Aktion gegen GenFood
Coordination übergibt im Reichstag 12.000 Unterschriften – mit Mühe
„Herr Ostendorff, gehen Sie zum Südeingang, ich hole Sie dort ab“, sagte die Mitarbeiterin von Herta Däubler-Gmelin, kurz: HDG, Vorsitzende des Bundestagsausschusses für Landwirtschaft und Ernährung. Zum Glück, habe ich gedacht, als ich dort zusammen mit Janis Schmelzer, unserem Historiker aus dem Beirat der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) ankam. Denn hier warteten nicht – wie vor dem Hauptportal, also dort, wo „Dem deutschen Volke“ steht – Hunderte von schaulustigen Reichstagsbesuchern in einer endlosen Schlange auf Einlass. Wir hatten uns dort zuvor bei strahlendem Sonnenschein wirksam in Pose gesetzt, mit einem Transparent, auf dem steht: „Stoppt BAYER-Gentechnik“.
Also, vor dem Südeingang. Hinter einer Panzerglasscheibe sitzen blau-uniformierte Sicherheitskräfte. „Hier kommt nur rein, wer angemeldet ist“, sagt einer im scharfen Ton zu mir. „Aber wir sind angemeldet“, protestiere ich. Doch das könne nicht sein, so die Entgegnung, unsere Namen stünden nicht auf seinen Zetteln. Ich rufe im Büro von HDG an. Die Mitarbeiterin komme, wir sollen draußen warten. Dann ist sie da. Wir tauschen Pässe gegen Besucherausweise, gehen durch die Schleuse, werden abgetastet, unsere Sachen werden kontrolliert, laufen über ein Röntgenlaufband. Unser Plakat, eine großkopierte notarielle Urkunde, auf der fast 12.000 Unterschriften gegen Genfood bestätigt werden, dürfen wir aus unersichtlichen Gründen nicht mitnehmen. Aber wir selbst dürfen passieren, zunächst. „O.k., Sie können durch“, heißt es gnädig. Wir folgen der HDG-Mitarbeiterin, doch nach ein paar Schritten ist Schluss. Hektisch kommt ein Polizist in Grün auf uns zu. „Sie dürfen hier nicht rein.“ Warum nicht, sagt er nicht, nur: „Befehl von oben!“ Ich dachte, diesen Spruch gäbe es seit langer Zeit nicht mehr. Wir werden wie Verbrecher rausgeschickt. „Sie können die Urkunde draußen, vor der Tür, übergeben“, sagt der Polizist. Natürlich nicht die vergrößerte, die bleibt konfisziert. Also gut, die Mitarbeiterin der Ex-Justizministerin ruft ihre Chefin an. Wir spekulieren über die Gründe unseres Rausschmisses. Steckt Verfassungsschutz dahinter? Unterdessen ruft die evangelische Presseagentur an, will Infos. Ich argumentiere: Gentechnik verdrängt natürliche Sorten, bringt Bauern in die Abhängigkeit der Konzerne, verschärft die Armut und ruiniert die Gesundheit. Da kommt Herta Däubler-Gmelin, sichtlich verärgert. „Wo ist denn der Ostendorff?“ Ich gehe lächelnd auf Sie zu, stelle mich vor. „Nein, nein, sagt sie, der Ostendorff, wo ist der Ostendorff?“ Ich beginne zu begreifen. Sie meint nicht mich, sondern den Namensvetter und grünen Abgeordneten und Landwirt Friedrich Ostendorff, der Mitglied bei der CBG ist und mir empfohlen hatte, die Unterschriften bei Frau Däubler-Gmelin abzugeben. Dies hatte ich bei der telefonischen Bitte um einen Termin erwähnt. Ich kläre den Sachverhalt auf und will schon die Urkunde überreichen, als die bekannte Politikerin an der Personenkontrolle vorbei hechtet und schimpft, dass man so nicht mit ihrer Zeit umgehen könne. Sie ist verständlicher Weise sauer, dass man sie hat herunterkommen lassen. Wortstark setzt sie durch, dass wir nun doch rein dürfen – nach erneuter Personenkontrolle.
Oben, im zweiten oder dritten Stock, im Foyer, setzen wir uns auf eine Ledercouch, ich links, Janis rechts, die Ausschussvorsitzende in der Mitte. Wir überreichen die Urkunde und erzählen HDG von der CBG. Sie zeigt sich sehr interessiert, fragt nach unserem persönlichen Engagement. Janis berichtet, er sei promovierter Historiker, der vor allem zur IG FARBEN forscht und überreicht sein neustes Buch. Ich erzähle von den Anfängen der Coordination in Wuppertal, von unseren Kampagnen, der kritischen Aktionärstätigkeit auf den Hauptversammlungen. Frau Däubler-Gmelin hört freundlich zu, ihre Verärgerung ist völlig gewichen, sie ist professionell und nett. Ein Foto durften wir leider nicht machen, doch ihre Mitarbeiterin hat dann doch einige (nicht allzu gute) Erinnerungsschnappschüsse mit unserer mitgebrachten Digitalkamera aufgenommen.
Im Foyer hängt ein großformatiges Bild der berühmten Künstlerin Katharina Sieverding, das ich sehr bewundere. Zuvor hatte ich im Treppenhaus schon Arbeiten von Georg Baselitz gesehen. Wir erfahren, dass es eigens Kunstführungen durch den Reichstag gibt. Frau Däubler-Gmelin hat nun keine Zeit mehr, doch ihre Mitarbeiterin darf uns noch in den Andachtsraum, den ZERO-Star Günther Uecker gestaltet hat, führen. So endet unsere Unterschriftenaktion bei Nagelkunstwerken jenes Mannes, der sich stets gegen die Verletzung des Menschen durch den Menschen künstlerisch eingesetzt hat und dies heute immer noch tut. Ein gutes Omen gegen den Genwahn? Ich weiß es nicht. Auf jeden Fall aber ein Vormittag, der die Gefahren dieser neuen Technik, bei der der BAYER-Konzern Vorreiter ist, erneut ins öffentliche Bewusstsein gebracht hat.
Hubert Ostendorf