Liebe Leserinnen und Leser,
es ist ein Ammenmärchen der Chemie-Industrie, dass Pestizide bei sachgerechter Anwendung keine schädliche Wirkungen auf Mensch, Tier und Umwelt haben. Pestizide sind hochgefährliche Chemikalien, die sich im Boden, im Wasser und im menschlichen Körper anreichern und dort Schaden anrichten. Ihre giftigen Wirkungen sind in vielen Fällen noch nicht einmal ausreichend erforscht, besonders dann wenn sie in Kombination auftreten.
Ende Oktober hat nun das Europaparlament in erster Lesung über die Zulassung von Pestiziden abgestimmt. Das Ergebnis ist ein Meilenstein für den Verbraucher- und Umweltschutz: Erstmals soll es Zulassungsverbote für krebserregende, erbgutschädigende und hormonaktive Wirkstoffe geben. Außerdem gibt es mehr Transparenz für die Verbraucherinnen und Verbraucher: Durch den sogenannten Pestizid-Pass muss der Erzeuger dem Handel offenlegen, welches Pestizid wann eingesetzt wurde. Hierdurch wird der Wettbewerb für gesunde Lebensmittel gestärkt.
Die beiden größten Hersteller für Agrochemikalien, BAYER und SYNGENTA, haben ihren Sitz in Europa. Bisher hat die Europäische Union beim Schutz vor gefährlichen Agrochemikalien versagt: Die derzeitige Pestizidzulassung ist nur unzureichend auf die Vermeidung von Umwelt- und Gesundheitsgefahren ausgerichtet; reagiert wird meistens erst dann, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist. Das vor über zehn Jahren propagierte Ziel, die Anwendung von Pestiziden beträchtlich zu reduzieren, ist verfehlt worden. Im Gegenteil, der Verbrauch hat sich europaweit noch erhöht. So wird in Europa ein Viertel aller Pestizide weltweit eingesetzt, obwohl der Anteil an der weltweiten Landwirtschaftsfläche nur 4% beträgt.
Es ist daher zu begrüßen, dass sich die EU-Abgeordneten nicht von der Panikmache der Chemie- und Agrarlobby haben anstecken lassen und grünes Licht für die neue Gesetzgebung gegeben haben. Die Blockadestrategie von BASF, BAYER und Co. ist glücklicherweise ins Leere gelaufen.
Doch nicht nur bei der Zulassung, auch bei der Anwendung von Pestiziden besteht erheblicher Verbesserungsbedarf. Leider konnte sich das Europaparlament nicht auf die Aufstellung wichtiger Reduktionsziele einigen. Dänemark ist das Beispiel dafür, dass eine ambitionierte Reduktionspolitik möglich ist: die dänischen Bauern nutzen heute nur die Hälfte der Pestizide wie noch vor zwanzig Jahren. Es wäre also durchaus möglich, in Europa innerhalb von zehn Jahren den Einsatz von Pestiziden zu halbieren.
Die Verbraucher erwarten zu Recht, dass sie vor gefährlichen Pestiziden geschützt werden. Zu oft wird ihnen der genussvolle Biss in Erdbeere und Apfel verleidet, wenn wie alle Jahre wieder gefährliche Rückstände von Pestiziden im Essen nachgewiesen werden. Die langfristige Sicherung von Gesundheit und Umwelt muss Vorrang haben gegenüber den kurzfristigen finanziellen Interessen der chemischen Industrie. Es bleibt zu hoffen, dass die Bundesregierung bei den Verhandlungen im EU-Ministerrat auch Vorfahrt gibt für die Verbraucher und die Umwelt.
Hiltrud Breyer sitzt seit 1989 für Büdnis 90 / Die Grünen im Europaparlament. Sie ist Berichterstatterin des Umweltausschusses für die Pestizid-Zulassung.