Während die Belastung der Gewässer durch Schwermetalle und andere Schadstoffe in den letzten Jahren spürbar abgenommen hat, stellt der Pestizid-Eintrag eine zunehmende Gefahr für die Flüsse dar. Dieser Sachverhalt bewog das Landesumweltamt Nordrhein-Westfalen dazu, die Wasser-Verunreinigungen durch die sogenannten „Pflanzenschutzmittel“ genauer zu untersuchen. Das Ergebnis des gerade erschienenen Gewässergüteberichts ist alarmierend: In nahezu allen Oberflächengewässern des Bundeslandes konnten Agrochemikalien nachgewiesen werden.
Pestizide entstanden im Ersten Weltkrieg als Nebenprodukte chemischer Kampfstoffe. Entsprechend gefährlich sind sie für Mensch und Umwelt. Die Substanzen können unter anderem Krebs, Parkinson und Erbgut-Schädigungen auslösen sowie Kopfschmerzen, Muskelkrämpfe und Nervenleiden hervorrufen. In die Gewässer Nordrhein-Westfalens gelangen die Gifte durch den Gebrauch in der Landwirtschaft, Anwendungen im Kleingarten-Bereich und durch die Einleitungen der Pestizid-Produktionsanlagen von Bayer-Dormagen Bayer-Wuppertal. Die vorgeschalteten Kläranlagen müssen die Chemie ungehindert passieren lassen, denn sie verfügen nicht über geeignete Vorrichtungen, um die Gifte zu neutralisieren. In Rhein, Ruhr, Wupper und Emscher bedrohen die Pestizide die Ökosysteme der Flusslandschaften.
Da Trinkwasser in Nordrhein-Westfalen vorwiegend aus Oberflächen-
gewässern gewonnen wird, stellen die Chemie-Cocktails auch die Wasser-Wirtschaft vor ernsthafte Probleme. Schon ein Gramm eines Agrochemie-Wirkstoffes lässt 10.000 Kubikmeter Rheinwasser den vorgeschriebenen Trinkwasser-Grenzwert von 0,1 Mikrogramm pro Liter überschreiten. Die Wasserwerke sind deshalb gezwungen, immense Summen in Aufbereitungssysteme wie Aktivkohlefilter- Anlagen zu investieren. Das Lebenselixier Wasser wird so zu einem immer teureren Gut.
Im Bereich Landwirtschaft gibt es zahlreiche Wege, auf denen die Pestizide in die Oberflächengewässer geraten. Teilweise werden Flüsse einfach mitübersprüht oder dienen als Auffangbecken für die bei der Ausbringung verwehte Agrochemie. Kleinere Mengen der Gifte verdunsten am Boden, steigen auf und regnen beim ersten Niederschlag wieder auf die Flüsse und Bäche ab. Regnet es so stark, dass der Erdboden die Flüssigkeit nicht mehr aufnehmen kann, kommt es zu Oberflächenabflüssen, die die Pestizide in die Gewässer spülen. Dort sammelt sich auch dasjenige verunreinigte Wasser, das Drainagesysteme den Anbauflächen zur Steigerung des Pflanzen-
wachstums entziehen. Nach Angaben des Gewässergüteberichts stellen unter den Agrochemikalien die Unkrautvernichtungsmittel (Fachbegriff: Herbizide) die Hauptproblemgruppe dar, weil sie in den größten Mengen ausgebracht werden. Unter den zehn meistverwandten – und am häufigsten in den Proben nachgewiesenen – Wirkstoffen waren mit Glyphosat, Chlortoluron, Metamitron und MCPA vier Wirkstoffe, die vom Marktführer Bayer hergestellt werden.
Die größte Gefahr für die Gewässer-Qualität bedeuten allerdings die im Heim und Garten-Bereich verspritzten Unkrautvernichtungsmittel. Hier ist das von Bayer hergestellte Diuron unangefochten die Giftquelle Nr.1. Es zählt zu den sogenannten Total-Herbiziden, die im chemischen Rundumschlag allem „Wildwuchs“ den Garaus machen. Die Substanz dringt tief in das Erdreich ein, da sie über die Wurzeln der „Unkräuter“ wirkt und hat eine extrem lange Halbwertzeit. Besonders die Anwendung auf befestigten Flächen wie Gartenwegen, Garagen- Vorplätzen und Parkplätzen führt zu massiven Wasser-Belastungen, denn dort kann das Gift nicht versickern und wird vom Regen in die Kanalisation gespült. Von den Klärwerken aus gelangt es dann in die Flüsse. Das NRW-weite Messprogramm wies Diuron in 73 % aller Wasserproben nach; die mittlere Konzentration lag bei 0,72 Nano-
gramm pro Liter.
Die Pestizid-Produktion in Dormagen und Wuppertal-Elberfeld hat mit ihren Direkt-Einleitungen einen Anteil von 5-10 % an den Agrochemie-
Rückständen. Im – bereits vorbehandelten – Abwasser des Dormagener Werkes fanden die Fluss-Kontrolleure die sieben Wirkstoffe Chlorpropham, Diuron, Metabenzthiazuron, Metamitron, Metribuzin, Pencycuron und Triadimefon. Alle überschritten den zulässigen Trinkwasser-Grenzwert von 0,1 Mikrogramm pro Liter. Triadimefon wurde in allen Proben festgestellt. Die mittlere Konzentration betrug 9,5 Mikrogramm pro Liter; die auf den Tag umgerechnete Proben- Durchschnittsmenge 500 Gramm. In den Einleitungen der Wuppertaler Bayer-Anlage tummelten sich die Wirkstoffe Fenamiphos, Isofenphos, Triadimefon und Triadimenol. Durch die Bank lagen die Mengen über dem Trinkwasser-Grenzwert. Zum höchsten Aussschlag der Messgeräte führte Triadimenol mit einer Konzentration von 44 Nanogramm pro Liter und einem durchschnittlichen Frachteintrag pro Tag von 150-200 Gramm.
Eine verheerende Auswirkung auf das Ökosystem der Wupper hatten 1990 und 1991 zwei Unfälle, bei denen große Mengen Isofenphos und Fenamiphos in den Fluss gelangten. Dies bedeutete das Todesurteil für Wasserflöhe, Kleinkrebse und Insektenlarven und führte laut Gewässergütebericht zu „einer Verödung der Gewässerstrecke von der werkseigenen Kläranlage bis zur Mündung“. Mittlerweile hat sich die Situation durch Produktionsverlagerungen zu Lasten anderer Flüsse und durch technische Maßnahmen etwas gebessert. Aber noch immer ist die Wasserqualität des Fließgewässers nicht gut. In der Güteklassen-Einteilung, die von I-IV reicht, liegt die untere Wupper bei II-III und der Bereich unterhalb der Kläranlage Buchenhofen bei III.
Der Gewässergütebericht enthält zahlreiche Empfehlungen an Bayer, wie die Pestizid-Schäden zu verringern wären. Ein Vorschlag der ExpertInnen ist die Einführung abwasserfreier Herstellungsverfahren oder alternativ die chemisch-physikalische Behandlung der Abwasser-
teilströme. Ein weiterer regt die verbesserte Selbstüberwachung mit anschließender Veröffentlichung der Ergebnisse an. Zudem hält das Landesumweltamt eine Verstetigung der Produktion für geboten. Die en bloc-Herstellung von nur saisonal benötigten Pestiziden führt in den Gewässern nämlich zu Spitzenwerten, die wie chemische Keulen wirken. Auf eine Nachfrage bei der Behörde, ob Bayer die Ratschläge denn beherzigt habe, kommt erwartungsgemäß ein „Nein“ als Antwort. Dafür hätte sich das umweltpolitische Klima zu sehr verändert, so ein Beamter in leicht resigniertem Tonfall. An eine Umwandlung der Empfehlungen in gesetzliche Auflagen möchte er schon gar nicht denken. Trotz der immensen Kosten, die für die Wasserwerke durch die aufwendige Herausfilterung der Schadstoffe entstehen, wird die Politik hier für geraume Zeit keinen Handlungsbedarf sehen.
Nur auf einem Gebiet musste der Hersteller Bayer klein beigeben: Nachdem die Ausbringung von Diuron auf den Gleisanlagen der Bahn AG schon seit längerer Zeit untersagt ist, beugte sich der Konzern dem anhaltenden öffentlichen Druck und kündigte an, das Produkt künftig nicht mehr für den Kleingarten-Bereich anzubieten. Im Obstbau bleibt Diuron aber zum Leidwesen der Flüsse weiter im Einsatz.
Der Gewässergütebericht gibt einen erschreckenden Einblick in die Wasser-Verunreinigungen durch Pestizide. Die Schadensbilanz ist umso alarmierender, als sie gar nicht das ganze Ausmaß der Agrochemie-Vergiftungen aufzeigt. Die Auswirkungen von Insektiziden vernachlässigte der Bericht ebenso wie die von Schwebstoffen und Sedimenten als Pestizid-Bestandteile. Nicht untersucht wurden auch die Direkt-Einleitungen von Pestizid-Vorprodukten aus den Formulierungsbetrieben. Den Folgen, die die Gift-Frachten für die Kleinstlebewesen der Flüsse haben, ging die Behörde ebenfalls nicht systematisch nach. Was also genau so alles im Fluss ist, weiß niemand.