Politik & Einfluss
Politik pampert Pharma-Produzenten
Millionen-Subventionen für Forschungseinrichtungen, bessere Bedingungen für Pharma-Studien, Zugriff auf die Daten von PatientInnen und Medikamenten-Preise als geheime Kommando-Sache – die Ampel-Koalition umsorgt BAYER und andere Pillen-Riesen zurzeit wie keinen anderen Industrie-Zweig.
Von Jan Pehrke
Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung wusste genau zu sagen, wie „Das neue deutsche Pharma-Wunder“ begann. „Es fing nach Informationen der F.A.S. damit an, dass ein Dutzend Konzern-Chefs aus aller Welt ihre Aufwartung im Bundeskanzleramt machten, um für ihre Sache zu werben – und zu sagen, was sie in Deutschland nerve, die langen Genehmigungsdauern für klinische Studien etwa und die Einschränkungen bei der Nutzung medizinischer Daten“, hieß es in der Ausgabe vom 21. Juli 2024. Dann ging es in kleineren Runden mit Bundeskanzler Olaf Scholz und Wirtschaftsminister Robert Habeck weiter. „Man sprach über Medikamente und geostrategische Sicherheit, über Innovation und Wertschöpfung, über den Zusammenhang von Arzneimittel-Erstattung und Standort-Attraktivität“, protokollierte die F.A.S.
Und bald schon wurden aus den Worten Taten. Erleichternd kam dabei das Jahresgutachten des Sachverständigen-Rates für Wirtschaft hinzu. Die „Wirtschaftsweisen“ schrieben der Branche in ihrer Bewertung einzelner Industrie-Zweige nämlich das größte ökonomische Potenzial zu. „Das spielte für unsere Überlegungen natürlich eine Rolle“, so Staatssekretär Jörg Kukies, seit vielen Jahren die graue Eminenz der deutschen Wirtschaftspolitik.
Diese „Überlegungen“ mündeten dann in die „Pharma-Strategie“, an der BAYER & Co. kräftig mitgeschraubt haben. Sie wurde „unter Einbeziehung der pharmazeutischen Industrie erarbeitet“, wie das Bundesministerium für Gesundheit auf Nachfrage der Linken-Abgeordneten Katrin Vogler zugab.
Das Medizinforschungsgesetz
Das Herzstück der Strategie stellt das Medizinforschungsgesetz dar. Mit diesem verfolgt Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) die Absicht, den hiesigen Pharma-Standort so zu stärken, dass er „in einigen Jahren an die Vereinigten Staaten anschließen kann“ und Deutschland „ein Gigant in der Medizin-Forschung“ wird. „Mit BAYER hat er deshalb eine Gesetzesinitiative abgesprochen“, meldete der Kölner Stadtanzeiger. Der Gesundheitsminister erklärte gegenüber der Zeitung freimütig, bei der Arbeit am Projekt im engen Austausch mit Stefan Oelrich, dem Pharma-Vorstand des Leverkusener Multis, gestanden zu haben. Der hatte nämlich im Januar 2023 lamentiert: „Die europäischen Regierungen versuchen, Anreize für Forschungsinvestitionen zu schaffen, aber auf der kommerziellen Seite machen sie uns das Leben schwer“. Die Konsequenz für BAYER: „Wir verlagern unseren kommerziellen Fußabdruck und die Ressourcen für unseren kommerziellen Fußabdruck deutlich weg von Europa.“ Im Mai 2023 gab der Pillen-Riese dann bekannt, seine Forschungsausgaben in den USA verdoppeln und eine Milliarde Dollar investieren zu wollen.
Um das Fernweh der Pillen-Riesen zu lindern, sieht das Paragrafen-Werk nun unter anderem vor, BAYER & Co. die Durchführung klinischer Studien zu erleichtern. Lauterbach plant, die Genehmigungsdauer für Medikamenten-Tests auf fünf Tage zu verkürzen. „Bürokratie-Abbau“ lautet die bei solchen Gelegenheiten gern in Anschlag gebrachte Devise. Dabei ist Zentralisierung das Mittel der Wahl. Der SPD-Politiker beabsichtigt, eine Bundesethikkommission zur Begutachtung der klinischen Prüfungen zu schaffen und diese beim „Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte“ (BfArM) anzusiedeln. Die Ethikkommissionen von Universitätskliniken, Ärztekammern und Landesbehörden spielen dann keine Rolle mehr. Beim Datenschutz stehen ähnliche „Verschlankungen“ an. Zudem soll es künftig nicht nur Uni-Kliniken, sondern auch ganz normalen Krankenhäusern erlaubt sein, Arznei-Erprobungen im Auftrag der Konzerne durchzuführen.
Darüber hinaus möchte die Ampelkoalition die Preise, die die Pillen-Produzenten mit den Krankenkassen für ihre neuen Medikamente aushandeln, künftig unter Verschluss halten. Zwischen den ausgewiesenen und den tatsächlichen Preisen liegen nämlich kleine Welten bzw. Rabatte. Und über die Höhe dieser Abschläge herrscht jetzt Stillschweigen. „Der Hintergrund dafür ist, dass die öffentlich bekannten, stark rabattierten deutschen Preise bisher als Reverenz für andere Länder dienten. Das beschnitt aus Sicht der Hersteller ihre Verhandlungsspielräume in anderen Staaten, weshalb sie auf Vertraulichkeit drangen“, erläuterte die FAZ. Im Zuge des parlamentarischen Verfahrens gab es hier jedoch Einschränkungen. Die Geheimhaltungsklausel darf ein pharmazeutischer Unternehmer jetzt nur noch für sich in Anspruch nehmen, wenn er „eine Arzneimittel-Forschungsabteilung und relevante eigene Projekte und Kooperationen mit öffentlichen Einrichtungen in präklinischer oder klinischer Arzneimittel-Forschung in Deutschland nachweisen kann“.
Damit nicht genug, reißt das Medizinforschungsgesetz die Leitplanken ein, die das Arzneimittelmarkt-Neuordnungsgesetz (AMNOG) von 2011 für die Preise von neuen Pharmazeutika mit gar keinem oder nur geringen Zusatznutzen aufgestellt hatte. Bisher mussten diese sich an den Kosten der Vergleichstherapie orientieren. Jetzt vergrößert sich der Verhandlungsspielraum, „um die Erhebung versorgungsnaher Daten zu unterstützen und die Kontinuität der Versorgung sicherzustellen“, wie der Gesetzgeber festhält. Abermals gilt das jedoch nur für diejenigen Unternehmen, die hierzulande in nennenswerter Weise forschen, entwickeln und testen.
Der BAYER-Konzern hatte eine solche Regelung für pharmazeutische Nullnummern lange gefordert. Was der Gesetzgeber als nur „geringen Zusatznutzen“ bezeichnet, ist für Pharma-Chef Stefan Oelrich eine „Schrittinnovation“. So ein Kleinklein wäre in der Branche überdies der Regelfall, konstatiert er mit Verweis auf Diabetes und psychische Erkrankungen, „da ein mindestens beträchtlicher Zusatznutzen hier so gut wie nie erreicht werden kann“.
In solchen Fällen mit Leitplanken in den Zahlungsverkehr einzugreifen, hat dem Pillen-Manager zufolge beträchtliche Nebenwirkungen. „Anreize für die Entwicklung verbesserter Therapie-Ansätze und für weitere Behandlungsoptionen werden vermindert und die Markt-Einführung dieser Schritt-Innovationen in Deutschland gefährdet. Was jetzt verlagert und in anderen Ländern investiert wird, das wird nicht mehr zurückkommen. Das kann nicht der Wunsch der Politik im Sinne einer stabilen Versorgung der Bevölkerung in Deutschland sein“, bekundete er.
Viel Kritik
Lauterbach hörte die Signale. Und das Handelsblatt zeigte sich begeistert. „Lauterbach-Pläne könnten Wirtschaft Milliarden-Einnahmen bescheren“, frohlockte die Zeitung. Ansonsten stieß das Programm zur Pflege der Pharma-Landschaft jedoch auf massive Kritik. Der „Arbeitskreis Medizinischer Ethik-Kommissionen“ etwa wandte sich scharf gegen das Vorhaben, eine Obere Ethikkommission einzurichten. „Bestrebungen, das System der dezen-tralen Ethikkommissionen in Deutschland abzuschaffen und stattdessen eine Bundesethikkommission beim ‚Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte‘ (BfArM) zu schaffen, sind politisch, rechtlich und wirtschaftlich nicht zu rechtfertigen“, hieß es in einer Erklärung. Konkret sah der Arbeitskreis die Unabhängigkeit des neuen Gremiums gefährdet, wenn es an das BfArM angegliedert ist.
Besonders große Empörung rief das Ansinnen hervor, die wahren Preise für neue Medikamente nunmehr zu verschweigen. „Das würde zu noch mehr Intransparenz bei der Preisbildung und zur Anhebung des ohnehin hohen Preis-Niveaus führen und die Arzneimittel-Preise in Deutschland weiter hochschaukeln“, warnt der stellvertretende AOK-Vorsitzende Jens Martin Hoyer. Seiner Ansicht nach „ist die Wirtschaftsförderung für den Pharma-Standort Deutschland keine Aufgabe der Beitrag zahlenden Versicherten“. Mit zusätzlichen Belastungen in Höhe von bis zu 30 Milliarden Euro rechnet der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen, unter anderem weil die ÄrztInnen nicht mehr wissen, wie teuer die von ihnen verschriebenen Pillen die BeitragszahlerInnen kommen.
Ein gesteigertes Interesse an dieser Regelung hat das US-Unternehmen ELI LILLY, das mit einem zur Abnehm-Arznei umgewidmeten Diabetes-Präparat derzeit Milliarden-Profite einfährt. Dem Pharma-Riesen ist aktuell nämlich sehr daran gelegen, über den wirklichen Preis des vor der Markteinführung stehenden Antidiabetikums MOUNJARO den Mantel des Schweigens zu hüllen, um bei der Preisgestaltung für dessen Lifestyle-Zwilling – die Schlankheitsspritze ZEPBOUND – genug Luft nach oben zu haben. Deshalb besteht der dringende Tatverdacht, dass der entsprechende Passus des Gesetzes bei der Ansiedlung einer Pillen-Produktion von ELI LILLY in Alzey eine Rolle als „weicher Standort-Faktor“ gespielt hat. Die Linken-Abgeordnete Katrin Vogler stellte in der Sache eine „Kleine Anfrage“ an die Bundesregierung und erbat Auskunft darüber, ob es einen Austausch mit dem Management von ELI LILLY gab und ob dabei die Geheimpreise auf der Tagesordnung gestanden hätten. Die Ampelkoalition listete in einer Tabelle fein säuberlich sechs Gespräche auf und vermerkte drei Mal knapp „Themen der Frage wurden angesprochen“.
In der Bundestagsdebatte zum Medizinforschungsgesetz wollte Gesundheitsminister Lauterbach aber nichts von einem „Lex Lilly“ wissen. „Das hat nichts mit dem Unternehmen ELLI LILLY zu tun“, beteuerte der Sozialdemokrat. Als Oppositionspolitiker hatte er Geheimpreise noch als „unerträgliche Bevormundung der Ärzte“ bezeichnet und strikt abgelehnt. Stattdessen plädierte Lauterbach damals für Transparenz. Nun aber sagt er plötzlich, „Transparenz zugunsten aller anderen und wir zahlen – das kann nicht richtig sein“. Und in der Antwort der Bundesregierung auf die Vogler-Anfrage heißt es gleichlautend, die Bestimmung hebe lediglich einen Wettbewerbsnachteil auf.
Aber die Wunscherfüllungsmaschine spukte noch mehr Gesetze aus. Mit dem Paragrafen-Werk „zur Beschleunigung der Digitalisierung des Gesundheitswesens“ machte die Ampelkoalition die elektronische Patienten-Akte (ePA) obligatorisch (zu den Risiken und Nebenwirkungen siehe auch S. 12 ff.). Wer jetzt aus Datenschutz-Gründen keine zentrale Speicherung seiner Kranken-Akte auf einem kleinen Kärtchen möchte, muss sich jetzt proaktiv dagegen aussprechen und die „Opt-out“-Möglichkeit nutzen, ansonsten kommt die ePA automatisch ins Haus – und nicht nur ins eigene. Mit dem Gesetz „zur verbesserten Nutzung von Gesundheitsdaten“ erlauben Scholz & Co. nämlich auch Big Pharma einen Einblick, um die Daten zu Forschungszwecken zu nutzen.
Des Weiteren im Programm: Das „Gesetz zur Stärkung der Herz-Gesundheit (Gesundes-Herz-Gesetz – GHG)“. Dieses strebt an, „die Früherkennung und die Versorgung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu verbessern“ und hat dazu auch schon die passenden Mittel parat: Statine. Wann immer die Untersuchungen bei Kindern und Jugendlichen einen erhöhten Cholesterinspiegel feststellen, gibt es zur Vorbeugung BAYERs SIMVASTATIN oder andere Präparate dieser Medikamenten-Gruppe. Die Fachwelt schüttelt den Kopf über den Lauterbach-Vorstoß. Das industrie-unabhängige arzneimittel-telegramm sieht gar schon „das Ende der Ära der evidenz-basierten Medizin“ eingeläutet, weil es keine fundierten Nachweise zum Langzeit-Nutzen von SIMVASTATIN & Co. bei Kindern gibt.
Millionen-Subventionen
Noch dazu fließen kräftig Subventionen in Projekte von BAYER & Co. So bezuschusst der Staat das vom Leverkusener Multi gemeinsam mit der Charité in Berlin geplante Zell- und Gentherapie-Zentrum mit 44 Millionen Euro. Begleitend dazu hat die Ampelkoalition eine „Nationale Strategie für gen- und zellbasierte Therapien“ an den Start gebracht. Diese beabsichtigt, „ein lösungsorientiertes Konzept für den GCT (gen- und zellbasierte Therapien)-Standort Deutschland zu entwickeln, das den Transfer neuer Erkenntnisse aus der Forschung in die direkte Krankenversorgung verbessert“, verlautet aus dem „Bundesministerium für Bildung und Forschung“ (BMBF). „Dadurch soll die internationale Wettbewerbsfähigkeit des Standortes Deutschland in diesem Feld gestärkt werden“, so das BMBF.
Und neben BAYER und ELI LILLY bauen auch noch BIONTECH, VETTER, ROCHE, SANOFI, DAIICHI und MERCK. Auf rund sieben Milliarden Euro belaufen sich die „Pharmawunder“-Investitionen. Und die Branche zeigt sich erkenntlich. „Heute ist einfach mal der Tag, ‚Danke‘ zu sagen“, mit diesen Worten begrüßte Markus Steilemann, der Vorsitzende des „Verbandes der Chemischen Industrie“, Bundeskanzler Olaf Scholz im September auf dem „Chemie & Pharma Summit 2024“.
Der Rest der Bevölkerung hat weniger Grund zur Dankbarkeit. Die Politik pumpt Unsummen in Unternehmen wie BAYER, die mit Zell- und Gentherapien hochspezialisierte Behandlungsformen für Krankheiten entwickeln, die kaum jemand hat, weil hier das Geld lockt, oder hofiert auf Kosten der BeitagszahlerInnen Hersteller von Schwachsinnsmedikamenten wie Abnehm-Spritzen.
Dabei ist hierzulande die medizinische Grundversorgung gefährdet. Rund 500 Arznei-Lieferengpässe meldet das BfArM. Zudem stehen zahlreiche Krankenhäuser vor der Pleite, und es herrscht ein eklatanter Mangel an ÄrztInnen und Pflege-Personal. Nicht umsonst hat im September 2024 ein Bündnis aus MedizinerInnen, ApothekerInnen, TherapeutInnen und PflegerInnen Bundeskanzler Olaf Scholz zu einem nationalen Gesundheitsgipfel im Kanzleramt aufgefordert. „Die Schere zwischen Anspruch und Wirklichkeit in der Gesundheitsversorgung geht immer weiter auseinander, warnt Christine Vogler vom „Deutschen Pflegerat“ und Ärzte-Präsident Klaus Reinhardt mahnt, „dass das Vertrauen der Menschen in unsere demokratische Grundordnung auch durch das Vertrauen in ein verlässliches Gesundheitssystem wesentlich beeinflusst wird“. ⎜