Liebe Leserinnen und Leser!
Ob in Kommissionen zur Energiepolitik oder bei den Vorbereitungen der WTO-Verhandlungen – die Lobbyisten sind in Brüssel an erster Stelle dabei. Schätzungsweise 15.000 Lobbyisten arbeiten dort, die meisten für Unternehmen, Wirtschaftsverbände und nahestehende Lobbygruppen.
Die Chemielobby hat Millionen Euro in eine Lobby- und Medienkampagne fließen lassen, um die neue Chemikalienpolitik der EU (REACH) zu verzögern und zu verwässern. Insbesondere die deutschen Unternehmen wie BAYER oder BASF und der Verband der Chemischen Industrie (VCI) engagierten sich stark. Von der Industrie finanzierte Gutachten kamen zu maßlos übertriebenen Prognosen für die Verluste der Industrie und den Abbaus von Arbeitsplätzen. Der Berichterstatter für den Binnenmarkt-Ausschuss, Hartmut Nassauer (CDU), ließ sich bei den Verhandlungen im Europaparlament direkt von Michael Lulei unterstützen, einem Experten des Verbandes der Chemischen Industrie (VCI). Im Jahresbericht 2005 berichtet der VCI stolz, dass Nassauer seine Vorschläge weitgehend übernommen habe.
Der Öffentlichkeit bleiben solche Verbindungen oft unklar – ebenso die Auftraggeber einzelner Lobby-Agenturen oder so genannter Denkfabriken. Die „Campaign for Creativity“ für Softwarepatente gab sich beispielsweise als Kampagne von kreativen Berufen aus. In Wirklichkeit wurde sie von einer Lobby-Agentur betrieben und von Microsoft, SAP und dem Computerverband CompTIA finanziell unterstützt.
Deshalb ist es nötig, mehr Licht in den Brüsseler Lobbydschungel zu bringen. LobbyControl hat dazu jüngst den lobbykritischen Stadtführer „Lobby Planet Brüssel“ veröffentlicht und beteiligt sich an der europäischen Alliance for Lobby Transparency and Ethics Regulation (ALTER-EU). Dieses Bündnis aus über 140 Nichtregierungsorganisationen (NGOs), Gewerkschaften und Wissenschaftlern engagiert sich für verpflichtende Transparenzregeln für Lobbyisten, verschärfte ethische Standards wie zum Beispiel eine Karenzzeit für Mitglieder der EU-Kommission, bevor sie als Lobbyisten arbeiten dürfen, und das Ende des privilegierten Zugangs von Lobbygruppen zu EU-Institutionen.
Die EU-Kommission bewegt sich aber nur wenig. Im Rahmen der Europäischen Transparenzinitiative (ETI) möchte sie ein freiwilliges Register für Lobbyisten einrichten – aber das ist unzureichend. Ein freiwilliger Ansatz würde nur einen trügerischen Schein von Transparenz schaffen, die schwarzen Schafe unter den Lobbyisten wie die Campaign for Creativity blieben weiter unbehelligt. Die Kommission muss Lobbyisten zur Transparenz verpflichten und darf ihnen keinen bevorzugten Zugang bieten. Bürger und die kritische Zivilgesellschaft sollten ihr das klar machen, wenn im Herbst die nächsten Schritte der Transparenzinitiative entschieden werden. Außerdem wird es Ende des Jahres den zweiten „Worst EU Lobbying Award“ geben – ein Negativpreis für besonders irreführende und verwerfliche Lobby-Praktiken. Der Gewinner wird über eine Online-Abstimmung ermittelt (www.eulobbyaward.org) – wir hoffen auf rege Beteiligung!
Zur Person
Ulrich Müller, Politikwissenschaftler, ist im Vorstand von LobbyControl aktiv, einer neuen Initiative für Transparenz und Demokratie. Mehr Infos unter www.lobbycontrol.de.