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Eine verpasste Chance

Marius Stelzmann

Konzern & Vergangenheit

1984 verklagten Holzgifte-Geschädigte eine BAYER-Tochter

Vor 40 Jahren reichte die Interessengemeinschaft Holzschutzmittel-Geschädigter Klage gegen die Firma SADOLIN und die damalige BAYER-Gesellschaft DESOWAG wegen Körperverletzung ein. Damit nahm das bisher größte Umwelt-Strafverfahren in der Geschichte Deutschlands seinen Anfang.

Von Jan Pehrke

Im Februar 1984 zog die Interessengemeinschaft Holzschutzmittel-Geschädigter (IHG) vor Gericht. Sie tat dies jedoch nicht in Düsseldorf, wo sowohl die IHG als auch der größte Holzgifte-Produzent – die damalige BAYER-Tochter DESOWAG – ihren Sitz hatten, sondern in Frankfurt. In Nordrhein-Westfalen fürchteten die KlägerInnen nämlich die kurzen Dienstwege zwischen der Politik, der Justiz und dem Leverkusener Multi. Überdies gab es am Frankfurter Landgericht seit Kurzem ein Umweltdezernat.

Dort landet der Vorgang nach einiger Zeit bei dem Staatsanwalt Erich Schöndorf, der im Juni 2023 verstarb (eine ausführliche Würdigung seiner Person findet sich in der „BIG Business Crime“-Beilage von SWB 4/23). Der damals 36-Jährige verbeißt sich in den Fall und macht aus ihm das größte Umwelt-Strafverfahren in der deutschen Geschichte. Ein Großteil seiner KollegInnen hätte die Causa wohl schon im Zuge der Vorermittlungen zu den Akten gelegt. Schöndorf aber zeigt sich entschlossen, den mehr als 200.000 Betroffenen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen und ihre Leiden – von Akne und Allergien über Muskelkrämpfe und epileptische Anfälle bis hin zu Hirnfunktionsstörungen oder Krebs reichen die Symptome – als Körperverletzungsdelikte zur Anklage zu bringen.

Denn die ManagerInnen von DESOWAG und SADOLIN wussten, was sie taten. So warnte das Münchner „Institut für Ökologische Chemie“ die BAYER-Tochter bereits 1975 vor dem dioxin-haltigen XYLADECOR-Inhaltsstoff Pentachlorphenol (PCP). Zwei Jahre später vermeldete der DESOWAG-Werksarzt der Firmenleitung dann, dass die in Innenräumen gemessenen XYLADECOR-Werte „bei empfindlichen Menschen sogar Gesundheitsschäden hervorrufen konnten“. BAYER selbst war auch im Bilde. Der Hauptlabor-Leiter Karl-Heinz Büchel erhielt 1977 einen „vertraulichen“ Brief, dessen Absender Prof. Dr. Schäfer von der Medizinischen Hochschule Hannover keinen Zweifel an der Gefährlichkeit der Holzschutzmittel hatte. „Ich glaube in der Tat, dass PCP mit seinem relativ großen Dampfdruck aus dem Holz allmählich abgegeben und mit der Atemluft in den menschlichen Organismus übertragen werden kann“, hieß es in dem Schreiben an den Kollegen.

Trotz allem reagierte die DESOWAG nicht. Ein „anderes Taktieren“ sei mit dem Risiko behaftet, als Schuldeingeständnis zu gelten, meinten die Verantwortlichen und entschieden sich für eine „Vorwärtsstrategie“. „Gesundheitsschäden durch XYLADECOR und XYLAMON nicht nachgewiesen“ stand auf ganzseitigen Anzeigen in Zeitungen und Zeitschriften, die das Unternehmen schaltete. Und die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) bekam Ähnliches zu hören, als sie das Thema auf die Tagesordnung der Hauptversammlung setzte. Holzschutzmittel für massive Krankheitserscheinungen verantwortlich zu machen, bezeichnete der damalige BAYER-Chef Herbert Grünewald der CBG gegenüber als „größte Lüge von der Nordsee bis zu den Alpen”.

Schöndorf und seine KollegInnen setzten alle Hebel in Bewegung, um das Gegenteil zu beweisen. Sie beauftragten das Bundeskriminalamt mit Ermittlungen, fuhren zum Bundesgesundheitsamt nach Berlin, nahmen Kontakt mit WissenschaftlerInnen auf und sprachen mit den Betroffenen. Schließlich wurde der Eifer der beamteten UmweltdetektivInnen belohnt. Eine Hausdurchsuchung bei der DESOWAG förderte Belastungsmaterial zutage: dicke Aktenordner mit 4.000 Briefen, in denen Holzgifte-AnwenderInnen ihre gesundheitlichen Beschwerden darlegten. Nach einem Urteil in einem ähnlichen Fall, dem sog. Lederspray-Verfahren, hätten diese alarmierenden Meldungen die beiden Geschäftsführer der DESOWAG zu einem Rückruf von XYLADECOR und XYLAMON bewegen müssen. Sie aber ließen den Geschädigten Standardbriefe zukommen, die ihnen versicherten, die Produkte seien völlig unbedenklich und bisher habe es auch noch keine Schadensmeldungen gegeben. Dieses Vorgehen der Manager erlaubte schließlich eine Anklage wegen Körperverletzung.

Der Prozess begann im Dezember 1991 und endete im Mai 1993 mit einem Schuldspruch. Die beiden DESOWAG-Manager Fritz Hagedorn und Kurt Steinberg wurden wegen fahrlässiger Körperverletzung und Freisetzung von Giften in 29 Fällen zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr auf Bewährung und zu einer Zahlung von 240.000 DM (120.000 Euro) verurteilt. Dagegen gehen nicht nur Hagedorn und Steinberg, sondern auch Schöndorf und sein Kollege Reinhard Hübner in Revision. Sie halten das wissentliche Inverkehrbringen von gesundheitsschädlichen Produkten für vorsätzliche und nicht nur fahrlässige Körperverletzung.

Dafür geht Schöndorf noch mal in die Beweisaufnahme. Im Juni 1994 fährt er – mit zwei Dutzend BeamtInnen des Bundeskriminalamts als Geleitschutz – bei BAYER in Leverkusen vor. Der Chef-Justitiar des Konzerns zeigt sich davon jedoch unbeeindruckt und droht: „Sie sind nicht mehr lange Staatsanwalt! Noch heute Abend treffe ich in Bonn den Schäuble (den damaligen Vorsitzenden der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Anm. SWB). Dann sind Sie erledigt!” Anschließend ordert er den Werksschutz, der sich mit Waffen vor den Akten-Regalen aufbaut. Schöndorf gelingt es anschließend zwar doch, die Dokumente sicherzustellen, aber lesen darf er diese nicht. Das Beschwerdegericht verweigert ihm die Akten-Einsicht. 1995 hob dann der Bundesgerichtshof das Urteil vom Mai 1993 auf. 1996 wurde das Verfahren gegen eine Zahlung von 100.000 Mark an die Gerichtskasse und von vier Millionen Mark für die Schaffung eines Lehrstuhls für Toxikologie eingestellt.

„Ich frage mich, wo die Macht liegt, in Bonn oder in Leverkusen”, so das Resümee Erich Schöndorfs. Er quittierte frustriert seinen Dienst und nahm einen Ruf der Fachhochschule Frankfurt auf eine Professur für Umweltrecht und öffentliches Recht an. 1998 veröffentlicht der Jurist ein Buch „über das Scheitern der Justiz im Holzschutzmittel-Skandal“: „Von Menschen und Ratten“. 1999 interviewte ihn das Stichwort BAYER dazu. „Die Industrie kann sich schon ziemlich sicher sein, dass ihr nichts geschieht. Das Holzschutzmittel-Verfahren hatte die Chance, diese Verhältnisse umzukehren (…) das ist wieder weg, es passt wieder kein Mensch mehr auf“, sagte er da. Vehement kritisierte Schöndorf die Justiz: „Sie gehorcht ihrem Herrn. Der Herr, das ist der politische Vorgesetzte, aber es sind auch die anderen Macht-Positionen innerhalb der Gesellschaft, die wirtschaftlichen Macht-Positionen, die Konzerne halt.“ Und an denen rieb er sich bis zu seinem Lebensende, denn die Niederlage im Holzgifte-Prozess konnte seinen Kampfeswillen nicht brechen. ⎜

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