Endosulfan zerstört Bio-Ernten
„Es reicht!“
Seit zwanzig Jahren bauen Landwirte in Südbrasilien Bio-Soja an. Spuren des von BAYER entwickelten Pestizids Endosulfan in ihrer Ernte bedrohen nun jedoch ihre Existenz. Darum haben sie die Kampagne CHEGA! („Es reicht“) ins Leben gerufen, die schon einige Erfolge feiern konnte.
Von Adrian Wiedmer, Geschäftsführer der Fairtrade-Organisation GEBANA
In der Region um Capanema, Südbrasilien, betreiben über 300 Bauern und Bäuerinnen aus Überzeugung biologische Landwirtschaft. Die ersten begannen bereits in den 1980er Jahren auf Pestizide zu verzichten, nachdem sie beobachtet hatten, wie ihre Nachbarn an Vergiftungen erkrankten und die Umwelt sich negativ veränderte. Nun ist ihre mühsam aufgebaute Existenz jedoch bedroht: In der gesamten Bio-Sojaernte werden Spuren des Pestizids Endosulfan gemessen – ohne dass die LandwirtInnen die hochgiftige Substanz angewendet haben. Wie ist das möglich?
Endosulfan ist ein Insektizid, das in der konventionellen Landwirtschaft eingesetzt wird. Entwickelt hat es die Firma HOECHST, deren Agrochemie-Abteilung heute zum BAYER-Konzern gehört. Endosulfan ist persistent, das heißt, es baut sich in der Natur nur langsam ab, und wird von Pflanzen und Tieren im Fett oder Öl angereichert. Seine Flüchtigkeit begünstigt die Verdunstung und Verbreitung über weite Strecken. So verdunsten innerhalb von zwei Tagen nach der Anwendung bis zu 70 Prozent der ausgebrachten Menge. Über Regen und Wind verteilt sich Endosulfan in der Umwelt – und gelangt auch auf die Felder der Biobauern und -bäuerinnen. Die Sojabohnen nehmen Endosulfan auf und reichern es wegen ihres Ölgehalts an. Auch wenn die Belastung im Minimal-Bereich liegt (zehnmal tiefer als der Grenzwert), wollen die Abnehmer in Europa von der Bio-Soja aus Capanema nun nichts mehr wissen.
Die erhöhten Endosulfan-Werte in der diesjährigen Ernte sind auf zwei Ursachen zurückzuführen. Erstens haben die Wetterbedingungen mit viel Regen und hohen Temperaturen dazu geführt, dass eine besonders starke Verdunstung und Verbreitung über Niederschläge stattgefunden hat. Zweitens wurde in der konventionellen Landwirtschaft viel mehr Endosulfan eingesetzt als in vergangenen Jahren. Weil immer mehr Länder das Mittel verbieten, wollen BAYER & Co. noch möglichst viel ihrer Produkte absetzen und starten Schlussverkauf-Offensiven. Im vergangenen Jahr hat Brasilien über 2.000 Tonnen Endosulfan importiert. Allein in der Gemeinde Capanema wurden mehr als fünf Tonnen ausgebracht – doppelt so viel wie in den Vorjahren. „Brasilien wird zur Mülldeponie. Alle problematischen Pestizide, welche andernorts nicht mehr verkauft werden können, werden hierher gebracht“, kritisiert deshalb Rosany Bochner, Toxikologin am brasilianischen Institut Fiocruz.
Während Endosulfan in Brasilien heute noch angewendet werden darf, ist der Gebrauch des Pestizids bereits in über 60 Ländern untersagt, in Deutschland zum Beispiel seit bald zwanzig Jahren. Dies hat neben der Persistenz in der Natur vor allem einen Grund: Jährlich werden durch den direkten Kontakt mit Endosulfan hunderte Menschen vergiftet. Viele dieser Vergiftungsfälle enden tödlich, denn die Chemikalie greift Nervensystem, Blutkreislauf und Nieren an. 99 Prozent der Unfälle betreffen Landarbeiter und Landarbeiterinnen in der Dritten Welt, da diese weder über die nötige Schutzkleidung verfügen, noch die Warnhinweise auf dem Produkt verstehen.
Doch die Bio-Bauern von Capanema geben nicht auf. In den letzten zehn Jahren haben sie sich erfolgreich gegen die Vorherrschaft der Gentechnik gewehrt. Sie haben traditionelles Saatgut vermehrt und Wege gefunden, ihre Produkte vor Gentech-Verunreinigungen zu schützen – ein immenser Aufwand für die LandwirtInnen, die von Feldern mit Genpflanzen umzingelt sind und sich der gewaltigen Werbemaschinerie von BAYER & Co. gegenübersehen. Mit einem Schreiben an die Behörden haben sie nun ein sofortiges Verbot von Endosulfan gefordert, Ende August haben sie eine weitere Petition an ihre Regierung gestartet. Die GEBANA, die seit zehn Jahren mit den Biobauern und -bäuerinnen von Capanema zusammenarbeitet, hat in Europa eine Kampagne zur Unterstützung der FarmerInnen initiiert, an der sich auch die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN beteiligt. Und die Bemühungen lohnen sich!
Dank des Drucks hat BAYER das Endosulfan-Pestizid THIODAN mit sofortiger Wirkung vom Markt genommen und die Restbestände sogar bei der lokalen Kooperative abgeholt. Die brasilianischen Behörden haben ab 2013 ein offizielles Endosulfan-Verbot ausgesprochen, und auch die Zulassungsbehörde ANVISA beginnt sich des Problems bewusst zu werden. Die MitarbeiterInnen von GEBANA-Brasilien und die BiolandwirtInnen freuen sich sehr über den Erfolg der Kampagne CHEGA!. Sie können es kaum glauben, dass sich Menschen auf der ganzen Welt mit ihrem Kampf gegen Endosulfan solidarisieren, denn sie sind es gewohnt, als Letzte berücksichtigt zu werden.
Aber das Problem mit Endosulfan ist für die Bio-LandwirtInnen noch nicht gelöst. Leider gibt es weiterhin Anbieter von Endosulfan – aus Israel, Indien und Brasilien selbst. Die lokalen Verkaufsstellen von Pestiziden kaufen schon für die anstehende Aussaat ein – auch Endosulfan in großen Mengen. Wie befürchtet, wird das Gift noch billiger angeboten – wohl wegen des Verbotes ab 2013. Es gibt also noch einiges zu tun!