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Gegen Konzern-Macht anschreiben

Marius Stelzmann

Die CBG-Jahrestagung 2023

2023 feiert das Stichwort BAYER seinen 40. Geburtstag. Die Coordination gegen BAYER-Gefahren nahm das zum Anlass, ihre Jahrestagung dem Schreiben gegen Konzerne im Allgemeinen und dem gegen BAYER im Besonderen zu widmen und auch das Pendant zu dieser Gegenöffentlichkeit in den Blick zu nehmen: den medialen Mainstream.

Von Jan Pehrke

„Konzern-Macht unter der Lupe – 40 Jahre Stichwort BAYER“ – so lautete der Titel der diesjährigen Jahrestagung der Coordination gegen BAYER-Gefahren (CBG). Eine Selbstfeier war jedoch nicht angestrebt. Die Coordination nahm den runden Geburtstag ihrer Zeitschrift vielmehr zum Anlass, auf der Veranstaltung im Düsseldorfer Stadtteil-Zentrum Bilk allgemeiner über das Schreiben gegen BAYER & Co. zu diskutieren und dabei als Bezugsgröße auch den Gegenpol, den medialen Mainstream, in den Blick zu nehmen.

Der Kölner Publizist Werner Rügemer hat dessen Meinungsmacht bereits mehrfach am eigenen Leib zu spüren bekommen. Von 25 Klagen mit dem Ziel, ihn mundtot zu machen, berichtete er. Fünf Mal zog er selbst vor Gericht. Gegen den Kölner Stadtanzeiger etwa bemühte er wegen Urheberrechtsverletzung und Rufschädigung die AnwältInnen, weil die Redaktion in seinen Artikel zum Abwassersystem der Stadt nicht weniger als 82 Eingriffe vorgenommen hatte. In den allermeisten Fällen bekam Rügemer recht. Es erfuhr nur niemand – still ruhte der Blätterwald.

Eigentlich blieben da schon kaum mehr Fragen zum kapitalistischen Strukturwandel der Öffentlichkeit offen, aber Werner Rügemer holte noch weiter aus und lieferte eine kleine Geschichte der Medien seit 1945 nach. Während die kommunistischen Blätter umgehend ein Verbot ereilte, gewährten die Alliierten Publikationen wie Spiegel, Stern und Zeit, in deren Redaktionen es vor Alt-Nazis bald nur so wimmelte, großzügig Lizenzen. Und wenn eine Zeitung dann doch einmal leer ausging, da sie es 1933 ff. zu arg getrieben hatte wie etwa die Frankfurter Zeitung, dann sorgten interessierte UnternehmerInnen-Kreise für einen Neuanfang. Mittlerweile unterhalten die Konzerne „Medien-Partnerschaften“, Google zum Beispiel mit Faz, Spiegel und Zeit. Die Medien in Deutschland sind „seit Beginn nicht der Wahrheit verpflichtet, sie sind im Prinzip den Kapital-Interessen verpflichtet“, so Rügemers Resümee. Eine eigene Medien-Präsenz, wie die CBG sie mit dem Stichwort Bayer zeigt, ist deshalb seiner Ansicht nach unabdingbar.

Nach der anschließenden Diskussion schob die CBG einen Aktivismus-Block ein, der über Mitwirkungsmöglichkeiten informierte. Sie zeigte zur Anregung Videos von den letzten Hauptversammlungsprotesten und klärte dann erst einmal die Basics: Wie sieht es mit dem Zeitbudget der Einzelnen aus? Müssen MitstreiterInnen aus der Region stammen? Nutzt die Coordination die richtigen Kanäle zur Information? Dann wurde es konkreter. Die Gespräche drehten sich um potenzielle Ansatzpunkte für politische Interventionen in Nordrhein-Westfalen, aber auch darum, welche Optionen zur Unterstützung bestehen, wenn der Wohnort weiter entfernt liegt. Die Notwendigkeit einer besseren Vernetzung erkannten fast alle an, und ein Öko-Landwirt, der in Brasilien Flächen bewirtschaftet, bekundete sogar, von der Arbeit der CBG wichtige Anregungen mit nach Lateinamerika zu nehmen. Am Ende der Runde setzten zur Freude der CBG viele ihren Namen auf die Liste mit InteressentInnen für Aktionen.

Die begonnenen Gespräche konnten dann beim Mittagessen fortgesetzt werden, denn dieses Mal brauchten die Besucher-Innen sich nicht auswärts zu verpflegen und sich dazu in alle Himmelrichtungen zu zerstreuen. Die Coordination bot im Stadteil-Zentrum Bilk nämlich selbst eine Mahlzeit an, um mehr Angebote für ein zwangloses Miteinander und Austausch zu schaffen.

Frisch gestärkt ging es dann zum Nachmittagsteil der Jahrestagung. Dieser wurde mit einem musikalischen Beitrag eingeleitet: Lars-Ulla Krajewski brachte dem Stichwort Bayer ein Geburtstagsständchen. „Des Widerstandes Säule/ Und für das Greenwashing die Keule/ der Grund für diese Feier/ Ist Stichwort BAYER“ hieß es in ihrem Lied unter anderem.

Eine Säule des Widerstands ist auch der Berliner Journalist Peter Nowak. Seit Jahr und Tag schon schreibt er für verschiedene linke Blätter. Von diesem Erfahrungsschatz zehrte das Urgestein der engagierten Publizistik an diesem Samstag aber nicht. Er hielt stattdessen ein Plädoyer für eine Art Barfuß-Journalismus.

Zunächst jedoch schilderte Peter Nowak seinen persönlichen Werdegang. Er charakterisierte sich als einen der Anti-Atomkraftbewegung entstammenden Graswurzel-Journalisten, der sich an die Unparteilichkeit als Berufsethos nie gebunden fühlte. Eine JournalistInnen-Schule hat Nowak nie von innen gesehen. Ein Manko stellt das in seinen Augen keinesfalls dar. KollegInnen, die dort ihr Handwerk inklusive der Verpflichtung auf das Ideal der Objektivität lernten, fehlt ihm zufolge nämlich allzu oft der Zugang zu den Lebensrealitäten, was häufig zu unzutreffenden Einschätzungen führt.

Nähe stellt für Peter Nowak keine journalistische Grenzverletzung dar, im Gegenteil. Er ging sogar noch weiter und plädierte dafür, sich als Schreiber zurückzunehmen und lediglich als Ermutiger und Lautsprecher zu fungieren – bis zur Selbstaufgabe. Als Spielarten dieser Formen der Gegenöffentlichkeit nannte er das Internet-Portal Indymedia, das seine Anfänge in der globalisierungskritischen Bewegung nahm und ihr bloß eine Plattform bieten wollte. TierschützerInnen, die in Ställe eindringen und die dortigen Missstände auf Video dokumentieren, begriff er ebenfalls als Nachrichten-Produzenten.

Überdies erinnerte Nowak an die in den 1970er Jahren entstandene betriebliche Gesundheitsbewegung, die in die Fabriken hineinging und die Beschäftigten in den Stand von ExpertInnen des Alltags hob. Ein Problem mit der Wahrheit warf die Parteilichkeit nach Ansicht des Referenten nicht auf, mussten die AktivistInnen um Wolfgang Hien doch immer juristische Schritte von Seiten der Firmenleitungen befürchten und entsprechend faktensicher agieren. Die Arbeiterkorrespondenz und andere Betriebszeitungen führte Nowak als zusätzliche Beispiele auf und aus der Literatur die „Bottroper Protokolle“ von Erika Runge sowie die schreibenden ArbeiterInnen des „Werkkreises Literatur der Arbeitswelt“. „Wir sind das Medium“ – mit diesem Ansatz gewann Peter Nowak dem Thema ganz neue Aspekte ab.

Den Abschluss der Jahrestagung durfte dann das Stichwort BAYER bilden. Der Autor dieser Zeilen warf einen Blick zurück auf die Anfänge des Magazins im Dezember 1983. Fünf Jahre nach ihrer Gründung dämmerte es der Coordination, dass Aktionen nicht genügen, sondern dass es eines eigenen Organs bedarf, um sich Gehör zu verschaffen. Auf bescheidene acht Seiten brachte es der damalige rundbrief, Fotos gab es keine, und als Gestaltungsmittel mussten Schere, Kleber und Letraset dienen. So antiquiert das Erscheinungsbild aus heutiger Sicht wirkt, so gegenwärtig kommt das Heft daher, wenn es um den Inhalt geht, betonte Pehrke. Wasserverschmutzung, PCB, Menschenversuche in der Pharma-Forschung, Störfälle – diese Themen beschäftigen das Stichwort BAYER noch immer, was ein Licht auch auf die Entwicklung – oder besser gesagt: Nicht-Entwicklung – der chemischen Industrie wirft.

Heutzutage hat das SWB zumeist 32 Seiten und zudem mit dem Ticker noch eine 12-seitige Beilage für Kurzmeldungen.  Allein die Berichterstattung über die Aktionärsversammlungen nimmt regelmäßig fast ein ganzes Heft ein, während die Rest-Presse zumeist nur den Worten der jeweiligen Großen Vorsitzenden lauscht und sich ansonsten bloß für die Geschäftszahlen interessiert. Nicht ihre einzige Unterlassungssünde, aber ein besonders schlagendes Beispiel für die Pflege der journalistischen Landschaft durch BAYER. Mehr als 500 Beschäftigte setzt der Agro-Riese darauf an. Die ÖffentlichkeitsarbeiterInnen kümmern sich um den Aufbau exklusiver Journalisten-Zirkel, das Reputationsmanagement und die Schaffung von Informationskanälen wie dem Science Media Center, die wohlwollende Veröffentlichung über strittige wissenschaftliche Fragen zu Gentechnik, Glyphosat & Co. garantieren. Und neben diesen „konstruktiven“ Maßnahmen steht dem Unternehmen noch ein ganzes Arsenal von destruktiven zur Verfügung, wenn es um die Ausschaltung von Konzern-Kritik geht. Sie reichen von Anzeigen-Entzug über Interventionen bei Redaktionen und Beschwerden beim Presserat bis hin zu Klagen, führte Pehrke aus.

Und gegen diese Konzern-Macht schreibt das Stichwort seit nunmehr 40 Jahren an. Ohne Unterstützung, besonders durch den „Stichwort BAYER“-Förderkreis, wäre das nicht möglich gewesen, hob der Journalist hervor. Darum dankte er für die Hilfe und wünschte sich zum Geburtstag noch ein paar Förderer mehr.

Nach seinem Beitrag entspann sich wieder eine lebhafte Debatte, die dem SWB für die nächsten 40 Jahre den Rücken stärkte. Auch sonst zog die CBG ein positives Fazit der Jahrestagung. Sie wollte es 2023 ein wenig anders machen als in den früheren Jahren und sah das auch gut angenommen, wenngleich an ein paar Stellschrauben sicher noch gedreht werden muss. ⎜

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