Durchhängen in Wuppertal
Bei der Bundesgartenschau 2031 in Wuppertal will die Stadt mit einer besonderen Attraktion aufwarten: einer Hängebrücke mitten über das BAYER-Gelände. Über mögliche Risiken schweigt sich die Stadt lieber aus. Dementsprechend kommt von Bürgerinitiativen, der Linkspartei und von Umweltverbänden Kritik.
Von Max Meurer
Wenig war die letzten Jahre in Wuppertal kommunalpolitisch so umstritten wie die geplante Bundesgartenschau 2031. Laut waren und sind die Diskussionen in der Stadt, diverse Bürgerinitiativen arbeiten gegen die geplante Bundesgartenschau, und bei einer Bürgerbefragung 2022 hat sich nur ein Fünftel der BürgerInnen für eine solche ausgesprochen. Ein bisschen weniger waren explizit dagegen, und ein Großteil hat sich überhaupt nicht beteiligt. Zudem machten Umweltbündnisse Einwände geltend.
Die vier größten Ratsfraktionen aber (SPD, CDU, Grüne und FDP) entschieden sich trotzdem für die Bundesgartenschau (BUGA) und übergingen die Diskussion damit de facto. Doch warum sind die Kontroversen so groß? Was spricht gegen die Bundesgartenschau? Und warum soll eine Hängeseilbrücke aufgehängt werden, bzw. gerade nicht? Einerseits geht es hier um finanzielle Fragen. So geht der Pfarrer im Ruhestand Manfred Alberti, der auf seinem Blog alle Kritik zur BUGA zusammenträgt, von Kosten um die 150 Millionen Euro aus, davon rund 70,9 Millionen Euro als voraussichtlicher Mindesteigenbetrag von Wuppertaler Seite. Mensch wird sich nun mit Recht fragen: Wofür soll das ganze Geld denn ausgegeben werden? Unter anderem für eine Hängebrücke, die mit rund 15 Millionen Euro zu Buche schlägt. Sie soll sich dabei von der Kaisers- bis zur Königshöhe erstrecken, rund 700 Meter lang sein und – das ist der spannende Knackpunkt – über das Gelände des Wuppertaler BAYER-Werkes führen.
Groß sind hier die Erwartungen zur vermeintlichen Wirkung der Hängebrücke, einige Verantwortliche kommen ins Schwärmen. So wird Michael Gehrke, der Stabstellenleiter für Freiraumentwicklung und Stadtökologie, in der Westdeutschen Zeitung wie folgt zitiert: „Die angedachte Hängebrücke wird das Bild und das Image von Wuppertal nochmals nachhaltig verbessern.“
Viele Fragen
Derartigen rhetorischen Höhenflügen setzt die Linksfraktion durch ihre Anfragen-Arbeit Grenzen. Sie wirft beispielsweise die Frage auf, ob eine Hängebrücke über das Gelände eines Chemieunternehmens wirklich eine gute Idee ist oder ob sie nicht gegen die Seveso-III-Richtlinie verstößt. Die erste dieser Richtlinien hat die Europäische Union nach der Explosion eines Chemie-Werkes im italienischen Seveso erlassen. Eine Vernachlässigung von basalen Sicherheitsvorschriften in der Fabrik einer ROCHE-Tochterfirma führte damals zu der Katastrophe. Mehrere hundert Menschen erlitten schwere Verletzungen; unzählige andere machten die ins Freie gelangten Stoffe erst später krank. Noch mehr Personen mussten ihre Häuser und Wohnungen lange Zeit aufgeben. Darüber hinaus starben über 3.000 Tiere. Auf mehr als 1.800 Hektar Land verteilten sich die Gifte.
Mit den Richtlinien zog die EU die Lehre aus solchen Unglücken. Die Bestimmungen finden immer dort Anwendung, wo Unternehmen Chemikalien produzieren und wo diese in der Umwelt nachweisbar sind. In Wuppertal ist das zum Beispiel am alten, 2018 stillgelegten, Heizkraftwerk direkt neben dem BAYER-Gelände, der Fall. Eine Nutzung als Freizeitobjekt scheiterte mit Verweis auf die Seveso-Richtlinien, nicht zuletzt wegen der Nähe zum Werk des Chemie-Multis.
Die Anfrage der Partei „Die Linke“, ob diese Richtlinien nicht auch für die Hängebrücke gelten müssten, da diese ja über das Werksgelände und das alte Heizkraftwerk führe, beantwortete die Stadtverwaltung ausweichend damit, dass nicht klar sei, ob die Hängebrücke einem Freizeitgebiet zuzuordnen ist oder einen wichtigen Verkehrsweg darstellt. Träfe beides nicht zu, kämen die Richtlinien auch nicht in Betracht. Außerdem, so die Verwaltung zynischerweise, seien auf der Brücke ja maximal 600 Leute gleichzeitig von den möglichen Auswirkungen der Schadstoffe betroffen.
Die Linkspartei stellt dazu in ihrer Anfrage fest: „Die Fa. BAYER ist aufgrund der Betriebsgenehmigung und der im Betrieb eingesetzten Gefahrstoff-Mengen ein Störfallbetrieb im Sinne der 12. Bundesimmissionsschutzverordnung. Gemäß Art. 13 Seveso-III-Richtlinie müssen bei der Aufstellung eines Bebauungsplans zwischen einer schutzbedürftigen Nutzung und einem Störfallbetriebsbereich angemessene Sicherheitsabstände gewahrt werden. […] Der erforderliche Abstand zwischen einem Störfallbetriebsbereich und einer empfindlichen Nutzung, wie das geplante Projekt, ergibt sich rechnerisch nach den Regelungen des Leitfadens KAS-181 als Stand der Technik.“ Dann listet die Anfrage diejenigen schutzbedürftigen Nutzungen auf, für die nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz ein Abstandsgebot gilt. Neben den Freizeitgebieten und wichtigen Verkehrswegen sind das Wohnsiedlungen, öffentliche Gebäude und Gebiete sowie Naturschutz-Regionen. Das Resümee der Partei: „Die geplante Nutzung des Kraftwerkareals als Multiservice-Standort ist eindeutig als schutzbedürftige Nutzung (öffentlich genutztes Gebäude/Gebiet) einzustufen, so dass im Rahmen der Bauleitplanung der angemessene Sicherheitsabstand beachtet werden muss.“ Auch eine Anleitung für das weitere Vorgehen existiert der Anfrage zufolge: „Die Stadt Wuppertal hat 2014 eine Begutachtung aller im Stadtgebiet vorhandenen Störfallbetriebe vornehmen lassen. Hierbei wurden die angemessenen Sicherheitsabstände nach KAS-18 Leitfaden ermittelt.“
Risiken & Nebenwirkungen
Die Zahlen liegen also vor, sie sind der Stadt bekannt, nur Aussagen darüber, ob die Brücke in den immerhin bis zu 850 Meter weiten Schutzradius fällt, tätigt sie nicht. Die Verwaltung zog sich lediglich darauf zurück, dass „die Belange des Störfallschutzes Beachtung“ fänden und dass man die Brücke nicht direkt über das Werk bauen wolle.
Nichts Genaues weiß man also nicht und will es auch nicht mitteilen. Dabei spielt natürlich auch das Stadtmarketing eine Rolle. So twitterte der vermeintlich „grüne“ Oberbürgermeister Wuppertals, Uwe Schneidewind, am Tag nach der Ratsabstimmung: „Damit schaffen wir einen Katalysator und ein Schaufenster für die Entwicklung Wuppertals in den 20er-Jahren – in den Bereichen Klima, Kreislaufwirtschaft, Mobilität und Stadtentwicklung.“ Und auch der BAYER-Konzern, dessen Werk im Wuppertaler Stadtteil Elberfeld dieses Jahr 157 Jahre alt wird, erhofft sich vermutlich eine Imagepolierung durch das Prestige-Projekt – mit Industriechic und einer Hängebrücke über den romantischen alten Industrieanlagen, in denen unter anderem mit den Gefahrenstoffen Ammoniak, Acrolein, Thionylchlorid, Chlor und leicht entzündlichen Flüssigkeiten hantiert wird.
Die Frage, was passiert, wenn was passiert, stellen sich die Verantwortlichen offensichtlich ungerne. Dabei ist die Störfall-Liste lang. Die letzte Beinahe-Katastrophe ereignete sich im Januar 2019, als 280 Kilo Chinolon-Carbonsäure austraten. Die Explosion vom Sommer 1978 gab sogar den Anstoß zur Gründung der CBG. Und Kontroversen um Gartenschauen sind dem Konzern auch nicht fremd. So rief die Landesgartenschau, die 2005 in Leverkusen stattfand, massive Proteste hervor, weil die Blumen ausgerechnet über der ehemaligen Giftmüll-Deponie des Chemie-Multis erblühten.
Es bleibt zu hoffen, dass die GegnerInnen der Hängebrücke die Gefahren für die öffentliche Sicherheit weiterhin in den Fokus der Diskussion stellen werden. Das Bündnis ist breit genug, der Widerstand kommt aus allen Richtungen, und auf Dauer wird der Rat nicht am Bevölkerungswillen vorbeiregieren können. ⎜