BAYERs Brüsseler Lobby-Aktivitäten
In Deutschland gilt seit dem 1. Januar 2022 nicht nur das Gesetz zur Einführung eines Lobbyregisters. Seit August letzten Jahres ist hierzulande auch die Registrierung in das EU-weite „verbindliche Transparenzregister“ mehr oder weniger verpflichtend geworden – soweit es sich um Interessenverbände und ihre „VermittlerInnen“ handelt. Der Eintrag der BAYER AG birgt zwar interessante Hinweise, lässt jedoch vieles im Dunkeln.
Von Uwe Friedrich
Einflussreiche Interessensverbände dirigieren in Brüssel die Politik der Europäischen Union. Ob es um Umweltprogramme wie den Green Deal, Freihandelszonen, Sozialgesetze oder Privatisierungen geht, überall tragen die entsprechenden Verordnungen aus Brüssel die Handschrift der industriellen Lobbygruppen. Das zentralisierte politische System der EU ist ein idealer Platz für Lobbyorganisationen: Weitreichende Beschlüsse werden in Geheimverhandlungen von kaum bekannten Gremien gefällt, EntscheidungsträgerInnen wie die EU-KommissarInnen müssen sich keinen Wahlen stellen, die öffentliche Aufmerksamkeit ist relativ gering und persönliche Kontakte zu PolitikerInnen zahlen sich in der Regel rasch aus. Kein Wunder, dass allein in Brüssel im Jahr 2021 geschätzt 35.0000 LobbyistInnen aktiv waren – 25.000 mehr als noch in 1998. Damals hatte Stichwort BAYER bereits umfassend über das „Europa der Konzerne“ berichtet.
Konzernlobby in Brüssel
In Vereinigungen wie dem European Roundtable of Industrialists (ERT) oder dem exklusiven „Trans-Atlantic Business Dialogue“ (TABD) wurde zu dieser Zeit hinter verschlossenen Türen unter anderem das Multilaterale Abkommen über Investitionen (MAI) verhandelt. Dem 1983 gegründeten ERT gehören rund 50 Vorstandsvorsitzende von europäischen Multis an. Bei regelmäßigen Treffen mit EntscheidungsträgerInnen werden politische Rahmenbedingungen und Strategiepapiere diskutiert, insbesondere mit den amtierenden Präsident*innen der Europäischen Kommission. Für die Ausarbeitung von Detailfragen gibt es ein ganzes Bündel von weiteren Lobbygruppen, die dem ERT nahestehen und die von fertig formulierten Vorschlägen für Gesetzestexte bis zu Einzelgesprächen mit Abgeordneten alle Möglichkeiten der Beeinflussung ausnutzen. Die wichtigste dieser befreundeten Gruppen ist die europäische Arbeitgeberorganisation „Union of Industrial and Employers´ Confederation of Europe“ (UNICE), ihre VertreterInnen sind bei praktisch jeder Diskussion zu europa-relevanten Themen vertreten, legen detaillierte Gesetzesentwürfe vor und bombardieren Abgeordnete und PressevertreterInnen mit Stellungnahmen. Ein weiterer direkter Ableger des ERT ist das „World Business Council for Sustainable Development“ (WBCSD), das sich selbst als das „grüne Gewissen“ der Industrie bezeichnet. Dort sind 125 Multis vertreten, die offiziell das Ziel verfolgen, nachhaltige Entwicklung und Umweltschutz voranzutreiben. In der Realität werden jedoch unverbindliche Selbstverpflichtungserklärungen der Industrie, stärkeres Wachstum und Deregulierungen propagiert. Eine enge Zusammenarbeit gibt es mit der Weltbank und der Welthandelsorganisation WTO.
Das Lobbyregister
Bemühungen, dies zu ändern und den Einfluss von LobbyistInnen offenzulegen, waren bislang maximal halbherzig. So enthielt das 2008 erstmalig geschaffene freiwillige Lobbyregister der EU-Kommission lange Zeit geschätzt nicht einmal die Hälfte der in Brüssel aktiven AntichambriererInnen. Deshalb haben EU-Kommission und EU-Parlament im Juni 2011 nach zweijähriger Verhandlungsdauer ein neues, gemeinsames Lobbyregister unter dem offiziellen Titel „Transparenzregister“ eingeführt. Der Eintrag darin war jedoch nach wie vor freiwillig, die Einflussnahme auf EU-BeamtInnen blieb also weiterhin überwiegend verborgen.
Was hat sich seitdem geändert? In Deutschland wurde lange um ein Lobbyregister gerungen. Seit dem 1. Januar 2022 ist das im März 2021 beschlossene Gesetz zur Einführung eines Lobbyregisters für die Interessenvertretung gegenüber dem Deutschen Bundestag und der Bundesregierung nun in Kraft getreten. In das Lobbyregister müssen sich alle natürlichen Personen und Organisationen eintragen, die Kontakt zu Mitgliedern des Bundestages oder der Bundesregierung aufnehmen, um Einfluss auf politische Prozesse zu nehmen, oder die solche Tätigkeiten in Auftrag geben.
Auf europäischer Ebene hat das EU-Parlament am 27. April 2021 einer inter-institutionellen Vereinbarung mit dem Rat und der EU-Kommission über ein verbindliches Transparenzregister zugestimmt. Immerhin ist dadurch mit einigen Neuerungen zu rechnen: Zum einen sind viele (nicht alle) im Transparenz-Register hinterlegten Angaben öffentlich zugänglich, sodass sich jede/r über die sogenannten „Registrierten“ und deren Ziele und finanziellen Hintergründe informieren kann. Die Eintragung in das Transparenz-Register ist die Voraussetzung dafür, dass Lobbygruppen bestimmte „abgedeckte“ Tätigkeiten“ ausüben können. Und schließlich unterwerfen sich die Registrierten einem Verhaltenskodex, „dessen Regeln und Grundsätze zu einer transparenten und ethischen Interessenvertretung beitragen sollen“.
Das Transparenzregister unterscheidet zwischen „Interessenvertretern“, die ihre eigenen Interessen oder die gemeinsamen Interessen ihrer Mitglieder vertreten, und sogenannten „Mandant-Vermittler-Beziehungen“. VermittlerInnen (oder „Mittler“) sind InteressensvertreterInnen, welche die Interessen der MandantInnen durch die Ausübung der abgedeckten Tätigkeiten fördern – zum Beispiel, indem sie den MandantInnen exklusiven Zugang zu PolitikerInnen oder Daten verschaffen oder indem sie Studien erstellen oder Kommunikationsleistungen anbieten. Diese Unterscheidung spielt vor allem bei den im Register anzugebenden Finanzinformationen eine Rolle.
Registrierungspflichtig sind Tätigkeiten, „die mit dem Ziel durchgeführt werden, auf die Formulierung oder Umsetzung von Politik oder Rechtsvorschriften oder auf die Entscheidungsprozesse von Parlament, Rat oder Kommission oder anderen Organen (…) der EU Einfluss zu nehmen.“ Dazu zählen u. a. informelle Treffen und Konsultationen sowie öffentliche Veranstaltungen, aber auch die Organisation von Kommunikationskampagnen, Plattformen und Netzwerken. Zudem sind die Erstellung oder Beauftragung von Strategie- und Positionspapieren, Abänderungen, Meinungsumfragen, offenen Briefen und anderem Kommunikations- oder Informationsmaterial registrierungspflichtig.
Interessant sind wie immer die Ausnahmen: Denn von der Registrierungspflicht ausgenommen sind etwa Rechts- und sonstige professionelle Beratungen der Registrierten durch Dritte. Das Heer der industrienahen Kanzleien und Unternehmensberatungen kann sich deshalb sicher sein, durch diese Ausnahmeregelung weiterhin diskrete Aufträge bearbeiten zu können. Zu den Ausnahmen zählen auch spontane Treffen oder „Treffen mit rein privatem oder gesellschaftlichem Charakter“.
Und BAYER?
Die BAYER AG ist seit 2014 im EU-Transparenzregister unter der ID Nummer „3523776801-85“ aufgeführt. Die Regis-trierung ist einigen Politikbereichen zugeordnet, die das BAYER-Kerngeschäft und dessen politische Rahmenbedingungen betreffen; z. B. pharmazeutische, Pflanzenschutz-, Saatgut- und Unternehmensgesetze und -vorschriften sowie die Politik in den Bereichen Handel, Industrie, geistiges Eigentum, Umweltschutz, Chemikalienpolitik, Agrarpolitik, Digitalpolitik, Steuern, Innovation und Forschung, Entwicklungspolitik und Pestizidvorschriften. 38 entsprechende EU-Gesetzesvorhaben bzw. Abänderungen und Programme werden dazu aufgelistet. Sie reichen von der „Nachhaltigen Produkt-Initiative“ bis zur Verordnung Nr. 396/2005 über Höchstgehalte an Pestizidrückständen in oder auf Lebens- und Futtermitteln pflanzlichen und tierischen Ursprungs – natürlich ohne Informationen über konkrete Ziele und Zielpersonen der Lobbyarbeit. Sehr interessant, und an Position Nr. 8: BAYER bemüht(e) sich im genannten Rahmen natürlich auch um eine Überprüfung der Glyphosat-Rückstandshöchstgehalte.
Die offiziellen Treffen von BAYER mit Kommissionsmitgliedern werden als Liste seit 2015 aktualisiert, enthalten jedoch jährlich nur zwischen fünf und zehn Termine – die notwendigen „Vorarbeiten“ und eigentlichen Verhandlungen dürften hinter verschlossenen Türen stattfinden.
Offizielle Gespräche führte BAYER beispielsweise im 4. Quartal 2021 mit Frans Timmermans, dem Vizepräsidenten der Kommission, zum European Green Deal oder mit Roberto Viola, Generaldirektor Kommunikationsnetze, über Inhalte und Technologien zu Gesundheitsdaten. Schwerpunkte der bisherigen Treffen waren neben den genannten Themen – wie zu erwarten – „Gesundheits- und Ernährungssicherheit“ sowie „Landwirtschaft“.
BAYER gibt an, dass unter Leitung von Max Müller insgesamt 74 Personen die Konzerninteressen in Brüssel vertreten oder in ihrem Auftrag handeln würden (aufgeschlüsselt in Prozent der Arbeitszeit). Aufgezählt werden auch die direkten Mitgliedschaften des Konzerns in europäischen Vereinigungen wie Business Europe, dem „European Chemical Industry Council“ (CEFIC), CropLife Europe (CLE), Euroseeds, Cosmetics Europe, DIGITALEUROPE, dem „European Justice“ Forum und „Food Supplements Europe“.
Spannender wird es dann im finanziellen Teil des Registers: So werden für das abgeschlossene Geschäftsjahr die Repräsentationskosten für die sogenannten „Mittler“ – Einzelpersonen wie Vereinigungen – angegeben. Die Kostenangaben umfassen allerdings grobe Summen oder Summen-Kategorien; auch die Begünstigten werden nicht detailliert aufgeführt.
Hauptzuwendungsempfänger in dieser Liste ist die RUD PEDERSEN GROUP mit Sitz in Berlin, ein führendes europäisches Beratungsunternehmen mit Spezialisierung auf Public Affairs. Sein Credo: „Wir stellen sicher, dass unsere Kunden die Auswirkungen von Regulierung und politischen Entscheidungen auf ihre Organisationen verstehen und arbeiten mit ihnen darauf hin, sich innerhalb des politischen und gesellschaftlichen Systems optimal aufzustellen. Wir vermitteln unseren Kunden ein tiefgründiges Verständnis der politischen Debatte, der Prozesse und den Entscheidungsträgern, die diese vorantreiben.“ Und: Sie werden „in der Lage zu sein, neue regulierungsanfällige Bereiche vorherzusagen, zu antizipieren, was Regierungen und politische Entscheidungsträger tun werden, und (…) dieses Verständnis zu nutzen (…)“.
BAYER lässt sich solche Erkenntnisgewinne jährlich bis zu 1.000.000 Euro kosten. Ein weiteres Beispiel ist die BRUNSWICK GROUP, ebenfalls in Berlin ansässig, jedoch global tätig (u. a. mit Partnern in Dubai). Deren Statement geht in dieselbs Richtung: „Wir helfen unseren Kunden, sich in der vernetzten finanziellen, politischen und sozialen Welt zurechtzufinden, um vertrauensvolle Beziehungen zu all ihren Stakeholdern aufzubauen.“ Auch die weiteren Nennungen in der „Mittler“-Liste des Transparenzregisters lesen sich wie ein Who-is-who von Top-Kanzleien, Kommunikations- sowie Lobbyagenturen und internationalen Beratungsunternehmen: Edelman, Politico, Fipra, Hume Brophy, Forum Europe, Eutop …
Beeindruckend ist auch die Schätzung der jährlichen Kosten der in den Anwendungsbereich des Registers fallenden Tätigkeiten von oder im Auftrag von BAYER: immerhin 6,5 bis 7 Millionen Euro – offiziell. Und natürlich erhielt der Konzern auch öffentliche Finanzhilfen der Europäischen Union: Im Rahmen des „Horizon2020 framework“ gingen im Jahr 2020 insgesamt 320.000 Euro Fördermittel aus zwei Programmen (EITHealth, MarieCurie, HZ2020) an den Leverkusener Multi.
Soweit die offiziellen Angaben für ein vermutlich selbst mit ausgehandeltes Register. Eintragungen dürften aus Sicht der Konzerne unter der Prämisse erfolgen, möglichst keine Wettbewerbsnachteile im Markt oder Vertrauensverluste bei den Investoren zu erleiden. Die Sicht der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN ist da eine andere. Und ihre mehr als vierzigjährige Erfahrung sagt, dass die im deutschen Lobbyregister und im EU-Transparenzregister enthaltenen Informationen nur einen kleinen Teil der weltumspannenden Lobby-Tätigkeit von BAYER widerspiegeln. ⎜