERs „wahrscheinlich krebserregendes“ Glyphosat und BAYERs Krebs-Therapeutikum ALIQOPA. Gegen die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN leitete der Leverkusener Multi bereits mehrmals juristische Schritte ein. So zwang er sie 1988, ihren ursprünglichen Namen „BAYER-Coordination“ aufzugeben. Es bestehe „die Gefahr von Verwechslungen bzw. von Zuordnungsirrtümern“, so argumentierten die Konzern-Anwält*innen, und so etwas könnte den „Weltruf“ der Marke durch „Ruf-Beeinträchtigungen, Image-Verfremdungen und sonstige Beeinträchtigungen“ schädigen. Angesichts des hohen Streitwertes von 50.000 Euro musste sich die CBG ebenso fügen wie anno 2001, als das Unternehmen gerichtlich gegen den Domain-Namen „BAYER-Watch“ vorging.
Die langwierigste rechtliche Auseinandersetzung, die für die CBG wegen der damit verbundenen Kosten existenz-bedrohend war, begann 1987. Der Agrar-Gigant nahm Anstoß an einer Passage aus einem Aufruf. Er betrachtete die Sätze: „In seiner grenzenlosen Sucht nach Gewinnen und Profiten verletzt BAYER demokratische Prinzipien, Menschenrechte und politische Fairness. Missliebige Kritiker werden unter Druck gesetzt, rechte und willfährige Politiker werden unterstützt und finanziert“, als Schmähkritik. Unter Strafandrohung „von Ordnungshaft bis zu sechs Monaten bzw. einer Geldstrafe von bis zu DM 500.000“ forderte der Konzern eine Unterlassungserklärung. Die Sache ging bis vor das Bundesverfassungsgericht, das 1992 schließlich aber zu Gunsten der Meinungsfreiheit entschied und der Coordination recht gab.
Der Leverkusener Multi verfügt also über ein reichhaltiges Instrumentarium im Umgang mit Kritiker*innen und anders als von ihm verkündet, entspricht die Art, wie seine jetzige Tochter-Gesellschaft MONSANTO via FLEISHMAN HILLARD den „Dialog“ mit unterschiedlichen Interessengruppen und der Gesellschaft gesucht hat, genau der Art des Hauses.