Liebe Leserinnen und Leser,
Der Nachhaltigkeitsdiskurs hat zwei Entkoppelungsdiskurse hervorgebracht, die jeweils beanspruchen, die wünschenswerten von den unerwünschten Bestandteilen der industriellen Maschinerie abtrennen zu können. Es handelt sich zum einen um die Erhöhung der Effizienz beziehungsweise Ressourcen-Produktivität und um die ökologische Konsistenz.
Effizienz-Maßnahmen orientieren sich daran, den pro Leistungseinheit erforderlichen Input an Energie und Material zu mindern. So gewährleistet beispielsweise ein Passiv-Haus aus Sicht seiner BewohnerInnen dieselben Funktionen wie ein konventionelles Wohnhaus, verbraucht aber nur einen Bruchteil der Wärme-Energie. Ähnliches gilt für Energiespar-Birnen, Drei-Liter-Autos oder Kühlschränke, deren Energie-Bedarf unter Wahrung aller bisherigen Wohlstandsmerkmale reduziert werden kann. Auch veränderte Arrangements von Verfügungsrechten wie etwa beim Carsharing lassen eine Entkoppelung theoretisch möglich erscheinen. An gefahrenen Kilometern soll indes nicht gespart werden, denn sonst ließe sich das zentrale Versprechen dieser Dienstleistungsstrategie nicht einlösen: Entlastung der Ökologie ohne Wohlstandsverlust.
Mit exakt derselben Beteuerung wartet das zweite Entkoppelungsszenario auf, nämlich die ökologische Konsistenz. Sie bezweckt im Unterschied zur Effizienz keine quantitative Reduktion materiellen Inputs, sondern setzt am industriellen Stoffwechsel an. So sollen nach dem Vorbild der Natur alle materiellen Kreisläufe geschlossen und insbesondere die verwendeten Substanzen, Energieträger und Umwandlungsprozesse durch Recycling-Verfahren perfekt in die Ökologie eingebettet werden.
Allerdings scheint sich diese Entkoppelungseuphorie seit Neuestem nicht mehr der gewohnten Einhelligkeit zu erfreuen. Spätestens mit einer sich zum Krisen-Dreigestirn mausernden Gemengelage – der Klimawandel dramatisiert sich, der Ressourcen-Basis des Wohlstandsmodells droht ein „Peak Everything“, die Finanzwelt durchlebt ein nie dagewesenes Chaos – polarisiert sich der Diskurs um eine nachhaltige Zukunftsperspektive.
Jüngst hat eine im Auftrag der Bundeswehr erstellte Studie für Furore gesorgt. Ein „ökonomischer Tipping Point“ bestehe dort, wo infolge des Peaks „die Weltwirtschaft auf unbestimmte Zeit schrumpft. In diesem Fall wäre eine Kettenreaktion die Folge, die das Wirtschaftssystem destabilisiert“. Weiter heißt es dort: „Mittelfristig bricht das globale Wirtschaftssystem und jede marktwirtschaftlich organisierte Volkswirtschaft zusammen.“ Auch für die Bundesrepublik sagt die Untersuchung bei einer solchen Entwicklung in Anbetracht des hohen Globalisierungsgrades ein hohes systemisches Risiko voraus. Vor diesem Hintergrund werden Lebens- und Versorgungsstile, die unabhängig vom Wachstum und externer Ressourcen-Zufuhr realisierbar sind – folglich eine reaktivierte Balance zwischen lokaler Selbst- und industrieller Fremdversorgung zur Basis haben müssen – zum reinen Selbstschutz. Dieser Logik scheint sich nicht einmal die Bundeswehr, wenngleich strukturell eher für andere Lösungsansätze prädestiniert, verschließen zu können: „Auf gesellschaftlicher Ebene ist (…) auch eine Stärkung von Möglichkeiten und Fähigkeiten zur Selbstorganisation von Bürgern auf lokalem Level denkbar.“
BU: Prof. Dr. Niko Paech lehrt als außerplanmäßiger Professor am Lehrstuhl für Produktion und Umwelt der Oldenburger „Carl von Ossietzky“-Universität