Liebe Leserinnen und Leser,
in meiner Amtszeit als Präsident des Deutschen Patent- und Markenamts (2001 bis 2008) ist es uns gelungen, Kooperationen mit wichtigen Schwellenländern wie China, Brasilien und Indien aus- und aufzubauen. Ein Beitrag, dort dem Schutz des geistigen Eigentums größere Geltung zu verschaffen! Der Vorteil liegt auf beiden Seiten: Bei der innovativen Industrie wie BAYER, die High-Tech-Produkte in diese Länder exportiert oder bereits vor Ort erzeugt – wie auch bei der einheimischen Industrie, deren industrielle Basis z. B. durch die Herstellung von Generika (durch Lizenzen oder nach Ablauf des Schutzes) gestärkt wird. Alle drei genannten Länder sind gute Beispiele dafür.
Die in der Süddeutschen Zeitung aufgestellte Behauptung, dass „in Indien ein Pillen-Patent für BAYER nichts mehr wert ist“, kann nur auf Unkenntnis der internationalen Abkommen und der Situation in Indien beruhen. Wäre sie richtig, würde Indien sofort von der Welthandelsorganisation „angeklagt“ werden. Nach dem so genannten TRIPS-Übereinkommen, das auch von Indien unterzeichnet worden ist, können Zwangslizenzen für das jeweilige Land – also nicht weltweit – erteilt werden, wenn sie im Interesse des Gesundheitswesens eines Landes sind. Auch § 24 des deutschen Patentgesetzes erlaubt die Erteilung von Zwangslizenzen, wenn „das öffentliche Interesse die Erteilung einer Zwangslizenz gebietet“ (siehe auch Art. 14 Grundgesetz). Dies ist zweifellos bei einem Krebsmittel wie BAYERs NEXAVAR der Fall, das künftig in Indien statt 6.000 Euro pro Monat nur knapp 200 Euro kosten wird. Denn nicht einmal ein Prozent der indischen Bevölkerung kann sich Medikamente von 72.000 Euro im Jahr leisten. Eine Behandlung mit diesem Medikament wäre daher praktisch nicht möglich.
Auch kann das Argument nicht greifen, der indische Staat tue zu wenig, um die Gesundheit der Menschen zu verbessern. Sind wir jetzt diejenigen, die sagen, was der indische Staat erst leisten muss, bevor er eine Zwangslizenz zu Lasten eines deutschen Unternehmens erteilt? Ein Blick in die jüngere Geschichte zeigt, dass Staaten wie die USA nicht gezögert haben, Medikamente zu niedrigeren Preisen zu erhalten. Als es 2001 in den USA zu einer Anschlagserie mit Anthrax (Milzbranderreger) kam und die Firma BAYER das Gegenmittel CIPROBAY auf dem Markt hatte, wurde sie von den US-Behörden gezwungen, das Mittel um ca. 50 Prozent billiger abzugeben. Auch diese hatten Zwangslizenzen angedroht, obwohl sich die Fachwelt einig war, dass die USA den Marktpreis unschwer hätte bezahlen können.
Es sollte nicht der Eindruck erweckt werden, dass die indische Generika-Industrie mit Hilfe dieser Zwangslizenz die Weltmärkte erobert. Den berechtigten Interessen der deutschen Industrie stehen berechtigte Intereressen der Schwellenländer gegenüber. Das sollten wir nicht aus den Augen verlieren.
Prof. Dr. Jürgen Schade war Präsident des Deutschen Patent- und Markenamts, Richter am Bundespatentgericht und Mitglied des Bayerischen Landtags