epd Entwicklungspolitik, Carolin Callenius
Multis tolerieren Kinderarbeit im Saatgutanbau
Internationale Konzerne wie Bayer, Unilever, Syngenta und Monsanto profitieren von ausbeuterischer Kinderarbeit auf den Felder ihrer Saatgut- Zulieferbetriebe, behauptet am Beispiel des indischen Baumwollanbau die jüngst veröffentlichte Studie des indischen Instituts Global Research and Consultancy Services. Hochgerechnet seien 450.000 Kinder in der Herstellung des Hybrid-Saatguts beschäftigt. Wenn sich auch die genaue Zahl streiten lässt, so nicht über die Tatsache, dass das Ausmaß die bereits international bekannten Sektoren mit Kinderarbeit in Indien, wie Teppichherstellung und Diamanten-Verarbeitung bei weitem übersteigt.
Die kritisierten Unternehmen beschäftigen nicht selbst unmittelbar Kinder. Die Produktion erfolgt in Tausenden lokaler Baumwoll-Farmen, die nominell unabhängig sind. Jedoch kontrollieren sie indirekt durch Qualitätsvorgaben, die Lieferung von Saatgut, die Bereitstellung von Kapital, langfristige Lieferverträge und die Festlegung der Abnahme-
preise den gesamten Saatgut-Herstellungsprozess. Insbesondere der Abnahmepreis ist für die Anstellung von Kindern verantwortlich. Würden die Farmer statt Kinder für 18 Rupien am Tag, erwachsene Arbeiter (26 Rupien für Frauen, 40 Rupien für Männer am Tag) anstellen, schmölze ihr Gewinn restlos dahin. Deshalb sei ihre Handlungsmöglichkeit gering, resümiert der Autor der Studie Davuluri Venkateswarlu.
Erst durch die flächendeckende Einführung von Hybrid-Saatgut in den 70er Jahren entstanden die spezialisierten Saatgutbetriebe. Die selbst nichtfortpflanzungsfähigen Baumwollsamen werden aus einer Kreuzung zweier Sorten gewonnen. In einem extrem arbeitsintensiven Vorgang müssen zunächst das Deck- und Blumenblatt und der Staubbeutel jeder einzelnen Pflanze entfernt werden. Für die Bewirtschaftung eines Hektar Baumwollpflanzen zur Saatgutherstellung werden 5.500 Arbeitstage im Jahr benötigt. 90 Prozent des Arbeitsaufwands allein erfordert die komplizierte Bestäubung, für vor allem von Mädchen im Alter zwischen 6 und 14 Jahren erledigt wird. Gerechtfertigt wird die Kinderarbeit vor allem damit, dass die Pflanzen selbst sehr niedrig seien und Kinder aufgrund ihrer Fingerfertigkeit gut für die Arbeit geeignet seien. Vielfach wird vorgegeben, dass nur Kinder aus Bauernfamilien an der Produktion beteiligt werden.
Die Situation stellt sich in der Studie anders dar. Ein Teil der Kinder müsse in „Schuldknechtschaft“ leben, so Rainer Kruse von der deutschen Sektion des Global March Against Child Labour. Sie werden von Werbern angeworben, die den überwiegend sehr armen Eltern in Zeiten geringer Einkünfte ein Darlehen anbieten. Daraufhin müssen die Kinder die ganze Saison (7 – 8 Monate) für die Arbeitgeber schuften. Die Arbeitszeiten sind nicht festgelegt – und für Kinder, deren Familien nicht ortsansässig betragen bis 12 -13 Stunden täglich. Die Arbeit auf den Feldern birgt große Gefahr für die Gesundheit der Kinder. Bis zu den Schultern stehen sie zwischen den Pflanzen, die zuvor mit Agro- Chemikalien behandelt wurden. Langfristige Folgen sind noch nicht bekannt, aber schon jetzt klagen viele über Kopfschmerzen, Atemprobleme oder Orientierungslosigkeit.
Die wenigsten der Kinderarbeiter haben eine Schule besucht. Das wichtigste Ziel für das Aktionsnetzwerks Global March sei daher, so Kruse, „dass die Kinder wieder in die Schule zu bekommen und ihnen damit langfristig einen Weg aus der Armut zu ermöglichen“. Zu diesem Zweck würde konkret, vor Ort mit den Firmen und Behörden zusammengearbeitet.
Als erste Landesregierung hat Andra Pradesh den Beschluss gefasst, die Kinderarbeit abzuschaffen. In gemeinsamer Anstrengung mit NROs (vor allem der MV-Foundation), der Arbeitsorganisation der Vereinten Nationen (ILO) und Unicef konnte hier die Gesamtzahl der arbeitenden Kinder in der zurückliegenden Saison gesenkt werden.
Die fünf kritisierten Konzerne haben alle Absichtserklärungen abgegeben bezüglich ihrer sozialen Verantwortung. Drei Unternehmen sind Mitglied des „Global Compact“, einer Initiative der Vereinten Nationen und der multinationalen Konferenzen, um Menschenrechte, Sozialstandards und Umweltschutz zu befördern. Fast alle Konzerne lehnen programmatisch Kinderarbeit ab. Auf Rückfrage erklärt Bayer, dass weder bei ihnen noch bei ihrem indischen Tochterunternehmen Kinder in einem Beschäftigungsverhältnis stehen, lässt Norbert Lemken Sprecher des Konzern wissen.
Schon seit ein bis zwei Jahren gebe es in den Verträgen mit Bauern die klare Bedingungen, dass ohne Kinderarbeit produziert werden müsse, so Michael Stopford zuständig bei Syngenta für die Öffentlichkeitsarbeit globaler Themen im Gespräch mit epd-Entwicklungspolitik. Zur Einhaltung dieser Klausel sei zunächst das interne Management-System verantwortlich. In diesem Jahr hat Syngenta alle sieben Stufen der Produktion und Vermarktung geschult und das interne Management verbessert. Syngenta ist sicher, dass sie schon im kommenden Jahr Kinderarbeit auf ihren Feldern der Vergangenheit angehören wird, verkündet Stapford.
Syngeta beansprucht eine „moralische Führungsrolle“ und hat im Kreise der Konzerne eine koordinierende Funktion übernommen. Gemeinsam mit den anderen Unternehmen will es vor Ort in einer Task-Force mit Behörden und Nichtregierungsorganisationen zusammenarbeiten. Von Seiten der Nichtregierungsorganisationen wächst die Ungeduld, nicht Absichtserklärungen sondern konkrete Kontroll-Schritte werden erwartet. Die Aussage von Bayer lässt hoffen: „Für den Bereich der Kindarbeit sind wir derzeit dabei, weitere Änderungen in den Verträgen mit den Zulieferfirmen aufzunehmen“, als Kontrollmechanismen stellen sie sich „zusätzliche Audits der Vertragspartner sowie klare Hinweise auf ein Verbot der Kinderarbeit in der Saatgutproduktion“ vor. Inwiefern alle Konzerne einem externen Monitoring zu Sicherstellung der Umsetzung zustimmen werden, bleibt zunächst offen. Auch Syngenta wollte gegenüber epd-Entwicklungspolitik noch keine Details dazu nennen.
Global March Against Child Labour fordert die Konzerne auf, die Abnahmepreise zu erhöhen. Der Bayer-Konzern, so ihre Pressemittei-
lung, könnte eine Vorreiterrolle bei der Befreiung der Kinder aus der Fron übernehmen, indem er Farmern angemessene Abnahmepreise zahlt, geknüpft an die Bedingung unverzüglich Erwachsene auf Mindestlohn-
basis einzustellen. Syngenta-Sprecher Stopford sieht in den Preisen nicht das Problem. Die Preise für Hybridsaatgut seien gut. Keiner der Produzenten habe gesagt, sie würden nicht mehr für Syngenta produzieren, wenn sie auf Kinderarbeit verzichten müssen – „wenn aber die Analyse stimmt, würden wir natürlich mehr bezahlen“.
Davuluri Venkateswarlu, Autor der Studie wird im Herbst diesen Jahres erneut die Situation auf den Produktionsbetrieben des Hybrid-Saatguts untersuchen. Dieses wird die dritte unabhängige Untersuchung in Reihe sein, an der auch Veränderungen ablesbar sein werden.