Liebe Leserinnen und Leser,
Ende 2013 hat die Europäische Kommission insgesamt vier Pestizide wegen ihrer Beteiligung am weltweiten Bienensterben mit befristeten Teilverboten belegt. Darunter befinden sich mit den Wirkstoffen Imidacloprid und Clothianidin, beides Insektengifte aus der Gruppe der sogenannten Neonicotinoide, auch zwei Produkte von BAYER. Grundlage war die wissenschaftliche Bewertung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit EFSA, die ansonsten für ihre Nähe zur Industrie und ihren unkritischen Umgang mit Umweltrisiken verschrien ist. In diesem Fall hat die Empfehlung der Behörde den betroffenen Konzernen aber richtig wehgetan: BAYER, SYNGENTA und BASF verdienen Millionen mit ihren Agrargiften, insbesondere den „modernen“, hochwirksamen Substanzen. Die nun verhängten, zunächst für gerade einmal zwei Jahre gültigen, Anwendungsbeschränkungen kosten also bares Geld. Kaum verwunderlich, dass sich die betroffenen Konzerne damit nur ungern abfinden. Dividende zählt mehr als die Zukunft der Landwirtschaft: Mit dem Überleben von Bienen, anderen Bestäubungsinsekten und der Funktionsfähigkeit stabiler Agrar-Ökosysteme steht viel mehr auf dem Spiel als „nur“ das Überleben einzelner Arten. Der Schaden, den Pestizide anrichten können, ist kolossal: Eine Vielzahl von Kulturpflanzen ist auf die Hilfe von Insekten bei der Bestäubung ihrer Blüten angewiesen – ohne sie findet keine Fruchtbildung statt. Die Ernte fällt in Menge und Qualität schlechter aus.
Die für Bienen gefährlichen Wirkungen vieler Pestizide wurden lange unterschätzt, da nur die akute Giftigkeit geprüft wurde. Doch die Wirkungen sind subtiler: Die Gifte stören Entwicklung, Verhalten sowie Orientierungsvermögen und erhöhen die Krankheitsanfälligkeit. Im Zusammenwirken mit anderen Faktoren, etwa einem reduzierten Nahrungsangebot, extremen Wetterbedingungen oder Parasiten und Krankheiten, können
Bienenvölker kollabieren.
Dabei haben die Bienen noch Glück: Nur sie haben überhaupt eine Lobby, auf andere Insekten wird bei der Bewertung und Anwendung von Agrargiften keinerlei Rücksicht genommen. Und auch andere Tiergruppen sind betroffen: Unlängst wurde festgestellt, dass das BAYER-Gift Imidacloprid Vogelbestände dezimiert. Dies ist vermutlich nicht auf eine direkte Vergiftung zurückzuführen, sondern auf ein verringertes Nahrungsangebot.
Der Einsatz von Giften wie den Neonicotinoiden gefährdet also nicht nur Bienen, sondern allgemein die Biodiversität. Dabei ist Vielfalt in Natur und Kulturlandschaft bei weitem nicht nur ein Wert an sich. Von ihr hängen ökologische Regelungsfunktionen ab, die von unschätzbarem Wert sind: Sogenannte „kostenlose Ökosystemdienstleistungen“, etwa die natürliche Schädlingskontrolle durch Nützlinge, werden nur in einer intakten Umwelt erbracht. Leider ist mit ihnen kaum Geld zu verdienen, Chemie lässt sich hingegen verkaufen.
Und was macht die Industrie? BAYER hat die Europäische Kommission wegen der Verbote verklagt. Das Verfahren wird wohl kaum zeitnah zu einem Ergebnis führen und dient den Konzernen (BASF und SYNGENTA haben ebenfalls Klage eingereicht) wohl auch mehr als ein unmissverständliches Zeichen an die Politik: Ökologische Kollateralschäden dürfen ein lange Zeit wenig in Frage gestelltes Geschäftsmodell nicht kaputtmachen. Mitte April haben wir von GREENPEACE BAYER an die Verantwortung des Unternehmens erinnert und den direkt Betroffenen eine Stimme gegeben: Auf einem Fotobanner an der Konzern-Zentrale forderten Bienen von BAYER „Stop killing us“. Anlass waren Funde von Agrargiften in Pollenproben aus ganz Europa. An der Firmenpolitik hat sich jedoch nichts geändert; von BAYER ist kein Umdenken zu erwarten. Bleibt zu hoffen, dass die EU-Verantwortlichen sich nicht beeindrucken lassen von den Drohgebärden der Industrie – und die einzig richtigen Schlüsse ziehen: Dem Schutz von Landwirtschaft, Bienen und Umwelt Vorrang vor Konzern-Interessen zu geben und die Verbote ohne Ausnahmen und zeitliche Beschränkungen zu verhängen.
Dr. Dirk Zimmermann ist Landwirtschaftsexperte bei GREENPEACE